(4) Die Drei-Tage-Worte Jesu – Sekundäre Umdeutung der ursprünglich eschatologischen Bilder

 

J. Jeremias

Tempelneubau Mk 14,58: „Wir haben ihn sagen gehört: Ich werde diesen mit Händen gemachten Tempel niederreißen und in drei Tagen einen anderen, nicht mit Händen gemachten erbauen“. Jh 2,19: „Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen werde ich ihn wieder errichten“. Die Zerstörung des alten Heiligtums bezeichnet die eschatologische Katastrophe (Mk 13,2); mit dem neuen Tempel ist das Heiligtum der Endzeit als Symbol der Heilsgemeinde gemeint; sein wunderbares In-Erscheinung-Treten bedeutet den Anbruch der Heilszeit. Der antithetische Parallelismus, der zwei Ereignisse gegenüberstellt, und der apokalyptische Stil, demzufolge die Errichtung des neuen Tempels das Wunder der Weltenwende beschreibt, fordert die Bedeutung: nach Ablauf von drei Tagen. Das Jesuswort gibt einen knappen Aufriß der Endereignisse: das Hereinbrechen der Katastrophe – die Notzeit von drei Tagen – der Neubau des Heiligtums. Auf die 'drei Tage' folgt die Äonenwende (221f).

Vollendung Lk 13,32:Siehe ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen und am dritten Tag werde ich vollendet“. Hier umfassen die zwei ersten Tage die das Ende durch Exorzismen und Heilungen vorbereitende Wirksamkeit Jesu. Auch hier folgt am dritten Tag die Wende, denn 'ich bin am Ziel' hat, wie Hebr 7,28;  10,14;  Jh 19,30 eschatologischen Klang. Lk 13,33:Doch muss ich heute und morgen und am folgenden Tag wandern, denn es geht nicht an, dass ein Prophet umkomme außerhalb von Jerusalem“. Der dritte Tag bezeichnet hier nicht die Wende, sondern gehört noch zum Auftakt vor der Wende. Anders als in den ersten zwei Beispielen ist es in V.33 der Tod, der nach den drei Tagen des Wanderns die Peripetie darstellt. Der Vergleich mit den anderen Drei-Tage-Worten zeigt, dass der Tod die auf ihn folgende Verherrlichung einschließen wird. Es ist nicht vom Tod schlechthin die Rede, sondern vom prophetischen Martyrium. Dass Lk 13,33 nur den Tod erwähnt, wird sich daraus erklären, dass das Logion von Ironie getragen ist: hierzulande ist es ja Brauch, dass Gottesmänner in der Gottesstadt umgebracht werden (222f).

Wiedersehen Jh 16,16Nur noch kurze Zeit – dann werdet ihr mich nicht (mehr) sehen und nochmals kurze Zeit – dann werdet ihr mich sehen“. Es werden zwei Zeitspannen unterschieden, auf die die Wende folgt. Die erste bezeichnet die von Ungewissheit und dem Ahnen schrecklicher Dinge erfüllte nächste Zukunft, die die Katastrophe einleitet, die zweite eine Zeit des Unheils, in der die Jünger ihren Herrn nicht sehen werden – aber diese beiden Zeitspannen sind nur der Auftakt zu einem 'dritten Tag', der mit dem 'Sehen' die Wende bringt. Johannes verwendet im Kontext eine Fülle von Parusietermini: die Wehen (16,21) und die Trübsal der Verfolgung (16,20-22), auf die 'jener Tag' (16,23) folgt, das Aufhören der Fragen (16,23) und der Rätselrede (16,25), die vollkommene Freude (16,24 = die Heilszeit). Zu diesen Parusietermini gehört auch das 'sehen werden' unseres Logions, das durch Mk 14,62 par; Mk 16,7 par als altes Kennwort für die Parusie bekannt ist. Wenn Jh 16,16 vorjohanneische Überlieferung ist (s. die Diskussion 16,17ff), dann bezog sich 'sehen werden' ursprünglich auf die Parusie. Wieder haben wir die eschatologische Anwendung des Drei-Tage-Schemas vor uns: eine kurze Zeit, nochmals eine kurze Spanne, dann die Parusie (224f).

