B. Zum Johannesevangelium
1. Zur Theologie des Johannesevangeliums
2. Glauben an Jesus - ein Verstoß gegen das zweite Gebot?
3. Die john Christologie vor dem Anspruch des Hauptgebotes (Dtn 6,4f)
4. Vergottung Jesu im Johannesevangelium?
5. Jesus als König im Johannesevangelium
Anhang: Die Sendung des Sohnes als Endgericht
"Die Juden" im Johannesevangelium | Text 4 |
Die Bedeutung des Judeseins Jesu im JohEv | |
"Die unauflösbare Schrift" (Joh 10,35) | |
Der Synagogenausschluss im JohEv | |
Jesu Kommen, Tod und Erhöhung sind das eschatologische Ereignis | Text 9 |
Die Zukunftserwartung des vierten Evangeliums (Jh 14,2f; 17,24) | Starts. |
Entapokalyptische Eschatologie - das john Zeugnis | |
Individuelle Eschatologie des Neuen Testaments | |
Taufe und Glaube an Jesus in den jhn Schriften | Text 10 |
Zum sog. Tauftext Jh 3,5 | |
Die Täuferbefragung als Frage nach der Messianität des Täufers (Jh 1,21) |
1. Zur Theologie des Johannesevangeliums
(1) Die Einheit Jesu mit Gott
(2) Die Werke
(3) Der Tod Jesu am Kreuz ist schon seine Erhöhung und Verherrlichung
(4) Die Sakramente
Die Offenbarung der Doxa
R. Bultmann
(1) Die Einheit Jesu mit Gott: In der Abschiedsstunde richtet Philippus an Jesus die Bitte: „Herr, zeige uns den Vater“. Er erhält die Antwort: „Solange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt? Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen...Glaubst du nicht, dass ich im Vater (bin) und der Vater in mir ist“ (14,8-10)? In der Person des Menschen Jesus begegnet Gott selbst: „Niemand kommt zum Vater, wenn nicht durch mich“ (14,6). In immer neuen Wendungen wird die Einheit Jesu als des Sohnes mit Gott als dem Vater betont: „Ich und der Vater sind eins“ (10,30). Mit der Formel des Mythos heißt es: er ist nicht allein, sondern der Vater, der ihn gesandt hat, ist bei ihm (8,16.29; 16,32). Formeln der Mystik dienen dazu, die Einheit zu beschreiben: das gegenseitige Einander-Kennen von Vater und Sohn (10,14.38) wie das gegenseitige Ineinander Sein (10,38; 14,10f.20; 17,21-28). Der Vater „liebt“ den Sohn (3,35; 5,20; 10,17; 15,9; 17,23f.26) und der Sohn „bleibt in der Liebe des Vaters“ (15,10). „Die Worte, die ich euch sage, rede ich nicht aus mir selbst, sondern der in mir bleibende Vater tut seine Werke“ (14,10). Im Wirken Jesu begegnet Gott und wird wahrnehmbar nur für den Menschen, der sich vom Wirken Jesu treffen lässt, der sein Wort „hören“ kann (8,43) (402f).
