2. Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube
Die Auferstehungsgeschichten
E. Hirsch: Jh 20 erzählt das Abgewälztfinden des Steins durch Maria von Magdala, das Leerfinden des Grabes durch den Lieblingsjünger und Petrus, die Erscheinung Jesu an Maria von Magdala als erste Erscheinung, die Erscheinung an die Jünger ohne Thomas am Ostersonntag abends bei verschlossener Tür in Jerusalem, die Erscheinung an die Jünger mit Thomas am Sonntag darauf abends bei verschlossener Tür in Jerusalem. Jh 21 fügt die Erscheinung an Petrus und sechs andere Jünger am galiläischen Meer hinzu. Bei der Erscheinung an Maria von Magdala ist ausdrücklich hervorgehoben, dass der Erscheinende aus dem Grab hervorgegangen, aber noch nicht zum Vater aufgefahren ist. Die Himmelfahrt ist nicht erzählt.
Die Nachrichten über Ort und Zeit der Himmelfahrt werden in der kirchlichen Osterlegende aus dem Anfang der Apostelgeschichte (Apg) ergänzt. Zusammen mit dieser Ergänzung hat das kirchliche JhEv den Grundriss der kirchlichen Vorstellung vom Ostergeschehen festgelegt (31f).
Die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu vierzig Tage nach Ostern vom Ölberg aus ist keine alte Überlieferung. Sie ist in der Apg ein nachträglicher Einschub. Der Verfasser der Apg hat auch das Lukasevangelium (LkEv) geschrieben. Im LkEv lässt er Jesus noch am Ostersonntagabend in Betanien von den Jüngern Abschied nehmen. Er denkt sich Jesus nach den Erscheinungen weiter zu dem himmlischen Wohnsitz Gottes fahrend, ebenso wie das JhEv. Der zeitliche Rahmen ist so anders, dass für die ganze kirchliche Osterlegende kein Platz mehr ist (32).
Das JhEv ist mindestens in seinen Schlusskapiteln einer redaktionellen Erweiterung von späterer kirchlicher Hand unterworfen worden. Diese kirchliche Redaktion hat erstens das ganze 21.Kp. hinzugesetzt und zweitens in Kp.20 die Verse 20,2-11a eingeschoben. Nimmt man diese Zusätze fort, so ergibt sich, dass das ursprüngliche JhEv einem Typus der Osterlegende folgt, der nur Erscheinungen Jesu in Jerusalem kennt (33).
Der Bericht 1Kor 15 kennt die Vorstellung einer die Auferstehungserscheinungen abschließenden Himmelfahrt Jesu noch nicht. Paulus ordnet seine Damaskuserscheinung als den übrigen Erscheinungen gleich und ebenbürtig ein. Für ihn sind alle Erscheinungen Jesu Erscheinungen eines schon zu Gott in die himmlische Herrlichkeit Entrückten gewesen. Die Erscheinung eines bei Gott in der himmlischen Herrlichkeit Seienden geschieht nach allen Analogien im 'Gesicht', d.h. in einem enthusiastischen Zustand, dem sonst verborgene Wirklichkeit sich enthüllt. So hat er auch seine Damaskuserscheinung als der Geisterfahrung zugehörig beurteilt. Die offizielle kirchliche Osterlegende hingegen hat eine viel mehr irdische Vorstellung von dem Sehen des Herrn, demgemäß, dass ihr der auferstandene Herr eine noch nicht in die himmlische Herrlichkeit entrückte Gestalt ist (34).
Die Geschichte des ältesten Osterglaubens
(1) Der Bericht 1Kor 15
(2) Die geschichtlichen Bedingungen der Auferstehungsgeschichten
(3) Der tiefere Gehalt des ersten Osterglaubens
(4) Die Verwandlung des Osterglaubens
(5) Die kirchliche Festlegung des Ostermythus
(6) Ausblick
(1) Der Bericht 1Kor 15: „Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift und ist begraben und ist auferstanden am dritten Tag nach der Schrift und ist erschienen zuerst (1) dem Kefas (=Petrus), dann (2) den Zwölfen, alsdann (3) mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, alsdann (4) erschienen dem Jakobus, dann (5) allen Aposteln“.
-) Die Erscheinung an Petrus und die an die Zwölf sind in Galiläa geschehen, wohin die Jünger nach dem Zusammenbruch ihres Glaubens am Karfreitag geflohen sind und ihr altes Handwerk wieder aufgenommen haben.
-) Es handelt sich bei diesen Erscheinungen um Gesichte, die in einem das gewöhnliche Bewusstsein überhöhenden Zustand, im Geist, geschaut werden. Petrus ist dies zuerst widerfahren. Er ist aus anderen Geschichten als visionär veranlagt bekannt.
-) Die Vorstellung, die dies Sehen des Herrn in den es Erfahrenden auslöste, ist die, dass Jesus nicht im Tod geblieben, sondern zu Gottes Thron entrückt ist und von dort aus zu den von ihm Erwählten kommt und sich kundmacht.
-) Alle Vorstellungen, die man aus den Auferstehungsgeschichten der Evangelien über das urchristliche Verständnis der Erscheinungen gewinnt, sind falsch. Die einzige an die Sache heranführende Analogie ist das Damaskuserlebnis des Paulus. Eine Beziehung auf das leere Grab ist nicht vorhanden (61).
Wenn Paulus seine Erscheinung als sechste und letzte der Reihe anfügt, so tut er es, um seine Stellung als Apostel zu begründen. Sein Damaskuserlebnis hat ihm dies beides zugleich bedeutet: Hinwendung zum Glauben an Jesus Christus und Berufung zum Heidenapostel (Gal 1,15f). Apostel sein und den Herrn gesehen haben sind ihm nahezu Wechselbegriffe (1Kor 9,1). Nach allgemeiner urchristlicher Anschauung ist es der Geist, der Jesus als den Herrn erkennen lässt (1Kor 12,3). Den Geist empfangen und an Jesus als den Herrn gläubig werden, das fällt so gut wie in eins (62).
Petrus, der Jünger, der Jesus am nächsten gestanden und sich am tiefsten von ihm geschieden hatte, gewinnt in Galiläa durch das Gesicht die Gewissheit: Jesus sei von Gott aus dem Tod zu seinem Thron entrückt und zum demnächst kommenden Herrn und Christus eingesetzt worden und sei nun zu ihm gekommen, um ihn wieder als Jünger anzunehmen und zum Verkündiger dieses ungeheuren Geschehnisses zu bestellen.
-) Er verkündigt diesen neu gewonnenen Glauben den andern in die galiläischen Verhältnisse Zurückgekehrten aus Jesu Gefolge und es begibt sich, dass er sie in sein Erlebnis hineinreißt: sie sehen gemeinsam den Herrn, so dass Unglaube und Zweifel überwunden werden und wissen sich nun als die Zwölf zu Sendboten Jesu als des kommenden Herrn und Christus bestellt.
