A. Hellenistische Anthropologie: Im Tod Trennung von Geist und Leib
B. Sühnetod im Johannesevangelium?
C. Die Sakramente spielen im Johannesevangelium keine Rolle
D. Umformung der Eschatologie
E. Paulinische und johanneische Christologie
F. Abschied vom Opfertod
A. Hellenistische Anthropologie: Im Tod Trennung von Geist und Leib
Jesus rief mit lauter Stimme: ,,Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist." Als er das gesagt hatte, verschied er (Lk. 23,46)
1. Mo. 2,7: Gott der Herr machte den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. So ward der Mensch eine lebendige Seele.
1. Mo. 3,19: Du bist Erde und sollst wieder zu Erde werden.
Ps. 104,29: … nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.
Ps. 146,4: … des Menschen Geist muss davon und er muss wieder zu Erde werden.
Pred. 12,7: Der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.
Der Tod ist Durchgang in eine Art von „Leben“ ohne Knochen und Sehnen, ohne Fleisch und Blut.
Der Tod Jesu im Johannesevangelium
Weidemann 2004 (522f)
Die Kreuzigungsszene steht im Zeichen der Vollendung des Werkes durch Jesu Tod
(19, 28-30; vgl. 4,34; 5,36; 13,1), der präsentischen Eschatologie sowie der satanischen und pneumatologischen Akzente, die der vierte Evangelist bei seiner Erzählung des Todes Jesu und seiner Begleitumstände setzt.
Die johanneische Formulierung des Todes Jesu mit „er gab den Geist auf“ (19,30) ist nicht allein Ausdruck für die Freiwilligkeit und Souveränität von Jesu Sterben. Sie ist auch ein Hinweis darauf, dass der vierte Evangelist eine hellenistische ‘Geist-Leib‘-Anthropologie vertrat, nach der sich im Tode ‘der Geist bzw. die Seele‘ vom Leib … trennt und zu Gott geht. Dann kann man aber auch davon ausgehen, dass sich für den vierten Evangelisten Jesu ‘Weggehen zum Vater‘, von dem vor allem in der Abschiedsrede die Rede ist, im Augenblick des Todes Jesu vollzieht. Nur unter Annahme einer solchen Anthropologie sind die Aussagen der Abschiedsrede und des Passionsberichtes miteinander kompatibel. Wenn sich aber Jesu „Weggehen zum Vater“ für den Evangelisten bereits im Augenblick seines Todes vollzieht, dann stellt sich unmittelbar die Frage nach dem Stellenwert der leiblichen Auferstehung Jesu.
Weidemann 2007 (575-7)
Jesu Sterben wird im Johannesevangelium auf den ersten Blick ganz unspektakulär und fast „friedlich“ geschildert: Jesus „neigte das Haupt und übergab den Geist“ (1930). Für die Formulierung „Er übergab den Geist“ finden sich zwar gewisse Parallelen in der griechischsprachigen Literatur, die johanneische Formulierung selbst ist jedoch sonst nicht belegt. Der Evangelist hat „somit für den Tod Jesu eine neue Wendung erfunden“, allerdings wohl in Anlehnung an die Septuaginta-Fassung des sog. Vierten Gottesknechtsliedes (Jes. 52,13 - 53,12). Im Anschluss an den Tod Jesu berichtet der Evangelist sowohl die Verschonung Jesu vor dem Crurifragium (19,33) als auch die Durchbohrung seiner Seite mit der Lanze (19,34). Beide Ereignisse werden von je einem Zitat als „Erfüllung“ der Schrift gedeutet (19,36f).
Fazit: Jesu „Weggehen“ zum Vater (14,28 u.ö.) vollzieht sich für den vierten Evangelisten nicht an „Himmelfahrt“, sondern im Augenblick seines Todes! Dies ist – neben der Darstellung des Sterbens Jesu als aktivem Vollzug – der eigentliche Sinn der Formulierung „er übergab den Geist“ (19,30) und erklärt sich ungezwungen, wenn man für den vierten Evangelisten – wie für den dritten! – eine „hellenistische“ Anthropologie voraussetzt, nach der sich im Tod die Seele bzw. der Geist vom Leib trennt und zu Gott geht. Aus diesem Grunde hat der vierte Evangelist auch die frühchristliche Rede von der Erhöhung Jesu (als Voraussetzung für die Bitte um den Geist und seine Gabe) auf das Kreuz bezogen (3,14f.; 8,28; 12,31-34) – wie auch das sonst auf die Parusie gedeutete Zitat Sach 12,10 (cf. Joh. 19,37).
