5. Paulus – neu gesehen
(1) Zwei Briefe an die Gemeinde der Thessalonicher (1Thess)
(2) Drei Briefe an die Heiligen von Philippi (Phil)
(3) Vier Briefe an die Gemeinde Gottes in Korinth (1Kor)
(4) Drei weitere Briefe an die Gemeinde Gottes in Korinth (2Kor)
(1) Zwei Briefe an die Gemeinde der Thessalonicher (1Thess)
Die Entdeckung des ältesten Paulus Briefes (der kanonische 2Thess stammt nicht von Paulus)
a. Die Gründung der Gemeinde in Saloniki und der erste Thessalonicherbrief
b. Der erste Thessalonicherbrief – eine Briefkomposition
c. Anhang: Der Tränenbrief (2Kor 10-13)
R. Pesch (1984)
Die beiden ältesten Briefe des Apostels sind erst nach seinem Tod, als man daran ging, seine Briefe zu sammeln und zu veröffentlichen, zusammengefügt. Der älteste Brief ist im Jahr 49 n.Chr. in Athen geschrieben und von Timotheus nach Saloniki, in die Hauptstadt Mazedoniens, überbracht worden (8f).
a. Die Gründung der Gemeinde in Saloniki und der erste Thessalonicherbrief
Paulus war um das Jahr 49 n.Chr. von Antiochien in Syrien aus zu seiner eigenständigen Mission aufgebrochen. Einer der führenden Männer aus der Jerusalemer Urgemeinde, Silas-Silvanus, einer der Abgesandten des Apostelkonvents an die antiochenische Gemeinde, war sein neuer Mitarbeiter, der auf dieser zweiten Missionsreise Barnabas ersetzte. In Lystra stieß Paulus auf einen jungen Mann, der Christ geworden war: Timotheus, Paulus zweiter Mitarbeiter. Paulus ließ Timotheus „mit Rücksicht auf die Juden, die in jenen Gegenden wohnten, beschneiden“(Apg 16,3). Paulus wollte sich und seinen Mitarbeitern den Zugang zu den Synagogen, den jüdischen Gemeinden in den Städten, offenhalten. Durch Phrygien und Galatien, wo Paulus einige Gemeinden gründen kann, ziehen die Missionare bis Troas. „Dort hatte Paulus eine Vision. Ein Mazedonier bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Auf diese Vision hin entschlossen wir uns, sofort nach Mazedonien abzufahren, denn wir waren überzeugt, dass Gott uns dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkünden“ (Apg 16,9f) (11f).
Mit einem Schiff setzte Paulus mit Silas und Timotheus nach Europa über. Die erste größere Stadt, in der sie ihre Mission in Mazedonien begannen, war Philippi. Hier gewannen sie die reiche Purpurhändlerin Lydia für den Glauben an den Messias Jesus; ihr Haus wurde der Versammlungsort der entstehenden christlichen Gemeinde und der Stützpunkt der Mission.
Nach dem Exorzismus an der wahrsagenden Sklavin, deren Herren ihr Geschäft geschädigt sahen, wurden Paulus und Silas vor die Stadtbehörden geschleppt, der Unruhestiftung angeklagt, ausgepeitscht und ins Gefängnis geworfen. Die Apostelgeschichte erzählt von einem Türöffnungswunder bei Nacht und von der Bekehrung des Kerkermeisters (Apg 16,25-34). „Vom Gefängnis aus gingen die beiden zu Lydia. Dort fanden sie die Brüder, sprachen ihnen Mut zu und zogen dann weiter“ (Apg 16,40) von Philippi nach Saloniki. Thessalonich-Saloniki war die Hauptstadt der Provinz Mazedoniens und Sitz des römischen Prokonsuls. Die Synagoge in Saloniki hat nach Apg 17,4 einen größeren Kreis von gottesfürchtigen Heiden angezogen. Hier konnte Paulus wieder missionieren (12f). Unter den Juden hatte Paulus geringen Missionserfolg, nur einige von ihnen ließen sich überzeugen. Unter den gottesfürchtigen Griechen jedoch konnte Paulus eine große Menge gewinnen, darunter nicht wenige vornehme Frauen. Da Paulus in Saloniki mindestens einmal finanzielle Unterstützung aus Philippi (Phil 4,16) erhalten hat, dürfen wir annehmen, dass er einige Wochen bleiben konnte, bevor Silas und er von den Juden vertrieben wurden. In Apg 20,4 werden später zwei Mitglieder der Gemeinde in Thessalonich genannt, Aristarch und Sekundus. Im Bericht über die Vertreibung (Apg 16,6.9) hören wir vom Quartiergeber in der Stadt, einem Jason (14).
Paulus und Silas Vertreibung aus Saloniki: Dass Paulus und Silas griechische Frauen aus prominenten Kreisen der Synagoge abwarben, ist ein verständlicher Grund für die Eifersucht der Juden, von der die Apostelgeschichte im Bericht über die Vertreibung der Missionare (17,5-10) erzählt. Die Juden in Saloniki behalfen sich damit, dass sie sich einige üble Männer aus dem Pöbel holten und mit deren Hilfe eine Volksmenge zusammenrotteten und so in der Stadt einen Aufruhr anrichteten. Sie ließen die aufgehetzte Menge zum Haus des Juden Jason (der von Paulus bekehrt worden war) vorrücken, wo sie Paulus und Silas vermuteten. Doch die Missionare waren rechtzeitig entkommen. So kam es, dass Jason, der Quartiergeber, und andere Christen, die sich bei ihm aufhielten, vor die Oberen der Stadt gezerrt wurden, wo ihnen vorgeworfen wurde, sie hätten Paulus und Silas, Unruhestifter, subversive Elemente, begünstigt und sich damit indirekt des Aufruhrs schuldig gemacht. Der Prokonsul würde notfalls die Stadtoberen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie Unruhestifter, die zum Aufstand aufhetzten in der Stadt dulden. Deshalb lautet die Anklage, die Christen handelten „gegen die Gebote des Kaisers“, da sie behaupteten einem anderen gebühre der im Osten für den Kaiser übliche Titel Basileus, nämlich Jesus. Die Juden haben die Botschaft des Paulus, Jesus sei der in der Schrift verheißene Messias – König und Kyrios, in eine politische Anklage umgemünzt: Paulus und Silas und ihre Anhänger in Saloniki wie Jason würden dem Kaiser die Weltherrschaft bestreiten (14f).
