IX. Solus Christus – “zur Freiheit berufen” (Gal 5,1.13) – versöhnte Verschiedenheit

    A. Solus Christus u n d das Apostolikum?

    B. Solus Christus u n d die Taufpraxis?

    C. Zum Abendmahl


 

J E S U  H A U P T G E B O T (Mk 12,28-34parr): Höre Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein; und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen von ganzer Seele und mit all deiner Kraft! Dies ist das erste Gebot. Das zweite ist dieses: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Größer als diese ist kein anderer Gebot. Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: ...Gott lieben und den Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Da ...sprach Jesus zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes!

Größer als diese (1. und 2. Gebot) ist kein anderes Gebot. Jede Gesetzesauflage entwertet Jesu Hauptgebot: Sein Gebot würde zu einem Gebot neben/unter anderen Geboten.

 

V E R S Ö H N T E   V E R S C H I E D E N H E I T

Judenchrist - Heidenchrist
 Beschneidung - Unbeschnittenheit
 apokalyptisches - neuzeitliches Weltbild
 fundamentalistische - historisch-kritische Sichtweise

entscheidend ist die N A C H F O L G E  J E S U

"In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit etwas, sondern der Glaube, der durch Liebe wirksam ist" (Gal 5,6).

Die Freiheit des Glaubens und die Einheit der Christen

"Hier ist nicht Jude noch Grieche [..], denn ihr alle seid einer in Christus Jesus" (Gal 3,28).

"Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm" (1Kor 12,27)

"Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (nicht Beliebigkeit) (2Kor 3,17).

 

Ohne Verwirklichung der christlichen Freiheit keine kirchliche Einheit

W. Klaiber (2009): Seit den Anfängen gibt es in christlichen Gemeinden und Kirchen unterschiedliche Meinungen zu Fragen des Glaubens und des Lebens, die das Miteinander belasten oder behindern. Paulus ruft in einer solchen Situation die Christen in Rom auf, sich trotz dieser Meinungsunterschiede gegenseitig als Menschen, die zu Christus gehören, anzunehmen. Uns steht kein Urteil über die zu, die Christus gegenüber verantwortlich sind (246f).

Der ist glücklich zu preisen, der zu seiner Freiheit steht, sie aber in der Liebe lebt. Es gibt Entscheidungen über das Leben als Christ, die nur richtig sind, wenn sie für uns persönlich mit dem übereinstimmen, was uns im Glauben trägt (254f).

In Galatien ging es nicht darum, Judenchristen Raum für die ihnen angemessen scheinende Lebensweise zu gewähren, sondern darum, für alle Christen die Beschneidung und die Einhaltung des Gesetzes verbindlich zu machen. Dadurch sah Paulus die Grundlagen des Evangeliums und der Freiheit, die es schenkt, gefährdet.

In Antiochien suchten Petrus und die Judenchristen nicht nach Wegen, durch die die Gemeinschaft zwischen den beiden Gruppen hätte aufrecht erhalten werden können. Sie sahen nur in der Trennung eine Lösung.

In Antiochien waren diejenigen, die sich trennten in der Mehrheit. Paulus spürte in ihrem Handeln einen unausweichlichen Zwang auf die Heidenchristen, um der Gemeinschaft willen ihre Glaubensüberzeugung aufzugeben.

Paulus unterscheidet klar zwischen Situationen, in denen er empfiehlt, auf die Ausübung der eigenen Freiheit zu verzichten, weil andere gefährdet sind, und solchen, in denen er vehement für die Freiheit in Christus eintritt, weil die Freiheit gefährdet ist (256).

Röm 14.17: "Das Reich Gottes besteht nicht in Essen und Trinken, sondern in Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geist".

Was heute das Miteinander in die Zerreißprobe führt, ist z.B. das Schriftverständnis. Da gibt es die, die sich durch Tradition und eigene Erkenntnis an ein 'wörtliches' Verständnis gebunden wissen, und da gibt es andere, die durch wissenschaftliche Erforschung und die eigene Glaubensentwicklung dazu geführt wurden, zwischen historischem Wortlaut und heutiger Bedeutung zu unterscheiden (261).

Es geht darum, dass sich alle - auch bei unterschiedlichen Meinungen im Detail - auf das gleiche Ziel ausrichten: "damit ihr einmütig und mit einem Munde den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus loben könnt" (Röm 15,6). Es geht um eine von Christus bestimmte Gemeinschaft (260).

In Christus oder außerhalb Christus? Die Ekklesia ist die Gemeinde der Herausgerufenen; sie ist der Leib Christi auf Erden, sie ist das in Christus gesammelte neue Gottesvolk. Die Ekklesia ist die Gemeinschaft der Jesus Nachfolgenden. Für Israel gibt es nach Paulus keinen Sonderweg an Christus vorbei.

Das NT ist Dokument und Feld eines Gesprächs, in dem Menschen von jeweils verschiedenen Voraussetzungen aus mit- und gegeneinander sprechen. Solcher Dialog darf nicht nivelliert werden, so dass die Unterschiede und Gegensätze verschwinden... Jede Vereinfachung, die das ursprünglich Mannigfaltige in ausgefahrene Gleise zwingt, ist Sünde gegen den Geist (E. Käsemann, Pln. Perspektiven, 118).

Christlichen Glauben gibt es von Anfang an nur in Pluralität. Viele (theologisch verschiedene) Glieder - ein Leib (1Kor 12,13): Deshalb gibt es die Einheit der Kirche nie vorfindlich, sondern nur für den Glaubenden.

Das Wort Gottes ist kein göttliches Esperanto. Die Bibel ist Gotteswort in Menschenwort, das jeweils einen geschichtlichen Ort hat. Die Offenbarung ist ewig, aber wir haben sie nur in vergänglichen, irdischen Gefäßen. Bilder und Vorstellungen sind vergänglich. Gott und Jesus Christus können wir nicht systematisieren. Die Bibel ist weder ein naturwissenschaftliches noch ein historisches Lehrbuch.

Paulus verlangt kein sacrificium intellectus (→s. Text 1)

Kann ein Lehramt diktieren, was zu denken, was zu glauben und was zu bekennen ist? Gibt es die richtige Lehre unabhängig vom Standort des jeweiligen Gläubigen? Jesus ruft Menschen, die sich an verschiedenen Standorten befinden, in seine Nachfolge. Die Kirche, der Leib Christi, ist eine differenzierte Einheit von Christus-Gläubigen, deren Ausgangspositionen grundverschieden sind. Was heißt für das mess. Judentum richtige Lehre? Was heißt für das neuzeitliche Denken richtige Lehre?

Die Wahrheit ist eine Person: Jesus Christus. Keine Lehre ist, besitzt, die Wahrheit, denn Jesus Christus können wir nicht besitzen, Jesus Christus können wir nur nachfolgen.An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen (nicht anders)... Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein schlechter Baum kann nicht gute Früchte bringen“ (Mt 7,16ff).

Weil die Ausdrucksformen verschieden sind, brauchen wir getrennte Gemeinschaften. Durch den Geist bilden die getrennten Gemeinschaften gemeinsam den einen Leib Christi. Für Antiochien z.B. heißt das: getrennte Tischgemeinschaften bzw. für mess. Juden: freiwillige Tischgemeinschaft mit Heidenchristen (Paulus, Barnabas). Für Heidenchristen heißt Tischgemeinschaft mit mess. Juden: freiwillige Übernahme der in Israel für Fremde geltenden Mindestforderungen.

Weil die Ausdrucksformen des neuzeitlichen Denkens andere sind als die der kirchlichen Tradition, brauchen wir auch hier getrennte Gemeinschaften, damit jeder seine Sprache, seine Ausdrucksform finden kann. Weil es beim Christsein nicht um eine Lehre sondern um ein personales Bezugsverhältnis geht, ist christlicher Glaube immer kulturell und biographisch mitbestimmt. Alles Verstehen beruht auf einem Vorverständnis, objektive Erkenntnis ist nicht möglich. Für Paulus (1Kor 13,9) gilt: “Alle Erkenntnis ist Stückwerk“. Keine Uniformität sondern nur eine durch den Geist gewirkte Einheit dient dem Lobe Gottes. (Wie schwierig das in der Praxis ist, zeigen 2000 Jahre Lehrstreitigkeiten - angefangen Apg 6).


 

Die Einheit des Glaubens  u n d  der theologische Pluralismus


 

Schriftgemäß ist nicht die dogmatische Einheitsmeinung, sondern die christozentrische Pluralität.

Die Herrschaft Jesu Christi geht gegenwärtig so weit, wie dem Gekreuzigten gedient wird.

Pluralität von Anfang an: Verschiedene Modelle der Jesus-Interpretation: erstens die Jerusalemer Urgemeinde, zweitens die galiläische Jesus-Bewegung und drittens Antiochia und Paulus – die universale Mission, das Christusgeschehen als Heil für alle Völker.

Seit wann ist Jesus Gottes Sohn?
 - nach jüdischem Verständnis
           seit der Auferstehung (Röm 1,3f; Apg 2,36)
           seit der Taufe (Mk 1,11)
 - nach griechischem Verständnis
           seit der Geburt (Matthäus, Lukas)
           präexistent, vor aller Zeit (Johannes)

Röm 1,3f: "... von Seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch (4) und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten".

Apg 2,36: "So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat".

Mk 1,11: "Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen"


 

K.-P.Jörns (2006³): Die geschichtlichen Bedingungen unserer Wahrnehmung: Dogmen sind zeitbedingte Antworten auf zeitbedingte Fragen und daher vorläufige Aussagen. Der verheißene Geist wird die Christen: "die ganze Wahrheit lehren". Er wird auch "das Zukünftige verkündigen" (Joh 16,13) - eine Aufgabe, die fortwährend nötig ist, weil die Wahrheit mit dem sich wandelnden Leben ihre Gestalt verändert. Lebenswahrheit lässt sich in keinem Heute vorwegnehmen. Sie muss in allen Stationen von Leben erst gefunden und gelebt werden. Der "Geist der Wahrheit" soll Menschen in der Nachfolge Jesu Christi befähigen, in der neuen Unmittelbarkeit der Gegenwart Gottes im Geist selbstständig zu leben und dadurch den Auftrag des Auferstandenen zu erfüllen: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich Euch" (Joh 20,21). Glaubensaussagen bleiben einerseits historischer und theologischer Kritik und andererseits der Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit ausgesetzt. Daran ändert auch eine kirchliche Dogmatik nichts (186f).

E.Käsemann (1964Der ntl Kanon begründet als solcher nicht die Einheit der Kirche. Er begründet als solcher, d.h. in seiner dem Historiker zugänglichen Vorfindlichkeit dagegen die Vielzahl der Konfessionen (221).

Die Variabilität des ntl Kerygmas

Kein Evangelist hat den historischen Jesus selber gekannt. Für jeden stand der erhöhte und geglaubte Kyrios vor dem incarnatus auf dem Plan und bestimmte den Aspekt, unter dem sie je auf ihre Weise den incarnatus sahen (214).

Die Differenzen in unseren Evangelien und die abweichende Auswahl des Überlieferungsstoffes erklären sich weithin aus der verschiedenen theologisch-dogmatischen Haltung der Evangelisten (216).

Fülle theologischer Positionen in der Urchristenheit

Die urchristliche Gemeinde hat nicht wie wir zwischen dem historischen und dem erhöhten Herrn unterschieden. Palästinische wie hellenistische Prophetie sprachen im Namen des Erhöhten, was die Joh-apokalypse uns noch zeigt. Diese zum großen Teil im Ich-Stil gehaltenen Sprüche sind im Laufe der Tradition mit den Worten des historischen Jesus vermengt und diesem zugeschrieben worden, weil es der Urchristenheit nicht wie uns auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung, sondern auf den sich hier wie dort offenbarenden Geist des Kyrios ankam. Die Inspiration des Propheten hebt nicht auf, dass er jeweils in den Ausdrucksmöglichkeiten seiner Zeit und also auch in ihren theologischen Vorstellungen sprach. In den meisten ntl Aussagen geht es um Antworten auf konkrete Fragen, Abwehr bestimmter Irrtümer, Mahnung und Tröstung konkreter Menschen, sie setzen bestimmte Prämissen voraus und lassen mancherlei Konsequenzen zu. Die Exegese leidet darunter, dass wir im allgemeinen den Gesprächspartner oder Gegner nur durch die Brille des Sprechenden zu Gesicht bekommen und dadurch zu einseitigen Urteilen und voreiligen Schlüssen verführt werden. Z.B. hat Petrus auf die pln Anklagen in Antiochien nicht zu erwidern vermocht und ihnen recht gegeben oder sind die Kontrahenten in offenem Konflikt geschieden? Wer sind die Neider, die zur Abfassungszeit des Phil die Gefangenschaft des Paulus gegen den Apostel ausnützen? Wie fragwürdig muss seine Autorität zu seinen Lebzeiten gewesen sein, wenn man das wagen konnte! Nur Lehrunterschiede begründen, dass die Hellenisten (Apg 6) sich in Jerusalem nicht halten konnten, während die gesetzesstrenge Richtung 15 Jahre lang relativ unangefochten blieb. Im Kanon sind uns nur Fetzen des in der Urchristenheit geführten Gesprächs erhalten geblieben. Die Variabilität des urchristlichen Kerygmas muss noch sehr viel größer gewesen sein, als die Beobachtung des im Kanon erhaltenen Tatbestandes wahrnehmen lässt (217f).


 

Unvereinbare theologische Gegensätze : Wenn Jesus in Mk 7,15 ablehnt, dass der Mensch von außen her verunreinigt werde, so verlässt er damit grundsätzlich den Boden der gesamten jüdischen Kultgesetzgebung. Führt er seinerseits alle Unreinheit auf des Menschen eigenes Herz zurück, so besagt das, dass der Mensch als solcher verdorben ist und Heil nur in Vergebung erlangt. Die Christenheit hat das Jesuswort mit kommentierenden Zusätzen umgeben. Dem Spruch wird einerseits nur die polemische Antithese gegen das Rabbinat entnommen, das den eigentlichen Gotteswillen mit seinen Sonderauflagen und seiner Kasuistik verdeckt. Auf der anderen Seite biegt man den Spruch moralisierend um: Die wirkliche Unreinheit besteht in der Lasterhaftigkeit. Beide Kommentare brechen der Radikalität Jesu die Spitze ab. Durch Jesu Wort wird nicht bloß die rabbinische Auslegung und Praxis, sondern das Kult- und Reinigkeitsgesetz selbst getroffen. Jesus hat sich nicht gescheut, anzugreifen und außer Kraft zu setzen, was dem Judentum als göttliches Gebot galt und es nach dem AT war. Dieser Einsicht entzieht sich die palästinische Gemeinde durch ihre Unterscheidung zwischen göttlichem Gebot und menschlicher Auflage. Die hellenistische Christenheit schwächt Jesu Wort ebenfalls ab: Sie zählt böse Taten auf, vor denen man sich zu hüten hat und hüten kann, während Jesus unser Herz schuldig spricht und für die Entstehung der Bosheit verantwortlich macht. Die Aufdeckung unserer Verlorenheit wird zur moralischen Warnung, der Richter zum Lehrer einer besseren Ethik. Mit der Polemik gegen den Pharisäismus als eine Heuchelei (Mt 23) hat die Gemeinde Jesu Angriff auf den Pharisäismus verflacht, der das Trachten nach der eigenen Gerechtigkeit und deshalb jede Leistungsfrömmigkeit und faktisch jeden Menschen trifft. Wo man den Pharisäer zum Heuchler macht, gilt Jesu Kritik bloß noch der Unmoral, ist die Bahn zur christlichen Leistungsfrömmigkeit freigegeben, die Jesu Angriff auf den wirklichen Pharisäismus versperrt hatte (219f).


 

Zusammengehörigkeit und Unterschied von Buchstaben und Geist: Nach Paulus sind Geist und Fleisch nicht etwas an und für sich, sondern Existenzweisen des Gott gehorsamen oder ungehorsamen Menschen. Paulus hat sich nicht zum Antinomisten machen lassen, sondern daran festgehalten, dass das Gesetz als Gotteswille gerecht, heilig und gut sei. Von dem Gesetz als Gotteswillen unterscheidet er jedoch jenes Gesetz, das vom frommen Menschen in die Forderung nach der eigenen Gerechtigkeit verkehrt wird. Dieses zum Mittel unserer Selbstgerechtigkeit verkehrte Gesetz nennt er in 2Kor 3 Buchstaben. Der Missbrauch des Gotteswillens besteht darin, dass Menschen Gottes Anspruch nicht mehr den Anspruch Gottes bleiben lassen, sondern Gott in seinem Anspruch gefangen wähnen, darum das Gesetz nicht mehr als Bekundung des göttlichen Willens, sondern nur noch nach seiner Vorfindlichkeit beachten, es faktisch an Gottes Stelle treten lassen. Man hat Gott nur, wenn und solange er uns hat (221f).

Die Spannung von Geist und Schrift ist konstitutiv. D.h. dass der Kanon nicht einfach mit dem Evangelium identisch ist und Gottes Wort nur insofern ist, als er Evangelium ist und wird. Allein das Evangelium begründet die eine Kirche in allen Zeiten und an allen Orten (223).

Weil das Evangelium allein durch den Glauben wirkt, ist jede geschichtliche Fesselung des Glaubens Verrat am Evangelium. In HH müsste es wenigstens eine christliche Gemeinschaft geben, die vom heutigen Standort aus historisch-kritisch formuliert. Christen des 21. Jh. kann man nicht auf ein Weltbild von vor 2000 Jahren verpflichten.

 

A. Solus Christus u n d das Apostolikum?

 

Der Apostolikumsstreit: Lehrgesetz oder Glaubenszeugnis?

H. Kasparick: Der Apostolikumsstreit ist leidenschaftlich und heftig geführt worden, weil sich am Apostolikum die brennenden Fragen und Probleme der Gegenwart konzentrierten. Es geht um das Bedürfnis nach einem einheitlichen Verständnis der Wirklichkeit. Die Teilhabe an der wissenschaftlichen Methodik der Zeit, an der allgemeinen Voraussetzung eines prinzipiell gleichartigen Wirklichkeitskontinuums in den Natur- und Geschichtswissenschaften und die vehement verteidigte Freiheit der Forschung gehören für alle liberalen Theologen zum notwendigen Ausgleich der Theologie mit dem vernünftigen Wissen der Moderne. Gerade wissenschaftlich gebildete Theologen und Laien vermochten es nicht einzusehen, weshalb es zum Bestand der Gemeinschaft notwendig sein soll, ein Bekenntnis oder ein Dogma hinzustellen, das wenigstens nach außen, mit dem bestimmten Anspruch auftritt, daß es im ganzen und in allen seinen Teilen den zutreffenden Ausdruck der religiösen Überzeugung aller Gemeindeglieder bildet (81f).

Die Einheit der Kirche besteht in der Christusidentität, dem einen Geist, dem einen Herrn Jesus Christus und dem einen Gott und Vater.


 

W. Nigg: Der Fall Schrempf

Die Geschichte des Apostolikumsstreits : 1891 entschied Pfarrer Christoph Schrempf, zukünftig keine fragwürdigen Rücksichten mehr gelten zu lassen und nie mehr eine Glaubensäußerung zu tun, die er nicht vertreten könne. Bei der nächsten Taufe ließ er das Apostolikum weg, das in der Liturgie vorgesehen war. Die Anwesenden bemerkten die Weglassung des Apostolikums nicht, doch war Schrempfs Gewissen deshalb nicht weniger belastet. Er wünschte keine unerlaubten Heimlichkeiten und machte deshalb der Oberkirchenbehörde von seiner Handlungsweise sofort Mitteilung. In einem längeren Schreiben gab er der Behörde sehr ehrlich über seine Glaubenseinstellung Rechenschaft. Bei der nächsten Taufe ließ er sich nach dem Rat des Prälaten Walcher durch einen Kollegen vertreten. Um unkontrollierbaren Gerüchten die Spitze abzubrechen und die Gemeinde richtig zu orientieren, brachte Schrempf seine Stellung auf der Kanzel zur Sprache. Die Kirchenvorsteherschaft der Gemeinde beschwerte sich beim Konsistorium. Das Konsistorium beschuldigte hierauf Schrempf seine Gemeinde durch seine Mitteilung von der Kanzel aus in ihrem Glauben verletzt und verwirrt zu haben. Gegen diesen Vorwurf legte Schrempf sofort Protest ein, weil dies seine unbedingte, sittliche Pflicht gewesen sei. Die Behörde ordnete eine Vertretung Schrempfs durch einen anderen Pfarrer an und leitete das Disziplinarverfahren auf Entlassung ein. Als Antwort teilte Schrempf dem Konsistorium offen mit: „Die Lehr- und Gottesdienstordnung unserer Kirche ist unter den gegenwärtigen kirchlichen und theologischen Verhältnissen eine sittliche Unordnung. Das Verlangen an den einzelnen Geistlichen, sich ihr unbedingt zu fügen, ist eine sittlich sehr bedenkliche Zumutung. Die übliche Verpflichtung des evangelischen Geistlichen ist unter den gegenwärtigen kirchlichen und theologischen Verhältnissen eine Schlinge für das Gewissen“. Nach dieser kühnen Eingabe setzte das Konsortium Schrempf sofort frist- und pensionslos ab. Schrempf war darüber stark aufgebracht, dass die Kirchenbehörde mit Wissen einen ketzerischen Theologen gebraucht, solange er zu heucheln bereit ist, von dem Moment an aber, da ihm sein Gewissen schlägt, ihn aus dem Kirchendienst entläßt (264f).