Unter Voraussetzung einer solchen Anthropologie machen die Texte der Abschiedsrede wie die Ereignisfolge des Passionsberichtes einen guten Sinn: Im Augenblick seines Todes „geht“ Jesus zum Vater, indem er ihm seinen „Geist übergibt“ (19,30). Der am Kreuz Erhöhte bittet unmittelbar um den Geistparakleten (14,26). Die Bitte wird sogleich erfüllt, wie der Ausfluss des Wassers aus dem Leib des Gekreuzigten zeigt (7,37f; 19,34). In der Terminologie von 4,10 gesprochen: Jesus gibt am Kreuz die Gabe Gottes. Für die im Tod Jesu begründete Präsenz des Geistes ist die Geistgabe an die Jünger am Osterabend ein „Zeichen“.
(L.M. Der Leib wird begraben und verwest. Auf unseren Friedhöfen zahlen wir für 25 Jahre Grabgebühren. Danach wird das Grab neu vergeben.)
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B. Sühnetod im Johannesevangelium?
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Dietzfelbinger 1998 (71-76)
a) Die johanneische Intention: Im Gehen zum Vater findet das Werk seine Vollendung, das Gott Jesus aufgetragen und das Jesus als sein eigenes Werk übernommen hat. Also ist die Vollendung des Werkes, die Rückkehr zum Vater von Jesus nicht weniger gewollt als vom Vater.
Das Werk Jesu ist mit dem Gehen zum Vater vollbracht. Jesus hat den Menschen Gott als ihren Schöpfer in seiner schöpferischen Zuwendung zu ihnen verstehbar gemacht, indem er Gottes Sein für die Menschen lebte und ihnen Gottes Liebe als die die Welt tragende Macht vermittelte (3,16; 15,9f; 17,26). Auf anderer Ebene wird das so gesagt: Indem Jesus sterbend seine ihm vom Vater aufgetragene Sendung vollendet, wird Gott für die glaubenden Menschen zum Vater, wie er für Jesus immer der Vater war (20,17; s. auch 1,12). So kommt das Werk zum Ziel, das in der Verherrlichung des Vaters durch Jesus und im Verherrlichen Jesu durch den Vater sein Zentrum hat.
Es kann also nicht anders sein, als dass der Tod Jesu mit seiner Verherrlichung zusammenfällt, und wie sollte Jesus diese Weise der Verherrlichung nicht bejahen? Sein Tod ist der Ort, an dem sich die schon während seines Wirkens vollziehende Verherrlichung Jesu durch Gott vollendet (vgl. 12,28 Ende).
Angesichts der Polemik der Synagoge, dass Jesus als Gekreuzigter der Messias keinesfalls sein könne, setzt der Evangelist diskussionslos die Erklärung entgegen, dass gerade in der Schrecklichkeit dieses Todes sich die Rückkehr Jesu zum Vater vollzog; Nu 21,8f liefert den Schriftbeweis dafür (3,14).
Mit dem Gehen Jesu zum Vater ist die Epoche des Parakleten eröffnet. Vom Sterben Jesu an, in dem er den Schritt zum Vater tat, ist wirkliches Verstehen Jesu und seines Werkes möglich (2,22; 12,16). Der Paraklet, für dessen Sendung der Tod Jesu die Voraussetzung ist, vermittelt der Gemeinde das jetzt zu sagende Wort Christi (14,26). Er gewährt den zur gerichtlichen Verantwortung gezogenen Gliedern der Gemeinde, dass sie zu sagen wissen, was zu sagen ist (15,26). Er ist es, der im Wort und in der Existenz der Gemeinde den siegreichen Prozess gegen die Welt führt (16,8-11) und der die Gemeinde ihre jeweils neue Situation und ihre neuen Fragen durchschauen und bewältigen lässt (16,12-15). Vom Tod Jesu an sind die Jünger in der Lage, die „größeren Werke“ zu tun, also das Werk Jesu unter den Bedingungen ihrer jeweiligen Gegenwart aufzunehmen und fortzuführen. Darin ist die eigentümliche Dialektik eingeschlossen, dass das vollendete Werk Jesu im Tun der Jünger seine Fortsetzung findet, ja in diesem Tun erst zu seiner eigentlichen Geltung kommt.