Den Juden gelingt es, die Bevölkerung und die Politarchen in Aufregung zu versetzen. Diese nehmen von Jason und den anderen Christen, die vor sie geschleppt worden waren, eine Kaution, die bei einer Wiederholung des Vergehens, dessen sie verdächtigt waren, verfallen wäre. Jason konnte also Paulus und Silas nicht mehr in sein Haus aufnehmen; die Missionare mussten Saloniki alsbald in der folgenden Nacht im Schutz der Dunkelheit verlassen. Sie mussten die noch nicht gefestigte Gemeinde zurücklassen und befürchten, dass die Christen angesichts der nächtlichen Flucht des Apostels und seines Mitarbeiters verunsichert waren. Waren sie leichtgläubigen jüdischen Wanderpredigern aufgesessen? So ist verständlich, dass Paulus und Silas in die Kleinstadt Beröa (75 km von Saloniki entfernt) fliehen, von wo aus Paulus zweifellos, wenn sich der Sturm gelegt hätte, nach Saloniki zurückkehren wollte (15f).
Paulus Vertreibung aus Beröa (Apg 17,10-15): Dass Paulus und Silas in Beröa bei den Juden selbst und deren gottesfürchtigen Gönnern so gute missionarische Erfolge hatten, erklärt, dass die ortsansässige Judenschaft hier nicht gegen die Missionare einschritt. Die nicht einverstandenen Juden aus Beröa haben hingegen die Juden in Saloniki alarmiert. So wird verständlich, dass auf die Kunde von der Mission in Beröa hin Juden aus Saloniki kommen, um auch hier die Bevölkerung aufzuhetzen und Paulus vertreiben. Paulus wird selbst rasch die Konsequenzen gezogen haben, es sei besser, er räume das Feld, bevor sich die Vorgänge aus Saloniki wiederholten, damit der weniger exponierte Silas bleiben könne. Apg 20,4 erzählt, die Brüder in Beröa (einer von ihnen Sopater) hätten damals sogleich gehandelt und Paulus aus der Stadt geleitet, damit er ans Meer gelangen und sich nach Athen einschiffen konnte. Silas blieb in Beröa und arbeitete hier wohl an der Konsolidierung der Gemeinde, die sich später auch an der Kollekte des Paulus für die Jerusalemer Urgemeinde beteiligte (17f).
Paulus zieht über Athen nach Korinth: Nach der Rückreise der Christen aus Beröa, die Paulus nach Athen begleitet hatten, blieb der Apostel allein in Athen. Seine Missionserfolge in Athen waren gering. In Athen ist erst im zweiten Jahrhundert eine bedeutende Christengemeinde entstanden. Paulus scheint nicht lange in Athen geblieben zu sein; seine Mitarbeiter, Silas und Timotheus trafen ihn nicht mehr in Athen, wohin sie rasch nachkommen sollten, sondern sie stießen erst in Korinth (Apg 18,5) wieder zu Paulus. Freilich muss Timotheus schon zuvor bei Paulus in Athen gewesen sein (1Thess 3,1-5), denn Timotheus wurde von Paulus noch einmal nach Saloniki zurückgeschickt, um die dortige Gemeinde zu stärken und Paulus von ihr – wie er hoffte – gute Nachrichten zu überbringen. Diese Nachriten erhielt Paulus in Korinth (60 km von Athen entfernt). Paulus hat die Reise von Athen in die neue Metropole allein zurückgelegt. Der Weg führte über Eleusis und Megara und war in 2 – 3 Tagen zu bewältigen. Paulus scheint sich in Korinth alsbald wieder im Umkreis der Synagoge umgesehen zu haben (18f).
Hier fand er einen Juden namens Aquila, der aus 'Pontus' am Schwarzen Meer stammte, und dessen Frau Priszilla. Bei dem judenchristlichen Ehepaar fand Paulus, der wie Aquila 'Zeltmacher', d.h. Sattler, Lederverarbeiter, war, Unterkunft und Arbeit. Er konnte sich seinen Lebensunterhalt verdienen und an den Sabbaten in der Synagoge Lehrvorträge halten. Ein Missionserfolg stellt sich erst ein, nachdem Silas und Timotheus aus Mazedonien gekommen waren und eine Geldspende mitbrachten (2Kor 11,8f), die es Paulus eine Zeitlang erlaubte, sich ganz der Missionsarbeit zu widmen (19f).
Paulus schreibt aus Korinth an die Gemeinde in Saloniki (Frühjahr/Sommer 50 n. Chr.): Paulus nennt „Silvanus und Timotheus“ (1Thess 1,1) als Mitarbeiter. Die Absenderangabe ist wichtig, weil sich in Verbindung mit Apg 18,5, der Notiz über die Ankunft der aus Mazedonien kommenden Mitarbeiter in Korinth, Entstehungsort und Entstehungszeit des 1Thess festlegen lässt. Paulus bestätigt in 1Thess 3,6, dass er seinen Brief an die Thessalonicher schreibt „jetzt, da Timotheus von euch zu uns gekommen ist und uns die frohe Botschaft von eurem Glauben und eurer Liebe brachte“. Der Brief ist also im Jahr 50 in Korinth verfasst und von hier aus nach Saloniki geschickt worden. Es dürften Christen aus der Gemeinde in Philippi oder Beröa gewesen sein, die mit Silas und Timotheus die Spende der Gemeinde von Philippi überbracht hatten (2Kor 11,9). Sie haben sich vermutlich nicht allzu lange in Korinth aufgehalten, so dass Paulus den Brief nach Saloniki, den er ihnen mitgab, bald nach der Ankunft des Timotheus geschrieben haben muss, wie es auch das doppelte 'jetzt' in 1Thess 3,6.8 nahelegt (20f).