Die ‘Fälle’

Es waren die verschiedensten Motive, die den Gegenstand der Konflikte bildeten. Bald war es der Nichtgebrauch des Apostolikums und dann wieder die sozialen Interessen oder die Insubordination gegen die kirchliche Behörde, was Anstoß erregte. Aber immer waren es liberale Momente, die die orthodoxe Kirchenleitung nicht zu dulden gewillt war, hinter deren Vorgehen die offenkundige Absicht lauerte, den religiösen Liberalismus aus Kirche und Universität hinauszudrängen (263).

Die Fälle beginnen als die Restaurationstheologie nicht mehr gewillt war, eine abweichende Lehrmeinung neben sich zu dulden, und liberale Pastoren ihres Amtes entsetzt wurden: um 1840 Rupp, Wislicenus, Uhlich, 1854 G.C. Bartholdi, 1857 A.E. Fritz, 1858 Michael Baumgarten, um 1862 Oberprediger Melcher, 1872 Adolf Sydow und E.G. Lisco, gegen die eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet wurde, die aber ohne ernstliche Folgen blieb, 1878 Albert Kalthoffs. Wilhelm Benders entging einer Dienstentlassung, weil er von der theologischen in die philosophische Fakultät wechselte, 1891 Klein, Kier und Ziegler, 1892 Schrempf, 1895 Heinrich Lisco, 1896 Friedrich Steudels, 1897 Wendeburg, Kötzschke, Weingart, 1898 Hillemanns, Blazejewski, Urbahrt und Neidhart. 1899 verlangten 193 Geistliche vom Kultusministerium die Absetzung von Prof. Otto Baumgarten in Kiel, dieses Ansinnen beantworteten die Universitätskollegen mit dessen spontaner Wahl zum Rektor, 1904 Max Fischer, 1911 Jatho, 1913 Traub, 1922, Leimbach, 1924 Pfarrer Knote (262f).

In all den Fällen hat nicht nur die Kirche, sondern auch der religiöse Liberalismus Deutschlands versagt. Wenn die liberalen Pastoren, die in diesen Fällen doch stets moralisch mitverurteilt worden waren, wie ein Mann geschlossen aufgestanden wären und unmissverständlich erklärt hätten: Wir denken und lehren das Gleiche wie der Angeklagte, wenn ihr ihn absetzt, so müsst ihr auch uns absetzen, hätten die Konflikte einen ganz anderen Verlauf genommen. Als sich im Fall Leimbach 54 Pfarrer mit ihm solidarisch erklärten, kam die Kirchenbehörde in fatale Verlegenheiten und hüllte sich aus Furcht vor einem großen Skandal in Schweigen (275).

Die Pfarrer sind moderne Menschen und haben als solche die neuzeitliche Bibelkritik und Dogmengeschichte in sich aufgenommen. Sie mußten sogar nach dem Willen der Kirche diese Wissenschaften durch ihr Studium in sich aufnehmen; denn die Kirche hat im Unterschied zu den Sekten auf die Universitätsausbildung ihrer Diener stets großen Wert gelegt. Nachdem sich diese Theologen diese wissenschaftlichen Ergebnisse zu eigen gemacht haben, werden sie in ihrer amtlichen Tätigkeit aber genötigt, eine geistige Welt zu vertreten, die so ziemlich im Gegenteil dessen besteht, was sie auf den Universitäten gehört haben. Daraus musste eine Gewissenskollision resultieren. Wenn eine protestantische Kirche spricht: „Wer sein Gewissen höher stellt als die Kirchenordnung, muss aus der Kirche entfernt werden“ spricht sie das Todesurteil über sich selbst. Denn wenn Luther in Worms dieser Verpflichtung nachgekommen wäre, hätte es nie eine Reformation gegeben (276f).

Der eigentliche Apostolikumsstreit 1892/93

Die historische Forschung zeitigte das eindeutige Resultat, dass das Apostolikum nachapostolischen Ursprungs ist, verschiedene Wandlungen durchgemacht hat und in seiner heutigen Form das Taufsymbol der südgallischen Kirche in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. war. Dieses Apostolikum als verpflichtendes Bekenntnis war seit dem Erwachen der neuzeitlichen Religiosität für viele Theologen ein Gegenstand ernster Bedenken. Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Forschung, die genau feststellte, was jeder dieser Sätze wirklich sagen wollte, war eine Selbsttäuschung unmöglich geworden. Man konnte sich nicht mehr der Einsicht verschließen, dass zwischen Apostolikum und moderner Christlichkeit eine tiefe Kluft besteht (279f).

Die Orthodoxie vermochte damals die, den Wahrheitsgehalt des Apostolikums bezweifelnden, liberalen Pastoren nicht aus der Kirche hinauszudrängen, und der religiöse Liberalismus Deutschlands vermochte nicht sich von seinem Gebrauch zu dispensieren. Der Gewissenskonflikt blieb bestehen, und viele liberale Pfarrer versuchten, ihn durch Anbringung einer ihre Vorbehalte andeutenden Einleitungsformel zu umgehen (280).

Der eigentliche Apostolikumsstreit war aus Schrempfs ‘Fall’ als Folge einer Gewissensnot erwachsen. Er war eine Auflehnung der Wahrheit gegen ein nicht mehr als wahr empfundenes Bekenntnis. Es ging in dieser Frage um die Ehrlichkeit und Echtheit der intellektuellen Existenz des Theologen. Adolf Harnack, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Berlin, war mit seinen Studenten einig, dass durch den ‘Fall Schrempf’ der gebotene Anlass entstanden sei, die Frage über die Geltung und den Gebrauch des Apostolikums neu aufzuwerfen. In einem Artikel in der ‘Christlichen Welt’ führte Harnack aus, er „teile mit seinen Studenten die Ansicht, dass es der evangelischen Kirche ziemen würde, an die Stelle des Apostolikums oder neben dasselbe ein kurzes Bekenntnis zu setzen, das das in der Reformation und in der ihr folgenden Zeit gewonnene Verständnis des Evangeliums deutlicher und sicherer ausdrückte und zugleich die Anstöße beseitigte, die jenes Symbol in seinem Wortlaut vielen ernsten und aufrichtigen Christen bietet“. Seine geschichtliche Würdigung des Symbols schließt mit den Worten: „Allein man vermisst den Hinweis auf die Predigt Jesu, auf die Züge des Heilandes der Armen und Kranken, der Zöllner und Sünder, auf die Persönlichkeit, wie sie in dem Evangelium leuchtet. Das Symbol enthält eigentlich nur Überschriften. In diesem Sinne ist es unvollkommen; denn kein Bekenntnis ist vollkommen, das nicht den Heiland vor die Augen malt und dem Herzen einprägt“ (280f).

In seiner Erwiderung auf Cremers Streitschrift schrieb Harnack: „Wenn die geschichtliche Untersuchung feststellt, dass die Zeugnisse unsicher und unzureichend sind, kann keine Dogmatik und kein Glaube sie sicher und zureichend machen“.

Die Erklärung der Freunde und Mitarbeiter Harnacks in der ‘Christlichen Welt’ trat den kirchlichen Protestkundgebungen gegen Harnack entgegen: „Wir denken nicht daran, der evangelischen Kirche das sog. apostolische Glaubensbekenntnis nehmen zu wollen, aber wir bestreiten, dass die Geltung dieses Symbols in der Kirche und sein kirchlicher Gebrauch, Geistliche und Laien in juridischer Weise zur Anerkennung aller seiner einzelnen Sätze verpflichte. Ein evangelischer Christ ist jeder, der im Leben und Sterben sein Vertrauen allein auf Jesus Christus setzt, und wir wünschen, dass anstatt unevangelischen Pochens auf einzelne Lehrsätze dieser unzweifelhafte Grundgedanke evangelischen Christentums offen als solcher anerkannt werde (282f).

Dem religiösen Liberalismus war es in Deutschland nicht beschieden, jene Freiheit zu erringen, die er sich in der Schweiz schon um 1860 erobert hatte. In Deutschland blieb der ganze Apostolikumsstreit ohne Resultate (284).


 


 

B. Solus Christus u n d die Taufpraxis?

  

1. Die Übernahme der Johannestaufe durch die Christen
 2. Die Täuferbefragung als Frage nach der Messianität des Täufers (Jh 1,21)
 3. Eine neutestamentliche Begründung der Taufe gibt es nicht
 4. Die Ungeschichtlichkeit der Taufe Jesu


 

Die Taufpraxis - eine nachösterliche Bildung - Jesus hat nicht getauft (Jh 4,2)

Was ist an dem nach Ostern übernommenen Brauch der Taufe christlich?


 

"Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, Neues ist geworden" (2Kor 5,17) - Was soll das Taufwasser daran verbessern? Das Taufwasser bewirkt nicht das "von neuem geboren werden", "aus dem Geist geborden werden" (Joh 3,3.8).

Der Geist ist nicht vom Taufwasser abhängig: "Der Geist weht, wo er will..." (Jh 3,8)

Nicht wer getauft ist, sondern wer den Willen Gottes tut, der ist Jesu Bruder, Schwester, Mutter (Mk 3,31-35;  Mt 12,46-50;  Lk 8,19-21).

Die Taufe ist wie die Beschneidung ein entbehrlicher Brauch (W. Marxsen)

U. Luz: Was bedeutet es theologisch, dass der Taufbefehl Mt 28,19b nicht auf Jesus zurückgeht und überhaupt die Einsetzung der Taufe als Sakrament (Joh 4,1) nicht auf Jesus zurückgeführt werden kann? Kann man die Taufe noch 'biblizistisch' mit dem Vorliegen eines formellen biblischen Einsetzungsbefehls, wenn nicht Jesu, dann doch wenigstens des Auferstandenen, legitimieren? Oder beruft man sich besser darauf, dass die Taufe wahrscheinlich von Anfang an in der Kirche ausgeübt worden ist (und in V 19b durch den Auferstandenen sekundär legitimiert wird)? Dann beruft man sich aber auf die Kirche und auf die Tradition (453f, Das Ev nach Mt 2002).

M. Labahn: Zwischen der Gerichtsankündigung Johannes des Täufers und dem Wirken Jesu besteht eine inhaltliche Differenz, die dazu führte, dass Jesus eigenständig und parallel zum Täufer lehrte und an Kranken und Besessenen wirkte, nicht aber eine Taufe vollzog. Die Pointe der Verkündung Jesu liegt in dem sich punktuell und wirkmächtig ereignenden Gottesreichs, zu dem Jesus vorbehaltslos und unmittelbar in direkter Anrede einlädt (346).

In der Jesusverkündung findet angesichts des direkten Kommunikationsgeschehens der Heilsansage und Heilszusage die theologische Neukonstruktion der Adressaten direkt und jenseits einer ritualisierten Initiation statt (346).

Die Jesuserinnerung der Synoptiker läßt keinen Raum, die Taufpraxis aus dem Taufhandeln Jesu abzuleiten. Das Schweigen über solch ein Wirken Jesu wiegt schwer und das schlüssige Porträt der Jesusverkündung weist solche Differenzen zum Täufer auf, die eine jesuanische Tauftätigkeit unwahrscheinlich machen (347).

Alle Varianten der Aussendungsrede (Q 10,2-16; Mk 3,14f; 6,7-13; Mt 9,37f; 10,5-16; Lk 9,1-6; 10,1-12) erzählen die Aussendung der Jünger durch Jesus z.Zt. seines irdischen Wirkens. Ihr Handeln besteht nach der Version Q 10,5ff in der Darbietung des Friedens, der Heilung der Kranken unter Verkündigung der Nähe des Gottesreichs ohne Hinweis auf ein Taufhandeln. Wenn wir das Schema der Aussendungsreden der Urgemeinde zuschreiben müssen, so unterstreicht dies die Erinnerung daran, dass während des irdischen Wirkens Jesu keine Taufpraxis geübt wurde (362).

Die fehlende Erinnerung frühchristlicher Tauftexte an eine Einsetzung der Taufe durch den irdischen Jesus und das Konzept der Einsetzung der Taufe als Akt des Auferstandenen beinhaltet ein deutliches Signal der Erinnerung an die Taufpraxis als nachösterliche Bildung (366f).

 

1. Die Übernahme der Johannestaufe durch die Christen

H. Thyen: Die Johannestaufe ist ein eschatologisch-messianisches Bußsakrament „zur Vergebung der Sünden“, das die mit ihr Versiegelten im kommenden Feuergericht bewahrt. Dieses vom Täufer ausgebildete Instrument haben die Christen sehr bald nach Ostern ohne einen Taufbefehl ihres Herrn und auch nicht legitimiert durch die Fortsetzung einer vom irdischen Jesus geübten Praxis übernommen und in der Auseinandersetzung mit der Täufersekte in Anknüpfung und Widerspruch neu interpretiert (146).

Die Gründe zur Übernahme der Taufe mögen mit darin liegen, dass zahlreiche Christen – ehemalige Johannestäuflinge – aus der Täufersekte zur christlichen Gemeinde fanden. Ein stärkeres Motiv zur christlichen Aufnahme der Johannestaufe war wahrscheinlich die durch die Osterereignisse ausgelöste, der täuferischen Enderwartung fast analoge, apokalyptische Bewegung, die nach der neuen Institution des Taufbrauches rief. Die Jünger haben die Ostererscheinungen ihres auferstandenen Herrn als den Anbruch der apokalyptischen Endereignisse verstanden. Jetzt, da man den Richter unmittelbar vor der Tür wusste, galt allen die Forderung: „Kehrt um und lasse sich ein jeder taufen auf den Namen des Herrn Jesus Christus zur Vergebung der Sünden“ (Apg 2,38) (146f).

Um die Taufe der Christen von der Johannestaufe klar zu unterscheiden, wurde von Anfang an der Name Jesus über dem Täufling genannt (148).

War die christliche Taufe durch das Namensmotiv deutlich von der Praxis der Täuferanhänger geschieden, so hat sich mit ihr offenbar schon unter dem Eindruck der ersten österlichen Erfahrungen alsbald der Gedanke der Geistverleihung verbunden. Es ist Gottes endzeitlicher Geist, der die Reinigung von den Sünden bewirkt, was die bloße Wassertaufe des Johannes nicht zu leisten vermag.Die Geistbegabung wird zum Schibbolet in der Auseinandersetzung mit der Täufersekte. Mit alledem ist aber die christliche Taufe zunächst geblieben, was die Johannestaufe von Anfang an war, nämlich eschatologisches Bußsakrament zur Sündenvergebung (149).

 

G. Lohfink: Obwohl Lukas am Institut der Taufe aufs stärkste interessiert ist, hat er keinen Taufbefehl. In Lk 24,47 sagt der Auferstandene, in seinem Namen solle man allen Völkern Umkehr zur Vergebung der Sünden predigen. Diesen Text hat Lukas im Rückgriff auf Mk 1,4 selbst formuliert. In dem breiten Spektrum der urchristlichen Überlieferung fand Lukas keinen Taufbefehl Jesu vor, auf den er hätte zurückgreifen können. Lukas gibt nicht zu erkennen, dass die Wassertaufe dem Willen des auferstandenen und erhöhten Herrn entsprach. Die Tatsache, dass es Lukas nicht gelingt, die urchristliche Taufe auf einen Taufbefehl des Auferstandenen zurückzuführen, ist äußerst bemerkenswert (38f).

Der Täufer hat sich nicht als Vorläufer eines kommenden Messias oder sonst einer eschatologischen Gestalt, die mit heiligem Geist taufen würde, verstanden. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kommende, von dem er spricht, eine Figur im eschatologischen Drama ist, die sich von Gott selbst unterscheidet, wäre es für das Judentum doch völlig singulär, dass eine solche Gestalt den Geist der Endzeit übereignen könnte. Die eschatologische Geistverleihung ist nach jüdischer Auffassung einzig und allein Gottes Sache, niemals die des Menschensohnes. Erst die christliche Gemeinde lässt neben Gott auch Jesus Christus Geistvermittler sein (45).

In der christlichen Tradition lässt sich von Anfang an eine starke Tendenz beobachten, Johannes zum Vorläufer, zum Vorausverkünder, zum Zeugen Jesu zu machen und seine Taufe von der christlichen Taufe abzuheben. In der Antithese: „Ich habe euch mit Wasser getauft, aber nach mir kommt einer, der euch mit heiligem Geist taufen wird“ wird ein christliches Interpretationsschema angelegt (45).

In der frühesten Urgemeinde laufen das Phänomen der Geisterfahrung und die konkrete Taufpraxis zunächst nebeneinander her und werden erst sekundär miteinander verbunden (Apg 2,1-4; 8,14-17; 10,44-48). Johannes hat eine Feuertaufe aber keine Geisttaufe angekündigt (46).

Die 144000 (Offb 7,1-8) stehen für das aus den Juden gesammelte, wahre Israel. Die Restitution des Zwölfstämmevolkes geschieht durch nichts anderes als durch die Versiegelung, d.h. durch die Taufe. Die Taufe rettet vor dem Gericht. Durch das Siegel der Taufe wird das wahre Israel versammelt und auf das nahe Ende zugerüstet (48).

Apg 2,40: „Lasst euch erretten aus diesem tückischen Geschlecht“, d.h.: lasst euch angesichts des nahen Endes durch Umkehr und Taufe vor dem Gericht retten! Nach Apg 2 gibt es keinen Taufunterricht und keine Taufvorbereitung. Sofort am Pfingsttag werden 3000 Menschen getauft (V 41). Die Zeit drängt. Bis zur Wiederkunft des Menschensohnes bleibt wenig Zeit. Das wahre Israel sollte durch das Siegel der Taufe zugerüstet und gesammelt werden (Schnelltaufen: 8,36-38; 10,44-48;16,33) (48).

Jesus konnte die Johannestaufe nicht übernehmen, weil er in seiner Verkündigung andere Akzente setzt: Die Johannestaufe steht im Kontext einer Gerichtspredigt. Sie bedeutet Rettung vor dem drohenden Zorngericht. Für Jesus ist nicht die Ankündigung des Gerichts konstitutiv, sondern die Ankündigung des Heils. Jesus sagt nicht: Kehrt um, damit ihr im Gericht gerettet werdet, sondern er sagt: Das Heil ist da, deshalb kehrt um. Jesus verkündet die befreiende, aufrichtende und Erbarmen schenkende Nähe Gottes. Und zwar so, dass Gott und die Gottesherrschaft in seinem Tun schon verborgen anwesend sind. In seinem Heilsruf, in seinen Heilungen, in seiner Annahme der Sünder vergegenwärtigt Jesus zeichenhaft die Nähe und die Zuwendung Gottes. Das Tun Jesu vergegenwärtigt den verzeihenden und sich erbarmenden Gott. Diese Sinnmitte seiner Predigt hätte Jesus durch die Übernahme der Johannestaufe verdeckt. (An der Unmöglichkeit, dass Jesus während seiner öffentlichen Wirksamkeit getauft hat, scheitert die These, die Jünger Jesu hätten während dieser Zeit weitergetauft. Eine solche Diskrepanz zwischen dem Tun Jesu und dem seiner Jünger ist unannehmbar) (49).

Der konkrete Anstoß zur Aufnahme und Modifikation der Johannestaufe ist nicht mehr rekonstruierbar (52).

 

2. Die Täuferbefragung als Frage nach der Messianität des Täufers (Jh 1,21)

G. Richter: Das Jh-Ev richtet sich an die Christen z.Zt. des vierten Evangelisten, um ihnen zu zeigen, dass Jesus von Nazareth und kein anderer der Messias ist und dass es nur im Glauben an die Messianität und Gottessohnschaft Jesu Heil gibt. Um die Verteidigung der Messianität Jesu geht es dem JohEv auch in den Abschnitten, in denen von Johannes d.T. die Rede ist. Der Evangelist berichtet vom Täufer, weil der Täufer, so wie ihn die mit der christlichen Gemeinde revalisierende  Täufergemeinde versteht und verkündigt, mit zu den Problemen gehört, die den Glauben der christlichen Gemeinde an Jesus als den Messias als alleinigen und einzigen Heilbringer belasten und diesem Glauben widersprechen (12f).