Als der im Tod zu Gott Erhöhte wird Jesus alle Menschen zu sich ziehen (12,32) oder was keinen Unterschied ausmacht, der Vater wird die Glaubenden zu Jesus ziehen (6,44a), und sie werden sein, wo er ist (12,26; 17,24).
b) Hermeneutische Horizontverschmelzung im 4. Evangelium: Johannes verschmilzt den vorösterlichen mit dem nachösterlichen Horizont, lässt also den vorösterlichen Jesus immer schon als den nachösterlichen sprechen. Der vorösterlich sprechende und handelnde Jesus wird darum von Johannes bereits in den Horizont des Kreuzes gerückt. Der Jesus, der sich vorösterlich als den guten Hirten und als die zum Vater führende Tür vorstellt (10,7.9.11.14); ist schon der, der seine Sendung im Sterben vollbracht hat. Es ist das Wort des durch den Tod zum Vater Gegangenen, das aus dem Tod ins Leben ruft (5,24). Der Abschied nehmende Jesus spricht in der Nacht des Abschieds von seinem bereits vollzogenen Gang in den Tod. Das besagt, dass der Gesendete im johanneischen Kontext immer schon als der spricht, der seine Sendung im Tod vollendet hat. Daraus ergibt sich, dass auch die Worte, die nicht ausdrücklich mit dem Tod Jesu verbunden werden, johanneisch gesehen vom Tod Jesu her zu interpretieren sind.
Dass der Tod Jesu in solcher Grundsätzlichkeit zu seiner Sendung gehört, geht auch aus dem kosmologischen Rahmen des Joh-Ev hervor. Jesus lebt seine Existenz für die Welt in der ihn verneinenden Welt (1,5.11; 10,32), die darum, obwohl Schöpfung, zur Finsternis geworden ist. Er hält sein Sein für die Welt angesichts der ihn mit dem Tod bedrohenden Welt durch (3,17; 12,47b). Er hört nicht auf, dieser Welt gegenüber der Repräsentant der Liebe Gottes zu sein. Die Verweigerung des Kosmos gegenüber dem Jesus, der das Sein Gottes für sie verkörpert, erreicht ihren Höhepunkt in der Kreuzigung, in der sich von der Welt her gesehen die endgültige Verwerfung Jesu ereignet. Gerade diesem auf den Gipfel gekommenen Nein gegenüber bleibt Jesus der Gesendete, und er erfüllt seine Sendung im Ertragen des ihm von der Welt her begegnenden, todbringenden Nein. Freilich versteht das nur die Gemeinde, der aus der Welt erwählte Teil der Welt (15,16; in 17,2.6.9.24: die Jesus von Gott Gegebenen). Die Welt bleibt auch der Erfüllung der Sendung gegenüber im Nein, so dass sie in endgültige Finsternis versinkt (9,39-41; 15,22.24). Konkret wird dieses Urteil über die durch die Synagoge repräsentierte Welt in 19,15: In der Verwerfung Jesu verwirft die Welt das Herrsein Gottes über sie.
c) Ergebnis: Wie vermutlich die frühen Judenchristen Palästinas und ihre Nachkommen hat auch Johannes den in den Tod gehenden Jesus als das wahre Opfer interpretiert, das alle bisherigen und künftigen Opfer übersteigt und überflüssig macht. „Er (Jesus) allein war jetzt das Versöhnungsopfer, Bundesopfer, Sündopfer, das wahre Passalamm, ja Hohepriester und Ort der Versöhnung in einem“.
Johannes weiß mehr über das Werk Jesu zu sagen als das, was die Sühnetheorie auszusagen vermag. Er kennt den zum Kreuz gehenden Jesus als die Auferstehung und das Leben, als Weg und Wahrheit, als den lebenspendenden Weinstock. Jesus ist der Sohn, der in die Doxa des Vaters zurückkehrt, der Bote, der seinen Auftrag erfüllt hat, der Heimgekehrte, der den Parakleten sendet und der die Seinen zu sich zieht. Das sind Aspekte, die im Rahmen einer Sühnetheorie nicht unterzubringen sind. Sie waren dem Evangelisten die eigentlich wichtigen Aspekte.
