(3) Der Brief nach Kolossä (1,15-20)


K.-J. Kuschel (1990)

Warum man die Präexistenz Christi bekennen musste

Angesichts der kollossischen "Philosophie" (2,8.15ff) musste man die Präexistenz Christi bekennen, sollte Christus noch der Kyrios der Welt bleiben (424).

Die Spannung: Text und Situation

Wenn Gott mit seiner ganzen Fülle in Ihm (Christus) wohnen wollte, dann ist Gott kein rätselhaftes Geheimnis mehr, sondern hat sein Geheimnis in Christus offenbar gemacht (2,2) (425).

Wenn ER (Christus) vor aller Schöpfung ist und in ihm alles erschaffen wurde, dann finden Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten an Ihm ihr Maß und ihre Grenze: “Die Fürsten und Gewalten hat er entwaffnet und öffentlich zur Schau gestellt; durch Christus hat er über sie triumphiert“ (2,15).

Wenn ER (Christus) das Haupt des Leibes ist, dann ist damit für die christliche Gemeinde ein Raum der Freiheit geschaffen. Gott hat durch das Kreuz Christi ein für alle Mal “den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagen, aufgehoben“ (2,14).

Wenn Gott durch Ihn (Christus) alles zu versöhnen beabsichtigt, dann ist der Christ zur neuen Versöhnung fähig, zur Verwirklichung eines in Christus geschaffenen neuen Menschen: “Jetzt aber sollt ihr alles ablegen: Zorn, Wut, Bosheit. Lästerungen und Zoten sollen nicht mehr über eure Lippen kommen. Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen geworden“ (3,8-10).

Wenn Christus das Bild des unsichtbaren Schöpfergottes ist, dann ist eine Erneuerung des Menschen “nach dem Bilde seines Schöpfers“ möglich. Wo das geschieht, “gibt es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie, sondern Christus ist alles in allen“ (3,10f).

Wo in Christus “Friede gestiftet“ ist, da ist Vergebung möglich, da hält das “Band der Liebe“ alles zusammen, da herrscht der Friede Christi in den Herzen der Menschen (3,13-15) (425).

Die Kontrastdynamik besteht zwischen Text und Situation: Hier der Kerker – dort der Kosmos; hier der Häftling – dort der Glaube an den Herrn über alle; hier die Gemeinde zwiespältiger, fehlbarer Menschen, wo “Unzucht, Schamlosigkeit, Leidenschaft, böse Begierden und Habsucht“ (3,5) herrschen – dort das Bekenntnis zu dem, in dem wir “die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ haben (1,14). 'Paulus', der Gefangene, verkündet den gekreuzigten Nazarener als den Herrn des Alls, als den Mittler bei der Ur-Schöpfung. Er verkündet aus der Zelle heraus die ganz andere Freiheit Gottes. Aus der Perspektive des gefangenen Vogels entwirft er die Vision vom kosmischen Christus (426).

Der Hymnus 1,15-20
Schöpfungsmittlerschaft im Zeichen der Zeitenwende

Der Hymnus blickt aus der eschatologischen 'Nachzeitigkeit' gewissermaßen zurück. Die Erfahrung des erhöhten Herrn geht voraus: “Er (Gott) hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. Durch ihn (Christus) haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ (1,13f) (426f).

In einer zweistrophigen Struktur (15-18a; 18b-20) werden zwei Gedanken herausgestellt: Der erhöhte Christus war auch vor aller Schöpfung und keine Schöpfung war ohne ihn! Und durch den erhöhten Herrn ist alles – auf Erden wie im Himmel – versöhnt. Schöpfung einerseits und Versöhnung in Christus andererseits sind im eschatologischen Gesamtkontext die beiden großen Themen des Liedes.

Von Weisheit ist im Brief ständig die Rede und durch Sätze wie: “in ihm (Christus) sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen“ (2,3) ist die christliche Konkurrenzsituation gegen ein weisheitsorientiertes Judentum deutlich gegeben. Erstmals wagt eine Schrift des NT mit dem protologisch-kosmologischen Anspruch der Weisheitstheologie zu konkurrieren und Christus Jesus als Gegenmacht auf 'gleicher Höhe' vorzustellen. Erstmals wird die Schöpfung ein eigenes Thema der Christologie im NT (427f).