Dass in Jesus Gott selbst begegnet und zwar gerade in Jesus als einem Menschen, an dem nichts Außerordentliches wahrnehmbar ist als seine Behauptung, dass in ihm Gott begegne – darin liegt die Paradoxie des Offenbarungsgedankens. Johannes stellt die Tatsache, dass in Jesus Gott begegnet in anscheinend widerspruchsvoller Weise dar: einerseits in Sätzen, die besagen, dass Jesus gleiche Würde und gleiches Recht wie Gott hat, dass Gott seine Rechte gleichsam an Jesus abgetreten hat; andererseits so, dass es heißt, dass Jesus nur im Gehorsam gegen den Willen des Vaters redet und handelt und nichts von sich aus tut. Einerseits heißt es, dass Gott Jesus ‚alles‘ in die Hand gegeben hat (3,35; 13,3), dass er ihm „Vollmacht über alles Fleisch“ verliehen hat (17,2), dass er ihm gegeben hat „Leben in sich zu haben“, wie er selbst „das Leben in sich hat“ (5,56) und entsprechend, dass er ihm die Vollmacht gegeben hat, Gericht zu halten (5,22.27); er wirkt wie der Vater (5,17). Auf der anderen Seite erklärt Jesus: „Ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (6,38). Er handelt im Gehorsam gegen die ‚Aufträge‘, die er vom Vater empfangen hat (10,18; 12,49f; 14,31; 15,10). Nur darin hat er seine Existenz: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen der mich gesandt hat und vollende sein Werk“ (4,34) und so lautet das letzte Wort des Gekreuzigten: „Es ist vollbracht“ (19,30). Sein Wirken ist das Vollbringen des ihm von Gott aufgetragenen Werkes (5,36; 9,4; 10,32.37; 17,4) und das tut er um der Ehre des Vater willen (7,18; 8,49f; vgl. 11,4); für seine Ehre sorgt der Vater (8,50.54; vgl. 16,14) (403f).
Jesus ist nicht von sich aus, in eigener Autorität, gekommen, sondern der Vater hat ihn gesandt (7,28f; 8,42; vgl. 5,43). Von sich aus kann er nichts tun; er handelt nur nach der Anweisung des Vaters (5,19f.30; 8,28). Er lehrt und redet nicht von sich aus, sondern spricht nur die Worte, die ihm der Vater aufgetragen hat (7,17f; 12,49; 14,10.24; 17,8.14). Weil Jesus nicht von sich aus redet, kann es heißen, dass er die Worte Gottes redet (3,34), dass, wer ihn hört, hört die Worte Gottes, sofern er nicht verstockt ist (8,47) und wer sein Wort hört, hat das Leben, sofern er glaubt (5,24). Die Juden haben in ihrer Empörung darin Recht, dass Jesu Worte eine frevelhafte Vermessenheit wären, wenn sie vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet würden. Nicht Jesu Demut, sondern seine Autorität als die paradoxe Autorität eines Menschen, der Gottes Worte redet, soll deutlich gemacht werden. Der Offenbarungsgedanke soll zur Darstellung gebracht werden (404).
(2) Die Werke, die Jesus im Auftrag des Vaters tut (5,20.36; 9,4; 10,25.32.37; 14,12; 15,24), sind im Grunde nur ein einziges Werk: Wie es am Beginn seines Wirkens heißt: “Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat und vollende sein Werk“ (4,34) und zum Schluss als Rückblick: “Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue“ (17,4) (405).
Bei Johannes ist die Menschwerdung Christi das entscheidende Heilsereignis. Bei Paulus ist sie dem Ereignis des Todes untergeordnet, bei Johannes dagegen ist der Tod Jesu dem Ereignis der Menschwerdung untergeordnet. Genauer gesehen bildet die Menschwerdung als das 'Kommen' des Gottessohnes mit dem Tod als seinem 'Gehen' eine Einheit. In dieser Einheit liegt aber nicht, wie bei Paulus, der Schwerpunkt auf dem Tod. Dieser hat bei Johannes keine ausgezeichnete Heilsbedeutung, sondern ist die Vollendung des Werkes, das mit der Menschwerdung beginnt, die letzte Bewährung des Gehorsams (14,31), unter dem das ganze Leben Jesu steht. Das “gehorsam bis zum Tod“ (Phil 2,8) ist von Johannes in der ganzen Breite seiner Darstellung entfaltet worden. Die Kreuzigung ist Jesu Erhöhung (3,14; 8,28; 12,32.34) und seine Verherrlichung (7,39; 12,16.23; 13,31f; 17,1.5). Der Weg Jesu zur Erhöhung geht natürlich durch den Tod (“wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt“ 12,24). Im Tod erfüllt sich der Sinn der Sendung Jesu (12,27: “deswegen bin ich in diese Stunde gekommen“). Aber der Tod ist nicht ein Ereignis, dem durch die ihm folgende Auferstehung der Charakter der Katastrophe genommen werden müsste, vielmehr ist er selbst als solcher schon die Erhöhung. D.h. der Tod Jesu ist unter den Offenbarungsgedanken gestellt: in ihm handelt Jesus selbst als der Offenbarer und ist nicht das leidende Objekt einer göttlichen Heilsveranstaltung. Vom Leiden Jesu redet Johannes nicht. In 14,31 heißt es nicht: “so muss es geschehen“ (Mt 26,54), sondern “so tue ich“. Die john Passionsgeschichte zeigt Jesus nicht als den Leidenden, sondern als den Handelnden, als den Sieger (405f).