Die Äußerung in 14,2f über das Parusiegeschehen
Jesus kündigt seinen Weggang zum Vater, sein Sterben an. Er wird in den Himmel eingehen, um dort die Wohnungen für die Seinen zu bereiten. Ist das geschehen, wird die Parusie erfolgen, und der Zweck seines erneuten Kommens ist damit gegeben, dass er die Seinen in diese himmlischen Wohnungen einführt (vgl. 12,26; 17,24). Diese apokalyptische Verheißung wird in 14,23 wieder aufgenommen und zum Ziel geführt: Bei seinem Wiederkommen wird der Sohn vom Vater begleitet, und beide werden bei den Glaubenden, die hier die Liebenden genannt werden, Wohnung machen. Die himmlischen Wohnungen von 14,2f befinden sich dabei nicht in jenseitigen Räumen, sondern in der Lebendigkeit des irdischen Menschen, sofern er ein Glaubender und Liebender ist. Apokalyptische Jenseitsvorstellung wird in gegenwärtige Diesseitigkeit überführt. Dazu tritt das zeitliche Problem. Spricht 14,2f von der apokalyptisch vorgestellten Zukunft, so zieht 14,18ff diese Zukunft in das Ostergeschehen hinein. Aber auch Ostern, mag es für Johannes ein geschichtlich fixierbarer Akt sein, wird zu einem Ereignis, das sich nicht nur einmal abgespielt hat, sondern das sich immer dann abspielt, wo Jesus als der geglaubt wird, der „im Vater“ ist (V.20).
Die apokalyptische Zukunftshoffnung ist zum Material der Johannes eigenen Gegenwartshoffnung geworden. Apokalyptische Rede wird zum Medium einer nicht nur aufs Zukünftige fixierten, sondern primär die jeweilige Gegenwart meinenden Anrede an die Gemeinde. Die Weise apokalyptischer Rede wird dabei nicht zum Verschwinden gebracht. Aber sie wird in eine neue Richtung gelenkt und mit neuem Inhalt gefüllt.
Johannes hat die Rede vom stellvertretenden Sühnetod Jesu als eine der Weisen gekannt, in denen die frühe Christenheit sich den Tod Jesu verständlich machte und seine Bedeutung für die Menschen zum Ausdruck brachte. Er wollte auf diese Rede nicht verzichten. Aber die Behauptung, „die Heilsbedeutung des Todes Jesu ist nur mit dem Sühnegedanken zu fassen“, widerspricht der Konzeption des Evangelisten. Er hat neue und eigene Modelle entwickelt, mit deren Hilfe er den Tod Jesu verstand und interpretierte. In diesen neuen Interpretationsmodellen sprach er das ihm eigene Verständnis des Todes Jesu aus. Das Wort vom stellvertretenden Sühnetod Jesu hat er als Vorstufe seiner Interpretation gelten lassen.
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C. Die Sakramente spielen im Johannesevangelium keine Rolle (411f)
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Bultmann: Das ganze Heilsgeschehen: Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu, Pfingsten und die Parusie ist in das eine Geschehen verlegt: die Offenbarung der Wahrheit Gottes im irdischen Wirken des Menschen Jesus und die Überwindung des Anstoßes im Glauben. Dieser Tatsache entspricht es, dass die Sakramente keine Rolle spielen. Zwar setzt Johannes die Taufe als kirchlichen Brauch voraus, wenn er 3,22 berichtet, dass Jesus Jünger wirbt und tauft. Korrigierend wird 4,2 versichert, dass nicht er selbst getauft habe, sondern seine Jünger. In dem überlieferten Text von 3,5: „Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ ist ‘das Wasser‘ eine Einfügung der kirchlichen Redaktion, denn im Folgenden ist nur noch von der Wiedergeburt aus dem Geist und nicht mehr von der Taufe die Rede. Dem Wort vom freien Wehen des Geistes (3,8) widerspricht es, dass der Geist an das Taufwasser gebunden sein soll. Die Fußwaschung bildet den Dienst Jesu ab, der die Jünger rein macht. Sie sind nach 15,3 rein durch das Wort, das Jesus zu ihnen gesprochen hat. Die kirchliche Redaktion hat den Bericht vom Lanzenstich (19,34a) glossiert (19,34b.35) und in dem der Wunde entströmenden Blut und Wasser die Sakramente des Herrenmahls und der Taufe abgebildet gesehen. Die Salbung, die die Gemeinde empfangen hat und die ihr Erkenntnis verleiht („bleibt in euch und … belehrt euch über alles“ 1Joh 2,27), ist der Geist der Wahrheit, von dem das Gleiche gilt (14,17: „weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ und 14,26: „der wird euch alles lehren“, vgl. 16,13). Wie der Geist der Wahrheit (14,17.26; 16,13) die Kraft des in der Gemeinde wirkenden Wortes ist, so wird auch die Salbung (1Joh 2,27) das machterfüllte Wort sein (411f).