Alle besprochenen Worte haben gemeinsam, dass sie frei von jeder Spur von Gemeindetheologie sind: Jesus wird in die Reihe der Propheten gestellt, seine Wirksamkeit wird mit dem farblosen „wandern“ bezeichnet, ebenso farblos sind die Zeitangaben 'nur noch kurze Zeit'. Mit 'vollendet werden' und 'ihr werdet mich sehen' wird die Wende des dritten Tages vage umschrieben. Von der Auferstehung ist in den besprochenen Logien nicht die Rede. Keines von ihnen lässt sich zudem aus der Passionsgeschichte ableiten. Sie mussten im Gegenteil, wenn man die drei Tage buchstäblich nahm, als mit dem Verlauf der Passion in Spannung stehend empfunden werden. Am leichtesten ließ sich Jh 16,16 mit den Ereignissen der Passion in Einklang bringen, indem man das 'sehen werden' nicht auf die Parusie, sondern auf Ostern bezog. Beim Wort vom Tempel bestand die Schwierigkeit darin, dass Ostern nicht den Tempelneubau, sondern die Auferstehung gebracht hatte. Die sekundäre Umdeutung auf den 'Tempel' des Leibes Jesu, die das Wort im Johannesevangelium (2,21f) erfuhr, zeigt, wie man versuchte, dieser Schwierigkeit Herr zu werden. Bei den Logien Lk 13,32 (zwei Tage Heilungen, am dritten Tag Vollendung) und 13,33 (drei Tage Wandern, dann der Tod) schloss die inhaltliche Füllung der drei Tage jede Möglichkeit, sie buchstäblich zu fassen und analog zu Jh 2,21f auf die Zwischenzeit zwischen Karfreitag und Ostern zu beziehen, von vornherein aus. In den Drei-Tage-Worten haben wir vorösterliche Überlieferung vor uns. Die Konsequenz aus diesem Tatbestand lautet: Jesus hatte in verschiedenen, von der Kirche später im Licht ihrer Erfahrung umgedeuteten Wendungen den endgültigen Triumpf der Sache Gottes angekündigt. Zu diesen sekundär umgedeuteten Wendungen gehören auch die Bilder der Drei-Tage-Worte: Tempelneubau, Vollendung, Wiedersehen. Sie waren ursprünglich eschatologisch gemeint (225f).

Die Bedeutung der Zeitbestimmung 'drei Tage': Für unser 'mehrere', 'einige', 'ein paar' fehlt im Hebräischen und Aramäischen ein Äquivalent. Die Zeitangabe „am dritten Tag“ hat überwiegend die vage Bedeutung „nach ein paar Tagen“, “in Kürze“, in Bälde“. Der Kontext muss jeweils zeigen, ob eine kurze oder eine längere Zeitspanne gemeint ist. In den Worten Jesu, die die Wende Gottes „nach drei Tagen“ ankündigen, liegt die Bedeutung: „in Bälde“ vor. In Lk 13,32f ist die Kürze nicht betont; hier bezeichnen die drei Tage eine geraume, befristete Zeit. Die Wendung „nach drei Tagen“ ist im AT gebräuchliche Alltagssprache. In der Symbolsprache bezeichnet sie den Anbruch der Segenszeit (Ex 19,11; Hos 6,2). In diesem Sinn hat Jesus sie verwendet (die nachösterliche Zeit musste diese Wendung ex eventu verstehen). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die dem dritten Tag vorangehenden Tage als Notzeit oder als Gnadenzeit gemeint sind. Als Notzeit ist die Zeit des Auftaktes in den Evangelien Mk 14,58 und Jh 16,16 gekennzeichnet. Unentrinnbar kommt (Jh 16,16) die eschatologische Bedrängnis, aber in Bälde wird Gottes Sieg sie beenden. Umgekehrt bezeichnen die zwei Tage des Heute und Morgen Lk 13,32 die Gnadenzeit des Heilsangebotes. Die Drei-Tage-Worte müssen weder notwendig die Kürze der Frist betonen, noch muss die Frist selbst unbedingt als Notzeit gedacht sein, immer aber ruht der Akzent darauf, dass Gott den Zeitpunkt der Wende bestimmt. Das Logion Lk 13,33 ("es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme") bezeichnet den Prophetenmord als das 'Privileg' Jerusalems: Niemand kann mir etwas anhaben, denn nicht in Galiläa, sondern in Jerusalem wird sich mein Geschick erfüllen, bis dahin bin ich unantastbar. So ist es Gottes Wille. Jh 16,20: Gott ist der, der die kurze Frist des Kummers in Freude verwandeln wird (226f).