Jes 40,3 („ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste …“) dient zur Bezeichnung der heilsgeschichtlichen Funktion des Täufers. Es geht um die Stellung im Heilsplan Gottes, um die Frage, wer der Messias ist und wer es nicht ist. Nachdem der Täufer zuerst bezeugt hat, dass er nicht der Christus, nicht Elias und nicht der Prophet ist, bekennt er nun, dass er der von Jes geweissagte Wegbereiter ist. Was der Täufer in Jh 1,19ff bezeugt, ist nichts anderes als die in der urchristlichen Verkündigung wiederholt erscheinende Aussage: Ich bin nicht der Messias, nicht der Heilbringer, aber ich verkündige ihn (vgl. Lk, 3,15 ff; Apg 13,25;  19,1ff) (27).

Das vierte Ev will aufzeigen, dass Jesus und nur er allein der Messias, der Heilbringer ist. Weil der Täufer von seinen Jüngern in seiner heilgeschichtlichen Bedeutung überschätzt und als Messias betrachtet und verkündigt worden ist, gilt es zuerst einmal, diesen Anspruch als unberechtigt zurückzuweisen. Das geschieht in 1,19-21 direkt durch den Täufer selber. Johannes d.T. bekennt persönlich, dass er nicht der Messias ist. Auch im vierten Ev (wie in der übrigen christlichen Tradition) ist der Täufer der Wegbereiter des Messias Jesus. Nur im JhEv wird der Täufer als Zeuge für die Messianität Jesu dargestellt. Die Wegbereitung besteht im Zeugnisgeben für Jesus als den Messias (29).

In 1,26 wird die Erwartung einer Taufe durch den Messias nicht bestritten, sondern nur gesagt, dass seine (des Johannes) Taufe nicht die mess. Taufe ist, sondern bloß eine Wassertaufe. Die Bezeichnung 'der Täufer' erscheint im vierten Ev überhaupt nicht. Von der Taufe 'zur Sündenvergebung' (Mk 1,4; Lk 3,3; Mt 3,11) wird nicht gesprochen. Denn für das JhEv ist es nur Jesus, der die Sünden hinwegnimmt (1,29.36 auch diese Aussage im Mund des Täufers). Die Taufe des Johannes hat keinen anderen Zweck, als die Voraussetzung für die Offenbarung der Messianität Jesu zu schaffen (1,31). Und schließlich wird gesagt, dass die Tauftätigkeit auch von Jesus und seinen Jüngern ausgeübt wurde und zwar mit größerem Erfolg als vom Täufer (3,22.26;  4,1f). Johannes selbst sagt, dass es die von Gott bestimmte Ordnung ist (3,27), wenn er vor Jesus zurücktreten muss (3,30). Die Meinung des Volkes, dass er der Christus sei (1,15), widerlegt der Täufer mit dem Hinweis, dass seine Taufe nicht die mess., sondern bloß eine Wassertaufe ist. Die mess. Taufe, die eine Taufe mit heiligem Geist und Wasser sein wird, wird der nach ihm kommende vollziehen (1,16) (30f).

An allen Stellen, an denen das JhEv über den Täufer negative Aussagen macht, geht es (entsprechend dem Zweck des Evs) immer darum, die Messiaswürde Jesus allein zuzusprechen, dem Täufer aber abzusprechen. Umgekehrt haben alle positiven Aussagen über den Täufer den Sinn, seine Aufgabe als Zeuge für Jesus, den Messias oder als Wegbereiter Jesu herauszustellen, wobei die Vorläuferterminologie („vor ihm hergesandt“; „der nach mir (ihm) Kommende“) Verwendung findet (1,6f.15.23.26f). Elias und der Prophet müssen wie der Christus als Messiasgestalten verstanden werden (32).

Bist du der Prophet“ (1,21) ? Im vierten Ev (im Gegensatz zu den Syn) wird Johannes d.T. nie 'Prophet' genannt, nicht vom Volk, nicht von Jesus, nicht vom Evangelisten. Wohl aber wird Jesus 'Prophet' genannt. Im Einklang mit dem Zweck des Evs wird gegen die Vorstellung, Johannes d.T. sei der Heilbringer polemisiert, ganz gleich unter welchem Namen diese Stellung für den Täufer beansprucht wurde. Weil der 'Prophet' für die Täuferanhänger soviel heißt wie eschatologischer Heilbringer, kann der Täufer im vierten Ev nicht 'Prophet' genannt werden. Als eschatologischer Prophet wird Jesus erwiesen, „über den geschrieben hat Moses im Gesetz und die Propheten“ (1,45), von dem auch das Volk sagt: „Dieser ist wahrhaftig der Prophet“ (6,14;  7,40). Für das vierte Ev ist Jesus die Überbietung aller Heilserwartungen. Denn er ist der „Sohn Gottes“ (1,34-49;  3,18;  5,25;  10,36;  11,4.27;  20,31), „der einziggeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist“ (1,18). Deshalb können ihm mit Recht alle Titel beigelegt werden (40f).


 

3. Eine neutestamentliche Begründung der Taufe gibt es nicht

 W. Marxsen (1968): Es geht um die Begründung des heute in der Kirche geübten Brauchs der Taufe mit Hilfe des NTs. Ist das möglich (226)?

Wenn dies möglich ist, müsste es immer möglich sein. Jak 5,14 steht: “Ist jemand unter euch krank, der rufe die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn“. Gebet und Ölung werden dann den Kranken gesund machen. Die Krankenölung hat eine ntl Begründung. Wenn man die Krankenölung nicht einführen will, müsste man folgende Konsequenz ziehen: Ein in der Urchristenheit geübter und im NT bezeugter Brauch ist keine ausreichende Begründung dafür, dass wir heute den Brauch übernehmen müssen. D.h. dass man in der Urchristenheit getauft hat und dass diese Taufe im NT bezeugt wird, ist noch kein hinreichender Grund dafür, dass wir heute die Taufe üben (227f).

Ein Einwand gegen die Krankenölung lautet: Das steht nur im Jakobusbrief, das ist nur einmal bezeugt. Kann hier die Zahl entscheiden? Ein anderer Einwand lautet: Die Krankenölung ist kein Sakrament. Ein Sakrament kann nur eine von Jesus eingesetzte Handlung sein. Da wäre auf Joh 13,14 hinzuweisen. Nach der Fußwaschung sagt Jesus: “Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr euch auch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe“. Hier haben wir nach dem Wortlaut des Textes nicht nur einen von Jesus selbst eingesetzten Brauch, sondern darüber hinaus einen Wiederholungsbefehl. Sollte man nicht den Brauch der Fußwaschung bei uns einführen? Ist in diesem Fall die Mitteilung der Liebe Jesu nicht die Gabe? Wer bestimmt, was ein Sakrament ist? Im NT kommt der Begriff nicht vor, jedenfalls nicht in dem von uns gemeinten Sinne. D.h. es findet keine Prüfung, keine Orientierung am NT statt, sondern hier schiebt sich eine dogmatische Auffassung in die Prüfung hinein. Das NT ist nur dann und nur soweit Norm für einen solchen Brauch, wie die dogmatischen Voraussetzungen über das Sakrament erfüllt sind. Nicht das NT wird gefragt, sondern zuerst legt man den Begriff des Sakramentes fest. Wenn man den Begriff definiert hat, dann benutzt man diesen Begriff gleichsam als Sieb. Nur das aus dem NT, was durch dieses Sieb hindurchgeht, soll verbindlich sein. Das ist keine ntl Begründung. Diese Verlegenheit ist uns wegen der Einseitigkeit unserer Blickrichtung nicht bewusst geworden. Wir sind nicht vom NT ausgegangen, sondern wir haben gezielt nach rückwärts ins NT hinein gefragt (228f).

Im Zusammenhang mit Taufaussagen begegnen eine Fülle von Motiven: Reinigung von Sünden, Versiegelung auf den Namen Jesu Christi, Geistverleihung, Anteilgabe an Tod und Auferstehung Jesu, Eingliederung in den Leib Christi als Initiationsritus; daneben aber auch die Trennung der Geistverleihung von der Taufe (die dann nur Sündenvergebung gewährt), während der Geist anschließend durch Handauflegung vermittelt wird; vor allem ist das Verhältnis von Taufe und Glaube unausgeglichen (230).

Wenn an einer Stelle der Glaube Voraussetzung für die Taufe ist, dann bleibt die Frage, ob das für uns heute begründend ist. Denn es gibt andere Stellen, die davon nichts sagen. Wenn die Taufe Glauben voraussetzt, wird man kleine Kinder wohl kaum taufen dürfen. Wenn Taufe aber Eingliederung in den Leib Christi ist, dann ist nicht einzusehen, warum man kleine Kinder nicht taufen soll (230).

Eine ntl Tauflehre gibt es nicht, (1) weil die Aussagen über die Taufe sich nicht harmonisieren lassen und (2) weil nicht alle Schriften von der Taufe reden. Man kann nicht unterstellen, dass die Schriften, die von der Taufe schweigen, dieselbe Taufauffassung anerkennen, die man anderswo findet. D.h. man müsste annehmen, dass Paulus über die Krankenölung immer und an allen Stellen genauso gedacht hat wie Jakobus (230).

Die beiden Richtungen (Frage zurück und die begründende Richtung von früher auf uns her) gibt es auch schon im NT. Schon damals gab es eine Frage nach der Taufe, denn Fragen setzen voraus, dass es Unklarheiten gab. Wenn es die beiden Richtungen schon im NT gab, dann gleicht die inner-ntl Situation in gewisser Weise unserer Situation. Dann gab es einen Brauch, der geübt wurde, nach dessen Begründung man noch immer fragte (230f).

In Röm 6,3f wird gesagt, dass die Christen mit Christus in der Taufe gestorben sind – freilich nicht, dass sie auferstanden sind (die Auferstehung bleibt hier futurisch), aber dass sie, gleich wie Christus auferstanden ist, in einem neuen Leben wandeln sollen. Dieses Motiv kehrt Kol 2,12 verändert wieder: “Mit ihm wurdet ihr begraben durch die Taufe und mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben...“ (232).

1Ptr 3,21: “Was jenen widerfahren ist, die z.Zt. des Noah lebten, das geschieht nun in der Taufe zu eurer Rettung. Denn in der Taufe wird nicht die Unreinigkeit am Fleisch abgetan, sondern wir bitten Gott, dass er uns ein gutes Gewissen schenke, durch die Auferstehung Jesu Christi“. Hier wird die Taufe ausgelegt mit Hilfe einer Vorstellung, die ursprünglich mit der geistlichen Beschneidung zusammenhing, wobei gerade der Gegensatz leibliche Beschneidung/geistliche Beschneidung insofern durchgehalten ist, als die Taufe nicht die Unreinigkeit des Fleisches abtut, sondern Bitte um ein reines Gewissen ist. Motive, die zunächst noch gar nicht mit der Taufe zusammenhängen, werden mit der Zeit auf die Taufe bezogen und dienen dazu, zu sagen, was die Taufe bedeutet. Bezeichnend ist, dass im Laufe der Geschichte der Taufe innerhalb des NT ein Ausbau der mit der Taufe verbundenen Motive erfolgte, eine Entwicklung der Taufvorstellungen. Was nicht zu vereinbaren ist (z.B. die Taufe gleicht der Auferstehung und die Taufe ist die Auferstehung), das stammt aus einer geschichtlichen Entwicklung (232f).

Paulus sagt den Gemeinden nicht: Wenn ihr tauft, dann geschieht das und das; oder: euer Taufen sollt ihr so und so regeln. Wenn Paulus von der Taufe redet, dann spricht er die Christen auf ihr Getauftsein hin an. Die geschehene Taufe, die in der Vergangenheit liegt, ist der Anknüpfungspunkt für die Taufaussage des Paulus. Die Taufe ist (im Unterschied zum Abendmahl) einmalig. Der Brauch war z.Zt. des Paulus unumstritten. Paulus hatte nicht die Absicht, den Gemeinden Anweisungen für ihr Taufen zu geben. Es kommt ihm vielmehr darauf an, den Gemeinden (den getauften Christen) zu sagen, wie sie ihre eigene, geschehene Taufe zu verstehen haben. Die Taufe wird bei Paulus nie zum eigentlichen Thema. Wenn wir fragen, wie sollen wir das Taufen ordnen, können wir aus den Briefen des Paulus keine Tauflehre erheben (233f).

In Röm 6,1ff ist nicht die Taufe das Thema sondern die Ethik. Paulus will den Römern zeigen, dass es trotz der geschenkten Gnade auf das neue Leben ankommt. Um das zu zeigen, benutzt er die an den Römern vollzogene Taufe. Er will sie zu einem besseren Verständnis ihrer geschehenen Taufe anleiten, indem er den Taufvorgang (Eintauchen und Herauskommen aus dem Wasser) benutzt, um die Notwendigkeit des neuen Wandels zu begründen (234).

In 1Kor 10,1ff bringt Paulus den Vergleich mit Israel. Die Väter waren unter der Wolke; sie sind alle durch das Meer gegangen, sie sind alle auf Mose getauft mit der Wolke und mit dem Meer; sie haben alle den gleichen geistlichen Trank getrunken. Es geht hier um Ethik! Die Isrealiten hatten so etwas wie Sakramente, sie verließen sich darauf, sie handelten aber nicht nach Gottes Willen, darum strafte Gott sie. In Korinth gibt es Leute, die sich auf die Taufe (und Abendmahl) verlassen und dabei dem Libertinismus verfallen. Paulus sagt ihnen: Wenn ihr eure geschehene Taufe so versteht, dass ihr eine Sicherheit habt, dann täuscht ihr euch ebenso, wie sich die Väter getäuscht haben. Es geht darum, einem Missverständnis zu begegnen, zu dem die geschehene Taufe geführt hatte: Man hatte Sicherheit und war nun dem christlichen Leben gegenüber gleichgültig. Weil die Korinther das mit der Taufe begründeten, bringt Paulus in einem Beispiel die Geschichte mit den Vätern (235).

In Korinth gab es Spaltungen in der Gemeinde (1Kor 12,12f): “Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Unfreie oder Freie...“. Das Thema ist hier nicht die Taufe, sondern die Einheit der Kirche, die in Korinth in Gefahr ist durch die Spaltung. Um diese Einheit zu begründen, bediente sich Paulus unter anderem der geschehenen einen Taufe. Auch in 1Kor 1,11f weist Paulus angesichts der Spaltung auf die Taufe hin und führt von dort aus die Spaltungen ad absurdum. Die Taufe kann in vielerlei Richtung benutzt werden. Die Leser erhalten keinen Taufunterricht auf die Taufe hin, sondern die Taufe wird benutzt, um mit ihrer Hilfe christliche Existenz auszulegen (235f).

Keine Stelle eines Paulusbriefes begründet, was man heute über die Taufe sagen kann. Gal 3,26: “Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben (ihr seid es) in Christus Jesus“. Der Glaube (nicht die Beschneidung) hat euch zu Gottes Kindern gemacht. Der Glaube hat etwas bewirkt. “Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen“ (Gal 3,27). Der Glaube kommt nach Paulus aus der Verkündigung (Röm 10,17). Paulus spricht zu Menschen (hier den Galatern), die Christen geworden sind, die nun als Christen leben sollen. Nichts gibt das Recht zu der Behauptung, dass Paulus die Taufe als d e n entscheidenden Ort oder als d e n entscheidenden Zeitpunkt des Christ-Werdens verstanden hat. Von einer Heilsnotwendigkeit der Taufe kann bei Paulus nicht gesprochen werden. Paulus hat die Spannung von Wort und Sakrament nicht empfunden und deshalb auch nicht das Problem angefasst (237f).

Die Versuche, von späteren Texten aus an den Ursprung der Taufe heranzukommen, zeigen, dass man sich auf sehr unsichere Hypothesen einlassen muss. Das meiste bleibt dunkel. Sicher kann man nur sagen, dass Jesus nicht getauft hat (trotz Joh 3,22.26; 4.1, denn die Angabe wird Joh 4,2 ausdrücklich zurückgenommen). In Mt 28,19 wird nur der Brauch des Taufens befohlen, aber über den Inhalt dieses Brauches wird nichts gesagt (238).

Mit der Taufe ist ein Brauch 'zwischeneingekommen', der in der Umwelt bekannt war. Mit diesem Brauch verbanden sich in den unterschiedlichen Bereichen, wo man ihn in der Umwelt des Urchristentums übte, verschiedenartige Vorstellungen. Der Brauch als solcher war keineswegs eindeutig. Man übernahm einen Brauch, der als Brauch schon lange bekannt war, der für verschiedene Verständnisse offen ist. Diese Verständnisse übertrug man auf die christliche Taufe – sofern sie sich vom christlichen Kerygma her füllen ließen: Man taufte “auf den Namen Jesus“ (239).

Weil es Jesus war, der die Erlösung, die Neuschöpfung gebracht hatte, konnte die christliche Taufe auf den Namen Jesus auch diese Wirkungen an sich ziehen. Da die Taufe (in den Mysterienreligionen) den Mysten mit dem Schicksal der Gottheit zusammenband, konnte von der christlichen Taufe nun gesagt werden, sie stelle in den “Leib Christi“ hinein, der Täufling gehe durch Tod und Auferstehung Jesu hindurch. Die Taufe verlieh die Wirkungen Jesu. Sofern diese Wirkungen als Geistbegabung zusammengefasst werden konnten, konnte auch die Geistbegabung mit der Taufe verbunden werden. Teile der Urgemeinde verstanden ihr Christ-Sein als Begabung mit dem Geist (239).

Die Heilsnotwendigkeit der Taufe ist nicht zu begründen.Wir haben es mit einem selbstverständlich geübten Brauch zu tun, der sich vom Kerygma her füllen lässt. Der Kirche würde nichts fehlen, wenn sie die Taufe nicht hätte und sie auch nicht mehr üben würde. Die 'Zwölf' sind sehr wahrscheinlich nicht getauft worden. Was heißt es, wenn alle Kirchen den gemeinsamen Brauch haben, es aber weder eine gemeinsame Tauflehre noch eine gemeinsame Taufordnung gibt (241f)?

Können wir diesen Brauch füllen? Der Erwachsene, der durch die Predigt zum Glauben gekommen ist, der durch die Predigt eine neue Kreatur geworden ist, der nun 'in Christus' ist, der gerechtfertigt ist usw., der bedarf der Taufe nicht, um zu werden, was er schon ist. Für uns ist das Nebeneinander von Wort und Sakrament nicht mehr problemlos. Das problemlose Nebeneinander am Anfang (im NT) darf man heute nicht zu einem grundsätzlich nötigen Nebeneinander machen (242f).

Die Erwachsenen-Taufe kam als Brauch ins Urchristentum. Man füllte sie vom Kerygma her. Taufe – das war Erwachsenen-Taufe. Alle Versuche, die Säuglingstaufe im NT nachzuweisen, sind gescheitert. Heute haben wir in der christlichen Kirche den Brauch der Erwachsenen-Taufe und den Brauch der Säuglingstaufe. Wir müssen fragen, ob man die Kindertaufe vom Kerygma her füllen kann. Jetzt ist die jeweilige Beziehung von Wort und Sakrament mitzubedenken (244).

Wenn zum Wort das Sakrament tritt (Erwachsenen-Taufe), dann hat die Taufe eine andere Funktion, auch einen anderen Inhalt, als wenn zum Sakrament das Wort tritt (Kinder-Taufe). Im NT wird durchweg Getauften nachträglich gesagt, wie sie ihre Taufe zu verstehen haben (245).

 

4. Die Ungeschichtlichkeit der Taufe Jesu

 

E. Haenchen: Man kann die Taufe Jesu nicht für ein historisches Faktum halten, ohne gleichzeitig eine tiefgreifende Wandlung im Gottesglauben Jesu vorauszusetzen.

Johannes der Täufer hat in seiner Predigt mit großem Nachdruck auf den ‘Kommenden’ hingewiesen, der Gottes Gericht vollziehen wird. Rettung aus dem Gericht war nur durch Buße und Taufe möglich. Johannes selbst hatte mit dem Heil nur insofern zu tun, als er mit der Verkündigung dieses rettenden Bußsakraments von Gott beauftragt war. Gottes Gericht war für den Täufer unheimlich nahegerückt. Johannes war ein Asket. ‘Er aß nicht und trank nicht’ (Mt 11,18), d.h. er fastete. Auch von seinen Schülern verlangte er, dass sie fasteten (Mk 2,18). Das Taufen des Johannes und sein Fasten haben dieselbe Wurzel: ein Leben der Buße zu führen. Nur wer so lebt, kann getrost dem großem Tag Gottes entgegenblicken (57f).

