B. Der Tod Jesu im Johannesevangelium

 

1. Jesus als Märtyrer
2. Jesu Tod als Erhöhung, als siegreiche Rückkehr zu Gott

 

1. Jesus als Märtyrer

 

(1) Der Kreuzestod
(2) Kreuzigung als Erhöhung
(3) Auferstehung – eine Station auf dem Weg Jesu

 

K. Berger (2004³)

 

(1) Der Kreuzestod

 

Jesu Tod als Sieg

Das Joh-Ev kennt weder einen Sühnetod noch einen stellvertretenden Tod Jesu, mit dem die Sündenschuld der Menschen in der Welt ausgeglichen würde, mit dem dieser in irgendeinem Sinn Erlösung der Menschen vor Gott bewirkte (227).

Das Lamm Gottes (Joh 1,29.36)

Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde hinwegträgt“! Die Wendung 'Gottes Lamm' und 'Gottes Heiliger' (6,62) sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich. Der Ausdruck “Heiliger Gottes“ bezeichnet die kultisch begründete Reinheit und Erwähltheit. Der Ausdruck “Lamm Gottes“ bezeichnet Jesus als den Gerechten. In Jes 53,7 steht das Lamm für den Verzicht des leidenden Gerechten auf Widerstand. Das Lamm wird stumm zur Schlachtbank geführt und tut seinen Mund vor dem Scherer nicht auf (227f).

Ob in 19,14.36f auf das Passalamm angespielt wird, ist sehr umstritten. Die Stelle “ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen“ kann man auf das Passalamm (Ex 12,46; Num 9,12) beziehen, genausogut aber auf den leidenden Gerechten nach Ps 34,21: “Der Gerechte muss leiden, doch der Herr trägt Sorge, dass seine Gebeine nicht zerbrochen werden (229).

Der Ausdruck “die Sünde wegtragen“ findet sich im zeitgenössischen Judentum in einer Aussage über die Fürsprecher-Rolle des gerechten Henoch (slav) 64,5: “Du wirst verherrlicht vor dem Angesicht des Herrn in Ewigkeit, weil dich der Herr erwählt hat mehr als alle Menschen auf der Erde. Und er hat dich zum Schreiber seiner sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe eingesetzt und zum Wegnehmer der Sünden der Menschen und zum Helfer deiner Hausgenossen. Die Ausdrücke “Wegnehmer der Sünden“ und “Helfer“ interpretieren sich gegenseitig. In 53,1-3 sagen die Kinder Henochs: “Unser Vater Henoch ist mit Gott und er wird für uns eintreten und uns herausbitten aus den Sünden“. In 53,2 ist vom “Helfer für einen Menschen, der gesündigt hat“ die Rede. Es handelt sich nicht um einen stellvertretenden Tod, sondern um die Rolle Jesu, der nach Joh 14,16 sich selbst als Helfer (“einen anderen Helfer wird er euch geben“) bezeichnet und nach 1Joh 2,1 vor Gott die Rolle des Fürsprechers einnimmt, die die Henochliteratur ähnlich Henoch zuschreibt. Das Wegnehmen der Sünden bezieht sich in Hen (slav) wie im Joh-Ev und 1Joh auf den zu Gott Erhöhten. Dieser beseitigt durch seine Fürbitte die Sünden der Menschen (229f).

Damit aber steht bei dem Satz “Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegträgt“ nicht der Tod Jesu zur Diskussion sondern seine Rolle als Erhöhter bei Gott. Durch diese kann er die “Sünde der Welt“ aufheben (Hbr 7,25; 9,24; 1Ptr 3,21). Nicht Jesu Tod sondern Jesu Eintreten bei Gott ist entscheidend. Joh 1,29 setzt damit de facto das in 1Joh 2,1 Beschriebene voraus. In Joh 14,16 spricht Jesus von dem 'anderen' Parakleten. D.h. Jesus ist der eine, der Geist der andere. In diesem Sinne nennt 1Joh 2,1 Jesus einen Parakleten. Joh 1,29 bezieht sich nicht auf den Tod Jesu, sondern auf seine interzessorische Funktion bei Gott oder auf seine grundsätzliche Bedeutung als Gerechter überhaupt (230f).

Sein Leben einsetzen (Joh 10,11.15.17; 15,13)

Der 'gute Hirte' (Joh 10) setzt sein Leben für seine Schafe ein. Der Ausdruck tithenai psychen bedeutet nicht, sich in den Tod geben, sich opfern. Von einer 'heilswirksamen Stellvertretung' oder gar von einer stellvertretenden Sühne ist keine Rede. Petrus sagt: ich will mein Leben für dich riskieren (13,37f). Es handelt sich hier um Märtyrersprache. Juden sind 'für das Gesetz' (2Makk 6,28; 7,9; 8,21) gestorben. Dem Märtyrer ist das Gesetz so viel wert, dass er eher sterben will als dieses aufgeben. Das Sterben 'für' ist ein Ausdruck der Treue, mit der der Märtyrer zu etwas hält (232f).

