III. Die Seele des Menschen jenseits des Todes

 

1. Die Seele ist unsterblich und ewig, weil sie der Teil ist, in den Gott den Geist gegeben hat
2. Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele

3. Die Seele des Menschen und die Hoffnung der Christen


 

1. Die Seele ist unsterblich und ewig, weil sie der Teil ist, in den Gott den Geist gegeben hat

 

U. Swarat

Es gibt klare Schriftzeugnisse dafür, dass die Seele oder der Geist des Menschen nicht zusammen mit dem Leib stirbt. Am deutlichsten ist das bei Paulus in 2Kor 5,1-10. Der Apostel spricht dort vom Leib als dem „äußeren Menschen“, der eine Art Zelthaus oder eine Bekleidung für den „inneren Menschen“ darstellt. Im Tod wird dieses Haus abgebrochen und der Gläubige bekommt ein neues Haus, das Gott für ihn gemacht hat. Der Tod zieht uns Menschen den Leib, das jetzige Kleid, aus und Gott zieht uns dann ein neues himmlisches Kleid an. Sterben bedeutet für Paulus, „unseren Leib zu verlassen und beim Herrn zuhause zu sein“ (5,8). Er unterscheidet beim Sterben das Ich des Menschen von seinem Leib (vgl. Mt 10,28). In Kohelet 12,7 wird davon geredet, dass im Tod der Leib des Menschen wieder zu Erde wird, sein Geist aber zu Gott zurückkehrt (25).

Joseph Ratzinger bejaht die in der christlichen Tradition behauptete Unsterblichkeit der Seele, weil sie für ihn eine genuin christliche Aussage über das Wesen des Menschen in seiner Beziehung zu Gott darstellt. Der Mensch, sagt er, ist als Geschöpf Gottes in einer Relation erschaffen, die Unzerstörbarkeit einschließt. Er ist als ein Wesen geschaffen, das zur Gotteserkenntnis und Gottesliebe fähig und gerufen ist. Nicht ein beziehungsloses Selbersein macht den Menschen unsterblich, sondern die Offenheit seiner Existenz zu Gott als dem Grund seines Seins. Diese grundsätzliche Hinordnung zu Gott bleibt bestehen, auch wenn der Mensch sie vergisst oder negiert. Unsterblichkeit ist nicht nur erlösende Gnade, sondern Schöpfungsgabe, nämlich unzerstörbare Relation zu Gott im Sinne eines Dialogs zwischen Schöpfer und Geschöpf (31).

Es geht im Verhältnis zwischen Gott und Mensch um personhafte Gemeinschaft, die durch das Wort vermittelt ist. Indem Gott den Menschen als ein Du anredet, macht er ihn zu einem Ich, zu einem Subjekt, das antworten kann und antworten soll. Nur in diesem Sinne kann von einer Gottebenbildlichkeit des Menschen gesprochen werden. Der Mensch ist darin Ebenbild Gottes, dass er eine Person ist, ein Subjekt wie Gott Subjekt ist. Das Ich des Menschen entsteht am Du Gottes, das den Menschen sich zum Gegenüber macht und ihn aus dieser Beziehung nicht wieder entlässt, wie auch immer der Mensch sich verhält. Das ist die besondere Würde des Menschen unter allen Geschöpfen, dass er dieses Gegenüber bleibt – im Guten wie im Bösen (33).

Der Zusammenhang der Seelenunsterblichkeit mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen nach Luther: (Es stimmt, dass) die Seele des Menschen der unsterbliche, den Untergang des Körpers überlebende Geist ist...Unsterblich ist sie nicht aus sich selbst heraus (per se), sondern weil Gott denjenigen Teil der menschlichen Natur, in den er sein Ebenbild eingegossen hat, nicht sterblich sein, sondern nach dem Tod des Körpers bestehen bleiben lässt (34).

Es geht um eine Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet ist. Weil Gott den Menschen in diese dialogische Relation zu sich hineingeschaffen hat, fällt das Ich des Menschen niemals ins Nichts zurück, sondern wird von Gott auch über den leiblichen Tod hinaus erhalten. Wenn Gott den Menschen als Partner einer bestimmten Beziehung geschaffen hat, so schuf er ihn für eine ewige, ununterbrochene Beziehung (34f).

 

2. Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele

 

(1) Biblische Grundaussagen über die postmortale Existenz des Menschen
(2) Die biblische Lehre vom Menschen
(3) Sterben und Tod des Menschen
(4) Ewiges Leben
(5) Die Reichweite der Heilstat Jesu Christi

 

F. Heidler

 

(1) Biblische Grundaussagen über die postmortale Existenz des Menschen

 

Jenseitige Existenz als Gottes Schöpfungsordnung: Durch die Verheißung: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43) macht Jesus deutlich: Mit dem Tod ist es keineswegs aus, sondern es geht weiter! 'Du wirst sein', sagt er dem Sterbenden. Du wirst weiter existieren und zwar 'heute', unmittelbar nach dem Sterben, unmittelbar nach beider Tod am Kreuz geht es weiter. Jesus verheißt dem Mitgekreuzigten, dass er als Person unmittelbar nach seinem leidvollen Kreuzessterben mit ihm im Paradies sein wird (17f).

Wir existieren, auch wenn wir gestorben sind. Die Weiterexistenz aller Menschen nach dem Tod gehört zu den Schöpfungsordnungen Gottes, ist für alle Menschen eine schöpfungsmäßige Setzung Gottes (20).

Innerer und äußerer Mensch: Der äußere Mensch ist der aus irdischer Stofflichkeit, aus Materie bestehende Leib, der sichtbar organische Körper mit Fleisch und Blut (2Kor 5,1; 1Kor 15,20). Der innere Mensch ist Geist und Seele: der Mensch, der „außer dem Leibe daheim beim Herrn“ sein kann und sofern der Glaube gekommen ist (Gal 3,23; Röm 10,17) gegen das 'Fleisch' streitet (Röm 7,22), obwohl der innere Mensch post lapsum selbst auch 'Fleisch' ist, wenn Gottes Heiliger Geist nicht Glauben wirkt (23f).