-) Sie ziehen zusammen an den Ort, da der Christus nach jüdischer Überzeugung proklamiert werden muss, nach Jerusalem. Es kommt der Augenblick, wo trotz allem Widerstand der führenden jüdischen Kreise ihr Wort einschlägt: eine ganze Versammlung von fünfhundert Menschen wird in den Zustand der Verzückung im Geist hinein gerissen und schaut den Herrn als gegenwärtig in ihrer Mitte. Die erste Gemeinde ist da.
-) Jetzt greift der neue Glaube über auf Jakobus: er wird vom Geist ergriffen, schaut den Herrn und tritt als leitende Persönlichkeit neben die Zwölf.
-) Die Gemeinde, die sich so bildet, besteht zunächst in Jerusalem, die zugezogenen Galiläer in ihr haben die Führung. Ein ganzer Kreis von Männern schaut den Herrn und weiß sich zu Aposteln, d.h. Sendboten bestellt.
-) Wenn Paulus seine Christuserscheinung als sechste und letzte an diese Reihe anschließt, so stellt er damit die Entstehung der Heidenkirche als letztes und größtes Ereignis im Werden der Kirche Christi an den gebührenden Platz. Erst die Christuserscheinung des Paulus ist etwas anderes als ein Fortwirken des Erlebnisses des Petrus (63f).
(2) Die geschichtlichen Bedingungen der Auferstehungsgeschichten
Für die vom Judentum herkommenden Menschen gab es keine andere Möglichkeit, an Jesus zu glauben, als vermöge der Vorstellung, er sei der Kommende (von dem die Hoffnung der Frommen ihres Volks träumte), er sei durch den Tod zu Gott entrückt und werde nun in Kürze als der Herr erscheinen, um das Gericht an allem Unglauben zu vollziehen und das Reich Gottes zu offenbaren. Der älteste Osterglaube versteht sich als Kennen und Erfahren des im Kommen befindlichen Herrn. Die kurze Zeit zwischen Ostern und dem Kommen des Herrn ist ein Nichts. Dass aus diesem Augenblick die ganze Welt- und Kirchengeschichte werden würde, das hat dieser älteste Oster- und Endglaube nicht geahnt. An die Stelle des unbekannten Kommenden ist nun der von den Juden dem Tod preisgegebene und zu Gott entrückte Mensch Jesus getreten, der als der himmlische Herr kommen und das ewige Reich von Gott bringen wird. An die Stelle der jüdischen Volksgemeinde sind nun die von Gnade und Geist dieses Herrn Ergriffenen die Gemeinde Gottes. Der christliche Oster- und Endglaube ist eine Neubildung aus Elementen atl-jüdischer Weissagung und Hoffnung (68f).
Wer im damaligen Judentum als Prediger des nahen Gottesreichs mit solcher Klarheit und Kühnheit nicht allein den Autoritäten, sondern auch den Bestimmungen des heiligen mosaischen Gesetztes und der darauf gegründeten Art der Frömmigkeit entgegentritt, der besitzt ein tiefes Vollmachtsbewusstsein. Dass in Jesu Jüngern der Glaube sich entzündete, er sei der Kommende, durch den Gott sein Reich aufrichte, zeigt uns das von ihm selbst herausgeforderte Petrusbekenntnis (Mk 8,27ff). Er hat auf dieses Bekenntnis hin sie langsam in das Geheimis hineinblicken lassen, dass er der Menschensohn im Sinn der Endhoffnung sei, aber Gott einen ganz anderen Weg gehe mit dem Reich und dem Menschensohn, als es die Hoffnung der jüdischen Frommen erwartete: der Menschensohn werde sterben und in seinem Tod werde Gott einen neuen Bund aufrichten, der die Gotteserkenntnis und Gotteskindschaft an die Unfrommen und die Heiden gebe. Von diesem Augenblick an wurde Jesus von den Jüngern nicht mehr verstanden. Sie haben aber zweierlei im Gedächtnis behalten: Einmal, dass Jesus seinen eigenen Tod als von Gott dem Menschensohn bestimmten Rat ihnen in geheimnisschweren Worten geweissagt hat (Mk 8,31parr). Sodann, dass er ihnen in Verbindung mit dem Kommen des Gottesreichs die Zerstörung Jerusalems geweissagt hat (Mk 12,1-12-12parr; 13,2parr). Petrus hatte an Jesus als den kommenden König des Gottesreichs im atl-jüdischen Sinn geglaubt und sich dann beim Zusammenbruch dieses seines Glaubens von Jesus losgesagt. Dass sich ihm das Dennoch des Glaubens an Jesus gebar, das konnte ihm nichts anderes sein als ein ihm von Jesus nachträglich von Gottes Thron her gegebenes Verständnis eben der Worte und Weissagungen, für die sein Ohr einst stumpf gewesen war (70f).
Nach Paulus hat das urchristliche Lehrstück von Ostern die ausdrückliche Aussage enthalten, Jesus sei am dritten Tage auferstanden nach der Schrift (1Kor 15,4). Danach hat man die Vorstellung, dass Jesus am dritten Tag auferstanden sei, aus der Schrift des AT begründet (Hos 6,2). Nach Jona 2,1 ist Jona, der als Typus Christi gilt, drei Tage und drei Nächste im Bauch des Fisches gewesen. Es ist dies nicht der einzige Fall, dass der Weissagungsbeweis, den die erste Gemeinde für Jesus aus dem AT zu führen suchte, die Vorstellung vom tatsächlichen Hergang beeinflusst hat. Das berühmteste Beispiel ist, dass man der Prophetenstelle Mi 5,1 zuliebe die Geburt Jesu von Nazaret in Galiläa nach Bethlehem in Judäa verlegt hat (72f).
(3) Der tiefere Gehalt des ersten Osterglaubens
Indem Jesus Christus sich von Gottes Thron her gegenwärtig kundmacht und eine Gemeinde erwählt und schafft, die in und aus seinem Geist lebt und so der Ewigkeit zugehört, ist die Ewigkeit des Gottesreichs schon über die Zeit hereingebrochen und den Gliedern dieser Gemeinde die Gewissheit geschenkt, dass ihnen die Offenbarung und Vollendung des an ihnen verborgen wirklich Gewordenen unmittelbar bevorsteht. Die atl-jüdische Religion hat ihre Hoffnung auf ein Wunderreich gerichtet, das der kommende gottgesalbte König von Jerusalem her auf Erden gegen die anderen Weltreiche aufrichten wird. Demgegenüber scheidet der neue Oster- und Endglaube an Gottes Reich sich innerlich von jeder irdischen Erwartung und geht auf das, was in Wahrheit kein Auge schauen und kein Ohr vernehmen kann (74f).