Joh 15,13: “Eine größere Liebe hat niemand, als der, der sein Leben riskiert für seine Freunde“. Hier steht derselbe Ausdruck 'das Leben setzen' wie in 13,37f, wo Petrus 'für' Jesus sterben will. Wie in der traditionellen Märtyrersprache ist das 'für' verwendet, um die Treue zu beschreiben, mit der jemand zu dem steht, an das oder an den er sich gebunden hat. Auch die verwandten griechischen Belege über den Tod des einen Freundes 'für' den anderen stehen unter dem Vorzeichen der sich bewährenden Freundestreue. Nirgends stirbt jemand, um die Sünden seines Freundes vor Gott oder Göttern zu sühnen. Die Liebe Jesu zu seinen Freunden lässt ihn sein Leben riskieren, indem er treu zu ihnen hält (233).

Nach Joh 15,12 (“Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe“) ist Jesu Liebe Urbild und Vorbild, sie kann weitergeben werden. Sie ist nicht Sündensühne, denn in dieser Hinsicht könnte Jesus sie nicht weitergeben und könnten die Jünger Jesus nicht 'nachahmen'. Im Verhältnis von 15,12 zu 15,13 geht es nicht um den einmaligen Charakter der Liebe Jesu, sondern darum, dass sie nachgeahmt werden kann. Von daher wird 15,14 verständlich: “ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch sage“. Die Jünger folgen der Liebe Jesu, wenn sie seinem Gebot folgen, nämlich einander zu lieben (234).

Judas ist das Gegenbild des treuen Freundes, er übergibt den Freund. Petrus verspricht, sein Leben in Treue für seinen Meister zu riskieren, kann aber genau das nicht leisten, was Jesus tut. Als er eine zweite Chance bekommt, fragt Jesus ihn nach seiner (Freundes-)Liebe (Joh 21). Petrus gelangt erst auf dem Umweg über seine Verleugnung zur wahren Freundesliebe, wie Jesus sie fordert. Wenn Petrus Jesus liebt, wie Jesus die Seinen geliebt hat, dann kann er Hirte sein wie Jesus. Dann kann er sein Leben für seinen Herrn riskieren, wie es in Joh 21 angedeutet wird. (A 193: Für einen Hirten ist es charakteristisch, dass er sein Leben für die Schafe riskiert, nicht aber, dass er es für sie opfert.)

Es geht nicht speziell um Jesu Tod, sondern darum, dass Jesus sein Leben für die Jünger einsetzt und in dieser Hinsicht auch riskiert. Auch beim Geben und Wieder-an-sich-Nehmen des Lebens (10,18) geht es um die göttliche Hoheit des Sohnes, nicht aber um die Heilsbedeutung des Todes. Damit steht die Sendung Jesu im Vordergrund. Ihr bleibt er treu (234f).

Jesu ganze Existenz, besonders aber sein Tod, wird Ausdruck seiner Liebe und Treue und gerade darin gemeindegründend. Jesu Liebe zu den Freunden ist das Grundgesetz seiner Jüngergemeinde. Er hat das vorgelebt, von dem und wodurch auch die Jüngergemeinde leben kann.

Der Tod Jesu bedeutet den Sieg über die 'Welt' und ihren Herrscher. Das gilt, weil Jesu Treue und liebevolle Existenz bis in die letzte Konsequenz dem Grundgesetz der Welt und ihres Herrschers entgegensteht, nämlich dem Hass (235).

Jesu Tod kann deshalb im Joh-Ev nicht als stellvertretende Sühne der Sünden verstanden werden, weil es Sünde im eigentlichen Sinn erst seit dem Widerspruch gegen Jesus gibt. Wenn Jesus als Lamm Gottes dennoch die “Sünde der Welt aufhebt“, dann geht es nicht um die Sünden seit Urzeit, sondern um die Sünde im Widerspruch und Widerstand gegen Jesus und die Jünger. 1Joh 1 erörtert, inwiefern es auch in der Gemeinde noch Sünde gibt: wegen der falschen Einstellung zu Jesus als dem Messias, der “im Fleisch“ erschienen ist und wegen der mangelnden Weitergabe seiner Liebe. Das aber sind erst christliche Sünden (236).

Jesus ist die Gegenwart Gottes auf der Erde und zwar als Leben und Liebe

Jesu Treue bis zum Tod ist relevant für das Heil, weil 'Bleiben' und 'in Treue Bleiben' Merkmale Gottes sind. Würde Jesus seiner Sendung und seinen Jüngern untreu, so wäre seine Liebe nicht von Gott. Insofern ist Jesu Ausharren der notwendige Erweis, dass es sich bei der Botschaft und den Gaben Jesu um Gottes eigenste Gaben handelt. Jedes Abbrechen wäre Entlarvung von bloßer Kreatürlichkeit. Merkmal Gottes in der Welt ist die Treue. In Joh 13,1 heißt es, dass Jesus “die Seinen bis in den Tod liebte“. Eben darin erweist sich der Ursprung in Gott (236f).