Der Geist (ruach, pneuma) als Bezeichnung des inneren Menschen: Nach der Bibel ist Geist in seiner anthropologischen Bedeutung ein ontisches Existential des Menschen und zwar dasjenige Konstitutions- und Strukturelement, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Geistliches Leben ist Glaubenswirkung des Wortes Gottes bei denen, die es hören, durch den Heiligen Geist, wo und wann Gott will. Große Bedeutung hat die biblische Erkenntnis vom Menschen in seiner Trias als Geist, Seele und Leib für die Erhellung dessen, was Sterben heißt, was der Tod ist und was ewiges Leben im postmortalen Sinn für den Einzelnen bedeutet( 25f).

 

(2) Die biblische Lehre vom Menschen

 

Die negative Reaktion des Menschen auf Gottes Anrede hat ihn schuldhaft seine Bestimmung verfehlen lassen (Gen 3; Röm 5,18f; 1Kor 15,22). Die ursprüngliche Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott ist nur durch den Glauben an Jesus Christus wiederherstellbar: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus“ (1Tim 2,5) (28).


a. Die Natur des Menschen

Lebensodem = Geist: 1Thess 5,23: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist, samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“. Paulus interpretiert mit dieser Grundaussage den in Gen 2,7 bildhaft geschilderten Vorgang: „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. So ward der Mensch eine lebendige Seele“ (30).

Luther erkennt zwei Dimensionen, unter denen der Mensch in Gottes Offenbarung im Blick ist: 'Der Natur nach' bezieht sich auf die Analyse seiner schöpfungsmäßigen Beschaffenheit als das Wesen Mensch als Geist, Seele, Leib. 'Der Eigenschaft nach' bezieht sich auf sein Verhalten als dieses so analysierte Wesen: d.h. der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit als Geist, Seele und Leib kann 'Geist' sein, 'gut' sein, gottergeben im Glauben, oder er kann als Geist, Seele und Leib 'Fleisch' sein, gottfeindlich, gottwidrig (Daseinsverfehlung). Wichtig ist es, diese Unterscheidung, die die biblische Anthropologie macht, immer im Auge zu behalten, die Aussagen über die natürliche Beschaffenheit des Menschen und die über seine Lebenshaltung. Es geht um die Frage, ob der Mensch seiner Bestimmung zur Gottesgemeinschaft entsprechend im Glauben an Christus lebt, ob er 'geistlich' oder 'fleischlich' existiert (31f).

Der menschliche Geist (pneuma) in seiner Existenz steht in steter Abhängigkeit von Gott und hat in Ihm, dem Schöpfer, sein Fundament ab extra. Das Wort 'pneuma' charakterisiert den Menschen in seiner einzigartigen Stellung in der Schöpfung, in seinem personalen Subjektsein, nämlich aufgrund seiner Geist-Konstitution eine responsorische Existenz führen zu können: von Gott her und auf Gott hin ansprechbar zu sein. Der Geist verleiht ihm den Charakter des Ich-Subjekts, der Person, wie Gott Person ist. Die Erzählung vom Einblasen des Lebensodems durch Gott (Gen 2) ist die bildhafte, metaphorische Redeweise von dieser Wahrheit (33f).

Der Geist ist dasjenige Element, das den Menschen Gott gegenüber bündnisfähig macht. Im Unterschied zum Tier ist der Geist des Menschen (pneuma) das dem Menschen in und mit seinem Geschaffensein, schöpfungsmäßig zusätzlich gegebene substantielle Strukturelement, das Plus im Vergleich zum Tier, das auch lebendige Seele ist, das Plus, das ihm die schöpfungsmäßige Befähigung verleiht, ein von Gott ansprechbarer Partner zu sein. Der Geist des Menschen ist die Ermöglichung seiner responsorischen Existenz. Damit ist der Geist des Menschen der Ort, an dem sich entscheidet, ob er als Ganzer (Geist, Seele, Leib) geistlich oder fleischlich ist. Der Mensch ist qua Mensch in seinem wichtigsten Teil Geist im Sinne von Pneuma wie Gott Pneuma ist (36f).

Wenn und sofern Gottes Heiliger Geist (pneuma hagion) durch sein Wort im Menschen zur Glaubenswirkung kommt, ereignet sich dies in des Menschen Geist (pneuma), der ihn im Unterschied zum Tier befähigt, von Gottes Heiligem Geist erfasst, angeredet, erneuert zu werden. Der so von Gottes Heiligem Geist aktualisierte Geist des Menschen wirkt sich auf die Ganzheit menschlicher Existenz aus. Der Geist ist das 'Haus, da der Glaube und Gottes Wort innewohnt'. Mit dem Geist als Konstitutionselement, auch wenn er durch den Urfall (Gen 3) zum Zerrbild geworden ist und nicht geistlich sondern fleischlich existiert, ist dem Menschen die seinsmäßige Disposition zu einem erneuerten Leben mit Gott erhalten geblieben. Er ist nicht zum Tier geworden, dem diese Disposition schöpfungsmäßig fehlt. Dieser 'Rest' der Gottebenbildlichkeit ist bei aller Sünde konstant (38f).