In dem den Oster- und Endglauben entbindenden Sehen des Herrn wird das ewige Leben zum Leben des Menschen. Ewiges Leben wird geschenkt, man gibt oder erwirbt es sich nicht. Petrus und die Jünger kommen aus der atl-jüdischen Religion her, für deren Verständnis von Gottes Walten und Richten Jesus durch seine Ausstoßung aus dem jüdischen Bund und seinen Untergang am Kreuz ein von Gott Verurteilter, ein als gottlos Erwiesener war. Im urchristlichen Oster- und Endglauben wird das Gefühl der Abhängigkeit von Gott daran erlebt, dass der Mensch einen Herrn hat, der ihn mit seinem Geist belebt, bestimmt, regiert (76f).
Paulus steht als ein ganz in Christus Lebender, von ihm durch den Geist Geführter vor uns in seinen Briefen. Er hat diese Art seines persönlichen Lebens auf das Ostererlebnis zurückgeführt. Die Christuserscheinung vor Damaskus legt ihm Richtung und Ziel seines Wirkens fest, indem sie eine Herz und Sinn in sich hineinnehmende Kraft und Vollmacht des Herrn in ihm wirkt. Das Gesetz hat nicht die entscheidende Stelle als Kundmachung des Willens Gottes in der Frömmigkeit bei einer Gemeinde, die in unmittelbarer Gnadengewissheit lebt, die sich vom Herrn im Geist leiten lässt, die ihre Entscheidungen im Namen Jesu durch das Gebet sich schenken lässt. Das Ostergeschehen hat in den Jüngern und den Gliedern der ersten Gemeinde das wesentliche Moment aus Jesu Kampf gegen den Pharisäismus zum Durchbruch gebracht und ihnen die Geisterfahrung, die Gotteskindschaft, erschlossen, die das letzte Wort des Evangeliums ist. Jesus von Nazareth hat mit seinem Wort und seiner Geschichte seine Jünger durch den Tod hindurch überwunden. Er ist an ihnen als der durch den Tod Gegangene mächtiger gewesen als der atl-jüdische Glaube, der auf seine Weise ihn durch den Tod widerlegte (78f).
(4) Die Verwandlung des Osterglaubens
Wir haben in den Paulusbriefen noch das Zeugnis dafür, dass man ursprünglich erwartete, die große Erscheinung des Herrn werde so schnell kommen, dass kein Gläubiger den Tod noch sehen werde. Es hat in den pln Gemeinden schwere Erschütterungen ausgelöst, als man im Hingang der Zeit das Sterben von Christen erlebte (1Thess 4,13ff; 1Kor 15,12ff). Wie unnatürlich das Sterben von Christen erschien, sehen wir auch an der Vorstellung, die sich gleichsam zum Ersatz für die enttäuschte Erwartung bildete: der Herr werde wenigstens erscheinen, ehe der letzte Zeuge der Anfangszeit der Gemeinde dahingegangen sei (Jh 21,23). Auch dies wurde durch den schlichten Gang der Dinge von selbst widerlegt. D.h. die ursprüngliche Einheit von Osterglauben und Endglauben wurde sehr schnell angefochten und endlich ganz zersprengt (80f).
Der für den Wandel des Osterglaubens entscheidende Punkt ist, dass sich neue Gedanken über das Verhältnis von Christ und Tod erzeugen mussten. 1Thess 4 und 1Kor 15 zeigen sowohl, dass diese Frage die Gemeinden in Ratlosigkeit versetzte, als auch, welche Antwort man fand. Ausgangspunkt war die pharisäische Lehre von einer allgemeinen Leibesauferstehung der Toten. Unter dem Einfluss dieser pharisäischen Lehre bildete sich nun die christliche Lehre von der Leibesauferstehung aus. Dabei war das Neue die Verknüpfung mit der Auferstehung Jesu. Grundaussage dieser Verknüpfung ist, dass Jesus durch die Auferstehung ein Erstling, ein Vorläufer und Bahnbrecher, der Christen geworden ist (81).
Paulus kennt nur eine Auferstehung derer, die in Christus gestorben sind, die andern bleiben tot. Er hat alles getan, um die Auferstehung der Christen gegen eine Wiederkehr in das irdische Leibesleben abzugrenzen und so den Charakter der christlichen Hoffnung als einer Ewigkeitshoffnung gegen den Einbruch jüdischer Gedanken zu wahren. Paulus dachte sich nicht nur Jesu, sondern auch unsere Auferstehung als Verklärung in die göttliche Herrlichkeit. Die Vorstellung von Lk und der kirchlichen Bearbeitung des JhEv, dass der auferstandene Jesus gegessen und getrunken habe, hätte er als lästerlich abgelehnt.
Die Verknüpfung des Ostergeschehens mit der Auferstehung des Christen bedeutet unweigerlich eine Schwerpunktverlagerung. Statt dessen, dass Jesus sich als der lebendige Herr kund macht, wird an Ostern dies wichtig, dass er aus dem Grab auferweckt worden ist. D.h. unter der Einwirkung des Glaubens an die Auferstehung des Christen wird der Osterglaube in schärfer betonter Weise als bisher Glaube an das Auferstandensein Christi. Ostern wird eine Tatsache von selbstständigem und eigenem Gewicht gegenüber dem Kommen Jesu am letzten Tage. Die Geschichte der christlichen Gemeinde hat mit ihrer Nötigung zu neuen Gedankenbildungen angefangen, die Einheit des ersten Oster- und Endglaubens zu zersetzen (82f).
1Kor 15,20-28: Der Mensch Jesus mit seinem Wort und seiner Geschichte geht Paulus deshalb an, weil Gott ihn zu dem lebendigen Herrn erhöht hat, der von ihm durch den Glauben Besitz ergreift und mit seinem Geist ihm das Leben ist. Man sollte erwarten, dass er einfach so argumentiert: ich weiß im Glauben, dass Jesus durch den Tod zum Leben gedrungen ist; denn er ist mir lebendig nahe und gegenwärtig. Statt dessen führt er einen Zeugenbeweis dafür, dass Jesus erschienen ist, mithin tatsächlich auferstanden ist und reiht seine eigene Christuserscheinung in diesen objektivierenden Beweis mit ein. Paulus brauchte das Auferstandensein Jesu als Unterlage seiner Predigt von der Auferstehung des Christen (83f).
Gesiegt hat in der Kirche nicht die pln Lehre von der Auferstehung der Christen, sondern die pharisäische Lehre von der allgemeinen Totenauferstehung. Die Heidenkirche wird in ihrer Hoffnung unter palästinischem Einfluss stärker von pharisäischen Ideen bestimmt als Paulus, dem bei der Hinwendung zum Glauben an Jesus sein jüdisches Denken zerbrochen worden ist (84f.)