Mk 9,31b: „… nach drei Tagen wird er auferstehen“:  Die Problematik der Leidensweissagungen: Markus hat die älteste Fassung der Leidensweissagungen (8,31par; 9,31par;10,33fpar). Wenn Matthäus und Lukas das markinische „nach drei Tagen“ in „am dritten Tag“ verwandeln, so ist das eine Präzisierung ex eventu. Das aktivische „auferstehen“ des Markus ist älter als das passivische „auferweckt werden“ der beiden Seitenreferenten, da sowohl das Hebräische wie das Aramäische von der Totenauferweckung stets aktivisch redet. - Die sog. drei Leidensweissagungen sind in Wahrheit Variationen. Die dreifache Wiederholung könnte sich daraus erklären, dass unter den Überlieferungszusammenhängen, drei waren, die die Leidensankündigung enthielten (ebenso wie zwei von ihnen die Speisungsgeschichte boten).

- Von den Varianten der Leidensankündigung hat Mk 9,31 als die ursprünglichste zu gelten: sie ist nicht nur am unbestimmtesten formuliert, sondern bietet auch bei der Rückübersetzung ins Aramäische ein Wortspiel: Gott wird den Menschen (Jesus) den Menschen preisgeben.

- Der auffällige Tempuswechsel in Mk 9,31 vom Präsens zum Futur, der schon

Matthäus und Lukas zur Korrektur veranlasste, macht es wahrscheinlich, dass hier zwei ursprünglich isolierte Jesusworte verschmolzen sind „Gott gibt den Menschen (Jesus) den Menschen preis“ und „Gott wird ihn in Bälde auferwecken“. Das Mk 9,31b zugrunde liegende Kurzlogion „nach drei Tagen wird er auferstehen“ ist ein freies Zitat von Hos 6,2: „Er macht uns lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten Tag auferwecken, dass wir vor ihm leben werden“ = Am Tag der Totenbelebung wird er uns auferwecken. Anhand der rabbinischen Exegese von Hos 6,2 hat bereits C.H. Dodd eine Beobachtung gewonnen, dass die Ansage der Auferstehung nach drei Tagen in den Leidensweissagungen ursprünglich eschatologisch gemeint war. Diese These erhält weitere Stütze, wenn man Mk 9,31b mit den Drei-Tage-Worten zusammenstellt, die durchweg von der definitiven Wende handeln. War die Ansage der Auferstehung „nach drei Tagen“ ursprünglich eschatologisch gemeint, dann kann sie keinesfalls im Rückblick auf Ostern formuliert sein, sondern  muss wie die übrigen Drei-Tage-Worte (mit Ausnahme des sekundären Schriftbeweises Mt 12,40) vorösterlich sein. Dafür spricht ihr Maschal-Charakter. Jesus hat in einem viel breiteren Umfang in Wendungen gesprochen, die seinen Hörern rätselhaft klingen mussten, als uns im Allgemeinen bewusst ist, weil seine Worte uns geläufig sind. Dieses Reden in Rätselworten ist ein so auffälliges Phänomen, dass man es zusammen mit den Gleichnissen den Kennzeichen der Redeweise Jesu zuzusprechen hat. Die Drei-Tage-Worte der Evangelien (außer Mt 12,40) gehören zu dieser Kategorie der Logien Jesu. Sie reden ursprünglich nicht von drei Kalendertagen, sondern von der begrenzten, von Gott bestimmten Frist bis zur Weltvollendung. Das gilt auch für die Ankündigung der Auferstehung „nach drei Tagen“ (228f).