Das Martyrium Jesu als Sieg

Nach Joh 12,31 wird mit Jesu Todesbereitschaft “der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen“. Siegen im Kampf: Nach Joh 16,33 hat Jesus die Welt besiegt. Auch hier ist die Terminologie durch Martyrien vorgeprägt. In Offb 5,5; 17,14 wird der Märtyrer als der Sieger dargestellt (ebenso 4Makk 1,11) (237).

Der Herrscher 'dieser Welt' hat deshalb verloren, weil Jesus standhaft geblieben ist. Er hat zum einen seinen Auftrag als Gottes Gesandter erfüllt, indem er gegen Mißverstehen und Ärgernisnehmen Gottes lebenstiftende Wirklichkeit unter die Menschen gebracht hat. Zum anderen hat er gegenüber allem Hass der Welt seine Jünger geliebt und damit Gottes Ziel und Sein geoffenbart (237).

Weil selbst die Jünger Jesus missverstehen (6,66f), gilt, dass Jesu gesamtes Auftreten eine einzige Versuchung zum Abfall von Gott war. Weil Jesus seiner Botschaft treu war und sich mutig durch die Proklamation von Gottes Gegenwart in ihm selbst allen Hass der Welt zugezogen hat, kann er seinen Weg am Kreuz beenden mit dem Wort: “Es ist vollbracht“ (19,30) (238).

Indem die 'Welt' Jesus nicht annimmt, nimmt sie Gott selbst nicht an. Bei Jesus hat man es mit Gott zu tun. Die Situation von Hass und Verfolgung polarisiert die Fronten und profiliert die Christologie. Das JohEv greift auf jüdische Märtyrertheologie zurück. Das gilt für den Sieg des Märtyrers wie für den Ausdruck 'sterben für jemanden/eine Sache'. Jesus ist in seinem Sterben der standhafte Märtyrer (238).

Die starke Polarisierung zwischen Jesus und Gott auf der einen, der 'Welt' auf der anderen Seite weist auf ein Milieu hitziger Auseinandersetzung zwischen Judenchristen und Juden. Die provozierenden 'hohen' christologischen Aussagen sind nicht Produkt immanenter Gemeindefrömmigkeit, sondern von außen her verursacht worden (238f).

Jesu Tod wird nachahmbar sein. Er wird ein Muster sein für alle Jünger. Der Paraklet erhält wesentlich seine Funktion im vor der Welt fortgesetzten Prozessverfahren. Die john Abschiedsreden sind auf die Nachahmung der Passion Jesu angelegt (239).

Soteriologische Fragen

Nach Joh 9,39ff besteht Sünde nur noch in der Ablehnung Jesu. Alles andere ist unwichtig geworden angesichts dessen, der das Leben und die Auferstehung ist. Ähnlich wie bei Paulus ist 'Sünde' im Singular der Gegenbegriff zum christologisch vermittelten Heil (241).

In 1,29 heißt Jesus 'Lamm' als der Heilige und Gerechte. Jesus beseitigt die Sünde der Welt, die in der Gottferne besteht, indem er den Vater darum bittet, sie (die Jünger) vor dem Bösen zu bewahren (17,15) und sie zu heiligen (17,17). Nach 17,19 sieht Jesus seine gesamte Wirksamkeit in diesem Sinne: “Für sie heilige ich mich, damit auch sie geheiligt sind in der Wahrheit“. 'In der Wahrheit' heißt 'in der Kraft und im Raum von Gottes Wirklichkeit'. 'Heiligen' heißt, dem profanen Gebrauch entziehen, zu Gottes Eigentum machen, nur noch von seinem Willen bestimmt sein, so dass nur noch sein Gesetz und seine Regeln gelten, seinem Schutz unterstellen. Wer durch Gott geheiligt wird, ist damit zugleich auch aus dem Bereich von Schuld und Sünde genommen (241).

Jesus hat sich Gottes Willen unterstellt (4,34: “ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat und vollende sein Werk“). So ist er gerecht und heilig. Als ganz gerecht und heilig kann er bei Gott Fürbitte leisten für andere. Indem Jesus um Heiligung der Gemeinde bittet, veranlasst er Gott, die Jünger aus dem Bereich der Sünde und der Macht des Bösen herauszunehmen. Wenn die Jünger so geheiligt sind und zu Gott gehören, sind sie in den Raum des Lebens übergegangen. Es wird nicht gesagt, wie Gott diese Heiligung bewirkt. Weder Taufe noch Blut Jesu verursachen diese Heiligkeit. Im Rahmen jüdischer Denkmöglichkeiten ist die Fürsprache Jesu dabei vollständig ausreichend. Weil Jesus der Heilige und Gerechte ist (Joh 1,29: das Lamm), kann er durch seine Fürsprache bei Gott bewirken, dass Gott die Jünger von Sünde und Teufel befreit und in den Bereich des (ewigen) Lebens stellt. D.h. in soteriologischer Hinsicht vertritt das JohEv eine sehr archaische Christologie. Als der Gerechte ist Jesus der Fürsprecher (Heilsmittler) schlechthin (242).