Die Vorstellungen von der Auferstehung Jesu verändern sich und gleichen sich den Vorstellungen an, die man von der Totenauferstehung sonst hat. Das ist der entscheidende Faktor in der Umwandlung der Vorstellung von Jesu Auferstehung geworden. Dieser Faktor erklärt, dass man in den Erscheinungen Jesu nun Bekundungen nicht des zu Gottes Thron Erhöhten, sondern des aus dem Grabe Kommenden zu sehen begann und auch anfing, nach Zeugnissen für das Leersein des Grabes zu verlangen. Denn so, als Hervorgehen aus dem Grab zum Leben vor allen, war die eigene Auferstehung des Christen ja gedacht. Man begann, sich den Auferstandenen so leibhaft wie möglich vorzustellen und man dachte ihn sich auch essend und trinkend, denn nur so war an ihm die Auferstehung vollzogen, die man einst für sich selbst von Gott erwartete und erhoffte (85).
(5) Die kirchliche Festlegung des Ostermythus
Der Gegensatz zur gnostischen Entstellung der christlichen Überlieferung legte den Ton erst recht auf die Leibhaftigkeit sowohl des den Jüngern erscheinenden Auferstandenen wie der Totenauferstehung. Kraft des Gegensatzes zur Gnosis bildete sich eine Gleichläufigkeit zwischen dem Glauben an eine wahrhaftige geschichtliche Menschheit Jesu und dem an Mythus und Legende von seinen Erscheinungen in dem wiederbelebten Leib auf dem Weg vom Grab zum Himmel; ebenso wie sich eine Gleichläufigkeit bildete zwischen der christlichen Anschauung von der uns die Ewigkeit erschließenden erlösenden Gnade und der Hoffnung auf eine Wiederbelebung der in die Gräber gelegten Leichen von Christen zu wahrhaftem Leibesleben am Jüngsten Tag. So wurde der mythische Realismus des kirchlichen Auferstehungsglaubens gleichsam zum antimythischen Schutzschild des Wirklichkeitsernstes im Glauben an den geschichtlichen Menschen Jesus und darüber hinaus im christlichen Erlösungsglauben überhaupt (89).
Erst im Kampf gegen die Gnosis hat sich in Ostermyhtus und –legende der Kirche die letzte Unterstreichung der handfesten Leibhaftigkeit der Auferstehungserscheinungen herausgebildet. Wenn in Lk 24,41-43 das Essen des Auferstandenen vor den Augen der Jünger und in Jh 21,25 sein Bedürfnis nach Speise betont wird, so ist da bewusste Kirchlichkeit am Werk, die wider gnostizierende Vorstellungen der Auferstehungserscheinungen zu Felde zieht (89f).
In den Anfängen der Gemeinde war, wie die Erscheinung an die Fünfhundert beweist, jedem Christen das Sehen des Herrn gegeben. Solange das Sehen des Herrn als letzte Steigerung und Höhe der Geisterfahrung galt und die Geisterfahrung echtes Erlebnis jedes Christen war, blieb auch ein Anteilhaben des einfachen Christen an der Ostererfahrung der Zeugen bestehen. Mit der Festlegung von Ostermythus und-legende durch die Kirche wird die Ostererfahrung etwas, das ganz allein den ersten Zeugen gehört. Christenglaube ist fortan insofern Glaube und nicht freie Erkenntnis, als sich zwischen ihn und die Erkenntnis Jesu Christi eine Autorität stellt, der er sich zu beugen hat, das kirchlich beglaubigte Wort der Apostel, wie es in den heiligen Schriften der Christen niedergelegt ist. Damit nimmt das Christentum Züge einer Buchreligion an und die Auferstehung Jesu aus dem Grab wird eine durch die heiligen Schriften der Christen beglaubigte wunderhafte Tatsache der Vergangenheit (90f).
(6) Ausblick
Mit der Reformation ist ein Einbruch in diesen Stand der Dinge geschehen. Gilt Luthers Aussage von der Vollmacht und Freiheit des Christenglaubens, dann kann kein Christ in dem, was den Glauben gründet, von fremder menschlicher Erfahrung abhängig sein. D.h. dann ist das Ostergeschehen nach dem, was daran seinem Wesen zufolge allein uns verschlossene Erfahrung und Gewissheit der ersten Zeugen sein kann, für den Glauben belanglos. Es gibt für uns eigene, (von Erfahrung und Gewissheit dieser Zeugen unabhängige) Wege zu dem Glauben an Jesus Christus, der uns Ewigkeit, Gnade und Freiheit im Geist erschließt. Wenn Luthers Aussage gilt, kann kein Christ an das kirchliche oder apostolische Zeugnis vom Ostergeschehen gebunden sein (92f).
Die Wahrheit des Glaubens an Jesus den Herrn
Soll uns Jesus der Herr sein, d.h. uns mit seinem Wort und seiner Geschichte, mit dem, was er als Mensch ist, das Gottesverhältnis bestimmen, dann muss er sich vollmächtig an unserem Herzen und Gewissen erweisen. Er ist nur insofern der Herr, als er einem Menschen sich als der Herr kund macht in persönlicher Geschichte. Einen anderen Ausweis als die Bewegung des Glaubens selber, die er mit dem Evangelium oder als das Evangelium im Herzen entzündet, gibt es nicht (97f).
Die Ewigkeitshoffnung empfängt ihren eigentlichen Gehalt für den Christen nicht aus irgendwelchen Bildern und Begriffen, sondern aus der Gewissheit der göttlichen Liebe, die das Evangelium im Herzen zu erwecken vermag. Der Schleier, der uns das ewige Geheimnis verhüllt, ist uns im christlichen Glauben insofern zerrissen als uns mit Jesus, mit seinem Wort und seiner Geschichte, ein menschliches Sein gezeigt ist, das dem ewigen Gott als der Liebe hingegeben ist, das alle Wirklichkeit aus den Händen Gottes als das zu empfangen vermag, darin sie ihm gehört und ihm gehörend wahrhaftig ist (102f).
Geöffnetsein für den Weg Jesu: Von Luther an hat man auf den Gegensatz hingewiesen, den der Papst als Herr seiner Kirche und gleichzeitig Prätendent auf die Weltherrschaft zu dem macht, dessen Stellvertreter zu sein er vorgibt, zu dem Jesus, der auf Erden ein schlichter armer Prediger war und wehrlos gegen seine jüdischen Todfeinde, gehorsam unter seinem himmlischen Vater, den Weg in den Tod ging. Der Papst beansprucht der Stellvertreter nicht des Erniedrigten sondern des zur Rechten Gottes Erhöhten zu sein, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist (Mt 28,18) und daher komme ihm selbstverständlich die Kirchenherrschaft und grundsätzlich auch die Weltherrschaft zu (111f).