Die nachösterliche Zeit musste die Wendung (die theologische Zeitansage: „nach drei Tagen“) ex eventu verstehen (nach drei Kalendertagen) z.B. 1Kor 15,4 (Anm.18).

 

(5) Der Bericht des Paulus (1Kor 15,3-11) und die Bedeutung der Verklärungsgeschichte Jesu für die Entstehung der zweiten Vision des Petrus

 

a. Der Bericht des Paulus (1Kor 15,3-11)
b. Die Bedeutung der Verklärungsgeschichte Jesu für die Entstehung der zweiten Vision des Petrus

 

a. Der Bericht des Paulus (1Kor 15,3-11)

 

A. von Harnack: Ich habe euch übergeben, was auch ich empfangen habe:

(1) “dass Christus gestorben ist für unsere Sünden gemäß den Schriften und
dass er begraben worden ist und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag gemäß den Schriften und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen
(Vv 3-5).

(2) Danach ist er gesehen worden von mehr als 500 Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch leben bis jetzt, einige aber sind entschlafen (V 6).

(3) Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln (V 7).

(4) Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer Fehlgeburt gesehen worden... Ob also ich, ob jene, so verkündigen wir und so seid ihr gläubig geworden“ (Vv 8-11).

 

(1) Die älteste Tradition (Vv 3-5): Die zwei Hauptsätze sind durch 'gemäß den Schriften' hervorgehoben (63).

(2) Mit V 6 beginnt die Aufzählung einer Reihe von Visionen, die nicht zur überlieferten Formel gehörten. Die Visionen des Kephas und der Zwölfe gehören nach Galiläa. Die Vision “der mehr als 500 Brüder auf einmal“ (V 6) muss mit der Pfingstgeschichte identisch sein.* Lukas leitet von diesem Ereignis die Stiftung der Kirche ab (die bisher im Jüngerkreis nur präformiert war). Paulus setzt die Bedeutung des Vorgangs den apostolischen Erlebnissen gleich. Es ist schwer ersichtlich, wie Paulus sagen konnte, dass die Mehrzahl derer, die die Vision erlebt haben, noch am Leben sei, wenn sie nicht einer Gemeinde angehört haben. Wie war sonst eine Kontrolle über Lebende und Verstorbene möglich? Man hat sie gezählt, man behielt sie im Auge und man 'buchte' es, wenn sie starben (65).

“erschienen dem Kephas, dann den Zwölfen“ (V 5)
“erschienen dem Jakobus, dann allen Aposteln“ (V 7)

Die beiden Sätze erscheinen in formelhafter Parallele und jede trotz der Zweigliedrigkeit als eine Einheit. Das muss seinen Grund in dem Verhältnis haben, in dem jedesmal die Vision der ganzen Gruppe zu der des einzelnen gestanden hat (66).

Die beiden Formeln müssen schon z.Zt. des Paulus Rivalen gewesen sein. Keine der beiden Parteien, die sie verkündigten, brauchte dabei der anderen abzusprechen, dass auch Jakobus bzw. Petrus eine eigene Christusvision gehabt haben. Aber welche Vision die sachlich grundlegende und der Apostelvision vorangegangene gewesen sei, darauf kam es jeder Partei an. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Transposition von Petrus auf Jakobus schon bei den Jakobusleuten vollzogen war, als Paulus seinen Brief schrieb. Zu Paulus sind beide Formeln gekommen. Paulus hat die Petrusvision, wie sich's gebührt, vorangestellt und ihr die Jakobusvision folgen lassen. Indem er aber die rivalisierenden Formeln der Petrusleute und der Jakobusleute einsetzte, um die Zeugnisse in ihrer kürzesten und bekanntesten Gestalt wiederzugeben, ergab sich die Verdoppelung der Apostelvision (67f).