Es gibt einen älteren Brief, den Paulus dem Timotheus schon aus Athen nach Saloniki mitgegeben hat. Dieser Brief ist im vorliegenden 1Thess, der eine Briefkomposition ist, mitenthalten. Wenn wir die Briefe des Paulus durchmustern, sehen wir, dass er immer, wenn er einen seiner Mitarbeiter zu einer seiner Gemeinden geschickt hat, einen Brief mitgab. Die Briefe des Apostels sind ein wesentliches Instrument seiner Sorge um seine Gemeinden (22).
b. Der erste Thessalonicherbrief – eine Briefkomposition
(1) Brief aus Athen | 1Thess | 1Thess | (2) Brief aus Korinth |
1,1 | Präskript | ||
1,2-10 | Danksagung und Rückblick | ||
Rückblick | 2,1-12 | ||
Danksagung | 3,13-16 | ||
Sendung des Timotheus | 2,17 - 3,5 | ||
3,6-10 | Rückkehr des Timotheus | ||
Schluss | 3,11-10 | ||
Mahnungen | 4,1-8 | ||
4,9-12 | über die Bruderliebe | ||
4,13-18 | über die Entschlafenen | ||
5,1-11 | über die Zeiten | ||
5,12-22 | Mahnungen | ||
5,23-27 | Schluss | ||
5,28 | Schlusssegenswunsch | ||
Alles spricht dafür, dass Paulus nach seiner Flucht aus Saloniki und Beröa „für kurze Zeit“(2,17) von den Thessalonichern getrennt, nach widerholten gescheiterten Versuchen, noch einmal nach Saloniki zurückzukehren, in Athen, weil „er es nicht länger aushielt“ (3,1) zur Feder griff und Timotheus mit einem Brief, in dem er diesen Mitarbeiter empfahl und dessen Auftrag bezeichnete, nach Saloniki schickte (64).
Ein Brief Pauli aus Athen nach Saloniki: die Untersuchung aller auffälligen Dopplungen und Spannungen im 1Thess – der doppelten Danksagung, des doppelten Rückblicks auf den 'Zugang', der doppelten Situationsbeschreibung, der doppelten Schlusspassage, der gedoppelten Mahnung sowie kleinerer Dopplungen - und insbesondere des Abschnitts, der von der Sendung des Timotheus nach Saloniki handelt, hat erkennen lassen, dass in den unterschiedlichen Briefabschnitten unterschiedliche Briefsituationen gespiegelt sind: in zeitlicher Nähe zum Gründungsaufenthalt Pauli bei den Thessalonichern anlässlich der Sendung des Timotheus von Athen aus nach Saloniki und in zeitlicher Entfernung davon nach der Rückkehr des Timotheus aus Saloniki in Korinth (65).
Der älteste Paulusbrief, den Paulus schon von Athen aus geschrieben und seinem Mitarbeiter Timotheus an die Gemeinde in Saloniki mitgegeben hat, ist im kanonischen 1Thess im Rahmen des zweiten Briefes, den Paulus nach der Rückkehr des Timotheus von Korinth aus nach Saloniki schrieb, eingefügt. Dieser älteste Paulusbrief ist nicht vollständig erhalten. Es fehlt sein Präskript, es fehlen Grüße und der übliche Segenswunsch am Schluss. Das konnte bei der Zusammenfügung der beiden Briefe, die vor deren Veröffentlichung und Verbreitung geschehen sein muss, nicht doppelt erhalten bleiben. Der erste, in Athen geschriebene Brief musste, als er in den zweiten, in Korinth verfassten eingefügt wurde, in der Abfolge seiner Abschnitte verändert worden sein. Der Herausgeber konnte nicht zwei Danksagungen und zwei Schlusspassagen unmittelbar aufeinander folgen lassen und wollte offenbar die mahnenden und belehrenden Partien beider Briefe miteinander verbinden (65f).
Der erste Brief aus Athen enthält keinen belehrenden Teil und ist daher recht kurz; ansonsten laufen die Abschnitte in beiden Briefen parallel – vor allem mit dem Rückblick auf den 'Zugang' und den Ausführungen über die Sendung und Rückkehr des Timotheus. Der Vergleich der beiden Briefe zeigt, wie sehr der erste, der ältere aus Athen, von der Unruhe, der Sorge, der Ungewissheit des Apostels über die Entwicklung der Gemeinde geprägt ist. Der älteste Brief ist außergewöhnlich stark situationsgebunden. Die Zusammenfügung der beiden Briefe ließ sich angesichts ihrer parallelen Struktur leicht bewerktstelligen, fast ohne redaktionelle Eingriffe in ihren Bestand, unter Erhaltung aller wesentlichen Aussagen des Apostels (113f).
Die ursprünglich in einer konkreten Situation entstandenen 'Gelegenheitsschreiben' des Apostels Paulus haben durch ihre Vereinigung in der Briefkomposition eine grundsätzlichere, bleibende Bedeutung für die ganze Kirche bekommen (121).
c. Anhang: Der Tränenbrief (2Kor 10-13): Wenn der 2Thess von Paulus selbst stammte, müsste er auch noch während der sog. zweiten Missionsreise in der Zeit des 1 ½ jährigen Aufenthalts des Apostels in Korinth verfasst worden sein. Denn im Präskript (1,1) werden wie im Eingang des 1Thess „Silvanus und Timotheus“ als Mitabsender genannt. Silvanus hat Paulus jedoch auf der dritten Missionsreise nicht mehr begleitet, er scheint zum Mitarbeiter des Petrus geworden zu sein (1Ptr 5,12). Wenn der 1Thess eine Briefkomposition ist, dann setzt der 2Thess diese Briefkomposition voraus, die erst nach dem Tod des Paulus entstanden ist (124f).