Jesu Wort und Glaube zeigt, dass ihm Gottes Gnade und Ehre frei von aller gesetzlichen Satzung sind, grundlos und überschwänglich sich ausschenkend, ohne Unterschiede zu kennen und zu machen. Gottes Gnade wird nicht erkannt an dem sichtbaren Erweis (wo Unglück, Untergang, Tod den Menschen treffen, da ist Strafe und Zorn). In Jesu Hingegebensein an den Vater ist diese Unmittelbarkeit völlig zerbrochen. Er bleibt auch im Gang zum Kreuz, auch im Angefochtensein und Verlassensein des Sterbens, das unmittelbar nichts als Untergang ist, der vom Vater Geführte und Gehaltene. Dadurch wird das Gottesverhältnis herausgenommen aus aller irdischen Kundbarkeit, es hat seine Wahrheit in der verborgenen Ewigkeit. Dadurch überwindet es auch Anfechtung und Tod, denn alles Widerfahrnis ist solchem Glauben eine Stätte, da verborgene Ewigkeit mit lebensgewährender Hoheit den Menschen begnadet (115f).
Kann uns Jesus nur dann der Träger der göttlichen Wahrheit sein, wenn er als Regent einer Gottes Wort und Willen verwaltenden geschichtlichen Gemeinschaft einen greifbaren Machtbereich hat, dann wollen wir einen Jesus, der auf atl-jüdische Weise als Herr von Gott bestätigt ist. Dies Unmögliche sucht die Kirche des zu Ostern siegreich über seine Feinde triumphierenden Christus zu bieten und fällt damit vom Glauben an Jesus den Herrn in einen christlich überdeckten jüdischen Messianismus zurück (116f).
Gottes wahre Wunder ehren: Anders als mit Ostermythus und –legende der Kirche steht es mit dem ersten Oster- und Endglauben, so wie er in dem ursprünglichen Erlebnis des Petrus und des Paulus für uns sichtbar wird. Wir haben ihn als Durchbruchsgestalt eines Glaubens an Gottes Liebe verstehen müssen. Jesu Lebendigsein bei Gott und sein Sichbezeugen an Herz und Gewissen derer, zu denen er mit der Geisterfahrung kommt, sind ganz in das Element des unfasslichen Geheimnisses getaucht. Es ist vor der Vernunft und den Sinnen verborgen, dass er lebendig und dass er der Herr ist: nur indem Jesus über einen Menschen die Macht bekommt, ihm das Gottesverhältnis im Glauben zu bestimmen, wird das Wunder dem Menschen Wahrheit. Das ging verloren dadurch, dass aus dem Sehen im Geist ein gewöhnliches Sehen, aus dem erscheinenden Herrn eine wiederbelebte Leiche ward und die Legende vom leeren Grab alles ins Tatsächliche zog. Die Geburt des Glaubens an Jesus riss Petrus, Paulus und ebenso die, die ihren Weg des Glaubens teilten, heraus aus dem Boden der atl-jüdischen Religionsgemeinschaft, d.h. es zerbrach ihnen das, was ihnen Frömmigkeit und Gottesdienst gewesen war. Sie sind mit den Maßstäben und Autoritäten des frommen Judentums in Widerstreit geraten (119f).
3. Das 'O S T E R N' des Paulus: sein Zum - Glauben - an - Jesus - Kommen
Die älteste Ostergeschichte: Paulus Damaskuserlebnis
E. Biser (1984)
Paulus versichert, dass er nur das überliefere, was er selbst empfangen habe: (3) Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift, (4) dass er begraben worden ist und dass er auferstanden ist am dritten Tag nach der Schrift.
(5) „Und er ist dem Kephas erschienen, dann den Zwölfen. (6) Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal...(7) Danach ist er dem Jakobus erschienen, dann allen Aposteln. (8) Zuletzt erschien er mir, gleichsam einer Fehlgeburt“ (1Kor 15,3-8).
In diesem Katalog öffnet sich eine Tür zu Zeugnissen, die den Berichten der Evangelien vorausliegen und denen sich zuletzt auch Paulus selber noch anreiht. Das Zeugnis besteht jeweils in dem Protokollsatz: „Er ist (ihm) erschienen“, der nach Paulus auch lauten könnte: „Ich habe den Herrn gesehen“. Die Osterberichte vermitteln kein ausführliches Bild von dem, was der Katalog in protokollarischer Kürze zusammenfasst. Den klassischen Beleg dafür bietet die vom JohEv an erster Stelle aufgeführte Erscheinung vor Maria von Magdala. Bestürzt über den Anblick des offenen Grabes sucht sie weinend in seiner Umgebung nach dem Verbleib des Leichnams Jesu. Schließlich bittet sie einen Fremden, den sie für den Gärtner hält, um Auskunft. Da ruft sie der vermeintliche Gärtner beim Namen: „Maria“! Der Anruf genügt, um ihr zum Durchbruch in die volle Ostergewissheit zu verhelfen. Sie erkennt den Auferstandenen, fällt ihm zu Füßen und vernimmt sein Wort: „Halte mich nicht fest...Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,16f) (62f).
Maria von Magdala entledigt sich ihres Auftrags auf eine unerwartete Weise. Anstatt in dramatischer Ausführlichkeit von der ihr widerfahrenen ‚Geschichte‘ zu berichten, fasst sie ihre Ostererfahrung in den einen Satz zusammen: „Ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18). Damit führt sich die Geschichte selbst auf den Protokollsatz zurück, in den der Katalog des 1Kor die von ihm aufgeführten Osterzeugnisse zusammenfasst. Das gilt für sämtliche Ostererzählungen der Evangelien. Ihrem Selbstverständnis nach wollen sie keine Berichte über Ereignisse im Zusammenhang mit der Auferstehung Jesu sein, sondern bildhaft-suggestive Umschreibungen dessen, was mit dem grundlegenden Protokollsatz gesagt ist: „Ich habe den Herrn gesehen“ (64).
Der ‚letzte‘ Osterzeuge: Paulus versichert: „Zuletzt erschien er mir, gleichsam einer Fehlgeburt. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, nicht wert, Apostel zu heißen, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe“ (1Kor 15,8f) (64).
Wenn Paulus für sich auch zunächst nur denselben Protokollsatz verwendet, bringt er ihn doch auf eine neue Weise zur Sprache, indem er sein ganzes Geschick damit verknüpft. Er begnügt sich nicht damit, sein Zeugnis ‚zu erstatten‘, vielmehr ist er in ihm mit seiner ganzen Existenz präsent. Zwar gründen auch alle anderen Osterzeugnisse auf persönlicher Erfahrung, doch gibt nur Paulus darüber auch Auskunft. Seine Briefe eröffnen die Chance, ihn nach Inhalt und Bedeutung des Erlebten zu befragen. Paulus antwortet auf die Frage nach seinem Auferstehungszeugnis mit seinem ‚Damaskuserlebnis‘.