 

b. Das Innewohnen des Geistes (Lebensodems) als Grund der Unsterblichkeit der Seele (Gen 1f)

Schöpfungsgabe Geist: Der Mensch ist Gottes Ebenbild: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (Gen 1,27). „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erdenstaub und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch eine lebendige Seele“ (Gen 2,7). Der Odem des Lebens, ein entscheidendes ontisches Existential des Menschen, gehört nun zu dessen Konstitution. Was Odem heißt, kann eben so gut Geist heißen. Es ist Gottes Lebensodem oder Geist aus Gott, den Gott selbst im Schöpfungsakt zu Nicht-Gott macht und dem Menschen als das wesentlichste Element seiner Existenz 'einhaucht'. Der Schöpfer übermittelt Geist aus seinem Geist als geschöpfliche Gabe, indem Er aus dem Seinen nimmt und das aus dem Seinen Genommene im Schöpfungsakt in das Erdgebilde Mensch, mit geschöpflicher Eigenexistenz versehen, hineingibt und diesen so zur lebendigen Seele macht. Darum spricht Gott im Blick auf die Menschen: „Ich will nicht … ewiglich zürnen, sonst würde ihr Geist vor mir verschmachten und der Lebensodem, den ich geschaffen habe“ (Jes 57,16). Der dem Menschen schöpfungsmäßig innewohnende Geist als Einhauch Gottes verleiht dem Menschen seine Gottebenbildlichkeit (39f).

Die Unsterblichkeit der Seele: Im Unterschied zu der lebendigen Seele, die Tier heißt (Gen 1,20), entsteht und besteht diejenige lebendige Seele, zu der der Mensch wurde, darin und nur dadurch, dass Gott selbst seinen Odem (Geist) in das aus Materie geformte Menschengebilde hineinhaucht und das mit diesem Einhauch versehen der Mensch lebendige Seele ist. Der Geist erzeugt, in das Staubgebilde, den irdenen Organismus eingehend, die Seele, die ihrem Wesen nach unvergängliche, weil sie göttliche Lebenskraft in sich trägt, durch die sie geworden ist und besteht. Die Bibel lehrt die individuelle Seele, die diese ihre Individualität durch Gottes Odemeinhauch (Geistgabe) erhält und auf ewig behält. Nach biblischer Lehre ist und bleibt die Person des Menschen individuelle Geistseele (40f).

Das Innewohnen des Geistes im Menschen bekundet seine Singularität unter allen Geschöpfen als Gottes Ebenbild. Menschsein heißt Gottes Ebenbild sein. Durch Gottes Heiligen Geist gewirktes geistliches Leben des Menschen ist absolute Existenz ab extra. Es geschieht nur sola gratia, nur propter Christum und ist nur per fidem zu akzeptieren. Nur sofern und soweit Gottes gnädige Zuwendung im Heiligen Geist beim Menschen Ereignis wird, den Menschen hält und immer wieder beim Glauben hält, kann er geistlich leben. Das Wirken Gottes des Heiligen Geistes ist ein immerwährendes Sichereignen zwischen Gott und dem wiedergeborenen Menschen (Jh 3) und es kann sich nur zwischen Gott und seinem Ebenbild, dem mit Geist von Seinem Geist ausgestatteten Geschöpf vollziehen. So lebt der Christ aus dem steten Ereignis des Gehaltenwerdens durch Gott den Heiligen Geist, der nicht Selbstbesitz des Menschen ist. Es ist die menschliche Eigenexistenz mit dem Existentialbesitz des göttlichen Lebensodems, des von Gott stammenden Geistes, den Er dem Menschen im Schöpfungsakt und als Schöpfungsakt eingehaucht und als Grund und Merkmal seiner Gottebenbildlichkeit als Konstitutionselement verliehen hat (47f).

Der innerste Kern des pln inneren Menschen ist Geist wie Gott der Substanz nach, aber geschöpflicher, geschaffener Geist der Eigenexistenz nach, nicht in Aseität, die allein Gottes eigenem Geist zukommt, aber in geschenkter Geschöpfesexistenz, die von Gott stets abhängig bleibt und nur durch das Wirken Gottes des Schöpfers und Erhalters Eigensein behält. Ps 104: „Nimmst Du weg ihren Geist (Odem), so vergehen sie und werden wieder zu Staub. Du sendest aus Deinen Geist, so werden sie geschaffen“ (55).

 

c. Der Geist als Konstitutionselement des Menschen

Menschliches Leben haben heißt mit der Geistgabe als Seinselement ausgestattet sein. Dabei ist der Geist als unabdingbares Konstitutionsexistential das entscheidende Lebenselement. Er ist auch zur Gotteserkenntnis bestimmt, insofern als Gott seinen Geist im Geist des Menschen erfahrbar und wirksam sein lassen will (56).

Es ist der Geist im Menschen, der vom Heiligen Geist erfasst ist, ohne den es kein Beten und kein geistliches Verhalten gibt. Ohne den Heiligen Geist im Glauben bleibt auch der Geist als Gottes Ebenbild im Menschen nur fleischlicher Geist, der vor Gott nicht bestehen kann. Röm 8,16: „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind“. Dieser Satz macht offenbar, dass Gottes Heiliger Geist in aktiver Weise sich dem geschöpflichen Geist des Menschen zeugnisgebend zuwendet als dem Teil des Menschen, der der Ansatzpunkt (Atenne) in des Menschen geschöpflicher Beschaffenheit für Gottes Wirken am Menschen ist (58f).

Der innewohnende Geist als Schöpfungsgabe an den Menschen ist der Teil des Menschen 'der Natur nach', ist die Seinsschicht des Menschen, die Gott mobilisiert, wenn Er mit seinem Abbild in Beziehung tritt und ist die Lebenskraft jedes Menschen überhaupt. Geist (ruach, pneuma) im Blick auf den Menschen ist im Unterschied zum Tier schöpfungsmäßiges Konstitutionselement des Menschen, ist das eigentlich Menschhafte, ist auch nach dem Sündenfall das Humanum schlechthin, das allen Menschen eignet und das die Identität des Menschen aller Zeiten ausmacht – ob er seiner Bestimmung zur Gottesgemeinschaft gemäß lebt oder nicht (61f).