Die Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer für die Sünden bestimmt die john Anschauung nicht. Wenn der Täufer auf Jesus hinweist (1,29), so wird Jesus damit als der bezeichnet, der die Sünde der Welt hinwegnimmt (fortschafft, wegträgt). “Er erschien, damit er die Sünde wegnehme“ (1Joh 3,5). Beim Bild vom Lamm ist an das Opfer zu denken. Aber nichts fordert, dass der Evangelist dieses Opfer nur im Tod und nicht, seiner Gesamtanschauung entsprechend, im gesamten Wirken Jesu gesehen hat. Der Satz 1Joh 1,7 (“das Blut Jesu... reinigt uns von aller Sünde“) steht unter dem Verdacht, redaktionelle Glosse zu sein. Er konkurriert mit 1Joh 1,9: “Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er (Gott) treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt“. Ebenso sind die beiden Sätze 1Joh 2,2; 4,10, die Jesus “als Versöhnung für unsere Sünden“ bezeichnen wahrscheinlich redaktionelle Glossen (406f).
Vom Blut Jesu ist außer 1Joh 1,7 die Rede in Joh 6,53-56, d.h. in dem von der kirchlichen Redaktion eingefügten Abschnitt, in dem die vorangehende Rede, in der sich Jesus als das Brot des Lebens offenbart, auf das Sakrament des Herrenmahls umgedeutet wird, ferner in 19,34b, wo die kirchliche Redaktion dem Lanzenstich einen tieferen Sinn abgewinnt durch den Zusatz “und heraus kam sofort Blut und Wasser“. In 1Joh 5,6 (“Dieser ist der durch Wasser und Blut Gekommene, Jesus Christus“) bezeichnen das Wasser und das Blut nicht die Sakramente sondern den Anfangs- und Endpunkt seines Wirkens: seine Taufe und seinen Tod. Der doketischen Gnosis gegenüber soll die Realität des menschlichen Lebens des Erlösers festgestellt werden. Deshalb geht es weiter: “nicht nur im Wasser, sondern im Wasser und Blut“, d.h. der Erlöser hat sich nicht etwa nur in der Taufe mit dem Menschen Jesus verbunden und sich dann vor dem Tode wieder von ihm getrennt, sondern er hat auch den Tod erlitten. Von einer Heilsbedeutung des Todes bzw. des Blutes Jesu ist hier nicht die Rede (407).