(2) Drei Briefe an die Heiligen von Philippi (Phil)
Paulus und seine Lieblingsgemeinde
a. Die Gründung der Gemeinde in Philippi und der Philipperbrief
b. Der Philipperbrief – eine Briefkomposition
R.Pesch (1985)
a. Die Gründung der Gemeinde in Philippi und der Philipperbrief
Die Mission in Philippi: Lydia, eine Purpurhändlerin, eine Gottesfürchtige, hört Paulus besonders gut zu. Jetzt erfährt sie, dass der Messias Jesus auch ihr, der heidnischen Frau, die Möglichkeit ganz zum Volk Gottes zu gehören, eröffnet hat. Gott schloss ihr das Herz auf. Die heidnische Frau als 'Gottesfürchtige' kennt den Glauben an den einen wahren Gott und dessen Geschichte mit seinem Volk Israel; sie muss nur noch den Glauben an das Evangelium von Jesus Christus hinzugewinnen, den ihr die Predigt des Paulus vermittelt hat. Mit Lydia haben sich auch die Mitglieder ihres Hauses, ihre Familie, Hausangestellte und Sklaven, bekehrt. Das Haus der Lydia wurde durch ihre Einladung an die Missionare, denen sie Quartier gewährte, zum Stützpunkt der Mission in Philippi und zum Versammlungsort der entstehenden Gemeinde (Apg 16,40). Zur Gemeinde gehören neben Lydia und ihrem 'Haus' der Kerkermeister „und alle die Seinen“(16,33). Weitere Gemeindemitglieder sind Epaphroditus (Phil 2,25; 4,18), die beiden Frauen Evodia und Syntyche (4,2) und Klemens (4,3). Die Christen in Philippi sind hauptsächlich Heidenchristen (Phil 3,3) (16f).
Die Ausweisung von Paulus und Silas aus Philippi: Paulus konnte wahrscheinlich nur wenige Wochen in Philippi wirken. Als Paulus und Silas aus der Stadt ausgewiesen wurden, dürfte Timotheus dort geblieben sein und die weitere Festigung der entstehenden Gemeinde betrieben haben. In Philippi hatte Paulus Unbilden und Misshandlung zu erdulden (1Thess 2,2). Die Apostelgeschichte (16,16-40) berichtet von der Einkerkerung und Ausweisung von Paulus und Silas nach der Austreibung eines Wahrsagegeistes aus einer Magd, deren Herren ihr Geschäft geschädigt sahen und Anzeige erstatteten. Die Sklavin hatte Paulus und dessen Begleiter mehrere Tage hindurch dadurch belästigt, dass sie hinter ihnen herlief und schrie. Paulus hatte nach Tagen geduldiger Gelassenheit schließlich aufgebracht reagiert und den Wahrsagegeist ausgetrieben, an der Sklavin einen Exorzismus vollzogen (18).
Die Besitzer der Sklavin ließen Paulus und Silas ergreifen und vor die städtischen Behörden schleppen. Die obersten Beamten, tragen der antijüdischen Volksstimmung Rechnung und lassen Paulus und Silas ohne Verhör und Urteil die Kleider vom Leib reißen und auspeitschen (wobei Paulus viele Wunden Apg 16,33 zugefügt wurden) und dann ins Gefängnis werfen. In 2Kor 11,23-27 erwähnt Paulus, dass er „häufiger im Gefängnis“ war und „dreimal ausgepeitscht“ wurde. Der Kerkermeister, der die Gefangenen Missionare sicher verwahren soll, bringt sie in die innerste Sicherheitszelle. Zusätzlich sichert er ihre Füße im hölzernen Block. Die Überlieferung erzählt von einem mitternächtlichen 'Türöffnungswunder' und von der Bekehrung des Kerkermeisters, der den nächtlichen Lobgesang der Missionare gehört hatte. Am nächsten Tag kommt es dann zur Freilassung und Ausweisung von Paulus und Silas aus der Stadt. „Vom Gefängnis aus gingen die beiden zu Lydia. Dort fanden sie die Brüder, sprachen ihnen Mut zu und zogen dann weiter“ (Apg 16,40). Der Weg führte sie über Amphipolis und Apollonia nach Thessalonich (19f).
Die weitere Verbindung des Paulus mit der Gemeinde in Philippi: Timotheus war wohl in Philippi zurückgeblieben, um die Gemeinde zu stützen. In Saloniki hat Paulus aus Philippi eine finanzielle Unterstützung erhalten, die ihm die Missionsarbeit dort erleichtern sollte (Phil 4,16). Als Paulus von den Juden in Saloniki aus der Hauptstadt Mazedoniens und danach aus Beröa vertrieben worden war, traf er spätestens in Athen wieder mit Timotheus zusammen, den er von hier aus mit dem ältesten Brief nach Saloniki schickte. Spätestens in Athen ist Paulus also auch von Timotheus über die Entwicklung der Gemeinde in Philippi unterrichtet worden. In Korinth, wo er 1 ½ Jahre bleiben konnte, hat er erneut eine Geldspende aus Philippi erhalten. Wahrscheinlich ist eine Delegation aus Philippi mit Silas und Timotheus, als sie dem Apostel nach Athen nachreisten (Apf 18,5), mitgezogen. Paulus war erneut mit den Philippern in Verbindung. Als Paulus seine Mission nach Ephesus verlegt hatte, musste er von hier aus „drei Jahre lang“ (Apg 20,31) den Kontakt mit seinen europäischen Gemeinden halten. Die im 1Thess vereinigten Schreiben waren schon auf der Gründungsreise in Europa von Athen und Korinth aus geschrieben worden. Dass der Philipperbrief nicht mehr auf der sog. zweiten Missionsreise, die Paulus nach Europa führte, geschrieben ist, geht daraus hervor, dass nur noch Timotheus, nicht mehr Silas (der den Apostel nach der Zeit in Korinth nicht mehr begleitete) als Mitabsender genannt ist (20f).