Das Herrenmahl (im JohEv) ist wie in 19,34b, so in 6,51b-58 durch die kirchliche Redaktion eingebracht worden, denn das „Brot des Lebens“ der vorhergehenden Worte Jesu meint zweifellos nicht das sakramentale Mahl, sondern bezeichnet, wie das Lebenswasser und das Licht Jesus selbst als den, der das Leben bringt, indem er es ist (11,25; 14,6). Auch passt die in 6,51-58 enthaltene Vorstellung von der ‘Arznei zur Unsterblichkeit‘ nicht zur Eschatologie des Johannes. Der Anstoß, den die Juden daran nehmen, dass Jesus sein Fleisch als Speise darbietet, ist ganz anderer Art als die john Skandala, die in dem eigentümlichen Dualismus des Johannes begründet sind, von dem hier nicht die Rede ist. Im Bericht vom letzten Mahl erzählt Johannes nichts von der Einsetzung des Herrenmahls, die er durch das Abschiedsgebet Jesu ersetzt hat. Den ‘neuen Bund‘, von dem die traditionellen Abendmahlsworte reden (1Kor 11,25), hat er durch das ‘das neue Gebot‘ ersetzt (13,34) (412).
D. Umformung der Eschatologie
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Dietzfelbinger: Der Abschied des Kommenden 1997 (101f)
Johannes erklärt die Parusie-Erwartung für überholt. Parusie ist mit Ostern schon eingetreten und sie tritt jeweils ein, wo der Glaubende das Kommen des Vaters und des Sohnes erfährt. Die Parusie Christi ist ein gegenwärtiges Geschehen, und sie ereignet sich, indem die Gemeinde erlebt, wie Christus sie in der jeweiligen Bedrängnis und Trauer aufsucht und dadurch Trauer in Freude verwandelt (16,20-22). Die herkömmliche Parusie-Erwartung, die von Enttäuschung zu Enttäuschung ging, soll abgelöst werden durch das Sich-Einstellen auf das Eintreten Christi in die jeweils heutige Wirklichkeit. Der Evangelist, der in einem apokalyptisch durchsättigten Zeitalter lebt, kümmert sich um apokalyptisch qualifizierte Zukunft nicht. Er schiebt, was im Urchristentum vielfach Gegenstand und Ziel leidenschaftlicher Erwartung war, bewusst und rigoros zur Seite und bestreitet dieser Erwartung den zentralen Platz, den sie wohl auch in der johanneischen Gemeinde innehatte.
Mit der präsentischen Eschatologie konnte er hoffen, den Argumenten der Synagoge auf hohem Niveau begegnen zu können: Mit Christus, in dem Gottes Gegenwart sich darstellt, ist die eschatologische Wende der Welt eingetreten, und um der Realität Gottes willen, die sich in Christus ereignet, muss gesagt werden, dass mit ihm das Endgericht da ist und sich in der Begegnung mit ihm jeweils vollzieht: Wer nicht an ihn glaubt, ist ein schon Gerichteter (3,18). Auf der anderen Seite konnte der Evangelist hoffen, mit der präsentischen Eschatologie die Gemeinde aus einem unfruchtbar gewordenen Warten auf die sich apokalyptisch vollendende Zukunft herausführen zu können. Wenn Parusie schon eingetreten ist und immer eintritt, wo die Gemeinde das Kommen Christi in ihre Mitte erfährt, wozu dann sich fixieren auf ihre apokalyptische Gestalt, die durch die gegenwärtig zu erfahrende Parusie, durch das jeweilige Kommen Christi in die Gegenwart der Gemeinde überholt ist?