Der Text in Joh 17 trägt den Namen 'Hohepriesterliches Gebet Jesu' zu Recht, als es sich dabei um stellvertretendes Dazwischentreten handelt. Mit dem Tod Jesu hat das Heiligen, von dem Jesus hier spricht, nichts zu tun (243).

 

(2) Kreuzigung als Erhöhung

 

Alle Leidensweissagungen Jesu nach dem JohEv sind mit dem Verb 'erhöht werden' formuliert (3,13-15; 8,28; 12,32). Zweimal ist dabei vom Menschensohn die Rede. Nach dem JohEv wird die christologische Erkenntnis aufgrund der Erhöhung Jesu, seiner Kreuzigung und nicht etwa der Auferstehung, eintreten: “Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und dass ich nichts von mir aus tue, sondern so rede, wie es mich der Vater gelehrt hat“ (Joh 2,28) (243f).

Die Kreuzigung als Erhöhung zu bezeichnen ist Märtyrersprache: das Königtum des Märtyrers (Joh 18,36f; Offb 20,4-6), seine Krone (Offb 2,10) und das Siegen als Vorgang und Vollzug des Martyriums. Nicht nachher wird man 'König', sondern als Märtyrer ist man König. Der Märtyrer hat im Martyrium bereits Anteil an der Welt der Herrlichkeit (Stephanus Apg 7,55f). Das JohEv stellt Jesus als Märtyrer dar. Die Herrlichkeit Jesu ist die des Siegers.

Durch Jesu Kreuzigung wird erkannt: “dass ich (Jesus) nichts von mir aus tue, sondern so rede, wie es mich der Vater gelehrt hat“ (8,28). Jesus handelt fremdbestimmt. Handelte er von sich aus, dann liefe er weg vor dem Tod. Gemeint ist die Selbstlosigkeit Jesu, bezogen auf seine Sendung. Ähnliches ist aus den synoptischen Kreuzigungsberichten bekannt: Der Gekreuzigte verweigert die Selbsthilfe (“Wenn du der Sohn Gottes bist...“) und erweist gerade dadurch, dass er auf Gott hofft und von Gott her gesandt ist. Der Verzicht, sich mit allen Mitteln aus der Zwangslage am Kreuz zu befreien, weist auf einen anderen Auftraggeber, in dessen Hände Jesus sein Leben legt, so wie er von ihm seine Sendung empfangen hat. Klarer als alles andere lässt das Sterben Jesu seine Legitimität erkennen (245).

Der Glaube an den Erhöhten gibt das ewige Leben. Das JohEv spricht nicht von der toten Schlange und dem toten Christus (3,14), auch fehlt hier jede Rede von Sünde und Sündenvergebung. So bleibt nur, den Erhöhten im Sinne von Joh 8,28 als den Anlass des Glaubens zu sehen. Da das 'Verhalten' Jesu am Kreuz die Legitimität seiner Sendung offenbar werden lässt, bezieht sich der Glaube auf den gekreuzigten Gesandten Gottes. Seine am Kreuz zur Vollendung gebrachte Liebe und 'Selbstlosigkeit' sind der Grund, an ihn zu glauben. Das Kreuz offenbart, wer Jesus ist, wer ihn gesandt hat und wozu er dagewesen ist (246).

Die Verwendung des Wortes 'Erhöhen' für Kreuzigung setzt eine gewisse Ironie voraus. Für den, der so leidet und so glaubt, ist das Martyrium Sieg und das Aufgehängtwerden Erhöhtwerden (247f).´

 

(3) Auferstehung – eine Station auf dem Weg Jesu

 

Im JohEv ist die Auferstehung Jesu eine Art Zwischenstation zwischen dem 'Sieg' Jesu in der Erhöhung am Kreuz und der Vollendung seines Weges mit dem Ankommen beim Vater. Für den Evangelisten ist die Auferstehung nicht das zentrale Ereignis, sondern sie ist eingebettet in den Weg zwischen Sendung und Rückkehr zum Vater (248f).

Auferweckung ist ein Teil der Verherrlichung. Als Auferstandener gibt Jesus den Geist (20,22) und in Joh 7,39 heißt es: “Der Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verherrlicht“. Nach 13,32 und 17,5 muss die Verherrlichung erst an Jesus selbst geschehen, bevor er seinerseits verherrlichen kann. Erst der Auferstandene ist dazu in der Lage. Ostern ist ein Stück auf dem Weg zur erneuten Verherrlichung (17,4f) (249).

Die Auferstehung ist Jesu Rechtfertigung, denn sie zeigt, dass er zu Unrecht getötet worden ist. Die Auferstehung hat nur argumentativen nicht soteriologischen Charakter (250).