Paulus wurde gegen Ende seiner dreijährigen Wirksamkeit in Ephesus (52-55 n. Chr.) dort ins Gefängnis geworfen. Das 'Quittungsschreiben' und der Brief aus dem Gefängnis anlässlich der Rücksendung des Epaphroditus dürften im Jahr 55 entstanden sein, der Kampfbrief Anfang des Jahres 56 in Korinth. Seit der Gründung der Gemeinde von Philippi waren 5-6 Jahre vergangen. Paulus blickt in 1,5 auf „den ersten Tag“ und in 4,15 auf „den Anfang der Evangeliumsverkündigung“ aus gutem Abstand zurück (58).
b. Der Philipperbrief – eine Briefkomposition
(2) aus dem Gefängnis | Phil | Phil | |
Präskript | 1,1-2 | ||
Danksagung | 1,3-11 | ||
Bericht | 1,12-26 | ||
Weisung | 1,27 - 2,18 | ||
Ankündigung | 2,19-30 | ||
Mahnungen/Übergang | 3,1 | (3) Kampfschreiben | |
3,2-21 | Auseinandersetzung | ||
4,1-3 | Mahnungen | ||
Mahnungen | 4,4-7 | ||
4,8-9 | Mahnungen; Zwischenschluss | ||
4,10-18 | (1) Empfangsbestätigung/Spende | ||
4,19-20 | Schluss | ||
Schlussgrüße | 4,21-22 | ||
Schlusssegenswunsch | 4,23 |
Der Brief aus dem Gefängnis anlässlich der Rücksendung des Epaphroditus – das Präskript (1,1f): Paulus nennt neben sich Timotheus (der schon bei der Gemeindegründung mit in Philippi war und dort vermutlich länger bleiben konnte als Paulus und Silas) als Mitabsender. Das bedeutet: Timotheus ist beim gefangenen Paulus. Im Frühjahr 49 n.Chr. war Paulus in Philippi und 50/51 in Korinth, zwischen 52 und 55 n.Chr. hat er sich in Ephesus aufgehalten. In der ersten Zeit seines Aufenthalts dort schickte er Timotheus nach Korinth (1Kor 4,17). Vor seinem Aufbruch von Ephesus nach Troas und Mazedonien (2Kor 2,12f) sandte Paulus „zwei seiner Helfer, Timotheus und Erastus, nach Mazedonien voraus“ (Apg. 19,22). Paulus hat Timotheus und Erastus (Mitabsender des 2Kor) in Mazedonien wiedergetroffen (2Kor 7,5). Im Philipperbrief (2,19-23) stellt Paulus eine baldige Sendung des Timotheus nach Philippi in Aussicht, doch erwartet der Apostel seinen Mitarbeiter in Ephesus zurück, weil er erfahren möchte, wie es um die Gemeinde in Philippi steht. Paulus muss gegen Ende seines Aufenthalts in Ephesus im Kerker gewesen sein. Dazu passt auch sein Hinweis im aus Mazedonien geschriebenen 2Kor 1,8-10 auf die in der Hauptstadt der Provinz Asia überstandene Todesgefahr. Paulus stellt sich und Timotheus als „Knechte Christi Jesu“ (Phil 1,1) vor. Zum ersten und einzigen Mal in seinen Briefen nennt Paulus eine besondere Gruppe von Gemeindeleitern im Präskript: die Episkopen und Diakone. Dass in Philippi diejenigen, die im Leitungsdienst der Gemeinde stehen schon Titel tragen, setzt voraus, dass die Lieblingsgemeinde des Paulus eine kontinuierliche Entwicklung ihrer Festigung seit der Gemeindegründung durchlaufen hat (76f).
(3) Vier Briefe an die Gemeinde Gottes in Korinth (1Kor)
Paulus ringt um die Lebensform der Kirche
a. Die Gründung der Gemeinde in Korinth und der erste Korintherbrief
b. Der erste Korintherbrief – eine Briefkomposition
R.Pesch (1986)
a. Die Gründung der Gemeinde in Korinth und der erste Korintherbrief
Paulus kommt nach Korinth
Die Mission in Korinth
Paulus verlässt nach 1 ½ Jahren Korinth
Nach Paulus wirkt Apollos in Korinth
Paulus macht Ephesus zum neuen Vorort der Mission in der Provinz Asia
Paulus schreibt aus Ephesus an die Gemeinde Gottes in Korinth
Die Gemeinde in Korinth, der Hauptstadt der Provinz Achaia, war die bedeutendste Gemeinde des Völkerapostels auf europäischem Boden. Mit dieser Gemeinde hat Paulus nach seinem Weggang von Korinth jahrelang gerungen – durch Briefe, durch Besuche seiner Mitarbeiter und des Apostels selbst (13).
Paulus kommt nach Korinth: Von Athen aus zieht der Apostel in die 60km entfernte Provinzhauptstadt Korinth. In Korinth hat Paulus außergewöhnliches Glück, er trifft auf ein judenchristliches Ehepaar, das ihm Unterkunft und Arbeit anbieten kann. Das Ehepaar, das schon in Rom zum Glauben an den Messias gekommen war, war kürzlich, nicht lange vor Paulus, aus Italien nach Korinth gekommen. Anlass dieser Übersiedlung war eine Anordnung des Kaisers Klaudius im Jahr 49 n.Chr., dass alle Judenchristen Rom verlassen sollten. Aquila und Priszilla hatten, da sie einige Zeit vor Paulus nach Korinth gekommen waren, hier schon ein Haus erwerben und eine Werkstatt einrichten können (14f).