Stets behält hier Gott selbst die Initiative, ist der Ewige selber handelndes Subjekt. Er wollte “durch ihn ...“. Für Aussagen über Christus ist das statische 'In', das instrumentelle 'Durch' oder das finale 'Auf ihn hin' typisch oder die passive Redeweise: 'durch ihn wurde alles …'. Christus bleibt in diesem Text ganz der Mittler der Schöpfungstätigkeit Gottes – so von Gott dem Schöpfer einerseits und so auch von den Menschen, den Geschöpfen, andererseits deutlich unterschieden (428).

Bild des unsichtbaren Gottes“ (1,15)

Aussagen über die präexistente Weisheit qualifizierten im Judentum Gott als den, der die Ordnung der Schöpfung geschaffen hat und sie garantiert. Der Ausdruck 'Bild Gottes' bezieht sich auf Christi offenbarende Funktion. Spekulative Fragen nach der Wesensidentität von Urbild und Abbild, Gott und Christus stellen sich nicht (429).

Im Licht der eschatologischen Auferweckung des 'geliebten Sohnes' sind Gott und sein Bild Christus immer schon als zusammengehörig zu denken. Von Gott kann man als Christ nicht mehr reden, ohne von Jesus Christus reden zu müssen und umgekehrt. Wer von Christus spricht, spricht zugleich von Gott selbst. Christus vertritt vor der sichtbaren Welt den unsichtbaren Gott und vor dem unsichtbaren Gott die sichtbare Welt. Vom postexistenten Christus her legitimieren sich Aussagen über den präexistenten (429)!

Wie die Präexistenz Christi konkret aussieht, beschreibt der Hymnus nicht. Menschen unterwerfen sich hier im Akt des Bekenntnisses dem Vorrang Christi vor aller Schöpfung. 'It was the activity of Christ in creation, not His pre-existence that Paul emphasized in his wisdom christology in the epistle to the Colossians' (W.D. Davis). 'Paulus' kommt alles darauf an, den Vorrang Christi vor allen Geschöpfen zu betonen (430).

Erstgeborener der Schöpfung“ (1,15)

Weil Gott am Ende in Christus so handelte, konnte er schon die ganze Schöpfung in ihm, durch ihn und auf ihn hin schaffen. In Christus entsprechen sich das Ende der Zeit und der Anfang der Zeit. Eschatologie ist auch hier das Interpretament der Protologie. Zum anderen ist “Erstgeborener der Schöpfung“ eine Aussage über den Rang Christi vor allem Geschaffenen. Christus gehört auf die Seite des Schöpfers. Er ist der, in dem der unzugängliche Gott als Schöpfer die Welt schafft und sich so dem zuwendet, der ihn nicht sehen könnte (432).

Das Ziel: Friedensstiftung

Die erste Strophe bekennt die Bedeutung Christi für die ganze Schöpfung. Die zweite Strophe betont den 'Grund' dieser Bedeutung: die eschatologische Totenerweckung: “Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten, so hat er in allem den Vorrang“ (1,18b). Spricht die erste Strophe von der Präexistenz, so die zweite von der Neuexistenz; redet die erste vom Mittler der Urschöpfung, so die zweite vom Mittler der Versöhnung. 'Paulus' sieht den Zusammenhang von Urzeit und Endzeit christologisch als Zusammenhang von Schöpfung und Versöhnung. Versöhnung wurde dadurch möglich, dass Christus “Frieden stiftete am Kreuz durch sein Blut“ (1,20). Christi Blut (analog atl Opfer) ist für 'Paulus' Blut, das “Frieden stiftet“. Es gibt keinen Zusammenhang von Schöpfung und Versöhnung am Kreuz vorbei, keine Aussage über den Kosmos ohne Hinweis auf die Leidensgeschichte des Gekreuzigten (432f).

Ein Lied wider die falschen Beherrscher der Welt

Die Präexistenz Christi musste hier so deutlich bekannt werden, weil dieses Lied ein Gegengesang sein will gegen falsche kosmische Mächte und Gewalten, die diese Welt beherrschen und weil es vom Glauben an eine neue Existenz des Menschen in Christus Zeugnis geben will, die diesen Mächten Widerstand zu leisten vermag (434).

Wenn Christen darauf vertrauen können, dass Christus Jesus das Ebenbild Gottes ist, dann dürfen sie auch darauf vertrauen, dass Gott nun selbst das Antlitz Jesu Christi trägt. Der Bilderlose wird so in einem Bild anschaulich, weil Gott selbst sich in diesem Bild hat erkennen lassen wollen. Die christologische Präexistenzaussage musste hier Thema werden, weil es um das 'richtige' Bild Gottes ging.