Jesus hat Gottes Forderungen, wie sie das Judentum verstand, radikal verschärft (Mt 5,21f.27f.33f.38ff.43f). Jesu Gott fordert mit einer Härte, der kein menschlicher guter Wille gewachsen ist. Nur wenn man das bedenkt, hört man Jesu Gnadenpredigt richtig: Gott ist dem Menschen, der keine Leistung mehr für sich geltend machen kann, unbegreiflich gnädig. Weil sich der Zöllner im Gleichnis (Lk 18,10ff) als Sünder bekennt und um Gnade bittet, sind er und der ‘verlorene Sohn’ (Lk15,1ff) Vorbild für das Verhalten des Menschen zu Gott - nicht weil sie gesühnt haben, sondern weil sie nicht mehr in dem Wahn befangen sind, ein Verdienst in die Waagschale legen zu können. Jesus nahm sich der Zöllner, Sünder und der Dirnen an (Mt 21,31f), denn diese Menschen wussten um ihre Nichtigkeit, wussten, dass sie sich auf nichts berufen konnten als auf das Erbarmen Gottes. Gottes Liebe ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Erbarmen, das alles Denken übersteigt (59).

Bei Jesus fehlen die apokalyptischen Bilder des Täufers und der Ton der Angst vor dem Kommen Gottes. Der Begriff der ‘frohen Botschaft’ hat sich an die Predigt Jesu geknüpft, nicht an die des Johannes. Wenn die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer historisch wäre, dann würde zwischen dem Gottesbild Jesu, das ihn zum Täufer gehen ließ, und dem, das seinem eigenen Wirken zugrundelag, ein Wandel von außerordentlicher Tiefe liegen. Jesus müßte unmittelbar bei oder nach der Taufe einen inneren Umbruch erlebt haben, der bis ins Innerste ging und ihn überhaupt erst zu dem werden ließ, als den ihn dann die Evangelien auf ihre Weise geschildert haben (60).

Um diesen gravierenden Wandel zu erklären, hat man die These aufgestellt, dass im Leben Jesu eine Berufungsvision stattgefunden haben muß. Die Evangelien vermitteln nicht den Eindruck, dass Jesus seinen Jüngern von dieser Schicksalsstunde, an die sich die große Wende seines Lebens knüpft, erzählt habe: “und als ich aus dem Wasser stieg, da...”. Dann aber rückt die Taufgeschichte mit ihren Einzelheiten zu andern synoptischen Erzählungen, die auch nicht auf einen menschlichen Zeugen zurückgehen können, wie die Versuchungsgeschichte und die Geschichte von Jesu Gebet in Gethsemane, das auch nicht Jesus selbst seinen Jüngern erzählt haben kann, weil er unmittelbar danach gefangengenommen wurde. Diese Geschichten sind vielmehr Versuche der Gemeinde, ihren Eindruck vom Verhalten Jesu anschaulich wiederzugeben. Die Taufgeschichte will nicht eine innere Erfahrung Jesu beschreiben, sondern dem Leser sagen, wer dieser Jesus eigentlich ist, von dem nun die ganze Schrift des Markus handeln wird. Wer die Taufe Jesu als historische Gegebenheit annimmt, der muß mit jenem inneren Umbruch bei Jesus rechnen, den seine Lehre in Wort und Tat nicht verrät. Jesus macht überall, wo er von Gottes Erbarmen spricht, nicht den Eindruck, dass er selbst als ein ‘verlorener Sohn’ zu dieser Gewissheit um Gott gekommen sei (61).

Man hat andere Auswege aus diesem Dilemma gesucht, z.B. Jesus sei aus tiefer Demut zum Täufer gegangen, weil er nicht den Schein erwecken wollte, er sei besser als die anderen. Hier würde alle Demut nichts daran ändern, dass Jesus sich zu einem falschen Gottesbild bekannt hätte. Dasselbe gilt von dem Hilfsgedanken: Jesus habe mit dem Gang zum Täufer seine Solidarität mit den anderen Menschen bekunden wollen. Beide Versuche sind unternommen worden, als man sich von dem Inhalt und den inneren Voraussetzungen der Täuferpredigt noch nicht hinreichend Rechenschaft gegeben hatte.

 

Die Urgemeinde hat, dem Handeln Jesu zuwider, die Taufe zur Bedingung für den Eintritt in die christliche Gemeinde gemacht. 

K. Berger: Jesus wird von Johannes nicht getauft. Könntes es nicht in der Absicht der Synoptiker liegen, durch die Verknüpfung von Wassertaufe und Geistmitteilung im Falle Jesu ihre eigene Taufpraxis ätiologisch zu legitimieren (148)?

Im JohEv gibt es keine Taufe Jesu am Anfang und Auferstehung nur als Teil im Geschehen der Rückkehr zum Vater. Das JohEv folgt dem Schema von Hinabsteigen und Heraufsteigen (Be 257).

W. Bauer: Die Christenheit hat sich mit allerlei nachträglich abfinden müssen, auf das sie sich zunächst unbedenklich eingelassen hatte und von dem es unter veränderten Verhältnissen keinen einfachen Rücktritt mehr gab. Da hatte man anfänglich erzählt, dass auch Jesus getauft worden war, froh, auf diesem Wege den christlichen Brauch im Leben Jesu verankern zu können. Dann hatte man mit Andersgesinnten schwere Mühe, die Überlegenheit Jesu über Johannes glaubhaft zu machen oder darzutun, was Jesus sich von der Taufe der Sündenvergebung hätte versprechen können (B. 228).

R. Bultmann: Die älteste Auffassung vom Leben Jesu ist die unmessianische. An Stellen wie Apg 2,36f und in der Röm 1,3f zugrunde liegenden Gemeindetradition kommt die ältere Auffassung, dass Jesus nach Tod und Auferstehung zum Messias erhöht wurde, noch zum Vorschein. Die Gemeinde hat Jesu Messianität in sein Leben zurückdatiert in der Überzeugung, dass die Taufe den Geist verleiht. Da diese Überzeugung sich nicht auf die Johannestaufe beziehen konnte, auf die christliche aber erst auf hellenistischem Boden, so kann die Tauflegende erst hellenistischen Ursprungs sein (267).

Für die Tatsache, dass die Tauflegende aus der hellenistischen Gemeinde stammt, spricht auch, dass Q die Taufe Jesu offenbar nicht erzählt hat, obwohl Q einen Abschnitt über den Täufer, seine Bußpredigt und seine messianische Verkündigung enthielt (268).

Wenn die Tauflegende unter dem Einfluss des christlichen Kults gestaltet wurde, so kann es nicht wundern, dass sie bald unter diesem Einfluss noch weiter ausgestaltet wurde, nämlich in dem Sinne, dass sie nun zur Begründung des christlichen Taufkultes dient und so zur Kultuslegende im eigentlichen Sinne wird. Wie sonst in der Religionsgeschichte das kultische Mysterium auf ein erstes Erleben der Kultgottheit zurückgeführt, in seiner Geschichte begründet wird, so ist in der alten Kirche die Geschichte von der Taufe Jesu bald als Kultuslegende in diesem Sinne aufgefasst worden. Jesus ist der Erste, der die Taufe mit Wasser und Geist empfangen und damit wirkungskräftig für die Gläubigen inauguriert hat (269).


 

Bei Johannes spielen die Heilstatsachen im traditionellen Sinn keine Rolle. Das ganze Heilsgeschehen: Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu, Pfingsten und die Parusie ist in das eine Geschehen verlegt: die Offenbarung der Wahrheit Gottes im irdischen Wirken des Menschen Jesus. Dieser Tatsache entspricht es, dass auch die Sakramente keine Rolle spielen. Zwar setzt Johannes die Taufe als kirchlichen Brauch voraus, wenn er 3,22 berichtet, dass Jesus Jünger wirbt und tauft. Korrigierend wird 4,2 versichert, dass nicht er selbst getauft habe, sondern seine Jünger. In dem überlieferten Text von 3,5: “Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ ist 'das Wasser' eine Einfügung der kirchlichen Redaktion, denn im Folgenden ist nur noch von der Wiedergeburt aus dem Geist und nicht mehr von der Taufe die Rede. Dem Wort vom freien Wehen des Geistes (Joh 3,8) widerspricht es, dass der Geist an das Taufwasser gebunden sein soll. In der Fußwaschung findet man vielfach die Taufe dargestellt – zu Unrecht. Sie bildet vielmehr den Dienst Jesu überhaupt ab, der die Jünger rein macht. Sie sind nach 15,3 rein durch das Wort, das Jesus zu ihnen gesprochen hat. Die kirchliche Redaktion hat den Bericht vom Lanzenstich (19,34a) glossiert (19,34b.35) und in dem der Wunde entströmenden Blut und Wasser die Sakramente des Herrrenmahls und der Taufe abgebildet gesehen. Die Salbung, die die Gemeinde empfangen hat und die ihr Erkenntnis verleiht (“bleibt in euch und... belehrt euch über alles“ 1Joh 2,27), ist der Geist der Wahrheit, von dem das Gleiche gilt (14,17: “weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ und 14,26: “der wird euch alles lehren“, vgl. 16,13). Wie der Geist der Wahrheit (14,17.26; 16,13) die Kraft des in der Gemeinde wirkenden Wortes ist, so wird auch die Salbung (1Joh 2,27) das machterfüllte Wort sein (411f).

 

L.M.: Das Argument: Jesu Taufe durch den Täufer hat der urchristlichen Gemeinde schwer zu schaffen gemacht, deshalb - so der Rückschluss - muss sie historisch sein. Bei diesem Rückschluss geht man davon aus, dass die Konsequenzen, die sich durch einen Taufempfang Jesu durch Johannes ergaben, im voraus erkannt worden wären.

Die Taufperikope lässt weder den Täufer zum Jünger Jesu werden noch kennt sie eine Reflexion oder Reaktion Jesu.

Ich stelle mir die Entwicklung so vor:

- Das 1. Problem: Nach Pfingsten brauchte die plötzlich entstandene Gemeinde einen Aufnahmeritus.

Die Lösung: Man übernahm die Taufe des Johannes und taufte auf den Namen Jesus. (2Kor 5,17): Der Erwachsene, der eine neue Kreatur geworden ist, der nun "in Christus" ist, der gerechtfertigt ist, bedarf der Taufe nicht, um zu werden, was er schon ist. Die Taufe schenkt nicht das, was schon vorhanden ist, noch einmal.

- das 2. Problem: Warum taufen wir? Man brauchte eine Begründung der Taufpraxis.

Die Lösung: Man nahm einen Taufempfang Jesu durch den Täufer an. Daraus entstand

- das 3. Problem: Jesus unter dem Täufer.

Die Lösung: Die Taufperikope Mk 1,9-11, eine christliche Fundamentalgeschichte.

Eine Begründung der Taufpraxis erfolgte erst, nachdem die Wassertaufe christliche Praxis geworden war.

Die Gemeinde erfand die Erzählung von der Taufe Jesu durch Johannes, nicht ahnend welche Schwierigkeiten sie sich damit bereitet hatte. Lässt sich doch hier der Größere von dem Geringeren taufen und ordnet sich ihm unter (Mt 3,14) bzw. unterzieht sich der Sündlose einer Bußtaufe. Von diesem Problem weiß das Mk-Ev (70 n. Chr.) noch nichts.

Das Mt-Ev versucht eine Lösung für dieses Problem zu geben: Als Jesus sich taufen lassen wollte, suchte Johannes ihn zu hindern, indem er sagte: “Ich hätte es nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir”? Jesu Antwort (Mt 3,15): “Laß jetzt; denn so ziemt es sich für uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen”.

Lukas reduziert das Problem, indem der Täufer während Jesu Taufe nicht ‘anwesend’ ist (er war zuvor gefangengesetzt). Jesu Taufe wird nur noch neben der Taufe des ganzen Volkes erwähnt: “Als alles Volk sich taufen ließ und auch Jesus getauft wurde und betete...” (Lk 3,21f).

Das JohEv erwähnt überhaupt nicht mehr, dass Jesus getauft wurde: “Am folgenden Tage sieht er (der Täufer) Jesus auf sich zukommen” (Joh 1,29). Es sieht so aus, als käme Jesus nur zum Jordan, damit Johannes am Herabfahren des Geistes erkennt, dass Jesus der ihm verheißene Geisttäufer ist.  

Jesus hat Menschen in seine Nachfolge gerufen. Er hat nicht gefordert, dass sie getauft werden müssen, um ihm nachzufolgen. Jesus hat den Eingang in das Reich Gottes nicht von einer Taufe abhängig gemacht.

Nach dem JohEv hat jeder, der glaubt bereits jetzt ewiges Leben, ist aus dem Tod in das Leben hinübergeschritten. Was soll eine Wassertaufe daran verbessern?

Meine Beschäftigung mit dem Thema 'Taufe' wurde veranlasst durch meine Ganztaufe in einer baptistischen Gemeinde vier Monate nach meiner Bekehrung. Ich hatte mich taufen lassen, weil ich dazugehören wollte. Meine Bekehrung war das entscheidende Ereignis meines Lebens. Meine Taufe war völlig überflüssig, sie war 'viel Lärm um nichts'. Das problemlose Nebeneinander von Wort und Sakrament am Anfang (im NT) darf man heute nicht zu einem grundsätzlich nötigen Nebeneinander machen.


 


 

C. Zum Abendmahl

Das Abendmahl - ein Werk der frühen kirchlichen Tradition

 

1. Ursprung und Gestalten der frühen Mahlfeier
 2. Gemeinsame Mahlzeiten
 3. Die Mahle Jesu und das Abendmahl der Kirche
 4. Keine Eucharistiefeier in der Hebräergemeinde

 

Jesus war kein Kultstifter - er wollte keine neue Tradition gründen. Er erwartete die nahe Verwandlung der Welt und das Ende aller Traditionen. Das Problem einer zukünftigen Kirche lag jenseits der Erwägungen Jesu.

W.Marxsen (1960): Weil die entscheidenden Interpretamente den Tod Jesu als Heilstod voraussetzen, kann von einer kultisch zu wiederholenden Handlung am Abend des Verrats nicht die Rede sein. Den Abendmahlsbericht muss man als eine ätiologische Kultlegende bezeichnen. Man nimmt an, dass die Abendmahlsfeier irgendwo (in der hellenistischen Gemeinde) entstanden ist und dann ihr Ursprung auf Jesus zurückgeführt wurde (45f).

Der Wiederholungsbefehl: "Das tut zu meinem Gedächtnis" (1Kor 11,24f; Lk 22,19) stammt nicht von Jesus. Jesus hat in der Naherwartung gelebt: "Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist" (Mk 13,30 parr;  9,1 parr). Jesus erwartete die nahe Verwandlung der Welt und das Ende aller Traditionen. Das Problem einer zukünftigen Kirche lag jenseits der Erwägungen Jesu.

Die Vorstellung einer zweiten Gestalt neben Gott, wie der vorzeitlichen Weisheit oder des endzeitlichen 'Menschensohns' war im Judentum unanstößig, aber ihre kultische Verehrung war im Judentum ausgeschlossen. Jesus war Jude. Sein Ziel war die Verherrlichung Gottes. Der sakramentale Mahltyp ist eine Weiterbildung der ursprünglich nicht-sakramentalen Mahlfeiern.

R. Bultmann: Das Herrenmahl im JohEv ist wie in Jh 19,34b, so in Jh 6,51b-58 durch die kirchliche Redaktion eingebracht worden, denn das “Brot des Lebens“ der vorhergehenden Worte Jesu meint zweifellos nicht das sakramentale Mahl, sondern bezeichnet, wie das Lebenswasser und das Licht Jesus selbst als den, der das Leben bringt, indem er es ist (11,25; 14,6). Auch passt die in 6,51-58 enthaltene Vorstellung von der 'Arznei zur Unsterblichkeit' nicht zur Eschatologie des Johannes. Der Anstoß, den die Juden daran nehmen, dass Jesus sein Fleisch als Speise darbietet, ist ganz anderer Art als die john Skandala, die in dem eigentümlichen Dualismus des Johannes begründet sind, von dem hier nicht die Rede ist. Im Bericht vom letzten Mahl erzählt Johannes nichts von der Einsetzung des Herrenmahls, die er vielmehr durch das Abschiedsgebet Jesu ersetzt hat. Den 'neuen Bund', von dem die traditionellen Abendmahlsworte reden (1Kor 11,25), hat er durch das 'neue Gebot' ersetzt (13,34) (412).


 

Zur 1. Arnoldshainer These: G. Niemeier: Ist das Heilige Abendmahl durch den historischen Jesus selber eingesetzt worden? Geht der sog. Wiederholungsbefehl: ‘Solches tut zu meinem Gedächtnis’ auf Jesus selber zurück?

In den von der Kommission für das Abendmahlsgespräch der EKD 1957 auf Grund zehnjähriger Vorarbeiten gemeinsam formulierten und einmütig angenommenen Sätzen wird gesagt, was Theologen lutherischen, reformierten und unierten Bekenntnisses innerhalb der EKD, bestimmt durch den Ertrag der neueren exegetischen Arbeit am NT, heute auf die Fragen nach Wesen, Gabe und Empfang des Heiligen Abendmahls gemeinsam antworten können (15).

F. Delekat: So wie die Dinge liegen, wird die historisch-kritische Untersuchung der Texte weitergehen müssen. Ich kann die Problematik der historisch-kritischen Exegese nicht einfach außer Acht lassen und in der Lehre vom Heiligen Abendmahl bei unserer konfessionellen Tradition anknüpfen. Unser Verhältnis zur Schrift hat sich geändert. Weder Luther noch Calvin haben an der Historizität der in den Synoptikern berichteten Einsetzung des Heiligen Abendmahls durch Jesus selbst gezweifelt. Die damaligen Meinungsverschiedenheiten entstanden nicht an der Zuverlässigkeit, sondern an der Deutung des Schriftwortes. Das Sinnproblem schwebt in der Luft, solange das Tatsachenproblem nicht gelöst ist (389).

Der Einfluss des historischen Denkens auf unseren heutigen Wirklichkeitsbegriff mach eine Rückkehr zum antiken und mittelalterlichen Symbolrealismus unmöglich. Heute geht es primär um Tatsachenfragen und erst dann um die Sinnfrage. Wer das nicht sieht, redet an der Situation vorbei (394).

A. Peters: Gegenüber der Kontroverse des 16. Jh.s ist ein neues Problem aufgebrochen: die exegetische Unsicherheit im Hinblick auf die Stiftung des Abendmahls durch Jesus. Die naive historische Ansicht, dass unser Herr vor seinem Sterben im letzten Mahle am Gründonnerstagabend das Abendmahl in der Weise, wie wir es feiern, eingesetzt habe, ist vielen Exegeten unter den Händen zerronnen. Die damit unausweichlich gewordene Frage nach dem Verhältnis zwischen einer Einsicht in einen geschichtlichen Tatbestand und einer dogmatischen Aussage wurde zurückgestellt, wollte man das Gespräch nicht zum Scheitern verurteilen. Indem ich in einem Bekenntnis die historische Frage nach der Stiftung des Sakramentes bewusst umgehe, habe ich die Möglichkeit eines derartigen Ausklammerns in das Dogma aufgenommen. Die Arnoldshainer Thesen wagen es nicht, das Abendmahl klar auf eine Stiftung des an das Kreuz gehenden Herrn zu gründen (183f).

In der Formulierung der These 1.1 ist diese Not so verdeckt, dass sie nur ein sehr kritischer Leser enthüllen wird. Dort heißt es: ‘Das Abendmahl, das wir feiern, gründet in der Stiftung und im Befehl Jesu Christi, des für uns in den Tod gegebenen und auferstandenen Herrn’. Wie ist das zu verstehen? Schließt dieser Stiftungsbefehl die verba testamenti ein? Hat Jesus sie nicht gesagt in der Nacht, da er verraten ward? Wann wurden sie zuerst laut? Sprach sie der Auferstandene, oder der Geist durch den Mund eines urchristlichen Propheten? Wie entgehen wir der Gefahr, dass die Urkirche nach ihrer Willkür ein Sakrament schuf (184f)?

Umgehe ich die Frage nach der Faktizität der Stiftung, so rächt sich dies durch eine innere Unsicherheit, wenn ich das Sakrament in seinem Gehalt beschreiben soll. Wie kann ich, ohne die exegetische Position, dass Jesu letztes Mahl in der Nacht des Verrats nicht unser Abendmahl begründet, preiszugeben, eine dogmatische Lehre vom Altarsakrament entfalten (185)?