Auf seiner Quartiersuche war Paulus in Korinth auf dieses Ehepaar gestoßen. Der Zufall wollte es, dass Aquila und Paulus dasselbe Handwerk gelernt hatten, Paulus also in Aquilas Zeltmacherwerkstatt seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. In den späteren brieflichen Auseinandersetzungen mit der korinthischen Gemeinde spielt es eine bedeutende Rolle, dass Paulus sich von der Gemeinde nicht unterhalten ließ, sondern von seiner eigenen Handarbeit lebte. Zunächst hat Paulus die arbeitsfreien Sabbate zu missionarischen Lehrvorträgen in der Synagoge genutzt. Von einem Missionserfolg ist zunächst nicht die Rede. Er scheint sich erst eingestellt zu haben, nachdem Silas und Timotheus aus Mazedonien nach Korinth gekommen waren und Paulus seine Missionsarbeit intensivieren konnte. Timotheus brachte auch gute Nachrichten aus Saloniki, die Paulus zur Abfassung seines zweiten Briefes an die Thessalonicher (nach dem Athener Brief) veranlasste (15).
Die Mission in Korinth: Silas und Timotheus brachten eine finanzielle Geldspende der mazedonischen Gemeinden, besonders eine Geldspende seiner 'Lieblingsgemeinde' in Philippi, für den Apostel mit nach Korinth (2Kor 11,8f; Phil 4,15f). Paulus brauchte nun eine Weile nicht zu arbeiten und konnte sich mit seinen beiden Mitarbeitern ganz der Mission widmen (Apg 18,5). Paulus hat seine Lehrtätigkeit in der Synagoge intensiviert und insbesondere eine ausführliche messianische Schriftauslegung betrieben. Jedoch regt sich der Widerstand der Juden, die die Messianität des gekreuzigten Nazareners Jesus nicht anerkennen wollen, sondern 'lästern' (Apg 18,6), d.h., dass die Juden den Fluch der Tora (Dtn 21,23) über den 'Gekreuzigten' nachsprechen (15f).
Als Paulus in der Synagoge nicht mehr geduldet wird, bietet ihm ein gottesfürchtiger Heide, Titius Justus, der offenbar von Paulus überzeugt worden war, sein Haus als Versammlungsort an. Er besaß ein geräumiges Haus, das „an die Synagoge angrenzte“ (Apg 18,7). Hier kann Paulus wirken – in offener Konkurenz zur Synagoge bei der Werbung um heidnische Hörer. Die in Korinth entstehende Gemeinde setzt sich aus ehemaligen Juden und ehemaligen Heiden zusammen, unter den Heiden aus solchen,die sich schon für das Judentum interessiert und als 'Gottesfürchtige' (wie Titius Justus) an den Sabbatgottesdiensten teilgenommen hatten (16).
Der Kern des judenchristlichen Teils der korinthischen Gemeinde bestand aus prominenten ehemaligen Juden. Zum judenchristlichen Teil der Gemeinde wird man auch Stefanas und dessen Familie rechnen dürfen. Paulus erwähnt (1Kor 1,16), dass er die Familie des Stefanas selbst getauft hat, und dass Stefanas der Erstbekehrte in der Provinz Achaia war (1Kor 16,15). Zu dessen Familie gehören auch wohl Fortunatus und Achaikus, die Paulus später zusammen mit Stefanas in Ephesus besuchen (1Kor 16,17) (17).
In 1Kor 1,14 erwähnt Paulus neben dem Synagogenvorsteher Krispus noch einen Gajus, den er selbst getauft hat. Vielleicht ist dieselbe Person gemeint, die Apg 18,7 als der Besitzer des an die Synagoge angrenzenden Hauses vorgestellt war: Gajus Titius Justus. Der ehemalige Gottesfürchtige wäre zum Kern des heidenchristlichen Teils der korinthischen Gemeinde zu zählen. Dazu zählt als weiteres prominentes Mitglied der Stadtkämmerer Erastus (Röm 16,23). Der Römerbrief wurde von Paulus später bei seinem dritten Aufenthalt in Korinth geschrieben, als er dort vor der Kollektenreise nach Jerusalem überwinterte. Er enthält eine Liste von Personen (Röm 16,21-23), die von Korinth aus an die römische Gemeinde Grüße ausrichten lassen. Neben Timotheus, dem Mitarbeiter des Paulus, grüßen „Lucius, Jason und Sosipater, die zu meinem Volk gehören“ (Röm 16,21), die den judenchristlichen Teil der Gemeinde verstärkten. Dann grüßt Tertius, der Schreiber dieses Briefes (Röm 16,22), der zu den Heidenchristen gehört. Dann stoßen wir erneut auf „Gajus, der mich und die ganze Gemeinde gastlich aufgenommen hat“ (Röm 16,23). Er war also später wieder Gastgeber Pauli, wie in der Anfangszeit als er sein Haus für die Lehrvorträge des Apostels zur Verfügung stellte. Zu den Heidenchristen zählt noch der Bruder Quartus (Röm 16,23) (17f).
Zur Zeit des dritten Besuchs des Paulus in Korinth, fünf bis sechs Jahre nach dem Gründungsbesuch, gab es auch in der Hafenstadt Kenchreä schon eine eigene Gemeinde, in der Phöbe, eine Frau, Diakon war (Röm 16,1). In Korinth selbst wird Paulus die entstehende Gemeinde schon während seiner 1 ½ jährigen Wirksamkeit dort in verschiedene Hausgemeinden strukturiert haben. Gemeindemitglieder, die Häuser mit größeren Versammlungsräumen besaßen, haben sie für die Gemeindeversammlungen, Gottesdienste und gemeinsame Mahlzeiten zur Verfügung gestellt (18).