Soviel der Apg an dieser Szene gelegen ist, beschreibt sie die von Paulus erlebte Lichtvision doch so, dass sie nicht als Ostererscheinung gelten kann. Aber gerade darauf legt der Apostel alles Gewicht. Man kann sogar sagen, dass die Apg durch ihre dreimalige Beschreibung der Damaskusvision Paulus bewusst aus dem Kreis der Osterzeugen und damit als Apostel ausschließt, um ihn dafür umso kräftiger zum großen Heidenmissionar zu stilisieren. Bei aller Würdigung setzt sie sich damit in Widerspruch zu seinem innersten Selbstverständnis. Hier zeigt sich, wie es von den Protokollsätzen, die der Katalog des 1Kor aufführt, zu den bildhaft-dramatischen Ostergeschichten der Evangelien kommen konnte: Sie haben als das Werk nachträglicher Ausgestaltung zu gelten. Von den Zeugen hatte die Gemeinde lediglich das Bekenntnis: „Ich habe den Herrn gesehen“ erhalten. Das war ihr Grund und Stoff genug, daraus ihre dramatischen Ostergeschichten zu entwickeln (65-67).
Das zugesprochene Geheimnis: Was Paulus am Schluss seines Zeugniskatalogs in den Satz zusammenfasst: „Zuletzt erschien er mir“ (1Kor 15,8), fächert er zuvor in drei Fragen auf: „Bin ich nicht frei? Bin ich nicht Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen“ (1Kor 9,1)? 2Kor 4,6: „Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“. Phil 3,12: „Nicht, dass ich‘s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich‘s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin“.
Seine Berufung zum Heidenapostel begründet Paulus mit den Worten: „Da gefiel es Gott in seiner Güte, seinen Sohn in mir zu offenbaren“ (Gal 1,16). Es ist nicht von einem äußeren Vorgang die Rede, aber von einem Geschehen innerer Art: dass Gott es im Herzen des Apostels „tagen ließ“, dass er „von Jesus Christus ergriffen“ und dass ihm das Geheimnis des Gottessohnes „geoffenbart wurde“. Das sind Worte, die von einer Lebenswende sprechen (68f).
Paulus kennt den Zwiespalt des Herzens und die Maßlosigkeit eines Willens, der sich einem falschen Ziel – in seinem Fall: der Verfolgung der Christen – verschrieb. Deshalb geht es wie ein Aufatmen durch seine Worte, wenn er von der Stunde spricht, in der ihm mit dem Geheimnis des Gottessohnes der Kristallisationskern der Selbstfindung ins Herz gesenkt wurde. In dieser Dimension heißt ‚finden‘ soviel wie ‚aufbrechen zu neuer Suche‘, während umgekehrt ‚suchen‘, soviel wie ‚heimgesucht werden‘ besagt. Phil 3,12: „Nicht dass ich es schon erreicht hätte oder bereits vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, wie ich von Christus Jesus ergriffen worden bin“. Dass Paulus durch diese Geschichte mit sich selbst ‚geschichtsfähig‘ wird, tritt zutage, wenn dieser von mancherlei Leiden geplagte Mann darangeht, das römische Reich für den zu erobern, von dem er sich in Beschlag genommen weiß (69f).
Mystische Selbstaneignung: Gal 2,19f: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat“.
Dass Paulus das Geheimnis des Gottessohnes ins Herz gesprochen wurde, war die ‚Gottestat‘, die ihm widerfuhr. Die andere Seite besteht in einem Akt mystischer Selbstaneignung, die dadurch möglich wird, dass Paulus den Sinn seines Selbstseins in dem entdeckt und findet, von dem er sich bis zur Hingabe seiner selbst geliebt weiß. Was ihm zur Identität verhilft, ist ein Herzenstausch, durch den er dem für immer angehört, der sich ihm zuwendet und schenkt. Es ist die Nachricht von der Geburt der christlichen Innerlichkeit. Man könnte sagen, Christus sei für Paulus in die Innerlichkeit des von ihm ergriffenen Herzens auferstanden. Für Paulus ist die Auferstehung Christi das Ereignis, an dem sich die Menschheitsgeschichte entscheidet. Doch weiß er zugleich, dass mit dieser ‚gegenständlichen‘ Sicht des Ereignisse nichts gewonnen wäre, wenn damit nicht auch die Geschichte des Menschen mit sich selbst entschieden würde. Diese ist für Paulus der primäre Ort der Auferstehung. Denn diese Geschichte könnte nicht zugunsten der menschlichen Identität entschieden werden, wenn nicht der Auferstandene auf den Plan träte und sie durch sich zur Entscheidung brächte. Das aber geschieht immer dann, wenn ein Mensch (wie Paulus) sein Ich in ihm finden und aussprechen lernt: Nicht mehr ich sondern er in mir (71f).
Die Paulusbriefe gehen den Evangelien weit voran; sie bilden den Grundstock der ntl Schriften. Paulus erzählt eine Geschichte von großer Dramatik, denn sie betrifft die Neuorientierung seines Daseins insgesamt. Dazu kam es, weil der Auferstandene in seine Lebensgeschichte eintrat, weil ihm sein Geheimnis ins Herz gesprochen und damit die entscheidende Hilfe zur Selbstwerdung gegeben wurde. Um die ‚älteste‘ Ostergeschichte handelt es sich dabei auch in dem Sinn, dass keine von allen tiefer als sie in den menschlichen Lebensvollzug eindringt. Durch sie wird mit dem Menschsein des Apostels ein neuer Anfang gemacht (73f).
Widerspiegelung im Glauben: Was Paulus beschreibt, ist kein vergangenes Ereignis, sondern ein unabgeschlossener, offener Vorgang. Wenn der Glaube zustande kommt, spiegelt sich in ihm das, was dem Apostel in seiner Berufungsstunde widerfuhr. Das Menschenherz gewinnt eine neue Beziehungsmitte, in der es sich festmacht und vor Anker gehen kann. Ein anderer nimmt von ihm Besitz, doch so, dass das Gegenteil von Selbstentfremdung geschieht. Denn in ihm lernt es sich verstehen und sich selbst bejahen. Durch ihn erfährt es Bestätigung, Gewissheit und Festigkeit. So gilt für den Glaubenden: Christus ist in den Glauben auferstanden (74f).
In der Zusammenschau von Heils- und Endgeschehen (1Kor 15,16ff.20) bleibt die ‚innere Auferstehung‘, die sich im Herzen des Glaubenden ereignet, unausgesprochen. Was ein für allemal geschah (Apg 2,24), will und muss sich immerfort in denen erneuern, die auf Jesus Christus ihre Hoffnung setzen (76f).