Eduard Schweizer glaubt, zwei unterschiedliche Traditionsstränge herausheben zu können, den eschatologischen Ausblick und die Einsetzungsberichte. Nach ihm war Jesu letztes Mahl charakterisiert durch dessen symbolhaften Tischdienst und das Verheißen der Tischgemeinschaft im kommenden Gottesreich. Der Einsetzungsbericht mit den Deuteworten sei dagegen erst eine nachpfingstliche Ausgestaltung (185f).

Eine Gruppe der Kommissionsmitglieder kann mit ehrlichem Gewissen nur sagen: Wenn wir auf Jesus von Nazareth zurückgehen wollen, so können wir nur anknüpfen an die Mahlfeiern, die er mit seinen Jüngern gehalten hat, und sie verbinden mit der Verheißung des Auferstandenen, dass er bei seiner Kirche bleiben werde. Wir stützen uns auf die allgemeinen Verheißungen und spezifizieren sie nur auf die Mahlgemeinschaft (186).


 

1. Ursprung und Gestalten der frühen Mahlfeier

Der sakramentale Mahltyp - eine Weiterbildung der ursprünglich nicht-sakramentalen Mahlfeiern

(1) Fortschreitende Christologisierung der Kultmahlkonzeption
 (2) Drei unterschiedliche Mahltypen nebeneinander um 100 n. Chr.
 (3) Exkurs: Sekundäre Bildung von Jesuslogien im Ich-Stil
 (4) Unverzichtbare Elemente frühchristlicher Mahlfeiern
 (5) Anhang: J. Bolyki: Zusammenfassung

B. Kollmann

(1)  Fortschreitende Christologisierung der Kultmahlkonzeption : Historischer Ursprung des christlichen Abendmahls war nicht ein besonderes Abschiedsmahl Jesu, das dieser im engsten Kreise seiner Jünger am Vorabend seines Kreuzestodes abhielt, sondern die gesamte Mahlpraxis Jesu während seiner irdischen Wirksamkeit, die in Gestalt offener Mahlgemeinschaften Zöllner, Sünder, Jünger und beliebige weitere Personen einbezog. Unter Anknüpfung an die supranaturalen Bezüge, die jeder jüdischen Mahlzeit als einem unter ideeller Gastgeberschaft Gottes stattfindenden Verzehr von Speise und Trank innewohnen, eignete diesen Mahlgemeinschaften Jesu insbesondere der Charakter von Heilsmählern. Als maßgebliche Verständniskategorie griff Jesus das atl-prophetische Motiv eines heilszeitlichen Freudenmahls Gottes in seiner Verkündigung auf. Er bezog es präsentisch auf die Zeit seines Auftretens (Mk 2,19; Mt 22,1ff par) und konkretisierte es in Gestalt seiner offenen Mahlgemeinschaften (Mk 2,15-17; Mk 6,30-44/8,1ff; Lk 19,1ff; Joh 2,1ff). Für die Teilhabe am göttlichen Heil ist allein der Akt des gemeinsamen Mahlhaltens mit Jesus wesentlich. Den Mahlelementen selbst kommt keinerlei eigenständige Bedeutung zu – in der Regel Brot und Fisch (Mk 6,30-44; 8,1-10), falls vorhanden auch Wein (Mt 11,19 par; Joh 2,1ff) (251f).

Diese Mahlgemeinschaften wurden in den nachösterlichen christlichen Gemeinden fortgesetzt. An die Stelle der leibhaftigen Anwesenheit Jesu trat nunmehr dessen ideelle Gegenwart unter Aufnahme des atl-jüdischen Traditionskomplexes vom endzeitlichen messianischen Heilsmahl. Der Speisungsbericht Joh 21,12f reflektiert eine solche nachösterliche Fortsetzung der Mahlgemeinschaft mit dem Irdischen. Sachlich sind diesem Komplex auch die in 'Jubel' von den ersten Jerusalemer Christen begangenen täglichen Mahlfeiern (Apg 2,42.46) zuzuordnen (252).

Im hellenistischen Judenchristentum blieben die übernatürlichen Bezüge nicht mehr an den Akt des gemeinschaftlichen Mahlhaltens als solchen mit ideeller Gegenwart Jesu gebunden, sondern wurden nunmehr kraft besonderer Qualität den Mahlelementen übereignet.

Die göttlichen Heilsaspekte werden unter Aufnahme des Traditionsmotivs vom Manna als einer himmlischen Lebensspeise sowie unter Rückgriff auf ein substantielles Geistverständnis in hellenistische Deutekategorien umgesetzt, indem die Mahlelemente als Träger des lebenspendenden göttlichen Pneumas gelten (1Kor 10,3f; Did 10,3). Dabei ist Jesus als Offenbarer der Mahlelemente einbezogen aber noch nicht in Speise und Trank selbst präsent. „Alle haben dieselbe Speise gegessen und haben alle denselben geistlichen Trank getrunken; sie tranken nämlich von dem geistlichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus“ (1Kor 10,3f). In diesem Stadium kann erstmals von einer sakramentalen Mahlkonzeption gesprochen werden, insofern als die göttlichen Heilsbezüge des gemeinsamen Mahlhaltens nunmehr quasi materialiter durch Speise und Trank übereignet werden. Jetzt konzentriert sich das Interesse zwangsläufig auf Brot und Kelchinhalt, während es zuvor gleichgültig war, was als Speise oder Trank genossen wurde, denn der Akzent lag allein auf dem Akt der Mahlgemeinschaft mit Jesus als solchem (252f).

Im Zuge fortschreitender Christologisierung der Kultmahlkonzeption wurde außerdem unter Einbeziehung von Kommunionopfer- und Mysterienvorstellungen als Frucht von Brot- und Kelchgenuss eine Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi als Zentralaspekt der kultischen Mahlfeier in dem Sinne benannt, dass der Genuss der Elemente eine Anteilhabe am Kreuzes- und Auferstehungsleib Christi dokumentiertDer gesegnete Kelch, den wir segen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi“ (1Kor 10,16) (253)?

Die nächste Etappe dieser fortschreitenden Christologisierung ist durch die Formulierung von ‚Einsetzungsworten’ und eine mittels ‚ist’ vollzogene Identifikation von Brot und Kelchinhalt mit Leib bzw. Blut Jesu gekennzeichnet. Der bereits in der Koinonia-Tradition ansatzweise gegebene Bezug zum Tod Jesu wird dabei in Gestalt von ‚Für’-Applikationen entfaltet: „Dies ist mein Leib für euch“ (1Kor 11,24). In einem traditionsgeschichtlich weiterfortgeschrittenen Stadium, wie es Joh 6,51 bietet, erfolgt dann eine Identifikation des himmlischen Lebensbrotes mit „mein Fleisch für das Leben der Welt“. Als Äquivalent zu der ‚Für-Applikation’ beim Brotwort wächst dem Kelchwort, das anfangs ohne Bundesbezüge existierte, zunächst unter Rezeption des Ex 24,8 bezeugten Motivs vom Blutbund die Bundes-Vorstellung zu (in fortgeschrittener, weil zusätzlich Jer 31,31-34 einbeziehender Form 1Kor 11,25). In der Mk 14,24 vorliegenden Fassung des Kelchwortes begegnen – als Resultat des Wegfalls der Worte ‚nach dem Mahl’ – sowohl das Bundes – als auch das Sühnetodinterpretament beim Kelchwort. Dabei entstand aus dem an die Gemeinde gerichteten‚ für euch’ unter dem Einfluss von Jes 53 das universale, für viele’(253).

Darüber hinaus ist dem pln-lkn Überlieferungszweig entnehmbar, dass unter Adaption hellenistischer Totengedächtnistopik nunmehr eine den Bezug zum Tod Jesu verstärkende Zweckbestimmung der kultischen Mahlfeier als eines regelmäßig „zu meinem Gedächtnis“ zu wiederholenden Aktes erfolgte. In diesem Stadium der Traditionsbildung wurden somit bis dahin ‚neutral’ formulierte Kultmahlinterpretamente erstmals in direkte Formulierungen Jesu transponiert (durch das Personal- bzw. Posessivpronomen der 1.Pers. Sing.) (253f).

Durch die Historisierung der Einsetzungsworte im Rahmen eines Abschiedsmahls des Kyrios Jesus „in der Nacht der Dahingabe“ wird die bis dahin ohne Rekurs auf ein letztes Mahl Jesu stattfindende Mahlfeier (Apg 2,42.46; Did 9f; 14,1-3; Joh 6,30-58) erstmals auf ein von Jesus am Vorabend seines Todes gegebenes 'Vermächtnis' zurückgeführt.

Die Historisierung der von einer 'Für'-Formel geprägten Kultmahltradition „in der Nacht der Dahingabe“ (nämlich durch Judas) konnte den Anlass gegeben haben, das Kultmahl nunmehr als von Jesus selbst eingesetzt zu betrachten und bis dahin ‚neutral’ formulierte Kultmahlinterpretamente demgemäß in 'Ich-Stil' zu fassen (254).

Der Herr Jesus, in der Nacht der Dahingabe, nahm das Brot, (24) dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. (25) Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. (26) Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1Kor 11,23-26).

Die Historisierung in der Nacht der Dahingabe“ motivierte dann zu einer Einverleibung der zunächst isoliert umlaufenden Einsetzungsüberlieferung (1Kor 11,23-25) in den Rahmen des Passionsberichts, der seinerseits bereits die Tradition von einer Entlarvung des Verräters während eines letzten Mahles Jesu beinhaltete (Mk 14,18-21 parr; Joh 13,21-30). Erst durch das im syn Passionsbericht bereits beheimatete Passahmotiv wird die Einsetzungsüberlieferung nunmehr zu einem integrativen Bestandteil dieses letzten Passahmahles Jesu. Entsprechende Bezüge sind erstmals im Mk-Ev greifbar, wo Jesu letztes Mahl zugleich als Passahmahl gilt. Sie wurden von Mt übernommen und von Lukas durch eine formale Angleichung seiner Darstellung des Abschiedsmahls Jesu an den rituellen Ablauf des Passahmahls ausgebaut (254).

 

(2) Drei unterschiedliche Mahltypen nebeneinander um 100 n. Chr. : Die Mahlgebete der Didaché weisen keinen Bezug zum Tod Jesu auf. Die Eucharistie der Didaché versteht sich nirgendwo erkennbar als Fortführung eines von Jesus vor seinem Tode begangenen Abschiedsmahls und die Mahlelemente sind nicht christologisch als Leib bzw. Blut Jesu qualifiziert. Vielmehr gelten hier Brot und Wein als pneumatische Gaben, die Gott durch seinen ‚Knecht’ Jesus offenbar gemacht hat. Eine Beeinflussung der Didaché durch die ntl ‚Einsetzungsberichte’ ist nicht erkennbar (255).

Joh 6,51b-58 (Diese Vv hat die kirchliche Redaktion eingefügt)

“Dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt... Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, ...Denn mein Fleisch ist die wahre Speise und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“. Es geht um eine sakramentale Mahlfeier, in der Speise und Trank als Fleisch und Blut Jesu galten. Dabei war die Gewährung ewigen Lebens kraft Inkorporation der mit Jesu 'Fleisch' identifizierten Lebensspeise und des als sein ‚Blut’ geltenden Lebenstranks impliziert. Die Qualität der eucharistischen Speise als Lebensbrot wird primär durch Jesu präexistente Seinsweise in der Sphäre göttlichen Lebens konstituiert (Joh 6,33.50). Bundes- und Todesgedächtnisvorstellungen fehlen ebenso gänzlich wie eine Mk 14,25 parr vergleichbare eschatologische Perspektive. Diesem Befund korrespondiert der Sachverhalt, dass dem JohEv keine Historisierung der kultischen Mahlfeier im Kontext der Passion Jesu oder gar eines letzten (Passah-) Mahles entnehmbar ist. Eine Verbindung zu dem Motiv vom Abschiedsmahl Jesu wird nicht hergestellt (256).

Die paulinischen Gemeinden begingen ein sakramentales 'Abendmahl', das als Fortführung eines letzten Mahles (Pls) bzw. letzten Passahmahls (Syn) Jesu galt. Mit dieser Mahlkonzeption, bei der die Mahlelemente Brot und Wein christologisch als Leib und Blut Jesu qualifiziert sind, verbinden sich vielfältige Heilsvorstellungen. Grundlegendes soteriologisches Implikat ist dabei die sakramentale communio mit dem Kreuzes- und Auferstehungsleib Jesu, angereichert mit Sühnetod-, Totengedächtnis- und Bundesbezügen (256f).

 

(3) Exkurs: Sekundäre Bildung von Jesuslogien im Ich-Stil : Mt 28,18-20: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes... Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“. In dem ausdrücklich vom Auferstandenen formulierten Tauf- und Missionsbefehl gilt - nach dem 'Abendmahl' - nunmehr auch die Taufe als von Jesus selbst 'eingesetzt'. Bei dem Bemühen, die eigene Taufpraxis sowie die universalistische Mission zu Legitimationszwecken auf entsprechende Anordnungen des Auferstandenen zurückzuführen, werden ebenfalls Formulierungen im Ich-Stil verwendet. (Lk 24,49: „Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch ...“) (259f).

Joh 21,15-23: Dieser Komplex (und Mt 16,17-19) setzt nicht nur eine Anerkenntnis des Petrus als kirchlicher Autorität voraus, vielmehr ist darüber hinausgehend Joh 21,18 als vaticinium ex eventu zu beurteilen, das den Märtyrertod des Petrus von Jesus angekündigt sein lässt. Die Korrektur der Auffassung, der Lieblingsjünger werde nicht vor Eintreffen der Parusie Jesu sterben (21,23), weist dessen Tod als bereits der Vergangenheit zugehöriges Ereignis aus. Folglich handelt es sich hier ebenfalls um nicht auf Jesus zurückführbare, sondern ihm sekundär zugeschriebene Logien, die sowohl Verben als auch Personalpronomina der 1. Pers. Sing. verwenden: „Weide meine Lämmer“ 21,15-17, „wahrlich wahrlich, ich sage dir“ V 18, „folge du mir nach“ V 22.

Die john Ich-bin-Worte: Diese Worte sind das prägnanteste ntl Beispiel dafür, dass nicht allein Ich-Aussagen des Auferstandenen, sondern auch des Irdischen sekundär gebildet wurden. Diese Worte gehen keinesfalls auf Jesus selbst zurück. Durch sie wird der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die Heilsgaben ('Brot des Lebens', 'die Auferstehung und das Leben', 'der Weg, die Wahrheit und das Leben' sowie ursprüngliche Gottesprädikationen wie der 'gute Hirte') mit dem Kommen Jesu realisiert wurden. Diese Ich-bin-Worte wurden dem irdischen Jesus zugeschrieben (260).

Mt 16,18f: „Ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein“. Aus der Vielzahl syn Jesuslogien im Ich-Stil sei zunächst auf diese Petrusverheißung verwiesen, die im Unterschied zu Mt 28,18ff im Erdenleben Jesu angesiedelt ist. Skepsis gegenüber einer Authentizität dieses Doppellogiens erweckt nicht allein der Sachverhalt, dass 'Ekklesia' (Kirche) nur hier im Munde Jesu begegnet, sondern es ist auch äußerst fraglich, ob sich die Gründung einer eigenen Kirche ('meine Kirche') mit Jesu Verkündigung der Königsherrschaft Gottes vereinbaren lässt. Zudem weisen die Futura „ich werde bauen“ und „ich werde dir geben“ auf eine erst nachösterliche Entstehung von Mt 16,18f hin. Die Petrusverheißung setzt somit die Existenz einer organisierten christlichen Kirche voraus, in der Petrus als Autorität mit Lehr- und Disziplinargewalt anerkannt wird. Diese Gegebenheiten werden Mt 16,18f in das Erdenleben Jesu zurückprojiziert, indem die Konstituierung einer christlichen Kirche mit Petrus an der Spitze als von Jesus selbst angekündigt gilt. In diesem Zusammenhang finden wiederum Ich-Formulierungen Verwendung (261).

Die syn 'elthon'-Worte („Ich bin gekommen“): Diese Worte nehmen aus nachösterlicher Perspektive das gesamte Wirken Jesu unter bestimmten Aspekten in den Blick z.B., Mk 2,17: „Ich bin nicht gekommen die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder“ diente vermutlich ursprünglich einer Rechtfertigung der Mission von Heiden: „Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! Aber ich muss mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollbracht ist“ (Lk 12,49f). Dieses Wort ist als eine Leidensankündigung Jesu zu beurteilen, die erst in der christlichen Gemeinde als vaticinium ex eventu entstand (261f).

Im frühesten Christentum setzte auf breiter Basis eine sekundäre Bildung von Jesus-Worten im Ich-Stil ein. Daher ist es denkbar, dass die gleichermaßen in Formulierungen der 1. Pers. Sing. gefassten Einsetzungsworte nicht auf Jesus selbst zurückgehen. Der Ich-Stil im Munde Jesu verbürgt nicht prinzipiell Authentizität, sondern wird von zahlreichen syn und john Befunden als Mittel zur Gestaltung fiktiver Jesusworte ausgewiesen (262).

Die ntl Einsetzungsberichte standen nicht am Anfang der Entwicklung, sondern sie markieren den Höhepunkt einer komplexen Entwicklungsgeschichte nachösterlich fortgesetzter Mahlgemeinschaften der Erdenzeit Jesu. Neben der von den Einsetzungsberichten repräsentierten Mahlkonzeption ist die Existenz solcher kultischen Mahlfeiern nachweisbar, die sich z.T. erheblich von dem ‚Herrenmahl’ pln-syn Prägung unterscheiden (266).

 

(4) Unverzichtbare Elemente frühchristlicher Mahlfeiern : Theologische Aspekte: Historische Grundlage des 'Abendmahls' sind die Mahlgemeinschaften Jesu. Er nahm die atl-prophetische Verkündigung eines endzeitlichen Freudenmahls unter der Gastgeberschaft Gottes auf, bezog sie präsentisch auf die Zeit seines Auftretens und konkretisierte entsprechende Heilsaspekte in Form von Mahlgemeinschaften. Diese spezifisch theologischen Bezüge des Mahlhaltens prägen auch die in Gestalt von 'messianischen Heilsmählern' erfolgte nachösterliche Fortsetzung der Mahlgemeinschaften Jesu sowie die Mahlgebete der Didaché, die sich unmittelbar an Gott wenden – diesen als Gastgeber der Eucharistie und Gewährer der Heilsgaben betrachten. Dieser theologische Aspekt wird in der sonstigen frühchristlichen Mahlüberlieferung stellvertretend wahrgenommen zunächst von dem Pneuma als Instrument des Erdenwirkens Gottes – so in der Beschaffenheit der Mahlelemente als 'geistlicher Speise und Trank' (1Kor 10,3f) – dann durch Christus als Repräsentant Gottes, der in einem Teil der Überlieferung personal in Speise und Trank präsent ist und nach Auffassung der Einsetzungsüberlieferung das christliche Gemeindemahl stiftete (266f).

Christologische Aspekte : Die Leibhaftige Anwesenheit Jesu bei den Mahlgemeinschaften zu seinen Lebzeiten wurde nachösterlich zunächst in seine ideelle Repräsentanz als 'Bräutigam' (Mk 2,19), 'Hirte' (Mk 6,34) u.ä. transponiert. In diesen Konzeptionen ist die Anwesenheit Jesu an den gesamten Mahlvollzug als solchen gebunden.

Eine massivere Einbeziehung der Person Christi bietet dann die Koinonia-Tradition 1Kor 10,16, die unter Rezeption von Mysterienvorstellungen im Brot- bzw. Kelchgenuss eine Anteilhabe an Leib und Blut Christi dokumentiert sieht. Diese Befunde setzen eine personale Repräsentanz Jesu in den Mahlelementen selbst voraus.

Ausschließlich in diesem, von einer Präsenz Jesu in den Mahlelementen geprägten Zweig der Überlieferung ist ein massiver Bezug zum Tod Jesu gegeben, denn bei dem – mit dem eucharistischen Brot identifizierten – 'Leib' handelt es sich um den Kreuzes – und Auferstehungsleib Jesu und bei dem 'Blut' um Jesu soteriologisch relevantes Kreuzesblut. Entsprechend wird dieser Bezug zum Tod Jesu in Teilen der Überlieferung in Form von 'Für'-Wendungen, Blutbundvorstellungen und Totengedächnistopik ausgestaltet.

Neben der Präsenz Jesu im Mahlgeschehen begegnet in Teilen der Überlieferung die eschatologisch orientierte Hoffnung auf die Parusie des Herrn (1Kor 11,26; 16,22; Did 10,6).