Nur der hinabgestiegen ist, ist auch hinaufgestiegen“ (3,13), - mit diesem Satz wird die zentrale Frage nach der Legitimität Jesu und seiner soteriologischen Funktion (Heilsgabe Gottes) verknüpft mit der Deutung seines umstrittenen Geschicks (Hinaufsteigen). Sendung und Entrückung, von Gott her zu kommen wie auch zu Gott zu gehen, kennzeichnet Jesus als Boten Gottes. Die Rede vom Herabsteigen schließt eine Annahme Jesu zum Gottessohn in der Taufe aus (1,28-34). Im JohEv gibt es keine Taufe Jesu am Anfang und Auferstehung nur als Teil im Geschehen der Rückkehr zum Vater. Das JohEv folgt dem Schema von Hinabsteigen und Hinaufsteigen (257).

 

2. Jesu Tod als Erhöhung, als siegreiche Rückkehr zu Gott

 

(1) Jesu Rückkehr zum Vater (seine 'Entrückung')
(2) Die heilsentscheidende Notwendigkeit der Erhöhung Jesu
(3) Der Tod Jesu als seine Verherrlichung
(4) Der Standort des Evangelisten
(5) Die Doxa des Logos im Hymnus und die des Sohnes im Evangelium

 

U. Müller (1975)

 

(1) Jesu Rückkehr zum Vater (seine 'Entrückung')

 

Jesus ist von Gott ausgegangen und kehrt wieder zu ihm zurück (13,3; 8,14). Leiden und Sterben am Kreuz sind nicht erwähnt. Das Thema der Passion steht unter dem Vorzeichen der Heimkehr zu Gott - oder wie es 6,62 heißt: “Der Menschensohn steigt dort hinauf, wo er vorher war“. Das Ende der Wirksamkeit Jesu liegt im Hingang, in der erfolgreichen Rückkehr zu Gott: “Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat“ (7,33), “ich gehe zum Vater“ (14,2f.12.28) (53f).

Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen“ (7,37f). Wenn Jesus sagt, dass die Juden ihn suchen, jedoch nicht finden werden, so deutet er seinen Hingang zum Vater mit Begriffen, die auf eine Entrückung hinzielen. Wenn das Ende der irdischen Wirksamkeit Jesu mit Hilfe der Entrückungsterminologie beschrieben wird, so spricht sich darin eine Sicht dieses Endes aus, die den Tod Jesu abblendet. Der Weggang Jesu kommt in 7,31-35 allein als hoheitsvolles Geschehen in den Blick (54).

Für die Jünger erweist sich Jesu Hingang zum Vater als ein Geschehen, bei dem sie ihm nicht folgen können (13,33.36). Wieder ist mit dem Gebrauch der Entrückungsterminologie das Unvergleichliche des Endes Jesu hervorgehoben. Erst nach Ostern wird der Zugang zu Jesus für die Jünger neu eröffnet (14,19) und zwar durch den Geist (14,16f.26). Johannes konnte die Entrückungsterminologie übernehmen, weil sein christologisches Interesse nicht am Tod Jesu orientiert ist, sondern am Gedanken der Rückkehr zu dem, der ihn gesandt hat (7,33) (55).

Die unvergleichliche Sendung Jesu wird mit den Worten begründet: “Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem Menschensohn, der vom Himmel herabstieg“ (3,13). Der Evangelist blickt hier auf den Gesamtzusammenhang des Jesusgeschehens zurück, wobei nur die Rückkehr in den Himmel als Endpunkt der irdischen Wirksamkeit erscheint. Der Evangelist greift zum Ausdruck “Hinaufsteigen des Menschensohnes“, wenn er den Abschluss der Sendung Jesu charakterisieren will. Der Glaube an den Hingang Jesu zu Gott, an seine siegreiche Rückkehr zum Vater kennzeichnet den Abschluss der john Passion (55f).

 

(2) Die heilsentscheidende Notwendigkeit der Erhöhung Jesu

 

Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben habe“ (3,14f). Hier wie später (12,34) spricht der Evangelist nicht vom Leidenmüssen des Menschensohnes, sondern von der Notwendigkeit der Erhöhung. Gerade die Erhöhung Jesu ermöglicht es, dass jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben gewinnt (3,15) (56).

Der Evangelist gibt sich hier als geistbegabter Interpret des AT zu erkennen, der in souveräner Weise mit den betreffenden Texten umgeht. Er benutzt Num 21,8f, um zu zeigen, dass die besondere Erhöhung Jesu, die auf dem Weg über die Kreuzigung erfolgt, schriftgemäß ist. Damit ist ein möglicher Anstoß, der von dem Faktum seiner Kreuzigung ausgeht, widerlegt. Die Kreuzigung setzt die Wirklichkeit der Erhöhung Jesu nicht außer Kraft. Sie erscheint als gottgewolltes Geschehen, die die Realität der Erhöhung nicht tangiert. Die Debatten um die Messianität Jesu spiegeln Angriffe des zeitgenössischen Judentums gegenüber dem Glauben an Jesus als Messias wider, besonders 7,27.41f; 12,34. In 12,34 scheint der Tod Jesu am Kreuz als Einwand vorausgesetzt zu sein: “Wir haben gehört aus dem Gesetz, dass der Christus für immer bleibt, wie sagst du, der Menschensohn muss erhöht werden“? (57).