4. Auferstehung Jesu und historisch-kritische Methode: Der Historiker muss davon ausgehen, dass es sich um subjektive Phänome gehandelt hat
(1) Die visionär vermittelte Erkenntnis der eschatologischen Auferstehung Jesu
(2) Die Erhöhung Jesu als besonderer Aspekt des Osterglaubens
(3) Anmerkungen zur Psychologie der Visionen
(1) Die visionär vermittelte Erkenntnis der eschatologischen Auferstehung Jesu
U.B.Müller (1998)
Im Blick auf den Situationshintergrund der Jünger eröffnet sich die Möglichkeit, Ostern als denkwürdigen Ausgang einer Krisenerfahrung zu begreifen. Als solche setzt Jesu Tod gleichzeitig jenes vorangehende Neuheitserlebnis voraus, jenen Überschuss an Heilsgewinn, den die Verkündigung der Gottesherrschaft in Taten und Worten mit sich brachte. Wenn Jesus sein punktuelles Wirken in einzelnen Dämonenaustreibungen als Bestandteil der eschatologischen Herrschaftsdurchsetzung Gottes verständlich zu machen suchte, so agierte er nicht nur als Prophet oder Bote der Gottesherrschaft, sondern als ihr eschatologischer Repräsentant, der sein Handeln unmittelbar mit ihr verband (Lk 11,20). Es ging um den eschatologischen Einbruch der Gottesherrschaft als Macht in die Unheilswirklichkeit Israels, was sich in den Exorzismen und Tischgemeinschaften als Befreiungserfahrung real vollzog (Jes 52,7), was spätere Prophetie auf ihre Weise konkretisierte (Jes 24,23; 25,6-8; 35,5f; 61,1) und Apokalyptik in visionärer Schau vorwegnahm (AssMos 10,1ff). Hier war ‚mehr als Salomo‘, ‚mehr als Jona‘ (Lk 11,31f par) – hier geschah alles das, was vergangene Generationen Israels nur zu hoffen wagten (Lk 10,23f par). Dieser Überschusscharakter in Jesu Verkündigung und Auftreten prägte auch die Vollendungsankündigungen (Lk 12,49f; 13,31f), die in verhüllter Form Jesu Tod implizieren, dennoch aber von der Gewissheit über die Macht des Gottes durchdrungen sind, der die Teilnahme des irdischen Repräsentanten der Gottesherrschaft am Freudenmahl der Heilszeit garantiert (Mk 14,25) (67).
Das schreckliche Ende des Todes Jesu am Kreuz drohte alles zunichte zu machen. Wenn dennoch in den Ostererfahrungen eine erfolgreiche Bewältigungsstrategie dieses Konfliktes sichtbar wird, so mag dies, psychodynamisch betrachtet, seine Analogie im Trauerprozess haben, der zunächst insofern missglückt scheint, als es nicht zur Ablösung der Jünger von dem getöteten Jesus kommt, der aber gerade darin überraschend kreativ endet, dass die Schau des ‚Auferstandenen‘ eine Bewusstseinserweiterung darstellt, die neue Horizonte geschichtlichen Wirkens erschließt. Diese Verarbeitung der Krisenerfahrung des Todes Jesu artikuliert sich im Medium visionärer Kommunikationen. In ihnen verdichtet sich jener Reflexionsprozess, der mit dem Negativerlebnis des Todes Jesu einsetzen musste, der etwa in der Emmausgeschichte eine legendarische Darstellung gefunden hat: Jesu Jünger reden miteinander und suchen den Sinn des scheinbar ganz unbegreiflichen Geschehens zu ergründen, aber sie sind weit davon entfernt, das scheinbare Ende Jesu und ihrer Hoffnungen als Gegebenheiten hinzunehmen. Man wird bei den Jüngern Jesu mit einem erheblichen Ausmaß an Denkbemühungen zu rechnen haben. Nicht erst der aufgrund von Ostern rasant in Gang gekommene theologische und christologische Reflexionsprozess spielt hier eine wesentliche Rolle; dieser setzt vielmehr ein vorgängiges Nachdenken voraus, das in den visionären Akten der Ostererscheinungen nur einen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Visionen wie Erscheinungen rezipieren und mutieren Traditionen als vorgegeben Deutungsmuster. Dies gilt spätestens für das Osterbekenntnis „er ist dem Kephas erschienen“, wenn hier auch der Gebrauch der atl Theophanieformel schon ein fortgeschrittenes Stadium der Reflexion indiziert, weil Jesus bereits ‚zu gottgleicher Aktionsmacht‘ erhöht erscheint (67f).
Menschen sind damit beschäftigt, durch Interpretationen ihre Erlebnisse, Wünsche und Konflikte in eine ‚gedeutete Welt‘ zu integrieren. Träume begegnen als Fortsetzung dieser Interpretationsarbeit, ebenso auch Visionen. Die Erfahrung des Kreuzestodes Jesu wird den Jüngern ‚die Sprache verschlagen‘ haben. Dass nach Mk keiner der Jünger bei der Kreuzigung dabei war, spricht für sich. Historische Analyse vermag bestimmte Dimensionen des Osterglaubens zu erfassen, am ehesten wohl jene traditionellen Deutungssysteme zu bestimmen, die beim Zustandekommen der als Visionen zu verstehenden Ostererscheinungen mitbeteiligt waren (68f).
Grundlegend war die Neuheitserfahrung des Reiches Gottes, die die Jünger in und mit dem Wirken Jesu von Nazareth gemacht haben. Von fundamentaler Bedeutung war jener alle Negativität überwältigende Überschuss an Heilsgewinn, der in Jesu Worten und Taten zum Ausdruck kam, insofern in ihnen Gottes eschatologischer Herrschaftsantritt Gestalt annahm, so sehr angesichts aller Widerstände und Zweideutigkeiten dieser Unheilswelt das Reich Gottes der Vollendung erst noch entgegen ging. Jesus war trotz der Gefahr seines gewaltsamen Todes der Vollendung der Gottesherrschaft gewiss (Mk 14,25) (69f).
Jesu Jünger haben ihre visionären Erfahrungen sprachlich mit der Deutungskategorie „Gott hat ihn/Jesus von den Toten auferweckt“ versehen. Die Individualisierung der Auferstehungshoffnung war im Märtyrergedanken vorgeprägt. Den Jüngern konnte sich die Assoziation aufdrängen, dass Jesus den Märtyrertod gestorben und deshalb der himmlischen Auferstehung teilhaftig geworden ist. Davon nicht zu trennen ist die Interpretation mit Hilfe jener jüdischen Vorstellung, Jesus sei als leidender Gerechter getötet worden, aber durch Gott in himmlische Wirklichkeit entrückt und damit rehabilitiert. Beide Deutungsmuster sind in jüdischen Texten vermischt worden. Der Märtyrer stirbt nur ‚als modellhafter Repräsentant der Gottesverehrung Israels‘. Die eigentlich bedeutsame Implikation der Ostererfahrungen und damit die entscheidende Reduktion kognitiver Dissonanz lag in dem Vermögen der Jünger, Jesu originäre Leistung, sein eigenes punktuelles Wirken als Bestandteil der eschatologischen Durchsetzung der Gottesherrschaft zu begreifen und im Blick auf die Krisenerfahrung des Todes Jesu ganz neu zu aktivieren. Sie haben Jesu Todesgeschick als eschatologisches Ereignis gesehen, nämlich als eschatologische Totenauferstehung, die eine Abfolge weiterer Endereignisse nach sich ziehen würde. D.h. die eschatologische Durchsetzung der Herrschaft Gottes ist durch Jesu Tod nicht tangiert, Jesus als Repräsentant der Gottesherrschaft (Lk 11,20) würde beim Freudenmahl der Heilszeit selbst daran teilnehmen (Mk 14,25). In den Sog dieser Endereignisse gehört auch aufgrund der Erscheinungen in Galiläa die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem. Infolge der Zentrierung der Endereignisse auf die Heilige Stadt und den Zion musste man den Fortgang derselben in Jerusalem erwarten. Man erhoffte die Parusie des Herrn und erlebte stattdessen die endzeitliche Ausgießung des Geistes Gottes – Pfingsten als Erfüllung von Joel 3,1-5 (70f).