Der größere Teil der überwiegend heidenchristlichen Gemeinde gehörte den unteren sozialen Schichten der Bevölkerung an (1Kor 1,26). Die Apostelgeschichte erzählt (18,9-11), dass der Widerstand der Juden, die Paulus in der Synagoge nicht mehr geduldet hatten, nach dessen Umzug in das benachbarte Haus des Titius Justus gewachsen war. Paulus wird in einem Nachtgesicht vom Herrn Jesus, der ihm erscheint, ermutigt: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir. Niemand wird dich antasten, um dir Böses anzutun. Denn mir gehört ein großes Volk in dieser Stadt“ (Apg 18,9f). Paulus kann in den 1 ½ Jahren, die er in Korinth bleibt (Apg 18,11), seine größte und bedeutendste Gemeinde sammeln (19).
Paulus verlässt nach 1 ½ Jahren Korinth: Als Paulus Korinth verließ, ging er in die Provinz Asia und machte deren Hauptstadt Ephesus zu einem weiteren Vorort seiner Mission. Als Gallio sein Amt in Korinth antrat, suchten die Juden, denen der Missionseifer des Paulus ein Dorn im Auge war, ihre Chance. Sie klagten Paulus vor dem Gericht des Statthalters an. Doch Gallio wollte mit der Sache nichts zu tun haben. Gallio verjagte die Juden kurzerhand von seinem Richterstuhl auf der Agora. Die Juden verprügelten (Apg 18,17) Sosthenes, ihren Synagogenvorsteher, der ihre Sache schlecht vertreten habe. Wenn Paulus (Apg 18,12) zu Beginn der Amtszeit des Gallio im Sommer 51 von den Juden angeklagt wurde und wenn die Anklage gegen Ende der 1 ½ jährigen Wirksamkeit des Apostels in Korinth erfolgte, muss Paulus zu Beginn des Jahres 50 n.Chr. nach Korinth gekommen sein, wo Aquila und Priszilla seit dem Spätherbst des Jahres 49 n.Chr. ihre neue Wekstatt eingerichtet hatten. Paulus Abschied von Korinth fällt in den Herbst 51 n.Chr. Ab 52 n.Chr. wirkte er dann für drei Jahre in Ephesus. Doch zuvor kehrte er an den Ausgangspunkt seiner Mission, nach Jerusalem und Antiochia, zurück. Unterdessen kam ein anderer begabter Missionar nach Korinth: Apollos (20f).
Nach Paulus wirkt Apollos in Korinth: Apollos war wie Paulus Judenchrist. Apollos scheint schon in Ephesus eine kleine Christengemeinde gesammelt zu haben (Apg 18,27f). Schon bevor Paulus wieder nach Ephesus kam, war Apollos mit einem Empfehlungsschreiben der kleinen judenchristlichen Gemeinde in Ephesus nach Korinth abgereist (22f).
Apollos muss in Korinth eine gute Weile missioniert und in der Gemeinde selbst als christlicher Weisheitslehrer gewirkt haben. Apollos muss eine Gruppe in der korinthischen Gemeinde so beeindruckt haben, dass man sich auf ihn als den Missionar einschwor: „Ich gehöre zu Apollos“ (1Kor 3,4). Dadurch entstanden 'Parteiungen' in der christlichen Gemeinde, die Paulus in Ephesus zu einem ersten Brief nach Korinth veranlassten, sobald er durch die Leute der Chloe von den Streitereien hörte (23).
Paulus macht Ephesus zum neuen Vorort der Mission in der Provinz Asia: Nach dem Abschied von Korinth war Paulus (Apg 18,18-23) zusammen mit Aquila und Priszilla und seinen Mitarbeitern Silas und Timotheus zu Schiff zunächst bis Ephesus gereist, wo er das Ehepaar zurückließ, wohl deshalb, weil sie in Ephesus bis zur Rückkehr des Paulus wieder ein Haus erwerben, eine Werkstatt einrichten und so die missionarische Basis herstellen und den wirtschaftlichen Grund zu einer Gemeindebildung legen wollten. Paulus wird mit Silas und Timotheus weitergereist sein. Er landete in Cäsarea am Meer in Palästina und stieg von hier nach Jerusalem hinauf, wo er ein Gelübde (Apg 18,18) auszulösen hatte: Paulus „hatte sich in Kenchreä das Haupt scheren lassen, denn er hatte ein Gelübte getan“. Die Apostelgeschichte berichtet nichts von dem, was sich in Jerusalem und Antiochia, von wo aus Paulus vor etwa drei Jahren zur Mission in Europa aufgebrochen war, bei seinen Besuchen zutrug (Apg 18,22f) (24).
Der knappe Text erwähnt nicht: 1. Silas, der bisherige Jerusalemer Begleiter des Paulus, scheint Paulus nach Jerusalem zurückbegleitet, sich aber dort vom Apostel getrennt zu haben und später in die Begleitung des Petrus übergewechselt zu sein (1Ptr 5,12). 2. An die Stelle des Silas tritt in der Folgezeit Titus, der Paulus schon mit der antiochenischen Delegation zum Apostelkonzil nach Jerusalem begleitet und in der Zwischenzeit wohl in Antiochia geblieben war. Nach Gal 2,13 war Titus den galatischen Gemeinden bekannt, wohl deshalb, weil er mit Paulus von Antiochia aus durch Galatien nach Ephesus gereist war. 3. Paulus hat Titus, der später als der wichtigste Kollektendelegat erscheint (2Kor 8,6.16.23; 12,18), wohl insbesondere der neu übernommenen Kollektenverpflichtung wegen als Mitarbeiter angeworben. Beim zweiten Besuch in den galatischen Gemeinden hat Paulus dort die Sammlung für die Jerusalemer Urgemeinde angeregt (1Kor 16,1f) (24f).