Dem Pneuma-Existential des Menschen – Geist wie Gottes Geist, aber geschöpflicher Geist – eignet der Charakter der Unvergänglichkeit, der Unsterblichkeit (64).

Zusammenfassung: Geist (ruach, pneuma) ist

•     das entscheidende Konstitutionselement des Menschen;

•     das die menschliche Seele als Geistseele qualifizierende Element;

•     das Konstitutiv des Menschen als Person, Ich, Subjekt (Geistgebundenheit der Person);

•     das Merkmal und der Garant der Identität des Menschen;

•     das Ebenbild Gottes, Unterschiedsmerkmal im Blick auf das Tier;

•     der geschöpfliche Ansatzpunkt (Atenne) für Gottes Handeln am Menschen durch Seinen Heiligen Geist;

•     der Erkenntnisgrund für göttliche Dinge (Haus, da der Glaube und Gottes Wort innewohnt);

•     die eigentliche Triebkraft menschlichen Lebens;

•     von unsterblicher Existenz (65).

Weil durch die Einwirkung von Gottes Heiligem Geist auf den menschlichen Geist dieser sich dem Geist Gottes im Glauben öffnet und will, was Gott will und so Gottes Geist in sich 'wohnen' lässt, ist Gottes Geist im menschlichen Geist wesenhaft da, wirkt der Heilige Geist im Menschengeist und ist seine Wirkung immer mitgemeint, wenn vom neuen, gewissen oder erneuerten Geist des Menschen die Rede ist (68).

 

d. Die Seele als Konstitutionselement des Menschen

Die Seele des Menschen gehört zu beiden: zum Geist und zum Leib. Sie ist jenes belebende Element des Leibes nur durch das Innewohnen des Geistes in ihr. Die Seele ist das Innenwesen des Menschen, das einerseits den Geist in sich trägt, andererseits eigentümlich gestimmt ist dadurch, dass dieser Geist Prinzip eines leiblichen Wesens ist. So kann die Seele als das Bindeglied zwischen Leib und Geist bezeichnet werden, das nach Gottes Schöpferwillen die Ganzheit und Einheit der Person des Menschen als Geist, Seele und Leib herstellt, vermittelt und durchhält bis zum Tod. Bezeichnet die Spiritualität den schöpferischen Grund, so bezeichnet die Materialität den der Seele aufgegebenen Wirkungsbereich. Die menschliche Seele gehört in ihrer Mittelstellung und Bindegliedfunktion auf die Seite des Geistes, gehört ontisch zum inneren Menschen. Die menschliche Seele belebt und durchdringt die Materie, aber sie ist nicht Materie (73f).

Die Seele gilt als das Haus des Geistes, d.h. als die nicht-materielle Menschengestalt und -substanz, in die Gott den Geist des Menschen als Lebenskraft und als individuelles Subjekt (Ich, Person) hineingehaucht hat (Sach 12,1: „Der Herr, der den Geist des Menschen in seinem Inneren bildet“). Im Leib wohnend vermittelt die durch den Geist als menschlich qualifizierte Seele dem Leib das persönliche, individuelle Leben und kann gelten als infusus corpori. Wenn sie wieder ausgegossen wird, d.h. dem Körper entweicht, ist der Körper tot. Die Seele selbst wird aber als ewig angesehen:Du wirst meine Seele nicht dem Totenreich überlassen“ (Ps 16,10) (74f).

Die Seele ist unsterblich und ewig, weil sie der Teil ist, in den Gott den Geist gegeben hat (76).


Zusammenfassung: Die Seele des Menschen

•     ist ein Konstitutionselement des Menschen

•     ist Geistseele. Sie ist erst lebensfähig, lebendige Seele, durch Gottes Gabe des Geistes in sie hinein. Diese Geistqualifizierung unterscheidet sie von der des Tieres

•     ist Bindeglied zwischen Geist und Leib

•     hat als unkörperliches, aber bis zum Tod dem Körper engst verbundenes Wesen die Gestalt des Leibes

•     gilt als Sitz (Organ) des individuellen Ich-Lebens, des Geistes und kann für 'ich' gebraucht werden.

•     ist durch den ihr innewohnenden Geist unsterblich

•     Der Begriff Seele wird als Bezeichnung des inneren Menschen (für Seele und Geist) gebraucht, weil sie den Geist in sich trägt, der durch sie auch letztbelebendes Element des Leibes ist (78).

 

e. Der Leib als Konstitutionselement des Menschen

Die biblische Schöpfungslehre insistiert auf zweierlei: erstens, dass Gott es ist, in dem alle Existenz, alles Leben seinen Ursprung hat und zweitens, dass der Mensch eine nicht materielle Innenseite als das wesenhaft Menschliche hat, den Gottesodem (Geist), den Gott durch sein besonderes Schöpferwirken in die materielle Bildung des Menschenleibes als Existential hineingegeben, 'eingehaucht' hat (80).

Die Bibel kennt den Menschen als Geist, Seele und Leib. Der in dieser Dreiheit existierende Mensch ist von seiner Bestimmung, in der Gemeinschaft mit Gott zu leben, abgefallen. Aber seine trichotomische Struktur ist nicht verändert. Diese drei Teile bilden eine ungetrennte Einheit, bilden die Ganzheit Mensch bis zu dessen leiblichen Tod. Die Dreieinheit-Konstitution ist die Ausrüstung des Menschen, um seinen Auftrag, der Mandatar, der Repräsentant Gottes in der Schöpfung zu sein, auszuüben (84f).