Die Schöpfung ist nicht kosmischen Schicksalsmächten und Weltelementen ausgeliefert, sondern ist von Versöhnung, Frieden, ja Liebe getragen, Weltversöhnung musste neu buchstabiert werden im Angesicht von Weltbedrohung und Lebensangst (434f).

Friede und Versöhnung sind nur möglich aufgrund der in Christus vollzogenen Entmachtung der falschen Elementarmächte, der Fürsten und Gewalten dieser Welt (435f).

In summa: Mit dem Glauben an die Präexistenz Christi verbindet sich keine spekulative Neugierde, sondern das verwegene Vertrauen von Christen: dass trotz aller Elementarmächte Gott niemand anders ist als der neuschaffende und befreiende Gott Jesu Christi, der Gott, der als Urgrund von Schöpfung und Erlösung das Antlitz eines konkreten Menschen trägt, dass trotz aller Katastrophenängste der Urgrund der Schöpfung vertrauenswürdig ist; dass trotz allem Streit um die Wahrheit die Urmacht der Versöhnung vor aller Schöpfung alle Entzweiung in der Schöpfung aufzuheben vermag, dass trotz aller politischen Repressionen die falschen Mächte und Gewalten der Erde, die falschen Götter – und Götzenbilder vom wahren Bild Gottes her entzaubert werden.

Der Hymnus ist ein Lied von Schöpfung und Erlösung. In diesem Text wird poetisch, nicht begrifflich geredet. Dieses Lied will gesungen, meditiert, erfahren, aber nicht abstrakt erklärt werden (436f).


(4) Vorherbestimmung/Erwählung (Eph 1,4f; 1Ptr 1,20)


a. Der Epheserbrief 1,4f
b. Der erste Petrusbrief 1,20

K.-J. Kuschel (1990)


a. Der Epheserbrief 1,4f

Denn in ihm (Christus) hat er (Gott) uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; aus Liebe hat er uns im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen“ (1,4f).

Erinnerungsbeschwörung

Die Heidenchristen sollen dazu gebracht werden, wieder “ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging“ (4,1.17). Erinnert euch an euer früheres Leben (unter der Herrschaft eines falschen Geistes: 2,2). Erinnert euch an das, was Gott in Christus für euch getan hat (442)!

Beschworen wird die Wende im Leben dieser Christen. Die Treue zum Ursprung wird angemahnt. Dem Verfasser ist es so ernst mit diesem Ursprung, dass seine Erinnerung nicht nur dem gilt, was Gott durch Christus 'in der Zeit' für die Menschen getan hat, sondern auch, was er darüberhinaus in der Vorzeit, vor der Schöpfung, beschlossen hat (442).

Der Hinweis auf eine Erwählung der Christen schon “vor der Erschaffung der Welt“ ist Funktion der Lebensbesserung: “damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ (1,4). Der Glaube an diese Erwählung ist kritische Rückbesinnung auf eine Urabsicht Gottes mit den Christen zum Zweck der Lebensänderung (442f).

Erhöhungschristologie

Gott hat seine Kraft und Stärke an Christus erwiesen, “den er von den Toten auferweckt und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben“ hat (1,20). Christologischer Schwerpunkt des Eph ist das Bekenntnis zur Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi aus den Toten (443).

Von einer Schöpfungsmittlerschaft Christi ist nicht die Rede. Das “vor der Erschaffung der Welt“ bezieht sich auf die Erwählung der Christen durch Gott. Von einer protologischen Schöpfungsmittlerschaft, von einer selbständigen Rolle Christi bei der Erwählung ist keine Spur. 'Paulus' “soll den Heiden enthüllen, wie jenes Geheimnis Wirklichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war“ (3,9). Ganz selbstverständlich wird hier von Gott als dem Schöpfer des Alls geredet (443f).

Der Eph hat einen ausgesprochen theozentrischen Zug. Das Lob von Eph 1 richtet sich an Gott, den Vater Jesu Christi. Den ganzen Text hindurch ist Gott das Subjekt des Geschehens. “Gott hat uns erwählt..., damit wir heilig und untadelig leben“ (1,4).

Satz für Satz ist von denen die Rede, denen die Tat Gottes gilt: Wir sind erwählt; wir sind zur Sohnschaft bestimmt; uns ist die Gnade geschenkt; wir haben die Erlösung; wir kennen das Geheimnis des Willens Gottes; wir sind als Erben vorherbestimmt; wir sind bestimmt zum Lob der Herrlichkeit Gottes (444).