Das Selbst- und Sendungsbewusstsein Jesu ist davon bestimmt, und vor allem in seinen Gleichnissen lässt er seine Zuhörer die Gegenwart von Gottesherrschaft in ihrem Anspruch und in ihrer Beglückung erleben. – Das Neue bei Johannes ist die Ausschließlichkeit, in der er das Gewicht auf die Gegenwart legt. In der Auseinandersetzung mit der herkömmlichen jüdischen und judenchristlichen Eschatologie entwickelt Johannes seine in der Gegenwart sich erfüllende Eschatologie, die mit innerer Notwendigkeit aus seiner Christologie hervorwuchs. „Die urchristliche Eschatologie, durch die Botschaft Jesu und sein Wirken vorbereitet, durch Ostern in Naherwartung verwandelt, war stets christologisch orientiert. In Christus ist das Ende der Welt nicht nur nahegekommen, sondern bleibend gegenwärtig“.
Die Umformung der Eschatologie von der futurischen und kollektiven hin zu einer präsentischen und individuellen. Die Umformung der Eschatologie wird dokumentiert durch die Neuformulierung des am Anfang zitierten Wortes von den Wohnungen des Vaters (14,2+3) als Verheißung: Jesus und der Vater werden zum einzelnen Glaubenden kommen und in ihm Wohnung nehmen (14,23).
Ostern wird „vergrundsätzlicht“, indem die Ankündigung des sichtbaren österlichen Kommens Jesu zu seinen Jüngern (14,18-20: „ich komme zu euch …, ihr werdet mich sehen, denn ich lebe. 25..“) in die Verheißung der Liebe und des Kommens von Vater und Sohn zu demjenigen transformiert wird, der Jesus liebt (14,21-24ab).
Auffällig ist, dass sowohl der nachösterliche Heilsstand der Gemeinde als auch die Gabe des Geistes Folge des Weggehens Jesu sind (14,12; 14,16f.26) – und nicht etwa seines österlichen Wiederkommens. Daher spricht der johanneische Jesus von der Gabe des Geistparakleten (14,16f.), bevor er von seinem österlichen Kommen spricht (14,18-20).
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E. Paulinische und johanneische Christologie
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R. Schnackenburg
a) Die theologische Beurteilung des Kreuzesgeschehens (227f)
Für Paulus ist das Wort vom Kreuz (1 Kor 1,18) grundlegend, weil gerade dieses Geschehen seine Grundthese von der gnadenhaften Rechtfertigung des Sünders trägt. Den Juden, die sichtbare Zeichen, machtvolle Taten fordern, wird das Kreuz zum verhängnisvollen Anstoß (1 Kor 1,23; vgl. Gal 5,11; 6,12,14), den Griechen in ihrem Weisheitsstreben zu einer Torheit.
Für Johannes zeichnet sich in der Erhöhung am Kreuz der siegreiche Aufstieg des Menschensohnes in die himmlische Herrlichkeit ab (3,14; 12,32,34). Beide Theologen betonen die soteriologische Bedeutung des Kreuzesgeschehens, Paulus im Hinblick auf die Sühnekraft des Sterbens Jesu (Gal 3,13), Johannes im Hinblick auf die vom erhöhten Christus vermittelte Gabe des göttlichen Lebens (Joh 3,15; 17,2). Mit dem Blick auf das Kreuz als Ort der Sühne und Versöhnung setzt Paulus einen anderen Akzent als Johannes. Für den vierten Evangelisten entbindet der Gekreuzigte den Strom des Heils (19,34), an dem alle Anteil erhalten, die im Glauben zu dem am Kreuz Erhöhten aufschauen (vgl. 19,37). Bedenkt man die Schriftgrundlage im vierten Lied vom Gottesknecht (Jes 52,13 - 53,12), könnte man sagen: Der Blick des Paulus richtet sich auf das Sühneleiden des Gottesknechtes, während Johannes seinen „Erfolg“ vor Augen sieht: „Er wird gar sehr erhöht und verherrlicht werden“ (Jes 52,13).
b) Inkarnation und Passion (228f)
Wir vergleichen die paulinische Aussage, dass Gott „seinen Sohn in der Gestalt des Sündenfleisches gesandt und für die (Beseitigung der) Sünde die Sünde im Fleisch gerichtet hat“ (Röm 8,3) mit der johanneischen Aussage, dass „der Logos Fleisch wurde unter uns wohnte und wir seine Herrlichkeit sahen“ (Joh 1,14). Das „Sündenfleisch“ bezeichnet den Wirklicheitsbereich der Sünde, in den hinein Gott seinen Sohn gesandt hat, dass Christus darin (nicht durch eigene Sünde!) den Menschen als Sündern gleich geworden ist. Der Zweck der Sendung ist die Beseitigung der Sünde, das Brechen ihrer Macht, so dass wir davon befreit, die „Rechtsforderung des Gesetzes“ erfüllen können (8,4). 2 Kor 5,21: „Den, der die Sünde nicht kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gerechtigkeit Gottes würden in ihm“.