 

f. Jesus Christus als Ebenbild Gottes und die Gottesbildlichkeit des Menschen

Die Gottesbildlichkeit des Menschen

Imago und similitudo: Der die imago in seinem Kern ausmachende Geist ist unter dem Doppelaspekt zu sehen: einerseits als Gestaltsubstanz (der Natur nach von göttlicher Seinsart, Person, Ich = imago) und andererseits als innere Einstellung, Wesensart (der Eigenschaft nach: wie Gott denken, wollen, handeln = similitudo). Luther: Weil Mose sagt, der Mensch sei auch zur Gottgleiche geschaffen, zeigt er an, dass der Mensch nicht nur darin Gott widerspiegelt, dass er Verstand, Intellekt und Willen hat (Person ist), sondern auch, dass er damit Gottgleiche hat, d.h. dass sein Wille und Intellekt so beschaffen sind, dass er damit Gott erkennt und damit will, was Gott will usw. Nicht nur zum Bild sondern zum perfekten Ebenbild Gottes ist der Mensch geschaffen (87).

Erst mit der auf Gott hin ausgerichteten, der Gott gehorsamen imago als similitudo ist der status originalis gegeben. Der Urstand ist dadurch gekennzeichnet, dass der zum Ebenbild Gottes (imago) in der Mitteilung des Geistes aus Gottes Geist geschaffene Mensch in seiner coram-Relation zu Gott im Gehorsam war, in Übereinstimmung seines Wollens und Lebens mit Gottes Willen, dass der Geist des Menschen (imago) 'Geist' und noch nicht 'Fleisch' war. Die Grundbeziehung des Menschen war in Ordnung, er lebte in Gottesgemeinschaft, im Gottesgehorsam (88).

Der Mensch bleibt auch post lapsum Leib, Seele und Geist. Aber der ganze Mensch ist verdorben, weil der Geist 'verkehrt', aus der imago Dei zur imago diaboli geworden ist. Der Mensch ist auch als gefallener 'elohimgestaltig', ist Leib, Seele und Geist (91f).

Die Gottesebenbildlichkeit Jesu Christi

Der absolute Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf ist in Jesus Christus als Einheit zur Rettung des Menschen Ereignis geworden in der singulären Erscheinung des Gottmenschen. Mit seinem Verkündigen, Tun und Verhalten hat Jesus das ganze irdische Leben hindurch die ursprüngliche similitudo gelebt (Hebr 1,3) und hat in der Einheit von imago und similtudo die bei der Schöpfung beabsichtigte Gottebenbildlichkeit des Menschen verkörpert als das wahre Ebenbild Gottes (2Kor 4,4; Kol 1,15). In dieser Einheit ist er den Weg des absoluten Gottesgehorsams gegangen „ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8) und hat als der zweite Adam das vollbracht, was vom ersten erwartet, aber schuldhaft verfehlt wurde und damit den Menschen den Rückweg von ihrem Sein als imago diaboli zur imago Dei eröffnet (93).

Erneuerung der imago des Menschen

Die neue Kreatur, der neue Mensch in uns nimmt nur seinen Anfang und wird nicht vollendet, solange wir in diesem Fleisch sind. Es sind nur erste Ansätze, wenn wir den Willen haben zum Gotteslob, zum Danken, Bekennen, Leiden usw. Dennoch schafft es das Evangelium, dass wir zu jenem besseren Gottesbild erneuert werden, weil wir zur Hoffnung auf das ewige Leben durch den Glauben wiedergeboren werden. Die Erneuerung der verlorenen Gottebenbildlichkeit des Menschen ist nur möglich durch die Kraft Jesu Christi der sie als Erstling oder als zweiter Adam gelebt hat. Wenn die Gottesbildlichkeit als imago (der Mensch als Person) nie aufgehört hat zu bestehen, so ist aber die Ebenbildlichkeit qua similitudo total zerstört. Nur Jesus Christus hat das Menschenleben in der in Gottes Schöpferwillen beabsichtigen similitudo gelebt, in völliger Übereinstimmung mit diesem Willen und kann darum auch allein durch Seine Kraft, durch Seinen Heiligen Geist die similitudo des Menschen, der Ihn im Glauben aufnimmt, wiederherstellen und damit die imago im gottgewollten Sinn transformieren (94f).

Die Gottesbildlichkeit des Menschen ist durch den Sündenfall nicht verloren, sondern eignet dem Menschen nach wie vor:

•     Die Gottesbildlichkeit ist als imago und similitudo zu sehen.

•     Imago betrifft den Menschen als Person, als Ich (Geistelement). Similitudo betrifft die Entsprechung zur gottgesetzten Bestimmung des personalen Lebens der Menschen (Gehorsam gegen Gottes Willen, Gemeinschaft mit Gott, Gottes Partner).

•     Wo imago als similitudo existiert, ist von Gottebenbildlichkeit zu sprechen. Nach dem Sündenfall kann nur bei Jesus Christus von Gottebenbildlichkeit die Rede sein, während für alle Menschen nur das Wort Gottesbildlichkeit angemessen ist.

•     Die similitudo ist durch den Sündenfall total zerstört. Die imago als Person des Menschen (Konstitutionselement Geist) ist erhalten, aber durch den Verlust der similitudo pervertiert. Es eignet dem Menschen nach wie vor die imago als Personsein, aber nicht imago als Ebenbildsein – nicht die Ursprungsimago.

•     Die ntl Botschaft proklamiert die Wiederherstellung der similitudo der verbliebenen imago durch Jesus Christus, wenn dieser im Glauben durch den Heiligen Geist angenommen wird.

•     Die ntl Botschaft proklamiert den neuen Menschen in Christus (2Kor 5,17), der der Bestimmung des Menschen post Christum gemäß lebt, der den Sinn des Lebens begriffen hat (96).