Die Beziehung der Christologie zur Protologie ist rein eschatologisch: die Schöpfung tendiert auf die eschatologische Zusammenfassung von allem in Christus (1,10) (445).

Der Sinn dieses Briefes und der Eulogie insbesondere besteht darin, Gott für das zu loben, was er in Christus für die Menschen bereits vor der Erschaffung der Welt geplant und jetzt realisiert hat. Die Besinnung auf die Treue zum Ursprung ist Funktion der Lebenserneuerung der Christen (446).

Das Ziel: Frieden zwischen Juden- und Heidenchristen

Zum einen: Die Heidenchristen sollen sich an die Vorleistungen Gottes in Christus erinnern: “Ihr seid jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (2,19). Zum zweiten: Die Heidenchristen sollen ein Geheimnis begreifen, das dem Verfasser “durch eine Offenbarung“ (3,3) mitgeteilt worden ist. Dieses Geheimnis “von Ewigkeit her in Gott“ (3,9) ist jetzt in Christus konkrete Wirklichkeit geworden und durch die Kirche der Welt verkündigt: “Dass die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus teilhaben durch das Evangelium“ (3,6) (447).

Weil es in diesem Schreiben darum geht, durch den Verweis auf die Vorleistungen Gottes in Christus die Heidenchristen an ihren Platz im ewigen Plan Gottes mit seinem Volk zu erinnern, ist der Rückgriff auf die Zeit vor der Schöpfung, d.h. vor Gottes Bund mit Israel, vor dem Gesetz, vor dem Tempel nötig. Israels exklusive Heilsprivilegien waren in Christus von Gott her unterlaufen worden, um auch den Heidenchristen Zugang zu Gott zu ermöglichen. Auch die Heidenchristen haben damit Anteil an Gottes Heilsplan bekommen. Ihr Heil konnte nur im “ewigen Plan“ (3,11) Gottes begründet werden. Der Rückgriff auf die Ewigkeit Gottes, auf ein Geheimnis vor aller Schöpfung, bedeutet eine Relativierung aller Heilsprärogativen in der Zeit, ist Rückerinnerung an eine in Ewigkeit geplante Gemeinsamkeit von Juden- und Heidenchristen (447f).

Liebe als Grund der Erwählung

Denn in Christus hat er (Gott) uns erwählt“. Es ist die göttliche Wahl / Erwählung, die “vor der Erschaffung der Welt“ getroffen wurde: Die Vorherbestimmung Christi als Erlöser und die Vorherbestimmung derjenigen, die in und durch Christus erlöst werden (448).

Die Aussage über das “in Christus“ vor der Weltschöpfung muss eschatologisch und soteriologisch verstanden werden. Schwerpunkt der Christologie des Eph ist der Tod (“das Blut“) und die Erhöhung Christi zum Kosmokrator durch Gott (1,20-23). Wenn Gott am Ende der Zeit in Christus war, dann war er es auch am Anfang der Zeit. Postexistenz und Präexistenz Christi korrespondieren in Gottes Plan. Die Aussage über den Anfang ist dabei nicht protologisch-personal verselbständigt, sondern soteriologisch gezielt: es geht um die Erwählung der Christen zum Heil durch Gott selbst (448).

Die Christen, denen diese Erwählung durch Gott in Erinnerung gebracht werden soll, sind Heidenchristen, die offenbar ihren früheren hoffnungslosen, gottlosen Zustand verdrängt haben. “In Christus“ erwählt sein fordert zu einer konkreten Praxis friedenstiftender Versöhnung auf. Die Erwählungchristologie ist die Bedingung der Möglichkeit ekklesialer Versöhnungs- und Friedensarbeit (448f).

Die Eulogie, wie der ganze Brief ist theozentrisch ausgerichtet. Gott selbst hat stets die Initiative, ein Gott, der überall in Christus und auf Christus hin handelt. Die Aussage “Gott handelte in Christus vor der Weltschöpfung“ muss als Bekenntnis zu einem Gott verstanden werden, der als der Gott Jesu Christi, der Vater dieses Sohnes erkannt sein will. Dieses Bekenntnis zielt auf die Sohnschaft aller Menschen. Diese Sohnschaft aller Menschen will Gott aufgrund der Liebe, die zwischen ihm als Vater und Christus als dem geliebten Sohn besteht (1,4f). Die Liebe Gottes ist für den Eph der eigentliche Grund der Erwählung des Menschen und damit der eigentliche Grund von Geschichte und Schöpfung überhaupt (449).


b. Der erste Petrusbrief 1,20

Er (Christus) war schon vor der Erschaffung der Welt dazu ausersehen und euretwegen ist er am Ende der Zeiten erschienen. (21) Durch ihn seid ihr zum Glauben an Gott gekommen, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, so dass ihr an Gott glauben und auf ihn hoffen könnt“ (1,20f).