Exkurs: Die Verdrängung des Petrus als des ersten Zeugen der Auferstehung
Im Joh-Ev
wird den Lesern gesagt, die Erscheinung Jesu vor Petrus sei die dritte gewesen (Joh 21,14). Das Mt-Ev hat sowohl die Petrus- als auch die Jakobusvision gestrichen und dafür eine Vision der Frauen eingeführt, auf die dann die Apostelvision folgt. Nach Johannes ist Maria Magdalena die erste Zeugin der Auferstehung gewesen (Petrus und Johannes haben nur das leere Grab konstatiert). Dann erfolgt die Erscheinung vor den Aposteln. Auch hier ist Jakobus ganz unterdrückt. Petrus kommt nur für das leere Grab in Betracht. Dann wird seine Vision an die 3./4. Stelle gerückt. Das Hebr-Ev hat die Jakobusvision an die erste Stelle gerückt und ihr die Visionen der Apostel folgen lassen. Eine Vorstellung von dem Verhältnis 'der um Jakobus' und 'der um Kephas' ergibt sich aus Gal 2,12 (69f).

Die Art der Christuserlebnisse

(1) Paulus braucht durchweg für sie den Ausdruck 'ophthe'. Dieses 'ophthe' entspricht der atl Verheißung, wie man Gott erleben wird, und der Verheißung Christi in Bezug auf das Erlebnis der Erscheinung des Menschensohnes in Herrlichkeit (Mt 24,30; 26,64; Mk 13,26; 14,62; Lk 21,27; Joh 16,16f; Offb 1,7 usw.). Es handelt sich um eine Vision, ein reines Schauen. Es überschreitet die Grenze des Sehens nicht. Paulus kennt nach unserem Bericht die Christuserlebnisse nur als Schauungen (ebenso Lk 24,34). Erst auf der nächsten Traditionsstufe verwandelt sich 'ophthe' in 'phainomai' oder 'phaneroo', welche alle möglichen Arten des Christuserlebnisses offenlässt, die nun auch gezählt werden (Mk 16,9.12.14; Joh 21,1.14) (70).

(2) Die Begleiter des Paulus auf dem Weg nach Damaskus haben nichts gesehen und nichts gehört. Nur ihr zusammengebrochener und umgewandelter Führer stand vor ihnen. Das Christuserlebnis des Paulus war objektiv ein rein innerliches, eine Schauung, wie er sie selbst bezeichnet. Ist der Charakter des Christuserlebnisses des Paulus klar, so folgt für Paulus, dass auch die Christuserlebnisse des Petrus, Jakobus usw. diesen Charakter gehabt haben. Sie waren Visionen nicht des Menschen Jesus oder des Gekreuzigten, sondern Vision Jesu als des Menschensohnes in Herrlichkeit, denn so lautete die Verheißung und darauf richteten sich die Erwartungen (71).

(3) Das Erlebnis der 500 Brüder und die Pfingstgeschichte sind identisch.* Der Vorgang ist allgemein als Christusmanifestation empfunden und bezeichnet worden, bei der alle Teilnehmer die Glorie des Herrn gesehen oder gespürt zu haben sich bewusst waren, denn immer handelte es sich bei allen Schauungen um den Kyrios in Herrlichkeit (71).

(4) Paulus bezeichnet seine Schauung des Auferstandenen als die letzte. Er schließt seinen Bericht V 11ab: “Ob also ich, ob jene, so verkündigen wir, und so seid ihr gläubig geworden“. Paulus hat hier nicht nur das Evangelium im Auge, sondern auch seine Kraft, die es zur Gründung der Kirche gebracht hat. Hierfür kommen nach seinem Urteil nur Petrus, die Zwölfe, Jakobus und er selbst in Betracht, dazu jene große Versammlung, in der sich der Jüngerkreis zur Kirche Gottes umgestaltet hat, die Gemeinde der 'Erstlinge'. Sie alle (und nur sie) haben die Glorie des Auferstandenen in einer Schauung erlebt, die sie zu Grundsteinen der Kirche Gottes machen sollte. Die ihnen geschenkte Schauung galt nicht nur ihrer Person, sondern dem Bau des Reiches Gottes. Dann aber ist Paulus der letzte, denn mit seiner Berufung als Heidenapostel ist alles, was zur Grundlegung nötig ist, erfüllt (71f).