Der geschaffene Geist des Menschen als sein ontisches Existential (Luther: als höchster, edelster Teil des Menschen) macht die Gottebenbildlichkeit des Menschen als imago aus. Sie ist ihm mit dem Geistelement innewohnend. Sie ist als Geistelement ganz erhalten. Nicht die imago ist durch den Sündenfall verloren, aber die similitudo. Der Mensch ist auch in statu corruptionis imago geblieben. Gänzlich verloren ist die similitudo (97).

Das Handeln Jesu Christi gilt gerade dem Menschen, der durch das zu seiner Konstitution gehörende Strukturelement 'Geist' als Ebenbild Gottes qualifiziert, jedoch zur imago diaboli pervertiert ist, dem Menschen, der die similitudo verloren hat, sie aber, durch Christus widergewinnen soll und kann, um so auch die imago aus der Perversion zu befreien und nach Gottes Willen wiederherzustellen (2Kor 5,17) (97f).

 

(3) Sterben und Tod des Menschen

 

Der Geist und die Seele des Menschen sind unsterblich, d.h. wenn der Körper tot ist und verwest, besteht der innere Mensch über den Tod hinaus. Die unlösbare Einheit von Geist und Seele wird durch den Körpertod nicht aufgehoben. Die Menschenseele ist im Unterschied zur Tierseele lebendige Seele durch das Innewohnen des Geistes als des Elements, das sie als menschliche Seele konstituiert und zur Geistseele macht (98f).

Der Geist ist als Odem und Lebenskraft Besitz des Menschen von der Schöpfung her, den der Mensch im Tod an Gott zurückgibt. Das Sterben des Menschen ist das Entweichen des Geistes vom Körper. Der Tod ist die vollzogene Trennung des Geistes vom Körper (101).

Dass die Seele beim Tod entweicht, hängt mit ihrer durch den Geist ermöglichten Unsterblichkeit zusammen, weil Gott den Teil der menschlichen Natur, in den Er sein Ebenbild (Geist) hineingegossen hat, nicht sterblich sein lassen kann, sondern nach des Körpers Tod existent sein lässt (102f).

Das Sterben des Menschen ist der Vorgang der Lösung des  Geistes und der Seele vom Körper (106).

 

(4) Ewiges Leben

 

a. Weiterleben aller Verstorbenen

Die biblische Einsicht in die Formalstruktur des Todes als Trennung des Geistes und der Seele vom Leib lässt das Weiterleben des inneren Menschen nach dem Tod als die Weiterexistenz der Person als Geist und Seele, als Geistseele erkennen. Das menschliche Ich ist nur an Geist und Seele gebunden und bleibt auch ohne Leib post mortem dasselbe menschliche Ich in Identität mit sich selbst. Diese Aussage gilt für alle Menschen. Die Weiterexistenz des Menschen als Geist und Seele gehört zu den Ordnungen Gottes als des Schöpfers und Erhalters, gehört zur kreatorischen Setzung Gottes. Die Lebendigkeit nach dem Tod ist Gottes kreatorische Ordnung nach des Menschen Tod, wie die Lebendigkeit des Menschen in seinem irdischen Leben vor dem Tod Gottes Schöpfungsordnung ist (107f).

Alle Menschen werden nach dem Tod als Geist und Seele weiterexistieren, durch die ihre Person und Persönlichkeit schon im irdischen Leibesleben konstituiert ist in Identität mit sich selbst. Wie der Mensch in seinem irdischen Dasein Person ist, 'lebendige Seele' allein durch den von Gott in ihn hineingegebenen Geist (Lebensodem), so existiert der Mensch auch nach seinem Tod, nach Ablegung des Leibes als die Ich-Person weiter durch den innewohnenden Geist, der seiner Seele Unsterblichkeit verleiht. Die Weiterexistenz eines jeden nach seinem Tod tritt gesetzmäßig ein, weil es eine Setzung Gottes des Schöpfers in seiner kreatorischen Funktion der Erhaltung ist. Wie Christus Mk12,26 sagt, ist Gott ein Gott der Lebendigen nicht der Toten. Darum müssen die Menschen ewig leben, sonst wäre er nicht ihr Gott (108f).

b. Einheit der Person als Geistseele post mortem

Der Geist ist der Personkern. Die Seele ist dessen Wohnung, Gestalt, Lebensform, wie sie als solche auch das Leben des Leibes ist, der ohne sie zur Leiche wird. Der Leib ist das Instrument der Wirksamkeit des inneren Menschen auf Erden, das 'Haus', darin sich die irdische Existenz des Ich, der individuellen Person als Geist und Seele vollzieht. Wenn dies „unser irdisch Haus, diese Hütte zerbricht“ (2 Kor 5,1), wenn Geist und Seele sich beim Tod vom Körper trennen, ist die personale Einheit von Geist und Seele, die Einheit des inneren Menschen in keiner Weise gefährdet oder aufgehoben, da die menschliche Seele nur vom Geist erfüllt existent ist im Unterschied zur Seele des Tieres. Die Person des Ich als Geist und Seele (Geistseele) bleibt bestehen und wechselt nur die 'Hütte', wie dies auch 2Ptr 1,13f erkennbar ist: „…solange ich in dieser Hütte bin, weiß ich, dass ich diese Hütte bald verlassen muss“. Das Ich ist dasselbe in der Hütte und nach Verlassen der Hütte; der innere Mensch ist derselbe während der Zeit im irdischen Körper und nach dem Tod. Wenn bei diesem sich Geist und Seele vom Leib trennen, bleiben aber beide ungetrennt das eine Ich, in Identität vor und nach dem Tod, unsichtbar und ewig (2Kor 4,18). Die klassische Stelle für die Weiterexistenz von Geist und Seele in ihrer Einheit als das Ich des Menschen ist Jesu Verheißungswort am Kreuz an den bereuenden Übeltäter: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein(Lk 23,43). Das Du (Ich) des Übeltäters, das jetzt noch in dem am Kreuz hängenden Leib sein 'Haus' hat, wird frei von diesem 'Haus' existieren und mit Jesus „im Paradies sein“ (109f).