Noch zu Begin des zweiten Jh.s ist mit der Eucharistie der Didaché die Begehung einer Mahlfeier belegt, die sich ohne eine kultisch-technische Rezitation von Einsetzungsworten vollzog und dabei den 'Gottesknecht' Jesus als Gewährer der pneumatischen Gaben betrachtete, ohne dass er selbst in diesen präsent wäre (267f).

Heilsaspekte: Die Mahlgemeinschaften Jesu waren durch die präsentische Vorwegnahme endzeitlichen Heils gekennzeichnet. Diese Heilsimplikationen wurden in der Folgezeit unter Aufnahme des Traditionsmotivs vom Manna als supranaturaler Lebensspeise und unter Adaption eines substantiellen Geistverständnisses in hellenistische Deutekategorien transponiert. Die Mahlelemente galten nunmehr als Träger des lebenspendenden göttlichen Pneumas (1Kor 10,3f; Did 10,3). In diesem Zusammenhang kann erstmals von einem sakramentalen Mahlverständnis gesprochen werden, da die soteriologischen Bezüge materialiter an eine bestimmte Beschaffenheit von Speise und Trank gebunden sind. Nach 1Kor 10,16 dokumentiert der Genuss von Speise und Trank Anteilhabe an Christi Todes- und Auferstehungsleib.

Bei Ignatius dominiert die Vorstellung der sakramentalen communio mit dem Auferstandenen bzw. Erhöhten, indem das mit Jesu 'Fleisch' identifizierte eucharistische Brot als 'Brot des Lebens' bzw. als 'Pharmakon der Unsterblichkeit' bereits in der Gegenwart ewiges Leben und Unsterblichkeit verbürgt (269).

Den Einsetzungsberichten wohnt als Grundvorstellung ebenfalls der Gedanke der sakramentalen communio inne, angereichert durch eine Interpretation des Kreuzesgeschehens als eines Sterbens 'für uns' bzw. 'für viele' sowie durch eine Entfaltung der Bedeutung des Todes Jesu in Bundeskategorien. Diese setzen im pln-lkn Kelchwort das Bewusstsein voraus, der durch Jesu Blut konstituierten neuen Heilsgemeinde zuzugehören. Als neuer Aspekt begegnet dann Mt 26,28 erstmals die Vorstellung, die Teilnahme am Kultmahl bewirke die fortlaufende Vergebung der Sünden (269f).

Gemeinschaftsaspekte: Für die Mahlgemeinschaften Jesu war die jüdische Vorstellung bestimmend, dass gemeinsames Essen und Trinken einen Ausdruck innigster Gemeinschaft unter ideeller Gastgeberschaft Gottes darstellt. Diese Gemeinschaft gewährte Jesus in Vorausnahme des endzeitlichen Freudenmahls Gottes denjenigen Personen, die gegenwärtig dem Ruf in die Königsherrschaft Gottes zu folgen bereit waren. Für Paulus dokumentiert das Herrenmahl eine Teilhabe am Leib des Christus. Dieser gemeinschaftliche Aspekt fordert nach pln Verständnis eine ethische Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Christusleib als ganzem (270).

 


 

(5)  Anhang: J. Bolyki: Zusammenfassung: Der historische Ausgangspunkt des christlichen Herrenmahls war nicht das letzte Abendbrot Jesu, sondern seine Tischgemeinschaftspraxis. Dort war Gott der Hausherr, das Speisen hatte den Charakter eines messianischen Heilsmahls. Eines seiner Merkmale war die Offenheit, ein anderes das Gemeinschaftserlebnis. Die Speiseelemente waren nicht wichtig.

In der nachösterlichen Gemeinde führte man Jesu Tischgemeinschaft so weiter, dass Jesus nicht leiblich, sondern idealiter anwesend war und damit das Ganze im Zeichen des endzeitlichen messianischen Heilsmahls geschah. Die eschatologische Freude erfüllte diese Mahlzeiten.

Im hellenistischen Judenschristentum erscheinen supranaturale Elemente nicht nur in der Handlung selbst, sondern auch in den Zeichen des Herrenmahls. Durch den Einfluss der Vorstellungen der Mysterienreligionen entstand der Gedanke, die Teilnehmer bekämen durch das Verzehren der Elemente Anteil am gekreuzigten und auferstandenen Leib Christi.

Das kleine Wort ‚ist’ der Einsetzungsworte gab Brot und Wein die Identifikation mit dem Leib und Blut Christi.

Der Gedanke von (Blut-)Bund und die testamentarischen Anweisungen wurden 'historisiert' und in die Passionsgeschichte eingegliedert (140).


 

2. Gemeinsame Mahlzeiten 

J. Weiß

Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apg 2,42). „Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeit mit Freude und lauterem Herzen“ (Apg 2,46).

Weil die ältesten Judenchristen an dem reichen Kultus ihres Volkes teilnahmen, hat es in der ersten Zeit an einem eigenen, liturgisch ausgestatteten und regelmäßigen Kultus noch gefehlt. Der Keim eines eigenen Kultes liegt in den häuslichen Zusammenkünften beim Mahl (40).

Man fand sich in verschiedenen Häusern zusammen. Ein solches Haus war z.B. das der Maria (12,12), wo eine größere Anzahl sich versammeln konnte. Die häuslichen Zusammenkünfte waren in erster Linie gemeinsame Mahlzeiten. Darunter ist zunächst die gewöhnliche tägliche Mahlzeit zu verstehen („sie genossen die Speise“), die wohl meistens abends gehalten wurde. Die 'Brüder' finden sich dabei zusammen. Es ist eine Vereinigung der Jünger Jesu als solcher. Damit ist sie kein alltägliches Mahl mehr, sondern hat einen idealen Charakter. Es drückt sich darin der gemeinsame Besitz an religiösen und ethischen Überzeugungen aus. Es heißt nicht 'das Brot essen', was nur eine einfache Umschreibung der Mahlzeiten wäre, sondern „das Brot brechen“, womit die ganze Zusammenkunft nach einer dabei vorkommenden Handlung benannt wird. Die Jünger (Lk 24,30f.35) erkennen den Herrn „an dem Brechen des Brotes“ (41).

Nach dem Tod Jesu wurden die Jünger bei den Mahlzeiten sich ihrer idealen Zusammengehörigkeit und dessen, was sie an Jesus gehabt hatten und noch hatten, besonders deutlich bewusst. Man wiederholte diese ausdrucksvolle Handlung, wie man sie oft von Jesus gesehen hatte, mit vollem Bewusstsein und brachte damit in lebhafter, plastischer Weise die Erinnerung an ihn zum Ausdruck. Wie sehr sich diese Sitte bei den Christen eingebürgert hatte, sehen wir in Apg 20,7.11, wo Paulus während des Schiffbruchs die ermattete heidnische Besatzung ermahnt, Speise zu sich zu nehmen und selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Selbst hier, in überwiegend heidnischer Umgebung, unterlässt er nicht das Brotbrechen. Es ist offenbar für einen Christen geradeso wie das Tischgebet ein unerlässlicher Teil der Mahlzeit; darum wird es auch immer mit ihm zusammen erwähnt: „er nahm Brot, sprach das Dankgebet zu Gott vor allen, brach es und begann zu essen“, so auch bei den Speisungen (Mk 6,41; 8,6; Joh 6,11) und den Emmaus-Jüngern (Lk 24,30), wo von einer Abendmahlsfeier nicht die Rede sein kann. Daher kommt es auch, dass die christlichen Gemeinschaftsmahle gelegentlich Eucharistie (Dank) genannt wurden. Wenn man die Mahlzeiten 'Dankgebet' oder 'Brotbrechen' nannte, so hob man damit hervor, dass es Mahlzeiten waren, bei denen man sich als Jünger Jesu zusammenfand. Ein Christ, der bei Juden zu Gast war, wird die dort genossene Mahlzeit nicht 'Brotbrechen' genannt haben (42).

In dieser Benennung wird nur das Brot erwähnt, vom Wein ist keine Rede, obwohl bei den jüdischen Sabbatmahlzeiten der Wein häufig vorkommt, und die Mahlzeit mit einem Gebet zum Becher beginnt. Wenn Jesus mit seinen Jüngern speiste, wird häufig kein Wein zur Stelle gewesen sein (z.B. bei den Speisungen). Auch die Urgemeinde hat ihre Mahlzeiten häufig ohne Wein abgehalten, weil sie arm war, und weil es sich um regelmäßige, nicht besonders festliche Veranstaltungen handelte. Wir müssen daraus schließen, dass bei den Mahlzeiten der Wein nichts Wesentliches gewesen ist. Das Brot und das Brotbrechen sind die Substanz der Mahlzeit. Das wäre unmöglich, wenn diese Mahlzeiten bereits Abendmahlsfeiern im Sinne des Paulus (1Kor 11) gewesen wären, bei denen der Parallelismus Brot - Wein = Leib – Blut Christi der Feier ihren Rhythmus gegeben hat. Wir haben hier eine ältere Form der Mahlfeier vor uns, bei der des vergossenen Blutes Jesu nicht gedacht wurde, jedenfalls war dies kein unerlässlicher Teil der Mahlzeit (42f).

In den Schilderungen der Apg deutet nichts darauf hin, dass bei diesen Mahlzeiten gerade der Tod Jesu im Mittelpunkt der Gedanken und Stimmungen gestanden hätte. Wenn es Apg 2,46 heißt: „sie brachen das Brot und genossen die Speise, mit Frohlocken und Herzenseinfalt Gott preisend“, so kam bei diesem Mahle mehr der allgemeine Dank für Gottes Wohltaten und die Freude über das gewisse Heil (und die Freude über die Gegenwart des Auferstandenen) zum Ausdruck, als der Gedanke an den Tod Jesu. Die Jünger hatten in dem Tod Jesu nicht die Heilstat ihres Herrn erkannt. Sie glaubten vielmehr trotz des Todes an ihn. So ist es vollends unwahrscheinlich, dass sie beim Brotbrechen „den Tod des Herrn verkündigt hätten“. Die ältesten Abendmahlsgebete in der Lehre der Zwölf Apostel erwähnen den Tod Jesu nicht. Selbst noch die Feier in Korinth (1Kor 11) hätte kaum in so weltlicher und fröhlicher Weise ausarten können, wenn die Gemeinde sich bewusst gewesen wäre, dass sie dabei den Tod des Herrn verkündigen sollte – erst Paulus führt ihr dies zu Gemüte (43) (s.a. Jud 12: „Sie sind Schandflecken bei euren Liebesmahlen“; 2Ptr 2,13: „wenn sie mit euch prassen“) (43).

Die 'Passionsstimmung' fehlt in dem Mahlbericht des Lukas, den Weiß für den ältesten hält, und zwar in seiner älteren, kürzeren Form (Lk 22,16-19a ohne V.19b.20). Er beginnt nach jüdischer Sitte mit dem Becher. Jesus spricht nur ein Wort des Abschieds und der Hoffnung dazu: „Nehmt diesen und verteilt ihn unter euch. Denn ich sage euch: Ich werde fortan nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, ehe das Reich Gottes gekommen ist“. Dann geht es weiter (V.19a): „Und er nahm Brot, hielt das Dankgebet, brach es und gab es ihnen und sprach: Dies ist mein Leib“. In diesen Worten ist auf seinen bevorstehenden Tod nicht angespielt (43f).

Bald sind mystische und symbolische Gedanken und Stimmungen hinzugekommen. Der wichtigste Zuwachs ist der, dass der Kelch gleich schwerwiegend neben das gebrochene Brot trat. Der Augenblick, in dem man bei dem roten Wein zum ersten Mal an das Blut Christi dachte, ist in jeder Weise bedeutsam. Denn nun wirkte das auch auf das Brot zurück, das nunmehr eine Darstellung des getöteten Leibes wurde. Nicht nur dass damit die Feiernden auf die Betrachtung des Todes Christi gelenkt wurden, es war unvermeidlich, dass mehr und mehr auch Brot und Wein nicht mehr als gewöhnliche Nahrungsmittel betrachtet wurden, sondern als geistliche, als übernatürliche Speise und Trank, deren Genuss eine wunderbare Wirkung hat. Die heilige Scheu vor den 'Elementen' finden wir schon bei Paulus ausgebildet: „Wer dieses Brot isst oder den Kelch trinkt unwürdig“, d.h. in profaner Stimmung, ohne das Brot als „den Leib zu unterscheiden, der macht sich schuldig eines Frevels an Leib und Blut des Herrn“ (1Kor 11,27). Dabei ist vorausgesetzt, dass Brot und Wein in irgendeiner wunderbaren Weise den Leib und das Blut Jesu nicht nur darstellen, sondern enthalten (44f).

 In der Schrift 'Die Lehre der Zwölf Apostel' besitzen wir Mahlsgebete, die sehr alt sind und aus einem judenchristlichen Gemeindekreis stammen. Das ergibt sich daraus, dass sie sich an jüdische Gebetsformeln anschließen, dem Tode Christi als solchem keine besondere Aufmerksamkeit schenken und den Becher zwar erwähnen, aber ihn nicht auf das Brot folgen lassen (nach dem Rhythmus: Leib und Blut), sondern ihn voranstellen, wie in dem Bericht bei Lukas. Diese Gebete zeigen einen Typus, der noch nicht von pln Lehre beeinflusst ist und den ältesten Stimmungen noch sehr nahe steht (45).

Die Gebete lauten:

1. Zum Becher
 
Wir danken dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock deines Knechtes David, den du uns kundgetan hast durch Jesus deinen Knecht. Dir sei Ehre in Ewigkeit!

2. Zum 'gebrochenen Brot'
 Wir danken dir, unser Vater, für das Leben und die Erkenntnis, die du uns kundgetan hast durch deinen Knecht Jesus. Dir sei Ehre in Ewigkeit!

Eine andere Gebetsformel
 Wir danken dir für die Gebote, die du uns kundgetan hast, für das Leben, die Beweise deiner Huld und für deine Barmherzigkeit, womit du uns begnadet hast.

Für die 'Gebote' ist die durch Jesus kundgegebene 'Erkenntnis' des Heils eingesetzt – ein Gebet von Schülern Jesu, die von ihm den Weg zum Heil kennengelernt haben.

Ein Gebet um die Sammlung der Diaspora
 Vereinige uns Zerstreute aus der Mitte der Völker, uns Verbannte von allen Orten der Erde, und bringe uns zusammen in deiner Stadt Zion.

Entsprechend die Fortsetzung des christlichen Brotgebets
 Wie dieses Brot zerstreut war auf den Bergen und zusammengebracht eins geworden ist, so möge deine Gemeinde zusammengebracht werden von den Enden der Erde in dein Reich.

Darin hat das Gebet ältesten Klang, dass es um die Vereinigung der Christen in dem noch nicht erschienenen „Reich Gottes“ bittet.

3. Nach der Mahlzeit
 Wir danken dir, heiliger Vater, für deinen heiligen Namen, den du in unseren Herzen hast wohnen lassen, und für die Erkenntnis und den Glauben und die Unsterblichkeit, die du uns kundgetan hast durch Jesus, deinen Knecht. Dir sei Ehre in Ewigkeit!

Du, allgewaltiger Herrscher, hast alles erschaffen um deines Namens willen. Speise und Trank hast du den Menschen gegeben zum Genuss, dass sie dir danken; uns aber hast du geistliche Speise und Trank und ewiges Leben gegeben durch deinen Knecht. Vor allem danken wir dir, Herr, dass du mächtig bist. Dir sei Ehre in Ewigkeit!

Gedenke, Herr, deiner Gemeinde, sie zu erretten von allem Bösen und zu vollenden in deiner Liebe, und bringe sie zusammen von den vier Winden, die Geheiligte, in dein Reich, das du ihr bereitet hast. Denn dein ist die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit!

Die Gebete geben uns eine Anleitung, wie wir uns die ältesten christlichen Gebete beim Brotbrechen vorzustellen haben (46f).

Wie man das Mahl später Eucharistie = Dank nennt, so hat man es auch Agape = Liebe genannt. Die gemeinsamen Mahlzeiten waren, wie das Passamahl der Juden nicht nur Kultmahle, Äußerungen des Jesus-Kultus, sondern vor allem auch Ausdruck der Gemeinschaft der Brüder untereinander. Nicht nur die gemeinsame Erinnerung sondern vor allem im Sinne Jesu die Liebe zueinander, durch den gemeinsamen religiösen Besitz vertieft, kam hierbei zum Bewusstsein und zur Darstellung, und zwar z.T. in sehr praktischer Weise, indem die Armen unter den Brüdern bei dieser Gelegenheit auf Kosten der Wohlhabenderen mit verpflegt wurden (47).

 H. Lietzmann unterscheidet zwei Mahltypen, den jerusalemitischen, der in der Apg bezeugt ist und charakterisiert wird durch die Betonung der Tischgemeinschaft und die jubelnde Freude über die Gegenwart des Auferstandenen und den pln, der durch hellenistische Opfervorstellungen geprägt ist.

In Antiochien essen die Jakobusleute und die pln Heidenchristen aus rituellen Gründen nicht miteinander (Gal 2,11ff). Die einen feiern das jerusalemische 'Brotbrechen' (Apg 2,42.46). Sie setzen die Mahlgemeinschaft mit Jesus fort. Sie feiern diese Mahle als wirkliche Tischgemeinschaft mit ihm, dem Auferstandenen, deshalb mit 'Jubel'. Die anderen feiern das pln Herrenmahl, das zunächst ein Sättigungsmahl war (252).

 Für E. Käsemann steht neben- und gegeneinander ein Verständnis des Abendmahls als Vorwegnahme des Mahls der Seligen in der Gottesherrschaft und ein anderes Verständnis als Vorwegnahme der im Kreuz Jesu erfolgenden göttlichen Heilsordnung. Im ersten Fall ist der Tod Jesu das Tor für das zentrale Ereignis der hereinbrechenden Gottesherrschaft; im zweiten ist er selber das zentrale Ereignis, das noch einen eschatologischen Fortgang finden mag (1Kor 11,26: „bis er kommt“). Beide Traditionen können nicht von Anfang an nebeneinander gestanden haben. Das bedeutet, dass die zweite in der veränderten Situation der Urchristenheit ihre begründende Ursache findet. Diese veränderte Situation kann nur die Situation nach Karfreitag und Ostern sein. An die Stelle des letzten irdischen Mahls , das das bevorstehende himmlische vorwegnahm, tritt nun das im kirchlichen Kult immer neu wiederholte, das unter symbolischen Zeichen die Realität der neuen Gottesordnung in Jesu Kreuz ergreift (72f).

 E. Schweizer (1957): »Die verschiedene Traditionsgeschichte des in sich geschlossenen ‘eschatologischen Ausblicks’ einerseits und des ebenfalls in sich geschlossenen Einsetzungsberichtes andererseits wie die john Darstellung, die den Einsetzungsbericht nicht kennt, bleiben unerklärlich, wenn beides auf Jesus selbst zurückgehen sollte. Wäre die Einsetzung mit den Deuteworten historisch, dann ließe sich die Entstehung eines in sich geschlossenen Mahlberichtes, der nur den eschatologischen Ausblick und den Hinweis auf Jesu Dienen erhalten hätte, kaum zu denken. Es ist damit zu rechnen, dass Jesus selbst nur ein letztes Mahl mit seinen Jüngern gehalten hat, bei dem er sie auf sein Dienen verwies und ihnen die Tischgemeinschaft in der kommenden Königsherrschaft Gottes in Aussicht stellte... Der neue Bund ist nirgends anders begründet gewesen als im Dienen Jesu, auf das er seine Jünger hinwies und das er am kommenden Morgen vollends erfüllte« (16f).

E. Schweizer (1954): "Jeremias rekonstruiert, methodisch völlig richtig, eine alte Passionsgeschichte in der Weise, dass er ausscheidet, was bei Joh keine Parallele hat. Könnte es darum nicht sein, dass zur alten Passionserzählung wie bei Joh gar keine Herrenmahlseinsetzung gehörte, sondern nur ein Bericht von einem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern bei dem Jesus hingewiesen hätte auf die eschtalogische Erfüllung ihrer Gemeinschaft? Genau dies entspräche dem john Aufbau. Von einem letzten Mahl und der dabei erfolgten Bezeichnung des Verräters berichtet ja auch er. Joh bietet mit dem Fehlen eines Einsetzungsberichtes alte palästinensische Tradition. Die Urform, die in der palästinensischen Gemeinde tradiert wurde, wäre dann ein Hinweis Jesu auf seinen bevorstehenden Tod (nicht einmal das Passa wird er mit ihnen essen) und auf die eschatologische Vollendung (er wird es aber in der Herrlichkeit des Gottesreichs mit ihnen essen und dabei den Festtrunk trinken") (584f).