 

b. Die Bedeutung der Verklärungsgeschichte Jesu für die Entstehung der zweiten Vision des Petrus

 

Die Verklärungsgeschichte Jesu (Mk 9,2ff) wird als wirkliche Vision des Petrus verteidigt und ihre Bedeutung für die Entstehung der zweiten Vision des Petrus (1Kor 15,5; Lk 24,34) unter Berücksichtigung von 2Ptr 1,16-18 nachgewiesen.

Petrus hat als erster nach der Kreuzigung Jesu eine Christusvision erlebt. Von dieser Schauung her hat der Glaube an Jesus als den Auferstandenen seinen Anfang genommen, ihr sind die Visionen der anderen gefolgt (die erste Vision hat kausierend gewirkt). Dieser Schauung verdankt es Petrus, dass er auch nach seiner Verleugnung das Haupt der Christenheit geblieben bzw. wieder geworden ist (72).

E. Meyer: Aus der Verklärung sind die Auferstehung und die Erscheinungen des Auferstandenen erwachsen. Sie ist die Wurzel des Christentums. Um ihretwillen sind die Drei (Petrus, Jakobus, Johannes) die Säulen und die ersten Oberhäupter der sich bildenden Kirche“. Statt Auferstehung ist präziser Auferstehungsglaube zu sagen. “Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29) (73).

Die Verklärungsgeschichte gehört aufs engste zum Bericht über das Petrusbekenntnis (Mk 8,27 – 9,8). Petrus hat sein Bekenntnis auf dem Weg nach Cäsarea Philippi abgelegt. Sechs Tage später (Mk 9,2) hat die Verklärungsvision stattgefunden. Dem Petrusbekenntnis folgt nicht eine hohe Belobigung (wie Mt 16,17), vielmehr verbietet Jesus die Weitererzählung. Dann aber wird berichtet, dass er bald darauf Petrus aufs härteste angefahren habe: “Weg von mir, Satan“ (Mk 8,33), als dieser ihn vom Leidensweg abführen wollte (wer kann diese für Petrus so beschämende Geschichte berichtet haben, wenn nicht er selbst?). Die Verklärungsgeschichte erlebt trotz der sachlich engen Beziehung zu seinem Bekenntnis nicht Petrus allein, sondern auch Jakobus und Johannes, obwohl sie in der Erzählung nur Statisten sind (hätte ein Erfinder nicht diese beiden fortgelassen oder sie irgendwie beteiligt?). Dem Petrus wird in der Erzählung ein Wort in den Mund gelegt, das der Erzähler mit dem härtesten Urteil abtut: “Er wusste nicht, was er sagte, denn sie waren völlig bestürzt“ (Mk 9,6) (wer kann der Urheber dieser schonungslosen Kritik sein als Petrus selbst?). Worte, die Jesus mit Elias und Moses gesprochen hat, werden nicht berichtet. Der Erzähler sah sie nur zusammen sprechend. Die Stimme Gottes (aus der Wolke), die bei der Vision gehört wurde, enthielt nichts anderes, als was Petrus schon wusste, weil er es selbst sechs Tage vorher bezeugt hatte, nämlich dass Jesus der Messias sei (74f).

Petrus lebte seit dem Tag von Cäsarea Philippi in dem Gedanken, der Rabbi Jesus ist der Messias. Die zwei anderen, sich ganz passiv verhaltenden Jünger (Johannes und Jakobus) haben wahrscheinlich nichts gesehen (wie die Begleiter des Paulus bei dessen Vision) (75).