c. Unmittelbarkeit der Weiterexistenz nach dem Tod

Das Weiterleben des inneren Menschen nach dem Tod, das jenseitige Leben als Seele und Geist (Geistseele), setzt im Leibestod ein. Mit dem Wort Jesu „heute wirst du mit mir im Paradies sein“ will Jesus sagen, dass der Tod sofort den Übergang in die andere Welt bringt. Im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus bringt Jesus zum Ausdruck, dass es dabei um das Schicksal unmittelbar nach den Tod geht. Luther sagt: Wie ein Kind aus der Enge des Leibes seiner Mutter in die Weite der Welt hineingeboren wird, so geht der Mensch den engen, aber nicht langen Weg durch die Pforte des Todes aus diesem Leben in die unvergleichlich umfassendere Weite des ewigen Lebens (112f).

d. Erhaltung der Identität des Ich

Die Seele hat ihr besonderes Charakteristikum durch den ihr innewohnenden Geist und damit durch ihren den Tod überdauernden Bestand. Die Ich-Bestimmtheit des Menschen, seine Personalität, sein Sein als ein Ich-Subjekt ist ihm von Gott verliehen durch das Seinsexistential Geist, das seine Seele zur Geistseele macht, ihr zur personalen Existenz verhilft, wie dies ihm die individuelle Gestalt gibt und im Leib zu existieren ermöglicht und dies als Ordnung des Schöpferwillens Gottes (154).

Mit der Antwort auf die Sadduzäerfrage (Mk 12,26f par): „Gott ist nicht ein Gott der Toten sondern der Lebendigen“, „denn sie leben ihm alle“ (Lk 20,38) macht Jesus deutlich, dass jenes jenseitige Leben, in dem man den Engeln gleich und unsterblich ist (Lk 20,36), bereits die haben, die ihre Glaubensväter sind: Abraham, Isaak und Jakob, zu denen Gott nach deren irdischem Tod als zu Existierenden in Beziehung steht und nicht als nur zu einst Gewesenen. Gott ist Gott dieser lebendigen Väterpersonen, deren Ich trotz ihres Leibestodes schon vor der Auferstehung Jesu Christi existent geblieben ist und nicht wie ihr Leib der Todesherrschaft unterliegt. An die Stelle der kurzen Zeit bis zum Tod tritt die unbegrenzte Zeit des Lebens vor Gott: „Sie leben ihm alle“ (Lk 20,38) (155f).

Wenn Jesus (Lk 13,25; Mt 8,11) sagt: „… wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes und euch hinausgestoßen“, dann geht es um geschichtliche Personen von einst. Dasselbe gilt für Mose und Elia bei der Verklärung Jesu, die identisch sind mit jenen geschichtlichen Menschen von einst und doch existieren, mit Jesus reden und von Petrus, Jakobus und Johannes gesehen werden konnten (Mk 9,2ff par). Dies sind Hinweise darauf, dass nach dem Leibestod das Ich des Menschen existiert und mit dem Ablegen des Leibes die Person des Menschen nicht nur einmal gewesen ist. Denn sie ist nicht leibgebunden, sondern geist-seelisch konstituiert. Der innere Mensch als Geist-Seele ist dasselbe Ich, das „im Fleisch“ Christus und den Menschen zu dienen hat (Phil 1,22.24) und das „außer dem Leibe daheim beim Herrn“  sein kann (2Kor 5,8) (156f).

Bei der Beschreibung von Jakobs Tod heißt es, dass er „verschied und zu seinen Vätern versammelt wurde“, obwohl er erst ein Vierteljahr später begraben wurde (im Erbbegräbnis Mamre). Das Versammeltsein bei den Vätern tritt unmittelbar nach dem Tod ein und ist nicht ausschließlich auf dieselbe Gruft bezogen, in die der tote Leib gelegt wird. Nach Gen 35,29 wird Isaak auch vor dem Begrabenwerden zu seinen Vätern versammelt (157 Anm.).

Jesus spricht (Mt 20,28): „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können“. Die Unzerstörbarkeit der Person wird hier mit der Unzerstörbarkeit der Seele charakterisiert, wie Jesus nach Jh 12, 25 ewiges Leben der Seele verheißt, so dass auch, um die Person der Märtyrer im jenseitigen Leben zu bezeichnen, einfach von den „Seelen derer, die …“ in Offb 6,9 und 20,4 gesprochen wird (158).

Die Seinsweise nach dem Tod ist für irdische Augen nicht sichtbar, aber doch mit individueller Form und Gestalt, die die Personen nach dem Tod sich gegenseitig erkennen lassen (Lk 16,23: der Reiche und Lazarus). Die Erkennbarkeit deutet auf eine individuelle Gestalt, die aber nicht aus der Stofflichkeit der Erde, nicht aus Materie besteht (159f).

Auch wenn Fleisch und Blut, der materielle Teil des Leibes als Erde wieder zur Erde wird, bleibt der belebende Teil des Leibes, die Seele. Sie existiert weiter mit dem sie bestimmenden, ihr innewohnenden geschaffenen Geist  und hat als solcher Lebensteil auch die Individualität, Gestalt, Form der Person, die vor dem irdischen Tod mit dem Leib den individuellen Menschen ausmacht und ist darum jenseitig erkennbar (161).