Rückgriff auf die Urzeit – Funktion des Durchhaltewillens

Hoffnung allem Leiden zum Trotz

Der Verfasser weiß, dass unter dem Druck von Übergriffen einer aggressiven ungläubigen Umwelt den Christen die Freude an ihrem Glauben verlorengehen kann. Für seine bedrängten Glaubensgenossen versucht er christologisch zweierlei dagegenzusetzen: (1) Christi Wiederkunft steht unmittelbar bevor und wird den geprüften Gläubigen “Lob, Herrlichkeit und Ehre“ (1,7) zuteil werden lassen. Leiden ist durchzustehen, weil die Belohnung sehr bald aussteht. (2) Christen können Leiden erdulden, weil Christus selbst gelitten hat (4,12-19) (464).

Wenn die Belohnung durch Gott aussteht und Leiden das Zeichen der Nachfolge Christi ist, dann könnten Christen eigentlich nur “voll Freude“ sein – trotz der Tatsache, dass sie “vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen zu leiden“ haben (1,6). Hoffnung ist möglich, weil durch das Leiden Christi die Rettung für Christen bereits bewirkt wurde. Nach dieser Rettung hatten auch schon die Propheten des AT gesucht. Sie haben bereits das Leiden und die Herrlichkeit Christi bezeugt, was ihnen ermöglicht worden war durch den “in ihnen wirkenden Geist“ (1,10-12) (464f).

Das Leiden jetzt ist ebenso wenig ein Zufall wie das Leiden damals, denn Christus wirkte schon in den Propheten Israels, er war im Geist in der Geschichte des Volkes der Juden präsent. Das Leiden in der Gegenwart ist Ausdruck eines schon in der Vergangenheit sichtbar gewordenen göttlichen Sinns. Das Ausersehen durch Gott hat soteriologische Bedeutung: “Euretwegen ist Christus erschienen“. Ausersehen heißt: vorherbestimmt in Gottes Plan noch verborgen. Erscheinen meint am Ende der Zeiten öffentlich sichtbar werden. Anders als in der Apokalyptik geht es hier nicht um ein Präexistenz-Existenz-Schema, sondern um das Verhältnis von 'ausersehen' und 'erscheinen'. Es geht um eine Vorausbestimmung des Messias Jesus durch Gott. 1 Ptr 1,20 ist theozentrisch zu lesen: In Jesu Wirken, in seinem Todesleiden, wurde der ewige Heilsplan Gottes vollstreckt, weil Christus der hierzu Vorherbestimmte geschichtlich wirksam wurde. Deshalb ist Jesu Wirken und Leiden in der Geschichte die endzeitliche Erlösung. So wird durch ihn die Welt nicht nur nachträglich wiederhergestellt, sondern an das ihr von Ewigkeit her bestimmte Ziel gebracht (465f).

Der Grund für die christliche Hoffnung, die auch Leiden durchzustehen vermag, ist von Gott vor der Weltschöpfung gelegt. Rückerinnerung an den Urgrund hat hier tröstende, stärkende Intention. Der Rückgriff auf die Urzeit ist Funktion des Durchhaltewillens (466).

Das, was Gott in Christus zum Heil der Menschen getan hat, was in Christus am Ende der Zeiten (in unserer Zeit) für den Glauben offenbar geworden ist, entspringt Gottes gnädiger Zuwendung zum Menschen vom Uranfang der Schöpfung an. Von der Neuschöpfung her ist die ganze Schöpfung in Christus aufgehoben und erhalten. Ist der Erhöhte bei Gott, so ist Gott nie ein anderer, denn der Vater Jesu Christi, der Vater dieses konkreten Sohnes. Präexistenzaussagen erweisen sich christologisch als das, was sie im AT bereits weisheitstheologisch und messianisch waren: als Endzeitphänomene zur Bewältigung kollektiver Grundlagenkrisen im Blick auf Schöpfung und Geschichte (468).