Johannes: Wenn man Joh 1,14-18 vom Logoslied nicht abspaltet, muss man das Menschwerden des vorher auf geistige Weise in Menschheit und Welt wirkenden Logos ernstnehmen: Er ist voll in die irdische Wirklichkeit und in menschliche Leiblichkeit eingegangen. Nur so wird die besondere Erfahrung des Weisheitslogos, wie sie die Glaubenden bekennen (vgl. 1 Joh 1,1-3) und schon im Logoslied dankbar preisen (Joh 1,16, vgl. 18), verständlich. Dann liegt in der Inkarnationsaussage ein kräftiger Hinweis auf das gegenüber der jüdischen Weisheitsspekulation Neue und Einzigartige. Sie markiert den Anfang des irdischen Weges Jesu Christi als des uranfänglich bei Gott weilenden Logos, den Beginn seiner Offenbarung Gottes in der Welt (vgl. 1,18).
Achtet man auf den joh. Gebrauch von sarx, so liegt darin im Unterschied zu Paulus keinerlei Beziehung zum „sündigen“ Fleisch; es ist ein Ausdruck für den irdisch-menschlichen, hinfällig-vergänglichen Bereich, der sich scharf von der göttlich-geistigen Welt abhebt (vgl. 3,6; 6,63; auch 8,15; 17,2). Der Logos ist, aus der himmlischen Welt kommend, in den irdisch vorfindlichen, vergänglichen und nichtigen Bereich durch die Menschwerdung derart eingegangen, dass damit Gott in der Welt, unter den Menschen wirklich anwesend und gegenwärtig ist, um sich in diesem Menschen Jesus Christus zu offenbaren (1,18) und durch ihn der Gott abgewandten Menschenwelt sein Leben zu schenken (3,16).
Die Passion ist für Johannes nicht wie bei Paulus der Angelpunkt des göttlichen Eingreifens in die Unheilsgeschichte, sondern in eine umfassendere Heilsplanung einbezogen, die mit der Inkarnation beginnt und in der Doxa-Verleihung an den Erhöhten kulminiert. Schon in der Inkarnation offenbart sich für Johannes die göttliche Herrlichkeit, auf die letztlich das ganze Erlösungswerk, das sich über das Kreuz Christi vollzieht, zuläuft; denn das Ziel ist, dass auch wir an der Herrlichkeit des erhöhten Christus partizipieren sollen (17,24). Die Passion Christi ist als unentbehrliches Geschehen in diese göttliche Heilsveranstaltung einbezogen: der Menschensohn „muss“ wie die Schlange in der Wüste erhöht werden, damit jeder Glaubende in ihm ewiges Leben hat (Joh 3,14f).
c) Die Selbstoffenbarung Jesu in seinem irdisch-
geschichtlichen Wirken nach Johannes (230f)
Auf Erden erschließt Jesus in seiner Person als dem einzig erzeugten Gottessohn die himmlische Wirklichkeit, er und kein anderer (1,18; 3,32), in worthafter Selbstoffenbarung und in „Zeichen“, die Gottes heilbringende Präsenz in ihm sichtbar machen. Er ist das Licht (8,12; 9,5) und Leben (11,25f; 14,6) der Welt, wer ihn sieht, sieht den Vater (14,9). Diese christologische Sicht verlangt eine Darstellung des irdischen Wirkens Jesu, auch in Konfrontation mit der „Welt“, die von Gott abgewandt ist. Wenn Johannes die Gott und seinem Gesandten entgegenwirkenden Kräfte in einer Weise zeichnet, dass seine Gemeinde darin auch ihre Widersacher (das damalige ungläubig-feindselige Judentum) erkennen kann, so hat das zeitgeschichtliche und situative Gründe. Aber die grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Gott und Welt ist allein schon durch das Kommen des Lichtes in die Finsternis gegeben, das eine Scheidung und Gericht, herbeiführt (3,19; vgl. 9,39).