Der Evangelist nimmt solche Gegenargumente auf, indem er auf die gottgewollte Notwendigkeit der Beendigung des irdischen Wirkens des Menschensohnes verweist. Das eigentliche Interesse des Evangelisten haftet in 12,34 wie in 3,14 nicht am Kreuz, sondern an der Erhöhung als der siegreichen Rückkehr zu Gott (58).

Die Kreuzigung erhält kein besonderes theologisches Gewicht. Der Gedanke an die heilsentscheidende Erhöhung soll nur von einem möglichen Einwand entlastet werden: Das Kreuz ist kein Anstoß, sondern schriftgemäßes Ereignis. Das Kreuz stellt kein theologisches Problem mehr dar, der Evangelist kann sich unangefochten dem Gedanken der Erhöhung Jesu widmen. In 3,14 ist allein die Erhöhung genannt, sie ist die Vollendung der Sendung, durch die diese erst wirksam wird (13,31f). Auf den Erhöhten, Verherrlichten richtet sich der christliche Glaube (58).

In 3,16 sagt Johannes nicht: Gott hat den Sohn 'dahingegeben', sondern er gibt ihn, wie er auch den Geist gibt, d.h. sendet (14,16). Der Sprachgebrauch von 3,16 ist nur durch die Tradition der sog. Dahingabe-Formel bedingt, die von der Hingabe des Sohnes in den Tod redet. Der Kontext von 3,17 zeigt, dass auch in 3,16 ganz allgemein von der Sendung in die Welt die Rede ist, ohne dass die Hingabe in den Tod das eigentliche Thema darstellt. Auch vom Zusammenhang her legt sich für den fraglichen Sinn von 3,14 und die dortige Aussage von der Erhöhung Jesu keine heilskonstitutive Bedeutung des Todes Jesu nahe (58f).

Die Wendung “wenn ich erhöht werde von der Erde“ (12,33) lässt den Gedanken der Erhöhung ans Kreuz bereits anklingen, vorherrschend aber ist die Vorbereitung der Aussage, die der Hauptsatz intendiert: Jesus wird alle zu sich aus dem irdischen in den himmlischen Bereich der Herrlichkeit ziehen (vgl. 12,26; 14,3), nachdem er selbst erhöht ist. Die Erhöhung “von der Erde“ stellt den Bezug zur Kreuzigung noch nicht eindeutig her (59).

In 12,33 soll Jesus durch die interpretierende Bemerkung als derjenige gezeigt werden, der in souveräner Weise sogar die Art der Todesstrafe vorherweiß. Er deutet sein genaues Todesschicksal an: die römische Strafe der Kreuzigung (18,31f). Der Evangelist wendet sich mit dieser Zeichnung Jesu an den gläubigen Leser, der durch diese Darstellung in der Überzeugung von der souveränen Art Jesu, in den Tod zu gehen, bestärkt werden soll. Der Leser soll wissen: Jesus sah sein genaues Todesschicksal voraus. Er nahm es bewusst auf sich. Seine Hoheit zeigt sich auch, wie er dem Tod entgegensieht. Jesus redet wie einer, der alles kennt und den der kommende Tod in seinem Sendungsbewusstsein nicht erschüttert. Der Evangelist spielt in 12,32f mit der Doppeldeutigkeit von 'erhöhen', denn für ihn ergibt sich bei der Ankündigung der Erhöhung Jesu gleichzeitig die Andeutung seiner Erhöhung ans Kreuz. Letztere interessiert hier nicht als Heilsereignis, vielmehr liegt in 12,33 nur geisterfüllte Andeutung der Haltung vor, wie Jesus bewusst in den Tod geht. Jesus kündigt in souveräner Weise seine eigene Todesart an. Die Erfüllung seines Wortes wird dann in 18,31f festgestellt. Das Faktum des Todes Jesu besitzt keine Anstößigkeit mehr (60).

Auch in 8,28 dokumentiert Jesus seine Herrlichkeit, indem er sein irdisches Schicksal vorherkennt. Der gläubige Leser erfasst in der Erhöhung des Menschensohnes die endgültige Erhöhung zur Herrlichkeit, die auf dem Weg über die Erhöhung ans Kreuz geschieht. Die Juden bringen es mit ihrer Erhöhung des Menschensohnes ans Kreuz dahin, dass der Menschensohn gegen ihren Willen zu Gott erhöht wird und sie darin ihr eigenes Gerichtetsein erkennen müssen (60).