Der Gedanke vom Tod Jesu als Sühnopfer spielt bei Johannes keine Rolle. Charakteristisch ist es, dass Johannes die Einsetzung des Herrenmahles nicht erzählt, dessen Liturgie in dem “für uns“ (bzw. “für die vielen“) den Sühnopfer-Gedanken enthält. Er hat sie durch das Abschiedsgebet Jesu ersetzt: “für sie heilige ich mich“ (17,19). Diese Worte bezeichnen Jesu Tod als Opfer. Aber der Tod ist wie sonst bei Johannes im Zusammenhang seines Lebens als die Vollendung seines Wirkens zu verstehen. Dass dieses als Ganzes ein Opfer ist, ist in der Charakteristik Jesu ausgesprochen als dessen, “den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“ (10,36). “Dass er den einziggeborenen Sohn gab“ (3,16), meint nicht speziell die Hingabe in den Tod, sondern die Sendung Jesu. Auch ist nicht davon die Rede, dass das Opfer ein Sühnopfer für die Sünden ist. Von der Vergebung der Sünden wird weder in Joh 17 noch sonst in den Abschiedsreden gehandelt. Überhaupt ist von der Sündenvergebung im Evangelium nur in Joh 20,23 die Rede, wo die Vollmacht der Jünger, Sünden zu vergeben, auf ein Wort des Auferstandenen zurückgeführt wird: “Wem ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, wem ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten“. Wie hier auf die kirchliche Praxis Bezug genommen wird, so auch im 1Joh, der überhaupt mehr als das Evangelium die Gemeindeterminologie berücksichtigt. Hier wird zweimal von der Sündenvergebung geredet: sie wird von Gott dem geschenkt, der seine Sünden bekennt (1,9) und ihr Empfang charakterisiert die Gemeindeglieder “euch sind die Sünden vergeben wegen seines Namens“ (2,12). Im Evangelium aber wird die Befreiung von den Sünden durch das Wort Jesu bzw. durch die im Wort vermittelte Wahrheit verheißen: “Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaftig meine Jünger und ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“ (8,31f), freimachen von der Sünde: “Jeder der sündigt, ist der Sünde Knecht“ (8,34). Dem entspricht, dass derjenige 'rein' ist, der den Dienst Jesu an sich hat geschehen lassen: “Wer gewaschen ist, muss sich nicht waschen, nur die Füße“ (13.10). Dieser Dienst besteht darin, dass Jesus den Seinen den Namen des Vaters offenbart hat, dass er ihnen die Worte gebracht hat, die ihm der Vater gegeben hatte: “Ich habe den Menschen, die du mir gegeben hast aus der Welt, deinen Namen offenbart. Sie gehörten dir, du hast sie mir gegeben und sie haben dein Wort festgehalten“. “Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen und haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin und sie sind zum Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast“ (17,6.8). So heißt es: “Ihr seid schon rein wegen des Wortes, das ich euch gesagt habe“ (15,3). So wird jenes “Ich heilige mich für sie“ (17,19a) verständlich, denn es geht weiter: “damit auch sie geheiligt sind in der Wahrheit“ (17,19b), wozu ausdrücklich die Erläuterung gefügt ist: “dein Wort ist die Wahrheit“ (17,17). Der Tod Jesu ist nicht ein besonderes Werk, sondern ist in Einheit mit dem ganzen Wirken Jesu als dessen Vollendung verstanden (407f).
(3) Der Tod Jesu am Kreuz ist schon seine Erhöhung und Verherrlichung kann kein Ereignis von besonderer Bedeutung sein, wenn der Tod Jesu am Kreuz schon die Erhöhung und Verherrlichung Jesu ist. Sie braucht nicht den Sieg des Todes zunichte zu machen, den dieser etwa in der Kreuzigung errungen hätte, denn das Kreuz ist selbst schon der Sieg über die Welt und ihren Herrscher gewesen. Die Stunde der Passion ist die Krisis der Welt, die den Sturz des “Herrschers dieser Welt“ bedeutet (12,31; 16,11). Als der Sieger, dem “der Herrscher dieser Welt“ nichts mehr anhaben kann (14,30: “Er hat keine Macht über mich“), schreitet Jesus in die Passion (16,33: “Ich habe die Welt besiegt“). Es ist nicht die Rede davon, dass erst die dem Tode folgende Auferstehung und Erhöhung ihn zum Herrn aller kosmischen und dämonischen Mächte macht (z.B. Phil 2,11; Eph 1,20f; 1Ptr 3,21f). Jesus hat seine lebenschaffende Kraft nicht erst durch die Auferstehung erhalten, sondern der Vater hat ihm von vornherein gegeben “Leben in sich zu haben“ (5,26). Als der, der die Auferstehung und das Leben ist, tritt er den Menschen entgegen (11,25; 14,6). Den Glaubenden ruft sein Wort schon jetzt ins Leben (5,24: “Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ und 11,25f: “Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben“. Daher findet sich in den john Jesusworten nicht wie bei den Synoptikern die Weissagung von seiner Auferstehung bzw. Auferweckung. Der Evangelist redet davon nur in einer Anmerkung 2,22: “Als er nun auferweckt worden war von den Toten, erinnerten sich seine Jünger...“. Das Auferstehen findet sich nur in einer redaktionellen Glosse 20,9: “Denn noch nicht kannten sie die Schrift, dass es nötig sei, dass er auferstehe“. Das Auferwecken findet sich im redaktionellen Nachtragskapitel 21,14: “Dieses Mal offenbarte sich Jesus schon zum dritten Mal den Jüngern, auferweckt von den Toten“. In den Johannesbriefen fehlen die Termini ganz (408f).