Indem Petrus Elias und Moses neben dem Messias sieht und jedem der drei eine Hütte bauen will, beweist er, dass er noch auf jenem Standpunkt messianischer Hoffnung stand, der später in der Urgemeinde nicht mehr galt und auch in keiner Auferstehungsvision mehr zum Ausdruck kommt. Der leidende und sterbende Messias hat nichts mehr mit Elias und Moses zu tun. Er hebt diese Vorstufen nicht auf, sondern schließt sich ihnen an. Man hat allen Grund zum Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Berichterstattung auch an diesem Punkt, da von Leiden und Sterben nicht die Rede ist. Weil Jesus das Bekenntnis zu seiner Messianität bestätigt hatte, musste Petrus bei seiner noch beschränkten Auffassung annehmen, die sichtbare Aufrichtung des irdischen Reiches werde nun sofort stattfinden. Die Verklärungsvision ist die visionäre Antizipation der Ouverture dieser Judenhoffnung. Petrus 'sah' Elias und mit ihm auch Moses, weil er glaubte, sie würden zusammen mit Christus das Reich sofort aufrichten (75f).

Die Verklärungsgeschichte ist in ihrer Paradoxie und spröden Einzigartigkeit, in ihrer Verknüpfung mit dem Petrusbekenntnis und als schwer erfindbare Erzählung als Erlebnis des Petrus anzuerkennen (77).

Dann aber gewinnt der Vorgang eine außerordentliche Bedeutung. Als die Katastrophe der Kreuzigung hereingebrochen war und Petrus sich nicht nur an Worte Jesu und den tiefen Eindruck seines irdischen Lebens zu klammern brauchte – das schien alles Lügen gestraft zu sein - , stand ihm eine über den Kreuzestod schon im voraus triumphierende Erinnerung zu Gebote. Er hatte Jesus als Messias in himmlischer Glorie einst auf dem Berg gesehen. Dies war ihm eine Tatsache. Aus dieser Tatsache heraus überwand sein neu aufkeimender Glaube alle Zweifel und ließ ihn eine zweite Vision des Herrn in der Glorie erleben. Die erste Christusvision hatte sein Bekenntnis und die Bejahung durch den Meister zur Voraussetzung. Jetzt kam sie seinem verlöschenden Glauben zu Hilfe. Der, der da gekreuzigt war, stand allein in seiner Herrlichkeit vor ihm. Es war derselbe, den er einst auf dem Berg geschaut hatte (77f).

2Ptr 1,16-18: “Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren“.

'Petrus' erinnert seine Leser daran, dass er ihnen die Macht und Parusie Christi auf Grund bester Versicherung kundgetan habe, nämlich auf Grund eigener persönlicher Erlebnisse. Zu diesem Zweck beginnt er mit der Verklärungsgeschichte, verweilt aber bei dieser solange und ist von ihrer Bedeutung für seine Zwecke so überzeugt, dass er auf die Fortsetzung, auf die es eigentlich ankam, nämlich auf die Auferstehungsschauung, verzichtet. Schon das Gesagte scheint ihm genug, um damit den Satz zu begründen, dass das prophetische Wort (der heiligen Schriften von der Auferstehung und der göttlichen Erscheinung Christi) durch die erlebte Wirklichkeit gesichert und der Glaube an den herrschenden Christus fundamentiert sei (78f).

'Petrus' beruft sich zur Begründung der Herrlichkeit des erhöhten Christus auf die Verklärungsgeschichte (er begnügt sich sogar mit ihr). Vermutlich hat Petrus sich bei seinen Predigten auf sein Verklärungserlebnis gleichwertig neben sein Erlebnis der Vision des Auferstandenen berufen, für ihn gehörten sie zusammen (79).

Petrus hat zwei Visionen erlebt, eine vor und eine nach der Kreuzigung. Die zweite stand mit der ersten in engstem Zusammenhang und ist durch sie mit ermöglicht worden. So wunderbar es ist, einen noch lebenden Menschen in himmlischer Glorie zu schauen, so ist es noch viel wunderbarer, einen am Kreuz Gestorbenen in dieser Herrlichkeit zu sehen. Die erste Vision hat eine der wichtigsten Voraussetzungen für die zweite geschaffen. Beide haben sich später in der Seele des Petrus gleichsam verschmolzen. Von ihnen sind dann die Erlebnisse der anderen in Bezug auf den auferstandenen Christus ausgegangen. Die Anerkennung Jesu als des Messias ist eine Folge des Eindrucks der Person und des Wirkens Jesu gewesen. Sie ist die tiefste Wurzel des Christentums (80).