 

(3) Der Tod Jesu als seine Verherrlichung

 

Gekommen ist die Stunde, dass der Menschensohn verherrlicht wird“ (12,23). “Vater, verherrliche deinen Namen“. Eine Himmelsstimme antwortet darauf: “Ich habe ihn verherrlicht und will ihn wiederum verherrlichen“ (12,28). Im Wirken des irdischen Jesus hat Gott sich schon verherrlicht, weil durch Jesus die Werke Gottes offenbar werden (9,4; 11,4). Gott wird sich aber noch einmal in seinem Sohn verherrlichen, nämlich angesichts seines Todes. Wenn Gott sich im Blick auf den Tod Jesu verherrlicht, so bedeutet das für Johannes, dass auch Jesus verherrlicht wird (11,4; 13,32). Die ganze Sendung Jesu vom Beginn seines irdischen Wirkens bis hin zum Tode ist unter den Oberbegriff 'Verherrlichung' gestellt. Der Vater hat ihm auf Erden Hoheit verliehen. Er wird ihm im Tode die Hoheit nicht nehmen. Der “Fürst dieser Welt“ kann Jesu Herrlichkeit und damit sein Heilshandeln nicht antasten (14,30). Deshalb deutet Jesus den Inhalt der Himmelsstimme (12,28b) in ihrer Relevanz für die Glaubenden (12,30f): “Nicht um meinetwillen ist diese Himmelsstimme geschehen, sondern um euretwillen. Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt. Jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden“. Wie der “Fürst dieser Welt“ Jesu Verherrlichung nicht verhindern kann, so kann er auch Jesu Heilshandeln an den Gläubigen nicht gefährden (12,32) (61f).

Der Prozess, den die Welt Jesus macht, ist ein Prozess, der der Welt gemacht wird. Jesus tritt in der Passion als der “Zeuge für die Wahrheit“ auf (18,37). Er dokumentiert damit, dass die Welt, die ihn als die Wahrheit (14,6) vernichten will, nicht aus der Wahrheit sein kann. Die Welt empfängt auf diese Weise ihre Verurteilung. Sie ist gerichtet (12,31). Das Sterben Jesu bedroht letztlich nicht ihn, sondern die Welt, die in ihrem Unglauben ihn nicht erkennt und sich damit selbst richtet. Die Darstellung der Passion Jesu steht unter dem Aspekt der Verherrlichung des Sohnes. In dieser Hinsicht ist der Tod Jesu notwendig und von Gott gewollt. Er gehört zu den Werken, die der Vater ihm gegeben hat, dass er sie vollende (4,34; 5,36; 19,30) (62).

Die Szene der Fußwaschung symbolisiert Jesu bereitwillige Übernahme der Sendung bis hin zum Tod und stellt in einem besonderen Jesuswort die Notwendigkeit seines Dienstes heraus: “Wenn ich dich (Petrus) nicht wasche, hast du kein Teil an mir (an der Doxa)“ (13,8b). D.h. die Übernahme der Sendung bis in den Tod, dargestellt durch den Dienst der Fußwaschung, ermöglicht den Erwerb der Doxa auch durch die Jünger. Der Gläubige hat ein Interesse daran, dass er an Jesus das ewige Leben habe (13,8b; 3,15f; 11,25). An Jesu Tod interessiert nur die Ermöglichung des Zugangs zur Doxa für den Jünger, nachdem Jesus selbst durch den Tod hindurch verherrlicht wurde (62f).

Jesus muss in den Tod gehen, um zu erweisen, dass der “Fürst dieser Welt“ keine Macht über ihn hat (14,30). Denn trotz des zugefügten Todes kann dieser den Hingang zur Herrlichkeit nicht verhindern. Der “Fürst dieser Welt“ zeigt sich als der Entmachtete (12,31). Jesus bleibt durch den Tod hindurch unangefochten derjenige, der wie der Vater das Leben in sich selber hat (5,26). Deshalb ist er die Auferstehung und das Leben und jeder, der an ihn glaubt, hat seinerseits das ewige Leben (11,25f). Der Tod Jesu erscheint als ein notwendiges Geschehen auf dem Weg zum Leben, das im Schatten der Verherrlichung steht, die der Vater dem Sohn in dessen irdischem Wirken sowie durch den Tod hindurch schenkt (12,28) (63).

Johannes sagt, dass Jesus als Lamm Gottes die Sünde der Welt wegschafft (1,29), dass er als der gute Hirte sein Leben für die Schafe lässt (10,11.15). In 1,29 hat der Evangelist auf vorgegebene Weise Jesu Funktion als “Retter der Welt“ (4,42) ausdrücken wollen. Auch an den anderen Stellen, die die Heilsbedeutung des Todes Jesu erwähnen (10,11.15) liegt nur vorgeprägte Rede vor, die nicht das Eigentliche der john Theologie umgreift. Jesu Lebenshingabe ist Ausdruck seines Gehorsams gegenüber dem Vater (10,17f), denn im Tode erfüllt er dessen Auftrag (10,18b). Entscheidend ist Jesu Gehorsam und seine besondere Hoheit. Vorherrschend ist der Gedanke der freien Selbstverfügung des Sohnes. Sein Gehorsam ist ein freiwilliger. Sein Sterben erscheint wie eine souveräne Geste (19,30), die aus der Macht kommt, sein Leben hinzugeben, um es alsbald wieder zu nehmen. Der Kreuzestod hat für Johannes nichts entehrend Anstößiges mehr. Er gehört zu dem vom Vater aufgetragenen Werk, dessen entscheidender Aspekt die Verherrlichung des Vaters und des Sohnes ist (63f).