 

Nach Theissen/Merz war Jesu Abschiedsmahl mit seinen Jüngern ein normales Gemeinschaftsmahl, das im Urchristentum mit einer hochtheologischen Deutung verbunden wurde (366).

Jesus war kein Kultstifter, der bewußt eine neue Tradition gründen wollte. Er erwartete die nahe Verwandlung der Welt und das Ende aller Traditionen (384).

 

R. Bultmann fragt: Hat das hellenistische Christentum das sakramentale Mahl der Kommunio selbst geschaffen, oder ist es die Interpretation eines überlieferten Brauches, nämlich der aus der Urgemeinde stammenden Gemeinschaftsmahle? Es wäre verständlich, wenn jene Mahlzeiten, die Ausdruck der Gemeinschaft im Sinne der Tradition des Judentums und des geschichtlichen Jesus selbst waren, im hellenistischen Christentum zu sakramentalen Feiern umgestaltet worden wären. Das mag als das wahrscheinlichste gelten. Aus der Did scheint hervorzugehen, dass auch im hellenistischen Christentum mancherwärts jene Gemeinschaftsmahlzeiten weitergefeiert wurden, ohne zum sakramentalen Herrenmahl weitergebildet zu werden.

Aus Did 9 und 10 ergibt sich das Bild einer Mahlfeier ganz im Sinne der jüdischen Tradition, in der jeder Bezug auf den Tod Jesu fehlt und von sakramentaler Kommunio keine Rede ist. Die Worte von 10,6 sind als die Überleitung zur sakramentalen Eucharistie zu verstehen. Es ist klar, dass zwei Feiern von ganz verschiedener Art sekundär kombiniert worden sind. Die in Kp 9 und 10 vorausgesetzte Feier hat zunächst für sich existiert, und von ihr hätte das Herrenmahl erst den Titel Eucharistie übernommen, der als Bezeichnung des Herrenmahls verwunderlich ist (153).

 

3. Die Mahle Jesu und das Abendmahl der Kirche

 W. Marxsen (1955): Für Bultmann steht fest, dass das letzte Mahl Jesu nachträglich die Legitimation liefern musste für den irgendwo entstandenen Brauch. Das geschah durch die legendäre Zurückdatierung des Herrenmahls auf das letzte Mahl. D.h. das Abendmahl ist ein Werk der frühen kirchlichen Tradition (40).

Ein anderer Erklärungstypus rechnet mit einem Abschiedsmahl Jesu als Ausgangspunkt des Abendmahls. Gekennzeichnet ist dieser Typus durch die Verwendung eines tertium comparationis für die Erklärung der Deuteworte (41).

Das tertium comparationis liegt beim Brot in der Tatsache, dass es zerbrochen ist, beim Wein in der roten Farbe. Der Sinn dieser Worte ist der: 'Ich muss den Opfertod sterben'. Was für eine Bedeutung soll die Wiederholung einer solchen voraus deutenden Handlung haben? Welchen Sinn kann sie noch haben, wenn Jesu Worte Gleichnis und Belehrung sind, ein Kommendes deuten wollen, nachdem dieses Kommende nun eingetreten ist (42)?

Eine Gleichnishandlung Jesu bedeutet nicht die Einsetzung der Wiederholung dieser Handlung. Ebensowenig kann das Abschiedsmahl mit einem solchen Doppelgleichnis die Einsetzung eine Folge von Mahlen bedeuten. Wieso will man aus dem Abschiedsmahl das Abendmahl herleiten? Diese Exegese muss den Wiederholungsbefehl ausscheiden, weil in ihr der Wiederholungsgedanke keinen Platz hat. Die Stiftungsabsicht fehlt. Aber erst diese macht das Abschiedsmahl zum Abendmahl (42f).

Während Bultmann ein 'realistisches' Abendmahlsverständnis vertritt, das nach seiner Meinung ein Werk der kirchlichen Tradition ist, bestreitet der zweite Typus diesen Ursprung für das Abendmahl. Er führt es auf Jesus selbst zurück, exegisiert jedoch mit der Kategorie des Gleichnisses, hat es darum nicht mit dem Abendmahl, sondern mit dem Abschiedsmahl zu tun. Beide Typen stellen das Recht des kirchlichen Abendmahls in Frage, Bultmann historisch, der andere Typus exegetisch. Fehlt bei Bultmann das 'und', das das Heilsgeschehen in Christus mit dem ersten Abendmahl verbindet, so fehlt hier das 'und' das das letzte Mahl Jesu mit dem Abendmahl der Kirche verbindet (43).

W. Marxsen (1976): Die Endzeit konnte vorgestellt werden als Mahl am Tische Jahwes. Jedes jüdische Mahl trug kultischen Charakter. Man aß vor Gott, vor dem Gott, der mit den Vätern den Bund geschlossen hatte und dessen Reich man entgegenging. Das Mahl ‘erinnert’ Jahwes vergangene und zukünftige Heilsgegenwart.

Wenn Jesus Zöllner und Sünder an seinen Tisch lud, stellte er diese Menschen neu in den Bund mit Gott hinein und gab ihnen jetzt schon Anteil am kommenden Reich Gottes. Jesus bietet die Gottesgemeinschaft an, ohne Bedingungen daran zu knüpfen, die erst erfüllt werden müssten (67).

Das festliche Mahl begann im jüdischen Bereich mit dem Brotbrechen. Dabei wurde das Tischgebet gesprochen. Dann folgte die Hauptmahlzeit. Am Schluss kreiste der so genannte Segensbecher, über dem das Dankgebet gesprochen wurde. Eine überlieferte Danksagung lautet: “Wir danken dir, Jahwe unser Gott, dass du unseren Vätern das liebwerte gute und weite Land als Erbteil gegeben hast, dass du uns aus dem Land Ägypten herausgeführt und uns aus dem Knechtshause erlöst hast...”. Hier wird Vergangenheit ‘erinnert’. Es gibt auch ‘Erinnerung’ der Zukunft z.B.: “Der Barmherzige, er würdige uns der Tage des Messias und des Lebens der zukünftigen Welt...”. Diese Gebete kann man nicht so verstehen, dass sie zum Denken an die Vergangenheit und an die Zukunft aufrufen wollen, sondern hier wird das gegenwärtige Mahl mit der Heilsvergangenheit verknüpft; und die Heilszukunft kommt den Mahlteilnehmern entgegen. Die zu Tische Liegenden sind die zum Bunde Gehörenden (68f).

Schon bald nach Ostern kam die junge Urgemeinde zu Mahlzeiten zusammen. Christlichen Gottesdienst gab es noch nicht. Aber es gab christliche Gemeinde. Als christliche Gemeinde konnte sie nicht im Tempel zusammenkommen. Dann bot sich ihr aber die Zusammenkunft beim gemeinsamen Mahl an, wo ohnehin in ausgeprägter Weise Gemeinschaft mit Gott und untereinander erfahren wurde. Die übernommene Sitte musste man nun modifizieren und neu füllen. Paulus zitiert in 1Kor 11,23-25 die wohl älteste Formel:

Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, in der er dahingegeben ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib (soma) für euch. Dies tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er den Kelch nach der Mahlzeit und sagte: Dieser Kelch ist der neue Bund auf Grund meines Blutes. Dies tut, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis”.

W. Marxsen (1963): Ursprünglich wurde das Abendmahl im Rahmen einer Mahlzeit gefeiert, d.h. beide Abendmahlshandlungen lagen nicht nebeneinander (10).

Vom Essen ist in der Formel nicht die Rede. Es ist auch nicht gesagt, dass das Brot gegeben wird: die Essensterminologie und die Distributionsterminologie fehlen. Weil beim Kelchwort kein Element gedeutet wird, ist es beim Brotwort auch nicht der Fall (11f).

Der Kelch der Danksagung, den wir segnen (nicht dessen Inhalt wir trinken), ist er nicht die Teilhabe am Blute d.h. am Opfertode Christi? - Das Brot, das wir brechen (nicht das wir essen), ist das nicht die Teilhabe am Leibe (soma) Christi? Denn ein Brot, ein Leib sind wir viele, denn wir alle haben teil an einem Brote” (1 Kor 10,16f).

Angesichts der Missstände in Korinth kommt es Paulus darauf an, die Einheit der Gemeinde herauszustellen. Paulus demonstriert sie an der Einheit des Brotes. Es geht um eine Teilhabe, die sich in der Teilnahme an der Mahlgemeinschaft ereignet. Interpretiert wird der Kelch, den wir segnen d.h. über dem wir das Dankgebet sprechen; das Brot, das wir brechen d.h. über dem wir das Dankgebet sprechen. Denn beim Brechen des Brotes geschieht die Danksagung. Das entspricht jüdischer Sitte. ‘Brot brechen’ ist ein feststehender Begriff für: das Dankgebet sprechen (12f).

Beim Mahl konstituiert sich die Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird bezeichnet als der neue Bund bzw. als der Leib Christi. Beides ist dasselbe, einmal jüdisch, das andere Mal hellenistisch ausgedrückt.

Beim Brotbrechen und beim Segnen des Kelches haben wir es mit den ohnehin schon ‘liturgischen’ Stellen dieser Gesamtmahlzeit zu tun. Während einer vollständigen Mahlzeit wird an diesen beiden Stellen interpretierend ausgesagt: Die feiernde, betende, danksagende Gemeinde ist der Leib Christi, die als solche den neuen Bund aktualisiert (13).

Die Missstände in Korinth 1Kor 11,21f: Wenn die Gemeinde zusammenkommt, fängt sie sofort mit dem Essen an. Die zu spät Kommenden finden dann Leute vor, die schon betrunken sind. Die Korinther mögen gemeint haben, das sei nicht schlimm, da den zu spät Kommenden nichts entginge, weil sie immerhin noch am ‘Abendmahl’ teilnähmen. Paulus sagt, dass das, was dann noch gefeiert wird, überhaupt kein Herrenmahl mehr sei. Die Missstände konnten erst dadurch entstehen, dass die kultische Feier ans Ende der Mahlzeit gerückt war (13).

Ihr könnt nicht zugleich den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen, ihr könnt nicht zugleich am Tisch des Herrn teilhaben und am Tisch der Dämonen. Oder wollen wir den Herrn herausfordern? Sind wir stärker als er” (1Kor 10,21f)?

Hier und in 11,26f spricht Paulus vom Essen und Trinken. Es ist jedoch nicht so, dass Paulus damit die Speise als solche qualifiziert, sondern es geht um die ‘Teilhabe’, die sich beim Essen ereignet (14):

Am Kreuz hat das Neue begonnen - und so führt man diese Feier der Gemeinde auf den Kreuzigungstag zurück. Wenn Jesus damals eine zu wiederholende Feier, also einen Kultus, eingesetzt hätte, dann wäre das Abendmahl nicht nur gefeiert worden, sondern man hätte auch um den Ursprung gewusst (17).

Jesus kam es auf die Vorwegnahme der Zukunft an, dass sich jetzt Zukunft ereignet. An der Zukunft als solcher war er nicht interessiert. Wir finden keine Hinweise dafür, dass Jesus an eine Institutionalisierung seiner Vorwegnahme der Zukunft gedacht hat. Das Problem einer zukünftigen Kirche lag jenseits der Erwägungen Jesu (17).

An den beiden Stellen, Brotbrechen und Segensbecher, kennt die palästinensische Gemeinde Interpretationen des Mahles und der Mahlgemeinschaft. An diese beiden Stellen schließt sich bei der Fortsetzung der Mahle Jesu die neue Interpretation an. Beim Vollzug des Gesamtmahles wird interpretierend ausgesagt: Die feiernde Gemeinde ist der Leib Christi, sie ist der neue Bund (22).

Die Gemeinde versteht sich als eschatologische Gemeinde auf Grund bzw. kraft des Blutes Christi, kraft des als Sühneopfer verstandenen Kreuzestodes (22).

Bei Mk findet eine Verschiebung der Schwerpunkte statt: Die Leibvorstellung geht über auf das Brot, das gebrochen wird, entsprechend wird der Kelchinhalt mit dem Blut Christi in Beziehung gesetzt. Leib und Blut (der ganze Mensch) gehören nun mit Brot und Wein zusammen. Die ‘Elemente’ treten in Erscheinung. Die Gegenwart des Kyrios wird an diese Speise gebunden. Dann ist die Mahlzeit, die ursprünglich als Mahl des neuen Bundes im Mittelpunkt stand, ihrer Bedeutung beraubt, sie kann wegfallen. Die Essensterminologie, die früher fehlte, tritt nun in die Formel ein (22f).

 

Die Weiterreflexion geschieht im hellenistischen Raum: Nach hellenistischem Denken ist die Mitteilung des ‘Göttlichen’ an Menschen immer stofflich gedacht bzw. vorgestellt. Geist ist nach hellenistischer Vorstellung feinste Stofflichkeit. Der Jude denkt insofern geschichtlich, als das Eschaton für ihn durch Repräsentation und durch Vorwegnahme gegenwärtige Wirklichkeit wird (23).

Paulus polemisiert dagegen, dass bei den Korinthern der Gemeinschaftscharakter, das, was für das ursprüngliche Abendmahl das Wesentliche war, verlorengeht. Aber dieses ursprüngliche Abendmahl konnten die Korinther gar nicht feiern, weil das Mahl an sich für sie ein gesellschaftliches, aber kein kultisches Ereignis war. Das Kultische war für sie als die verkürzte Mahlfeier ans Ende gerutscht. So war das Abendmahl nur noch ein verkürzter liturgischer Akt. Hier beginnt die für das Abendmahl so folgenschwere Auseinandersetzung zwischen jüdischem und hellenistischem Denken (24).

Das langsame Heraustreten der Betonung der Elemente ist hellenistische Interpretation des ursprünglichen palästinensischen Mahles. Das Essen heiliger Speisen ist nicht die Sache, um die es geht, sondern das ist bereits Interpretation der Sache.

Das Problem - heilige Speise oder nicht? - war im ursprünglichen Abendmahl keineswegs angelegt. Der Streit zwischen Lutheranern und Reformierten ist an Interpetamenten, nicht aber an der Sache selbst orientiert (24f).

Dadurch, dass das Mahl weggefallen ist, tritt der Charakter des Abendmahls als Mahl der eschatologischen Gemeinde immer stärker zurück. Die Speise wird ein Heilmittel zur Unsterblichkeit bzw. ein Gegengift gegen das Sterben. Sie enthält Kräfte der jenseitigen Welt. Nun wird aus der eschatologischen Gemeinde dieKultgemeinde (26).

Jede Stufe der Entwicklung des Abendmahls bildet einen weiteren Abzug von der vorhergehenden. Am Anfang steht das Mahl als eschatologisches Ereignis. Dieses Mahl wird an zwei Punkten interpretiert. Dann werden diese beiden Punkte aus der Gesamtmahlzeit herausgenommen. Die Interpretation geht weiter, bezieht sich aber auf das, was gerade an diesen beiden Punkten geschieht: Brot- und Weingenuß. Schließlich werden wirklich Brot und Wein interpretiert; und diese Interpretation wird christologisch ausgebaut (27).

Am Anfang ging es um die Gegenwart des durch den Kyrios ereigneten Eschatons in der Gemeinde. Dieses Moment des ‘eschatologischen Existierens’, das gerade im Miteinander der Glieder beim gemeinsamen Mahl zum Ausdruck kam, ist verloren gegangen. Keineswegs hat Jesus das Abendmahl, das wir heute in Wittenberg, Rom oder Genf feiern, eingesetzt (28).

Das Abendmahl hat eine Entwicklung durchlaufen. 'Das' ntl Zeugnis vom Abendmahl gibt es nicht. Die verschiedenen Abendmahle lassen sich nicht harmonisieren, weil man verschiedene Stufen einer Entwicklung nicht harmonisieren kann (29).

Das NT ist die älteste (erhaltene) Geschichte der christlichen Verkündigung. Diese Verkündigung spiegelt bereits eine dogmengeschichtliche Entwicklung (29).


 

W. Marxsen (1976): Der Ursprung des Abendmahls wurde (zurück)-datiert (auf Jesu Abschiedsmahl). Hier ist etwas Ähnliches geschehen, wie beim entstehen der jüdischen Feste: Ursprüngliche Naturfeste wurden auf das Handeln Jahwes mit seinem Volk bezogen. Dieses Heilshandeln wollte man ’erinnern’. Die Urgemeinde, die in ihrem Abendmahl zunächst die Mahle des irdischen Jesus ‘erinnerte’, verknüpfte es später mit der Passion Jesu, weil sie im Kreuz das entscheidende Versöhnungshandeln Gottes sah (70).

Die Umgestaltung des Abendmahls (die Speise wird als Leib und Blut Christi genossen) hängt mit griechisch-hellenistischen Vorstellungen zusammen. Die Mitteilung des ‘Göttlichen’ an Menschen ist hier immer stofflich gedacht. Selbst ‘Geist’ ist nach hellenistischer Vorstellung feinste Stofflichkeit. Wenn man im griechischen Raum das Abendmahl feiert, dann kommt Christus in der heiligen Speise, im Brot und Wein, zu den Seinen. Ohne Übersetzung hätte man im griechischen Raum das Abendmahl nicht feiern können (71).

W. Marxsen (1960): Ursprünglich war das Abendmahl im Rahmen einer vollständigen Mahlzeit (1Kor 11,25) gefeiert worden. Die beiden Abendmahlshandlungen lagen nicht neben einander.

Paulus führt die Tradition auf die Nacht zurück, in der der Kyrios übergeben wurde. Markus fügt die Kultformel in eine ältere Passionsgeschichte ein und macht sie damit erst zum Einsetzungsbericht. Diese Ätiologie ist theologisch verständlich. Ist sie aber historisch haltbar? Dagegen erheben sich Bedenken. Eigenartig ist, dass es eine Passionsgeschichte ohne Einsetzungsbericht gegeben hat. Ist das Abendmahl in der Nacht des Verrats eingesetzt worden, dann ist es auch gefeiert worden, dann konnte es bei der Zusammenstellung einer Passionsgeschichte nicht übergangen werden. Wurde dagegen ein Abendmahl gefeiert, dessen Ursprung noch nicht auf diese Nacht zurückgeführt wurde, konnte es auch hier nicht erwähnt werden (45).

Andere Bedenken kommen aus der urgemeindlichen Verkündigung der Eschatologie Jesu. Die Einsetzung eines Kultes setzt voraus, dass eine Kirche über die Zeit von Jesu Tod hinaus, also für die Zukunft geplant war. Dass das vor Ostern der Fall war, ist (nach den MS-Worten) unwahrscheinlich. Außerdem ist die sakramentale communio aus jüdischen Vorstellungen nicht abzuleiten. Dass die entscheidenden Interpretamente den Tod Jesu als Heilstod voraussetzen, ist eine erst nachösterliche Interpretation. So wird man sagen müssen, dass von einer Einsetzung des Abendmahls als einer kultisch zu wiederholenden Handlung am Abend des Verrats nicht die Rede sein kann. Den Abendmahlsbericht muss man als eine ätiologische Kultlegende bezeichnen. Man nimmt an, dass die Abendmahlsfeier irgendwo (in der hellenistischen Gemeinde) entstanden ist und dann ihr Ursprung auf Jesus zurückgeführt wurde (45f).

Wir hören mehrfach von Mahlgemeinschaften mit Jesus, wo die Mahlgenossen Zöllner und Sünder sind, Menschen also, die kultisch unrein waren. Einerseits ist jedes jüdische Mahl (durch die dabei gesprochenen Gebete) ein kultisches Mahl, zum anderen ist die Endzeit oft im Bild des Mahls dargestellt. Dann wird der eschatologische Charakter deutlich, in dem die Urgemeinde diese Mahle Jesu sah. Wieder begegnet hier die doppelte Relation: In der Relation der Sünder und Zöllner zu Jesus, die in der Gemeinschaft des Mahles hergestellt wird, stehen diese Menschen zugleich in der eschatologischen Relation. Im Essen und Trinken erfährt die Urgemeinde eine Gemeinschaft, die sie als eschatologisch aussagt (46).

Nach Ostern feiert die Gemeinde diese Mahle weiter (Apg 2,42ff “mit Jubel“), und zwar die Gemeinde, die sich selbst als die eschatologische Gemeinde versteht, als die Gemeinde des neuen Bundes. Sie feiert diese Mahle in den Häusern als vollständige Mahlzeit. Das gemeinsame Mahl ist Ausdruck engster Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Christlichen Gottesdienst gibt es noch nicht, aber es gibt eschatologische Gemeinde, die sich beim Mahl sammelt und dabei die Mahle mit Jesus fortsetzt (46f).