(2) Die Erhöhung Jesu als besonderer Aspekt des Osterglaubens
Zwischen den Erscheinungen vor Petrus und den Zwölfen wird man inhaltlich kaum unterscheiden dürfen, da davon auszugehen ist, dass der Gegenstand der Visionen im Prinzip derselbe ist: Jesus als der von den Toten Auferweckte und Erhöhte (72).
Im Gegensatz zu der Vorstellung, dass ausgezeichnete Gerechte, Märtyrer oder die Frommen sich zur Rechten Gottes aufhalten, bedeutet die Erhöhung des Gekreuzigten eine einzigartige Auszeichnung. Die älteste Osterdeutung dürfte sich auf eine theologische Aussage beschränkt haben: Gott hat Jesus, den Repräsentanten der Gottesherrschaft, von den Toten auferweckt und damit seine Botschaft neu legitimiert. Diese eschatologisch verstandene Totenauferweckung impliziert auch den Anbruch der Endereignisse und die Teilnahme des auferweckten Jesus am eschatologischen Heilsmahl (Mk 14,25). (Ps 110 und Ps 2 setzen bereits eine entfaltete Christologie voraus). Nur unter der Voraussetzung, dass der Auferweckte als im Himmel befindliche und mit gottgleicher Aktionsmacht ausgestattete Größe vorgestellt ist, konnte man auf die Idee kommen, das „er ließ sich sehen“ der Gotteserscheinungen vom auferweckten Jesus auszusagen. Dies sichert die Annahme, dass die Glaubensformel 1Kor 15,3-5 den Erhöhungsgedanken einschließt, aber noch nicht, dass die ersten Ostererfahrungen der Jünger bereits die Überzeugung beinhalteten, dass sich Jesus ‚im Besitz gottesgleicher Aktionsfähigkeit vom Himmel her‘ zu sehen gegeben habe (72f).
Schon die Tatsache, dass Jesus den Jüngern als ‚Lebender‘, d.h. für sie als ‚Auferweckter‘ visionär erscheint, kennzeichnet seinen gegenwärtigen Zustand. Er ist für sie in einer Position , die eine Kommunikation mit ihnen ermöglicht, sodass er auf sie hin wirksam ist. Anhand von Lk 11,20 wird deutlich, dass Jesus mit dem Anspruch auftrat, eschatologischer Repräsentant der Gottesherrschaft zu sein, insofern in seinen eigenen Exorzismen die Herrschaft Gottes auf Erden anbrach. Er ist heilsmittlerischer Prophet: Sein Wirken ist Bestandteil der Durchsetzung des Reiches Gottes. Ergänzend gilt auch, dass Jesus das eschatologische Geschick der Menschen von der Stellungnahme zu sich und seiner Botschaft abhängig machte. Blickt man auf Lk 11,31f, so wird deutlich, dass Jesus nicht nur die Relevanz seines Auftretens über den Anspruch des Jona oder Salomos stellte, sondern auch die Verurteilung ‚dieses Geschlechts‘ im endzeitlichen Gericht von der Stellungnahme zu sich und seiner Botschaft abhängig machte. Lk 11,23: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“. Für die Jünger Jesu dürfte die Würdestellung Jesu beim zukünftigen Mahl (Mk 14,25) der vollendeten Gottesherrschaft bedeutungsvoller gewesen sein als die der verehrten Erzväter oder sonstiger Gestalten der Geschichte Israels, die ebenfalls anwesend sein sollten (Mt 8,11f) (73f).
(3) Anmerkungen zur Psychologie der Visionen
W. Zager (1999): Die Deutung der Erscheinungen Jesu als subjektive Visionen, als visuelle Halluzinationen, wird bestätigt durch die neuere Halluzinationsforschung. Bei Halluzinationen wird … immer etwas gesehen, gehört, gesprochen, geschmeckt, am Leib verspürt, was nicht da ist. Das ‚nicht da‘ ist objektiv, vom Beobachter aus festgestellt, nicht vom Erlebenden. Stresssituationen bzw. kritische Lebensereignisse spielen bei Halluzinationen eine bedeutende Rolle. Eine Untersuchung 1983 beziffert die Rate visueller und akustischer Halluzinationen im Rahmen von Trauerreaktionen von Geschwistern und Eltern über den Tod verstorbener Kinder mit ca. 50%. Die Situation der Jünger war nach Jesu Kreuzestod durch eine Reihe von Halluzinationen begünstigenden Stressfaktoren bestimmt. Dabei kann der von Jesus in den Jüngern geweckten Hoffnung auf die Vollendung der endzeitlichen Gottesherrschaft (die nach Jesu Urteil mit seinem Auftreten bereits begonnen habe), sich durchzusetzen, eine suggestive, die Entstehung von Halluzinationen fördernde Wirkung zugeschrieben werden (81f).
Religionsgeschichtliche Parallelen zu den Ostertexten: Erscheinungen von Verstorbenen werden sowohl in der heidnischen Antike als auch im biblischen und frühjüdischen Überlieferungengsbereich berichtet. Erscheinungen des Mose in der Verklärungsgeschichte der synoptischen Evangelien oder die Vision der nach ihrem gewaltsamen Ende in den Himmel aufgenommenen Kinder Hiobs im Testament Hiobs. Zwei Erscheinungen von hingerichteten Männern aus der Kirchengeschichte sind uns bekannt: Thomas Becket und Hieronymus Savonarola (82f).
Ertrag und Ausblick
Die historisch-kritische Analyse der ntl Ostertexte ergab, dass die Geschichten vom leeren Grab und von den Erscheinungen des Auferstandenen späte Gemeindebildungen sind. Da Paulus sein Damaskuserlebnis mit den Erfahrungen der übrigen Osterzeugen auf eine Stufe stellt, müssen sämtliche Erscheinungen Jesu als Visionen beurteilt werden. Tiefenpsychologische Exegese, Halluzinationsforschung sowie die angeführten religionsgeschichtlichen Parallelen legen es nahe, von subjektiven Visionen zu sprechen (86f).