Falls Paulus im Herbst des Jahres 51 n.Chr. - vor Schließung der Seefahrt im Oktober – nach Cäsarea gesegelt war, kann er über den Winter in Jerusalem und Antiochia gewesen und im Frühjahr des Jahres 52 n.Chr. über Galatien und Phrygien nach Ephesus aufgebrochen sein. Hier wird er spätestens im Herbst 52 n.Chr. angekommnen sein, nachdem er unterwegs die früher gegründeten Gemeinden gestärkt hatte. Von der dreijährigen Wirksamkeit (Apg 20,31) des Paulus in Ephesus berichtet die Apostelgeschichte nicht viel: Sie weiß von der Bekehrung von Johannesjüngern (Apg 19, 1-7), von drei Monaten, während Paulus in der Synagoge Lehrvorträge halten konnte (Apg 19,8), bevor er – ähnlich wie zuvor in Korinth – dort nicht mehr geduldet wurde und in ein anderes Haus überwechselte, diesmal in Ephesus in den Hörsaal des Tyrannus, wo Paulus zwei Jahre hindurch täglich lehren konnte (Apg 19,9f). Paulus wollte von der Metropole, dem neuen Vorort aus, das Ganze der Provinz Asia erreichen (Apg 13,10) (25).
Apg 19,11-20 erzählt vom Wundertäter Paulus und seinem erfolgreichen Einschreiten gegen Magie und Zauberwesen. In Apg 19,21f wird dann vom Plan des Paulus berichtet, nach Jerusalem und Rom zu ziehen. Die Jerusalemreise hängt mit der Kollekte für die Urgemeinde zusammen, die Paulus während der Zeit in Ephesus und danach auf seinem Zug durch Mazedonien nach Korinth beschäftigt. Bevor Paulus von Ephesus aufbricht, schildert die Apostelgeschichte noch die dramatische Episode vom Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus (Apg 19,21-40), die den großen Missionserfolg des Apostels in der Provinz Asia spiegelt: Demetrius, der Zunftmeister der Silberschmiede, führt in ihrer Versammlung aus: „Ihr seht und hört, dass dieser Paulus nicht nur in Ephesus, sondern fast in der ganzen Provinz Asia viele Leute verführt hat“ (Apg 19,26). Paulus war in den Jahren 52-55 n.Chr. in Ephesus. In diese Zeit fällt nicht nur ein Teil seiner Korrespondenz mit seiner 'Lieblingsgemeinde' in Philippi, nicht nur die im Galaterbrief gespiegelte Auseinandersetzung mit den in den galatischen Gemeinden eingedrungenen judaisierenden Gegnern und mit den von diesen bedrohten Gemeinden selbst, sondern auch ein guter Teil des Ringens mit den Korinthern um die Lebensform der Kirche, der ekklesia, der ntl Gemeinde aus Juden und Heiden. Zeuge dieses Ringens ist hauptsächlich der erste Korinthbrief (25f).
Paulus schreibt aus Ephesus an die Gemeinde Gottes in Korinth: In 1Kor 16,5 erörtert Paulus seine Reisepläne: er will durch Mazedonien ziehen, nach Korinth kommen und dort überwintern: „Denn ich möchte euch nicht nur im Vorbeigehen sehen; ich hoffe nämlich, eine Zeitlang bei euch zu bleiben, wenn der Herr es gestattet. Ich werde aber in Ephesus bleiben bis Pfingsten...“ (16,7f) (26).
Dass Paulus aus Ephesus schreibt, macht auch den regen Besuchsverkehr von Leuten aus Korinth bei Paulus verständlich. In Ephesus kommen die Leute der Chloe (1,11), Stefanas, Fortunatus und Achaikus (16,17), weitere Brüder und Apollos (16,12) zu Paulus. Vielfältige Nachrichten, auch ein Brief der Korinther (7,1) veranlassen Paulus, zur Feder zu greifen. Der 1Kor ist zwischen 52 und 55 n.Chr. geschrieben worden und spigelt das Ringen des Apostels um die Lebensform der Kirche, der ntl Gemeinden, die in der neuen Vergesellschaftung von Juden und Heiden neue Wege gehen mussten, um den Glauben zu der ihm angemessenen Form zu verhelfen und allen Glaubenden zu der ihnen zugedachten Identität – kurz, der Kirche zu ihrer Aufgabe, konkrete Lebensgestaltung der Erlösung zu sein (26f).
b. Der erste Korintherbrief – eine Briefkomposition
1Kor | 1Kor | ||
(1) Vorbrief | |||
1,1 - 5,8 | 1,1 - 5,8 | ||
(2) Zwischenbrief | |||
Korrektur | 5,9-13 | ||
(6,1-11 aus Vorbrief) | |||
Warnung vor Unzucht | 6,12-20 | (4) Antwortbrief | |
7,1-16 | Ehe und Ehescheidung | ||
7,17-24 | Stand des Berufenen | ||
7,25-38 | Ehe und Jüngfräulichkeit | ||
7,39-40 | Wiederheirat | ||
8,1-13 | Götzenopferfleisch | ||
9,1-27 | Apologie des Apostels | ||
Warnung vor Götzendienst | 10,1-22 | ||
Götzenopferfleisch | 10,23 - 11,1 | ||
Kopfbedeckung der Frauen | 11,2-6 | ||
Herrenmahlfeier | 11,17-34 | ||
12,1-31 | über die Charismen | ||
13,1-13 | Hohes Liede der Liebe | ||
14,1-25 | Prophetie und Zungenrede | ||
14,26-40 | Gottesdienstordnung | ||
(3) Auferstehungsbrief | 15,1-58 | ||
16,1-4 | Kollekte | ||
16,5-9 | Reisepläne des Apostels | ||
16,10-11 | Empfehlung des Timotheus | ||
16,12 | über Apollos | ||
16,13-18 | Schlussmahnungen | ||
16,19-20 | Grüße | ||
16,21-24 | Briefschluss |