Bald wird der Inhalt dieser Mahle explizit. Die Interpretation des Mahles bedient sich der Vorstellungen, die die Umwelt im Judentum und in den hellenistischen Mysterienkulten bereithält. Die Interpretamente des Abendmahls sind aus der religiösen Umwelt des Urchristentums genommen. Von dem Mahl wird ausgesagt, dass in ihm das Doppelte verbunden ist: die neue eschatologische Gemeinschaft und in ihr die Gegenwart Jesu. Beides wird vom Kreuz her begründet. Verlorengegangen ist das Moment des eschatologischen Existierens, das gerade im Miteinander der Glieder bei der gemeinsamen Mahlzeit zum Ausdruck kam (47f).

Die Liturgie ist 'datiert' worden; ihr Ausgangspunkt wird genannt. Das ist unhistorisch. Insofern kann man von einer ätiologischen Kultlegende reden, denn das Abendmahl wird in der Form, die es jetzt erreicht hat und in der es jetzt gefeiert wird, auf die Einsetzung zurückgeführt. Das Abendmahl selbst hat seinen Ursprung in den vorösterlichen Mahlgemeinschaften mit Jesus, in denen die Seinen sich in die eschatologische Relation gestellt wussten (48f).

 

4. Keine Eucharistiefeier in der Hebräergemeinde

 

(1) Der Verfasser des Hebräerbriefes ist ein Gegner jeder sakramentalen Abendmahlspraxis
 (2) Das Abendmahl spielt im Hebräerbrief keine Rolle
 (3) Der Brauch der Herrenmahlsfeier wird implizit ausgeschlossen

 O. Holtzmann

(1) Der Verfasser des Hebräerbriefes ist ein Gegner jeder sakramentalen Abendmahlspraxis : Hebr. 13,7-17: Führer, die bis zum Tod ihren Glauben bewahrt haben, haben das “Wort Gottes“ gebracht. Diesem “Wort Gottes“ stehen “schillernde, fremde Lehren“ gegenüber. Von solchen Lehren (Pl.) soll man sich nicht fortreißen lassen, “denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde durch (Gottes) Gnade, nicht durch Speisen...“ (13,9). Im Gegensatz ist das Vertrauen auf die Speise als Spenderin der Festigkeit des Herzens gedacht. Wir haben hier den Begriff einer sakramentalen Mahlzeit. Diesen Begriff bekämpft der Hebr (251f).

Das Abendmahl ist in der Geschichte der Christenheit die einzige Speise, durch die eine solche Kräftigung der Herzen erstrebt wurde. Die Opfermahle der Juden, zu denen sich die hebräischen Christen noch hingezogen fühlten, hatten nicht den Zweck, das Herz zu festigen. Die Abweisung jeder Speise als ein Festigungsmittel der Seele schließt die Abweisung einer solchen Beurteilung des christlichen Abendmahls in sich. Die schillernde, fremde Lehre beurteilt gewisse Speisen als Mittel, das Herz fest zu machen. Sie verlangt den Genuss der Speisen (252f).

Wie nach 9,13 das Blut von Böcken und Stieren und die Asche der Kuh das Bewusstsein nicht von Schuld reinigen konnte, so konnten Speisen das Herz nicht festigen. Gedacht ist an die jüdischen Opfermahle. Der Verfasser redet von ihnen nur deshalb, weil man vom christlichen Abendmahl eine “Festigung des Herzens“ erwartete. Die Bezugnahme auf die jüdischen Opfermahlzeiten weist darauf hin, dass Christen sich bei ihrer Beurteilung des Abendmahls auf eine ähnliche Beurteilung der im Gesetz vorgeschriebenen Opfermahlzeiten beriefen. Der Verf. sieht in der Hervorhebung der herzensfestigenden Speise eine Materialisierung des Versöhnungsgedanken. Alles Irdische ist ihm nur Schatten, nur Gleichnis, nur Nachbildung der wahren Wirklichkeit (8,5; 9,9.23;10,1) (253f).

Hebr 13,10: “Wir haben einen Altar, von dem die dem Zelt Dienenden nicht essen dürfen“. Die Christengemeinde hat einen Altar. Öfters ist vom Opfer Christi und vom Darbringen dieses Opfers gesprochen. Wo ein Opfer (9,26; 10,12), ein Darbringen (7,27; 8,3; 9,25.28; 10,12) statthat, da ist auch ein Altar schon in der Vorstellung dieser Bilder gegeben. Diese Stellen reden immer von der Selbsthingabe Christi. Jesus hat vor dem Stadttor gelitten (13,12), wie die Leiber der Opfertiere des Versöhnungstags außerhalb des Lagers verbrannt wurden. Der “Altar“, den “wir haben“ (13,10), ist der Altar, auf dem Jesus sich selbst zur Versöhnung geopfert hat (254).

Von diesem Altar darf die Gemeinde nicht essen. Es handelt sich um eine Mahlzeit, deren Speisen von dem Altar genommen sind, auf dem Christus sich selbst geopfert hat: es handelt sich um ein Essen vom Leibe Christi. Das ist die später herrschende Deutung des Abendmahls, die der Verfasser rundweg ablehnt (255).

Die “schillernde, neue Lehre“ behauptet, dass die Christen durch ihr heiliges Mahl an dem einen für sie gebrachten Opfer teilhätten. Wie bei einem großen Opfer auf dem Altar in der jüdischen und heidnischen Welt oft für viele Opfergesellschaften die Tische gedeckt waren, so werde auch für die vielen Christen immer wieder der Tisch gedeckt, nachdem der christliche Hohepriester sich selbst Gott dargebracht hat. Gegen diese Auffassung erhebt der Hebr den Einwand, dass auch nach atl Vorschrift von den Opfern des Versöhnungstages ein Opfermahl nicht gehalten wurde: “Denn die Leiber der Tiere werden draußen vor dem Lager verbrannt, deren Blut um der Sünde willen von dem Hohenpriester in das Heiligtum gebracht wird“ (13,11; Lev 16,27). Nach Hebr 9,12.14.24-26 tritt das Opfer Christi an die Stelle der Opfer des Versöhnungstages. Als Gott das Opfermahl am Versöhnungstag verbot, hat er nach dem Verständnis des Hebr auch die Beurteilung des Abendmahls als eines zur Versöhnungstat Christi gehörigen Opfermahls verboten. Im AT ist, wenn auch in unvollkommener Weise, alles das vorgebildet, was im Neuen Bund Wirklichkeit werden sollte (255f).

Nur was mit dem Opferfleisch am Versöhnungstag geschieht, scheint für die Auseinandersetzung wichtig zu sein. Weil die bekämpfte Richtung erklärte, dass im Abendmahl das Soma Christi zum Genuss gereicht werde, deshalb sagt der Hebr, dass die Somata der am Versöhnungstag geopferten Tiere vor dem Lager verbrannt werden mussten. Auch der Leib des ntl Versöhnungsopfers, das Soma Christi, darf von den Gläubigen nicht gegessen werden (256).

Aus der Übereinstimmung des Todes Jesu vor dem Stadttor und der Verbrennung der Opfertiere des Versöhnungstages vor dem Lager ergibt sich wieder die Folgerung, dass das Opfer Christi nicht für die Gläubigen zur Speise und zum Mahl werden darf. Das Soma Christi ist kein Gegenstand menschlicher Nahrung (256f).

Wir Gläubigen müssen zu unserm Herrn hinausgehen vor das Lager und müssen seine Schmach tragen. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die künftige suchen wir“ (13,13f). Es gehört zum Wesen der Frömmigkeit, dass der Gläubige sich wie die Patriarchen (11,13f) auf Erden in der Fremde und auf der Wanderschaft weiß und ein besseres, himmlisches Vaterland sucht (257).

Die Christen haben kein Opfermahl. Der Tod Christi ist das große, einmalige, voll genügsame Versöhnungsopfer (1,3; 7,27; 9,11-14.23-28; 10,12). Zwei Arten von Opfern sollen die Christen Gott bringen: das Opfer des Lobes (13,15) und die Opfer der Wohltätigkeit und der Milde, an denen Gott sein Wohlgefallen hat (13,16) (257).

H.-M. Schenke: Die Möglichkeit, das Herantreten zum himmlischen Heiligtum sich als konkret im Herantreten an den Tisch des Herrenmahls erfolgend zu denken, fällt aus. Die Beziehung auf das Herrenmahl wäre dem Verfasser von seinen Prämissen aus so überaus leichtgefallen, dass der Umstand, dass er diese Beziehung gerade nicht zum Ausdruck bringt, hier das entscheidende Datum ist, weswegen damit zu rechnen ist, dass der Verfasser wie seine Adressaten den Brauch des Herrenmahls nicht kennen (433).

 


 


 

 M. Dibelius

(2) Das Abendmahlspielt im Hebräerbrief keine Rolle : Der himmlische Kultus nach dem Hebräerbrief : Das zentrale Heilsereignis ist nicht die Kreuzigung oder die Auferstehung, sondern die Durchdringung der Himmel und der Eingang ins himmlische Heiligtum, d.h. die Erhöhung Christi, dargestellt als kultische Handlung des Sohnes, die auch den “vielen Söhnen“ (2,10) den Zutritt zu diesem Heiligtum eröffnet. Die Christen sind die “Herantretenden“, die durch den himmlischen Hohenpriester die vollendete Weihe erhalten (172).

Seitdem der himmlische Gottesdienst in Kraft getreten ist, hat der irdische seinen Eigenwert verloren. Die frühere Anordnung wird aufgehoben wegen ihrer Schwachheit und Nutzlosigkeit (7,18). Wenn Gott von der neuen Ordnung redet, so hat er damit die erste für veraltet erklärt (8,13); er will nach Ps 40,7-9 nicht Opfer noch Gabe (10,5). Er hebt das “erste“ auf, um das “zweite“ in Geltung zu setzen (10,9). Die alte Ordnung wird durch die neue nicht nur überboten (9,9-28) sondern außer Kraft gesetzt. Die Existenz des Melchisedek-Priestertums beweist, dass das Alte die vollkommene Weihe nicht gebracht hat (7,11). Das “vordere Zelt“ der alten Stiftshütte hat für die Gegenwart nur gleichnishafte Bedeutung: der alte kultische Apparat und der neue “Weg der Heiligen“ zum Himmel schließen sich aus (9,8f) (172f).

Der Hohepriester Christus hat “ein für allemal“ (7,27; 9,12; 10,10) endgültig getan, was zu tun war. Dieses “ein für allemal“ richtet sich gegen jeden antiken Kult, gegen das ganze kultische Wesen: es bedarf dessen nicht mehr! Wo Sündenvergebung ist, braucht es kein Sündenopfer mehr (10,18). Wo sich der Eintritt in den Himmel selbst vollzieht, ist es nicht mehr nötig, in sein irdisches Abbild einzugehen (9,24) (173f).

Die Versammlungen der Christen (Gottesdienst) ist kein Kultus im antiken Sinn. Es fällt auf, wie unfeierlich und unpriesterlich der Hebr von der “Versammlung“ der Christen redet (10,25). Man wird dabei zur Übung von Liebe und guten Werken ermuntert. Das Abendmahl spielt im Hebräerbrief keine Rolle. Die Bedrohung dessen, “der das Bundesblut für profan achtet, durch das er geheiligt worden ist“ (10,29), bezieht sich nicht auf das kultische Sakrament, sondern auf das Opfer Christi, durch das der Christ die vollkommene Weihe erlangt hat (174).

Im 1.Jh. gibt es eine Auffassung der Kirche, die aus theologischer Erkenntnis heraus, von jedem antiken Kultus-Gedanken weit entfernt ist. Opfer, Weihe, Eingang und Priesterdienst Jesu Christi im Himmel sind das einzige Kultmysterium, das für Christen noch Geltung hat. Dies aber ist einmalig und schließt jede Wiederholung aus. Es gibt keinen anderen Priester für Christen als nur den einen, der durch die Himmel gedrungen ist und uns damit den “neuen und lebendigen Weg“ eingeweiht hat (4,14; 10,20). Für Christen gibt es keinen anderen Kult als die Beteiligung an diesem himmlischen Mysterium (175).

Der “Gottesdienst“ dieser “Versammlungen“ der Christen soll die Christen reif machen, teilzunehmen an dem einzigen wirklichen “Gottesdienst“, dem Kultus im Himmel, dessen einziger “Hoherpriester“ Christus selbst ist (176).

Anhang: Hebr 5,7: Alles, was in diesen Worten befremdlich sein kann, findet sich in den Psalmversen: 42,6.12; 43,5; 22,25; 69,4; 31,23; 39,13 als Schilderung unschuldigen Leidens: Angst, Gebet, Schreien, Tränen, Erhörung. Die Darstellung des Hebr stellt eine Parallele zur Gethsemane-Szene dar. Das, was die ersten Christen über die Traurigkeit ihres Herrn aus dem AT herauslasen, ist hier im Rahmen jenes großen kultischen Geschehens gezeichnet, in dem der Verf. des Hebr das Heil sich vollenden sieht (172). 

F. Laub

(3) Der Brauch der Herrenmahlsfeier wird implizit ausgeschlossen :  Die paränetische Konsequenz der Hohepriesterchristologie ist die Aufforderung zum “Hinzutreten“(4,16; 10,22; vgl. 7,25; 10,1; 12,18.22). Sie ist die paränetische Entsprechung zu dem Heilsverständnis, das im christologischen “Hineingehen“des Hohepriesters Jesus in das himmlische Allerheiligste zu Wort kommt (265).

Begriffe, die an die Abendmahlsberichte erinnern (Bund, Blut, Leib), sind Ausdruck der Gegenüberstellung des Alten Bundes mit dem Neuen Bund, Kult des Alten Bundes mit dem in kultischen Anschauungen ausgelegten, in sich völlig unkultischen christologischen Heilsgeschehen. Dieses Heilsereignis signalisiert für den Hebr die Erledigung jeglichen kultischen Bemühens (10,18). Von seinem Argumentieren in kultischen Anschauungen aus betrachtet wäre es für den Verf. naheliegend, direkt auf das Thema Abendmahl einzugehen. Dass er es nicht tut, macht sichtbar, wie sehr das Herrenmahl außerhalb seines theologischen Gesichtskreises liegt (266f).

Von der Gesamtkonzeption der Hohepriesterchristologie her entscheidet sich, wie die kultische Redeweise innerhalb der Paränesen verstanden werden muss. In den christologischen Abschnitten wird das unkultische Heilsereignis von Kreuz und Erhöhung mittels kultischer Anschauungen so in seiner Einmaligkeit und Endgültigkeit dargestellt, dass man zugestehen muss: Für den Verfasser gilt alles kultische Bemühen um Heil als erledigt. Deshalb muss auch die Kultsprache im Rahmen der Paränesen (der Aufforderung zum Hinzutreten) in einem nicht-kultischen Sinn gedeutet werden. Mit der Hohepriesterchristologie legt der Verf. das Gemeindebekenntnis aus, um seine Adressaten zur Glaubensausdauer zu motivieren (267).

In der Interpretation von Erniedrigung und Erhöhung durch die Vorstellung vom hohepriesterlichen “Hineingehen“hat der Verf. Leidensgehorsam und Kreuzestod so mit der Erhöhung zu einer theologischen Einheit verbunden, dass das christologische Heilsereignis als das hohepriesterliche Hineingehen in das wirkliche Allerheiligste, in die Unmittelbarkeit der Gegenwart Gottes selbst, erscheint. Die für die neue Heilswirklichkeit entscheidende Existenzweise in der Sarx (Kennzeichen der Erniedrigung) bedeutet das Gleichwerden mit den Brüdern, ein Gleichwerden, das in der Erfahrung der gleichen Anfechtungssituation konkret wird (2,17f; 4,15). Weil der erniedrigte Sohn die Anfechtung im Leidensgehorsam bestand und so vollendet wurde, “wurde er allen ihm Gehorchenden der Urheber ewigen Heils“ (5,8f). Parallel dazu erscheint in 9,11f die “ewige Erlösung“ als Erfolg des hohepriesterlichen Hineingehens ins Allerheiligste mit dem eigenen Blut. Die Aufforderung zum Hinzutreten verweist den Glaubenden daher nicht auf eine im Kult mögliche Vorwegnahme der eschatologischen Erfüllung, sondern auf das einmalige Heilsereignis von Kreuz und Erhöhung, das für immer den Zugang zu Gott erschlossen hat. Bei ihrem Gläubigwerden hat sich der Gemeinde diese eschatologische Heilswelt Gottes eröffnet (12,22ff). Zur eschatologischen Erfüllung gelangt sie durch fortwährendes Hinzutreten im Glauben, d.h. durch fortwährende Realisierung der Möglichkeit des neuen Gottesverhältnisses, wie dies durch Glaubensausdauer, durch Festhalten am Bekenntnis und an der Hoffnung geschieht. Die Aufforderung zum Hinzutreten und die Glaubensparänese gehören engstens zusammen (268f).

Das “Hinzutreten“ zu der in Christus angebrochenen Heilswirklichkeit kann nur in der Weise geschehen, wie sie die Glaubensparänese beschreibt: “Daher lasst uns hinausgehen zu ihm, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (13,13). Das Hinzutreten wird hier als ein Herausgehen erklärt. Die Adressaten werden zu einem Verhalten gemahnt, das dem vom Hohepriester Jesus gewirkten Heil angemessen ist. Denn durch Leidensgehorsam und Kreuzestod, durch sein Hineingehen in das wirkliche Allerheiligste mit dem eigenen Blut wurde er der Urheber “ewigen Heils“ und “ewiger Erlösung“ (5,9;9,12). Die kultisch-sakrale Sphäre für die Gemeinde des Neuen Bundes wird als abgetan erklärt und zwar so entschieden, dass mit dieser theologischen Position auch der Brauch der Herrenmahlsfeier, wenn nicht in direkter Bezugnahme so doch implizit ausgeschlossen wird (13,9-17) (269f).

Das “Hinausgehen zu ihm, außerhalb des Lagers“ will der Verf. als Gegenreaktion gegen eine der “vielfältigen und fremden Lehren“ verstanden wissen, wonach das Herz statt mit Gnade mit Speisen gefestigt werden soll (13,9). Dabei handelt es sich um die Speise eines kultischen Mahles (“Altar“): “Wir haben einen Altar, von dem zu essen die dem Zelt Dienenden kein Recht haben“ (13,10). Der Text unterscheidet die mit “wir“ angesprochene Adressatengemeinde und “die dem Zelt Dienenden“ 270f).

Der Verf. stellt die fremde Lehre (13,9; 9,10), von der sich seine Leser nicht verführen lassen sollen, ihren Wert nach auf eine Stufe mit den kultischen Anordnungen des Alten Bundes und bezeichnet das dann als ein “Dem-Zelt-Dienen“. Das Phänomen des “Speisen-Essens“ ist mit dem “Altar“ der Gemeinde des Neuen Bundes nicht zu vereinbaren. Wie das Fleisch der Tiere (Lev 16,27; 13,11f), mit deren Blut der Hohepriester am Versöhnungstag in das Allerheiligste hineinging, nicht als Opferspeise gegessen, sondern außerhalb des Lagers verbrannt wurde, so hat “auch Jesus, damit er das Volk durch sein Blut heilige, außerhalb des Tores gelitten“. Mit “wir haben einen Altar“ kann nichts anderes gemeint sein als das Heilsereignis, das der Hebr als hohepriesterliches “Hineingehen in das Allerheiligste mit dem eigenen Blut“ auslegt und das er mit dem Ein-für-allemal in seiner Einmaligkeit und Endgültigkeit hervorhebt (271).

Mit diesem Altar verträgt sich keinerlei kultisches Essen und es können an ihm diejenigen keinen Anteil haben, die meinen, das Herz mit Speisen festigen zu müssen. Anteil an diesem Altar bekommen, kann man nur im “Hinausgehen zu ihm, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (13,13). D.h. das Verhalten, das dem “Altar“ der Gemeinde des Neuen Bundes angemessen ist, ist nicht das kultisch-sakramentale Essen, sondern jenes, das der Verf. in den Glaubensparänesen seinen Lesern nahebringen möchte (271f).

Die Art, wie der Hebr das Speisen-Essen als für die Gemeinde des Neuen Bundes als unzulässig und nutzlos erklärt, macht es unwahrscheinlich, dass in dieser theologischen Position Raum war für das Abendmahl und das Essen des Herrenleibes. Die Verse 13,16f sind eine Bestätigung für die Abneigung des Hebr gegenüber allem Kultisch-Sakramentalen. Als Gegensatz zu dem abgelehnten Essen von Speisen bezeichnet der Verfasser das “Lobopfer“, das “Wohltun“ und das “Gemeinschaft-Pflegen“ als die Opfer, an denen Gott Gefallen findet (272).


 


 


 


 


 

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