Wenn der ursprüngliche Schluss 20,30 im Anschluss an die Ostergeschichten sagt: “Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern“, so sind die Erscheinungen des Auferstandenen auch als Zeichen verstanden wie die Wunder Jesu. Sie veranschaulichen den Sieg Jesu über die Welt und die Erfüllung der Verheißung von 16,22: “Ihr habt jetzt zwar Kummer, ich aber werde euch wiedersehen und euer Herz wird sich freuen“ (vgl. 16,16). Sofern sie wirkliche Ereignisse sind, sind sie auch darin den Wundern als Ereignissen gleich, dass sie der Schwachheit der Menschen konzidiert werden. Thomas Wunsch, den Auferstandenen leibhaftig sehen und betasten zu dürfen, wird ihm erfüllt. Aber gleichzeitig wird er beschämt: “Weil du mich gesehen hast, bist du gläubig geworden. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben“ (20,29). In diesem letzten Wort Jesu liegt die Kritik des Kleinglaubens und eine Warnung, die Ostergeschichten für mehr zu nehmen, als sie sein können. Sie sind Zeichen, Bilder, Bekenntnisse des Osterglaubens (409f).
Der Osterverheißung 16,16-24 mit dem “ich werde euch wiedersehen“ (16,22) geht parallel die andere 14,18: “Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen, ich komme zu euch“, also die Verheißung seiner Parusie. Wenn es aber weitergeht: “Noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr werdet leben“ (“denn wie ich lebe, werdet auch ihr leben“) (14,19), so gleitet damit die Parusieverheißung in die Osterverheißung über. D.h. Auferstehung und Parusie Jesu sind für Johannes identisch. Wenn nun ferner mit diesen Verheißungen die Verheißung des Geistes (Parakleten) parallel geht (14,15-17), also die Pfingstverheißung, so sind für Johannes Ostern, Pfingsten und die Parusie nicht drei verschiedene Ereignisse, sondern ein und dasselbe. So geht die Oster- und die Parusie-Terminologie ständig durcheinander: vom Wiedersehen redet 14,19; 16,16.19.22, davon, dass er lebt 14,9 und von seiner Erscheinung vor den Jüngern 14,21f. Andererseits reden von seinem Kommen 14,3.18.23.28. Das für die eschatologische Erwartung so charakteristisch “an jenem Tag“ findet sich 14,20; 16,23.26 und “es kommt die Stunde“ 16,25. Dazwischen schiebt sich die Verheißung des Geistes 14,15-17; 16,7-11.13-15. Das eine Ereignis, das in alledem gemeint ist, ist kein äußeres Geschehen, sondern das innere: der Sieg, den Jesus gewinnt, indem sich aus der Überwindung des Anstoßes im Menschen der Glaube erhebt. Der Sieg über den “Herrscher dieser Welt“, den Jesus errungen hat, ist die Tatsache, dass es jetzt den Glauben gibt, der in ihm die Offenbarung Gottes sieht. Dem “ich habe die Welt besiegt“ (16,33) entspricht das Bekenntnis des Glaubenden: “dies ist der Sieg, der die Welt besiegt hat, unser Glaube. Wer ist der die Welt Besiegende, wenn nicht der Glaubende, dass Jesus ist der Sohn Gottes“ (1Joh 5,4f). Dass es sich um ein inneres Geschehen handelt, wird in dem kurzen Dialog zwischen Judas und Jesus festgestellt: “Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt“? Jesus antwortet: “Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (14,2). Das Gleiche gilt von der Sendung des Geistes, “dem Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und kennt. Ihr kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ (14,17). Die Parusie ist für Johannes nicht ein bevorstehendes dramatisch-kosmisches Ereignis, denn schon das Kommen Jesu ist die Krisis. Dementsprechend fehlen bei Johannes die synoptischen Parusieweissagungen vom Kommen des Menschensohnes in der Doxa seines Vaters, auf den Wolken des Himmels und dgl. (Mk 8,38; 13,26f usw.) (410f).