Für Paulus konzentriert sich die Überlegenheit Gottes über alle gottfeindlichen Mächte im Kreuzesgeschehen. Auch für ihn ist das ein hintergründiger Vorgang, bei dem Gott seine tiefere Weisheit und verborgene Macht erweist. Bedeutsam werden ihm die Worte Jesu erst als Willenskundgebung des „Herrn“, der seiner Gemeinde gegenwärtig gebietet (vgl. 1 Kor 7,10). Ohne die Auferweckung des Gekreuzigten verlöre das irdische Leben Jesu seinen Sinn, ohne das gegenwärtige Wirken des Kyrios die Gemeinde ihre Bezugsperson.
d) Die eschatologische Perspektive (231ff)
Die für Paulus wesentliche Parusie-Erwartung hat bei Johannes (sieht man von 1 Joh ab) alles Gewicht verloren. Wenn der auf die Erde herabgestiegene „Menschensohn“ dorthin zurückgekehrt ist, „wo er vorher war“ (6,62), dann ist sein Weg vollendet; wenn der verherrlichte Christus die Herrlichkeit wiedererlangt hat, die er beim Vater vor Grundlegung der Welt besaß (17,5, 24), dann ist sein Ziel erreicht. Für den Evangelisten hat Jesus im Tod alles vollbracht (19,30), das ihm vom Vater aufgetragene Werk vollendet (17,4). Alles, was ihm für die Glaubenden zu tun übrig bleibt, ist, sie zu sich zu nehmen, sie dorthin zu führen, wo er selbst ist, nämlich in die Herrlichkeit seines Vaters (vgl. 14,2f; 17,24). Der Parusiegedanke klingt noch im Wortlaut von 14,3 nach, wird aber eigentümlich umgedeutet. Wie auch an anderen Stellen (14,18 „ich komme zu euch“; 14,20; 16,23,26 „jener Tag“) hat Johannes die Parusie-Terminologie auf das österliche Geschehen übertragen. Der Ostertag ist schon „jener Tag“, an dem die Jünger den Herrn sehen. Das soteriologische Anliegen ist dadurch aufgenommen, dass die Jünger vom Herrn den Lebensgeist empfangen (20,22), durch den ihnen unvergängliches Leben zuströmt. Die joh. Perspektive ist für die Zukunft „offen“, für das Weiterwirken des erhöht-verherrlichten Christus durch den Geist in seiner Gemeinde und, was den einzelnen Christen betrifft, durch die Aufnahme in die Herrlichkeit Christi nach dem leiblichen Tod (vgl. 11,25f; 12,25f). Durch die Verlagerung des ewig-göttlichen Lebens in die Gegenwart und die Relativierung alles Zukünftigen ist eine gewaltige Akzentverlagerung eingetreten. Die Bewährung in der Welt, namentlich die Bruderliebe, bleibt unerlässliche Voraussetzung für das Erreichen des Zieles. Der johanneische Christ weiß sich durch die gläubige Annahme des in die Welt gekommenen göttlichen Offenbarers und Lebensbringers dazu befähigt, Kind Gottes zu werden (Joh 1,12). Alles, was er zu tun hat, ist das Bleiben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus und dadurch mit Gott (Joh 8,31; 15,4-10; 1 Joh 2,24,27f u.ö.).
Das paulinische Christentum bleibt durch den Blick auf das Kreuz Christi der unbewältigten Nöte christlicher Existenz, der menschlichen Anfechtungen (vgl. Gal 5,17) und irdischen Leiden (Röm 5,3f; 8,17-25), stärker gewahr, um dennoch in der Hoffnung des Sieges gewiss zu sein (Röm 8,37-39). Es geht um das Mitbeschreiten des Christusweges, das Mit-ihm-Sterben, um mit ihm auch zu leben (Röm 6,8).
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F. Abschied vom Opfertod
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2021 Meinrad Limbeck
L.M. Jesus war nicht gekommen, um Jesaja (53) zu verkündigen.
MK 1,14f: „...Jesus sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium“! (Luther)
Bultmann, Rudolf: Die Offenbarung der Doxa, 1984
(s. V… B… Zum JohEv, 1. Zur Theologie des JohEv)
Dietzfelbinger, Christian: Der Abschied des Kommenden, 1997
Sühnetod im Johannesevangelium? 1998
Schnackenburg, Rudolf: Paulinische und johanneische Christologie in: Lutz Ulrich, 1983: Die Mitte des Neuen Testaments
Weidemann, Hans-Ulrich: Der Tod Jesu im Johannesevangelium, 2004
The Death of Jesus in the Fourth Gospel, 2007