 

(5) Die Reichweite der Heilstat Jesu Christi

 

Die Verkündigung der Gnade Gottes in Jesus Christus ist nicht an die Grenze des irdischen Lebens gebunden. Sie kann nicht durch den Tod nach seinem Eintreten am Menschen in dessen postmortaler Existenz gehindert werden. Wenn Gott das Reinigungsfeuer von Schicksalsschlägen gibt, die schon im irdischen Leben die Menschen auf den rechten Weg bringen, so ist es nicht unglaubhaft, dass so etwas auch nach diesem Leben geschieht. Die Frage nach einer inneren Entwicklungsmöglichkeit der Entschlafenen, aber jenseitig Wachen und Lebendigen kann nicht grundsätzlich verneint werden. In Korinth (1Kor 15,29) unterzogen Christen sich dem Taufsakrament zugunsten der Toten, deren jenseitiges Schicksal man für beeinflussbar hielt, von deren Weiterexistenz nach dem Tod man überzeugt war und deren jenseitiges Ergehen man damit zu ihrem Heil auf dem Weg zu Christus hin meinte fördern zu können (183f).

Gute Botschaft für Judas Ischariot (H. Gollwitzer): Die Menschheit, in der Judas dauernd vorkommt, ist es und keine andere, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn sandte, damit alle, die auf ihn vertrauen, ewiges Leben haben (Jh 3,16). Ist mit dem Tod des Judas alles für ihn aus? Hat sinnverfehltes Leben nur eine Chance zur Rettung auf der Strecke zwischen Geburt und Tod? Ist der Tod die unüberwindliche Besiegelung der Endgültigkeit von Sinnverfehlung? Wenn ja, dann kapituliert die christliche Botschaft vor der Todesgrenze und damit vor der Todesherrschaft. Damit wäre aus der Verheißung, die aus unserem unmöglich gewordenen Leben ein neues macht, eine Theorie geworden, die auf uns noch gebliebene Möglichkeiten angewiesen ist. Jh 5,25: „Wahrhaftig, ich sage euch: die Stunde kommt und ist jetzt da, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden und die, die sie hören, werden leben“. Judas ist schon bevor er am Baum hängt 'tot'. Wann er die Stimme hört, die ihm sagt: du sollst leben, ob vor oder nach seinem Selbstmord, ist nicht entscheidend. Denn die Stimme gilt allen und sie kapituliert nicht vor dem Tod (184f).

Es muss verstehbar sein, dass dem Judas auch nach seinem Selbstmord die Verheißung gelten kann. Einem Mausetoten kann nichts mehr gelten, keine Verheißung, keine Verurteilung. Es muss erkannt werden können, dass die Person des Judas, des verzweifelten Menschen überhaupt, nicht an seinem verwesenden Leib oder die daraus gewordene Asche gebunden ist, damit eben nicht mit dem Tod des Judas alles für ihn aus ist, damit auch nach Aufhören seines Atems die Verheißung, die aus unserem unmöglich gewordenen Leben ein neues macht, für ihn noch gelten und von ihm vernommen werden kann, damit die christliche Botschaft vor der Todesherrschaft nicht zu kapitulieren braucht. Es geht um die Verstehenshilfen, die die Bibel selbst enthält (185f).

 

H. Cremer: Über den Zustand nach dem Tod

Für alle Sünder, für die ganze Welt ist Jesus gekommen und ist seit seinem Tod als der erhöhte, lebendige Herr in seiner Gemeinde gegenwärtig. Es kann niemand verlorengehen oder selig werden, es muss sich an seinem Verhalten zu Jesus entscheiden. Darum  sagt Petrus (1Ptr 3,19f;  4,6) auch den Toten sei das Evangelium verkündet worden, auch solchen, die zu den Zeiten Noahs nicht glaubten. Hieraus dürfen wir entnehmen, dass es im Totenreich noch eine Predigt des Evangeliums gibt zu dem Zweck, auch Tote noch zu gewinnen für das Himmelreich des Herrn. „Dazu ist auch Toten das Evangelium verkündigt, auf dass sie gerichtet werden nach dem Menschen am Fleisch, aber im Geiste Gott leben.“ Die Bekehrung wird allein durch das Wort des Evangeliums bewirkt. Wir dürfen die Toten, von denen wir kein Zeugnis haben, dass sie im Glauben verstorben sind, getrost  der Liebe Gottes befehlen, der vielleicht manchen zeugniskräftigen Christen drüben verwenden wird, um die Predigt des Evangeliums unter den Toten fortzusetzen (187f).

Predigt am Grab: Biblisch gegründet kann man darauf hinweisen, dass die Person des Gestorbenen nicht mehr mit diesem Leichnam (Asche) identisch ist, sondern nunmehr in Unabhängigkeit von allem, was der Verwesung übergeben wird, eine andere Existenz vor Gott lebt, als dieselbe Person, als dasselbe Ich, in Identität mit sich selbst, der er gewesen ist, aber ohne Leib (189).

Fürbitte für Verstorbene: Wenn mit dem Tod noch nicht alles über das endgültige Schicksal der Verstorbenen entschieden ist, wenn die Verstorbenen geistseelisch als Person existieren und wenn nach Offb 20,12f das Urteil dann auch anders ausfallen kann, als es unmittelbar nach dem Tod ausgefallen wäre, ist die Fürbitte geboten wie andere Fürbitten auch. Wir tun gut daran, für unsere Verstorbenen zu beten und sie der Gnade und Treue Gottes in Jesus Christus zu befehlen (189f).

Der zur Gemeinschaft mit Gott bestimmte Mensch ist trichonomisch strukturiert; er ist die Ganzheit: Geist, Seele, Leib. Der Geist als das ihn zum Ebenbild Gottes machende Seinselement konstituiert ihn als von Gott ansprechbare Person, als Ich. Des Menschen Personalität ist geistgebunden, nicht leibgebunden. Der Tod ist die Trennung des Geistes und der Seele (Geistseele) vom Leib. Der Leib verwest in die Erde hinein, wird wieder zu Staub. Der innere Mensch (Geist/Seele) existiert postmortal weiter (190).