(4) Die Sakramente: Bei Johannes spielen die Heilstatsachen im traditionellen Sinn keine Rolle. Das ganze Heilsgeschehen: Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu, Pfingsten und die Parusie ist in das eine Geschehen verlegt: die Offenbarung der Wahrheit Gottes im irdischen Wirken des Menschen Jesus und die Überwindung des Anstoßes im Glauben. Dieser Tatsache entspricht es, dass auch die Sakramente keine Rolle spielen. Zwar setzt Johannes die Taufe als kirchlichen Brauch voraus, wenn er 3,22 berichtet, dass Jesus Jünger wirbt und tauft. Korrigierend wird 4,2 versichert, dass nicht er selbst getauft habe, sondern seine Jünger. In dem überlieferten Text von 3,5: “Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ ist 'das Wasser' eine Einfügung der kirchlichen Redaktion, denn im Folgenden ist nur noch von der Wiedergeburt aus dem Geist und nicht mehr von der Taufe die Rede. Dem Wort vom freien Wehen des Geistes (3,8) widerspricht es, dass der Geist an das Taufwasser gebunden sein soll. In der Fußwaschung findet man vielfach die Taufe dargestellt – zu Unrecht. Sie bildet vielmehr den Dienst Jesu überhaupt ab, der die Jünger rein macht. Sie sind nach 15,3 rein durch das Wort, das Jesus zu ihnen gesprochen hat. Die kirchliche Redaktion hat den Bericht vom Lanzenstich (19,34a) glossiert (19,34b.35) und in dem der Wunde entströmenden Blut und Wasser die Sakramente des Herrrenmahls und der Taufe abgebildet gesehen. Die Salbung, die die Gemeinde empfangen hat und die ihr Erkenntnis verleiht (“bleibt in euch und... belehrt euch über alles“ 1Joh 2,27), ist der Geist der Wahrheit, von dem das Gleiche gilt (14,17: “weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ und 14,26: “der wird euch alles lehren“, vgl. 16,13). Wie der Geist der Wahrheit (14,17.26; 16,13) die Kraft des in der Gemeinde wirkenden Wortes ist, so wird auch die Salbung (1Joh 2,27) das machterfüllte Wort sein (411f).
Das Herrenmahl (im JohEv) ist wie in 19,34b, so in 6,51b-58 durch die kirchliche Redaktion eingebracht worden, denn das “Brot des Lebens“ der vorhergehenden Worte Jesu meint zweifellos nicht das sakramentale Mahl, sondern bezeichnet, wie das Lebenswasser und das Licht Jesus selbst als den, der das Leben bringt, indem er es ist (11,25; 14,6). Auch passt die in 6,51-58 enthaltene Vorstellung von der 'Arznei zur Unsterblichkeit' nicht zur Eschatologie des Johannes. Der Anstoß, den die Juden daran nehmen, dass Jesus sein Fleisch als Speise darbietet, ist ganz anderer Art als die john Skandala, die in dem eigentümlichen Dualismus des Johannes begründet sind, von dem hier nicht die Rede ist. Im Bericht vom letzten Mahl erzählt Johannes nichts von der Einsetzung des Herrenmahls, die er vielmehr durch das Abschiedsgebet Jesu ersetzt hat. Den 'neuen Bund', von dem die traditionellen Abendmahlsworte reden (1Kor 11,25), hat er durch das 'neue Gebot' ersetzt (13,34) (412).