 

(4) Der Standort des Evangelisten

 

Johannes schreibt als Glaubender, für den der Anstoß, den der Tod Jesu bieten konnte, erledigt ist und darin will er seine Gemeinde bestärken. Es ist die Sicht dessen, der den Geist empfangen hat und der, angeleitet vom Geist, die Geschichte Jesu sieht. Das JohEv ist eine Schau der Geschichte Jesu nicht kata sarka (8,15), sondern dessen, der aus Gott gezeugt (1,13), der aus dem Geist geboren ist (3,6). Johannes sieht nicht auf das Kreuz als innerweltliches Geschehen, sondern auf die eigentliche Erhöhung, jene Heimkehr in den Himmel. Er schreibt als Pneumatiker, der den Geist erhalten hat, der an Jesus erinnert und damit das Jesusgeschehen deutet (14,26). Die Juden als die Ungläubigen sehen die Erhöhung ans Kreuz nur als schmachvollen Vorgang, der Pneumatiker als der wahre Gläubige erkennt, wozu diese innerweltliche Erhöhung führt, nämlich zur Erhöhung zum Vater (64f).

In der Verspottungsszene erkennen die Soldaten nicht, dass Jesus der wahre König ist (19,1-3). Ihr Unglaube hindert sie daran, da er neben dem bloß äußeren Geschehen des Leidens Jesu die Hoheit des Gottessohnes nicht zu erfassen vermag. Jeder aber, der aus der Wahrheit ist, hört Jesu Stimme und sieht trotz der äußeren Niedrigkeit den “Zeugen für die Wahrheit“ (18,37). Der Glaubende sieht über alle Niedrigkeitszüge hinweg. Sie werden irrelevant angesichts der Erkenntnis der “Herrschaft des Christus“, die nicht von dieser Welt ist (18,36). Das Fleisch nützt nichts, der Geist allein ist lebenschaffend (6,63). Es ist der Geist, der das Geschehen des in den Himmel hinaufsteigenden Menschensohnes akzeptiert. Nur wem es vom Vater gegeben (6,65), wer aus dem Geist wiedergeboren ist (3,6), sieht jenseits des äußeren Passionsgeschehens die Herrlichkeit des Gottessohnes (65).

 

(5) Die Doxa des Logos im Hymnus und die des Sohnes im Evangelium

 

(1,14): “Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (16) Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“.

Die Gemeinde (wir) kann vorbehaltlos von der Doxa des fleischgewordenen Logos sprechen. Sie schaute im irdischen Jesus die Herrlichkeit des himmlischen Logos und empfing darin die Gnade als das Heil. Der Blick auf die Welt ist hier ausgeblendet und damit auch das Problem der Anstößigkeit von Jesu irdischer Existenz, die in der Ablehnung durch die Welt ihren Ausdruck fand. Seit der Menschwerdung gibt es die christliche Gemeinde, die sich rühmt, in der Schau des Logos aus seiner Fülle “Gnade um Gnade“ empfangen zu haben. Für den Evangelisten war der irdische Jesus bereits im Besitz der Doxa. Der Vater verherrlicht den Sohn schon in seinen irdischen Tagen (11,4; 12,28; 2,11), er hat ihm als dem Irdischen gegeben, Leben in sich selber zu haben (5,26) (66f).

Für den Hymnus bleibt der Tod Jesu völlig außer Betracht. Die Gemeinde hat nur die Doxa Jesu im Blick, um durch die Schau derselben Anteil an der Fülle Jesu zu gewinnen (1,16). Der Evangelist will deutlich machen, inwiefern der Sohn Gottes trotz des Todes derjenige blieb, der auch durch den Tod der Doxa nicht verlustig ging, sondern gerade durch den Tod hindurch von Gott verherrlicht wurde. Zweifel mussten aufgekommen sein angesichts der Feindschaft 'der Juden', die jeden verfolgten und ausschlossen, der bekannte, dass Jesus der Christus sei (9,22; 12,42). Angesichts der gefährdeten Lage der Gemeinde und angesichts der Ablehnung, die der Sohn selbst als der Urheber ihres Heils erfuhr, musste es die Aufgabe des Evangelisten sein, den Anstoß, den der Kreuzestod Jesu in der Auseinandersetzung mit dem Judentum bereitete, zu überwinden. Dies erfolgte, indem er auf die Schriftgemäßheit und Gottgewolltheit des Kreuzes verwies (3,14; 12,34b). Dies geschah aber insbesondere durch die Herausstellung der Doxa des Sohnes, die sich als eine Größe zeigte, die sich unangefochten durch den “Fürsten dieser Welt“, ungeschmälert durch den Tod, als Eigenschaft des Sohnes durchhielt (67f).

Nicht der Gekreuzigte wird der Gemeinde proklamiert, sondern der Verherrlichte (69).