A. Das Gottesvolk des Messias
1. Israel wird durch die Nationen erweitert
2. Der L E I B des M E S S I A S: die Ekklesia, die neue Gemeinschaft von Juden und Heiden, die das Gesetz Gottes erfüllen
1. ISRAEL wird durch die NATIONEN erweitert
(1) Die Kirche - das in Christus gesammelte und erneuerte Israel der Endzeit
(2) Die Gemeinde Gottes - eine eigene Größe neben Juden und Griechen
(3) Das Israel Gottes
(1) Die Kirche – das in Christus gesammelte und erneuerte Israel der Endzeit
a. Der Perspektivenwechsel gegenüber dem Judenchristentum
b. Die Kirche als Volk Gottes
c. Same Abrahams und neuer Bund
d. Israel und die Kirche
e. Die Kirche – das in Christus gesammelte und erneuerte Israel der Endzeit
J. Roloff (1993)
a. Der Perspektivenwechsel gegenüber dem Judenchristentum
Für die Jerusalemer Urgemeinde war die ekklesia das endzeitlich gesammelte und erneuerte Volk Israel. Das Hinzukommen von Heiden blieb die Ausnahme, die der besonderen Rechtfertigung bedurfte und bestimmten Bedingungen unterlag (117).
Für Paulus war das Hinzukommen der Heiden zur Heilsgemeinde nicht mehr die besonderer Begründung bedürftige Ausnahme, sondern der Normalfall, denn er wusste sich aufgrund seiner Berufung von Gott selbst dazu gesandt, Jesus Christus “unter den Heidenvölkern zu verkündigen“ (Gal 1,16) und zwar ohne die Tora. Grundlegend war dabei für ihn die theologische Einsicht geworden, dass durch das Christusgeschehen das Gesetz zum Ende gekommen sei (Gal 3,10-14; Röm 10,4) und dass sich in der gegenwärtigen endzeitlichen Situation Christus und das Gesetz als einander ausschließende Größen gegenüberstehen. Nach seiner Überzeugung entfaltet das Evangelium nur da, wo Heiden ohne Bindung an Tora und jüdische Tradition zum Glauben an Christus kommen, seine volle Leuchtkraft. Während die Mission unter den Juden schwere Rückschläge erlitt, gelang Paulus innerhalb weniger Jahre die Gründung heidenchristlicher Gemeinden in nahezu allen bedeutenden Zentren Griechenlands und Kleinasiens (117f).
Das Gottesvolk-Problem: Auf dem Apostelkonvent (48 n.Chr.) bemühte sich Paulus, gemeinsam mit Barnabas, als Delegat der gemischten Gemeinde von Antiochia, um die Anerkennung der gesetzesfreien Heidenchristen als vollgültige Glieder der Heilsgemeinde durch die Jerusalemer Urgemeinde. Er trat den Jerusalemern im Bewusstsein entgegen, das Recht des Evangeliums voll auf seiner Seite zu haben. Dass die Antiochener sich um diese Anerkennung bemühten, lässt darauf schließen, dass für ihr Selbstverständnis als Kirche die Verbindung mit Jerusalem von großer Bedeutung war, bedeutete sie doch den Eintritt in die heilsgeschichtliche Kontinuität mit dem Gottesvolk (118).
Der antiochenische Konflikt (Gal 2,11-21): Petrus hatte mit Rücksicht auf Jakobus und die Jerusalemer Judenchristen die Tischgemeinschaft mit den unreinen Heidenchristen abgebrochen. Dahinter stand die Furcht, dass durch die uneingeschränkte Tischgemeinschaft mit den Heiden die Verbindung mit dem Judentum abgeschnitten werden könnte. Petrus meinte diesen Bruch der heilsgeschichtlichen Kontinuität der Kirche mit Israel nicht verantworten zu können und nicht nur Barnabas, sondern auch die Mehrheit der antiochenischen Judenchristen ist ihm darin gefolgt. Für Paulus stand die “Wahrheit des Evangeliums“ auf dem Spiel (2,14). Er entschied sich dafür, dass das gesetzesfreie Evangelium, das die durch das Gesetz befestigten Unterschiede zwischen Juden und Heiden in Christus aufhebt, im Leben der Kirche die einzig bestimmende Kraft bleiben müsse und er war bereit dafür notfalls auch einen Abbruch äußerer Kontinuität in Kauf zu nehmen (118f).
Bei seiner missionarischen Arbeit geriet Paulus immer wieder in akute Konflikte mit Juden. Da er mit seiner Verkündigung in erster Linie die Gottesfürchtigen, die am Rande des Judentums stehenden Heiden, zu erreichen suchte, ist es kein Wunder, dass er mit den Synagogengemeinden in einen religiösen Konkurrenzkampf geriet und dass diese mit allen Mitteln versuchten, seinen Einfluss auf ihre eigene missionarische Zielgruppe auszuschalten (Apg 17,5; 18,12-17).
b. Die Kirche als Volk Gottes
Dass Paulus einen Zusammenhang zwischen Israel und der Kirche voraussetzt, wird aus der Typologie 1Kor 10,1-13 ersichtlich. Die Gegenüberstellung von Kirche und Wüstenzeitgeneration Israels setzt nicht nur voraus, dass beide mit demselben Gott zu tun haben, sondern dass dieser Gott beiden gegenüber in derselben Weise handelt. Es geht um den Aufweis einer Grundkonstante des Handelns Gottes in Bezug auf die ihm zugehörigen Menschen. Weil die Wüstenzeitgeneration Israels es mit dieser Grundkonstante in gleicher Weise zu tun hatte wie die Kirche jetzt, darum lassen sich aus der damaligen Erfahrung Israels Konsequenzen für die nunmehrige Problemlage in der korinthischen Gemeinde ziehen (119f).
Gegenüber einer heidenchristlichen Gemeinde nennt Paulus die Israeliten der Exoduszeit “unsere Väter“ (10,1). Er setzt damit ein Vater-Kinder-Verhältnis voraus, das nicht auf biologischer Erbfolge, sondern auf der Identität Gottes in seinem Handeln in der Geschichte beruht. Gott sammelt, errettet und geleitet Menschen mit seinen Heilsgaben, so dass sie sein Volk werden. An diesen biblischen Grundgedanken knüpft Paulus an, wenn er vom Israel der Vorzeit als unseren Vätern spricht. Darin, dass sich die Israeliten und die an Jesus Glaubenden demselben Handeln Gottes verdanken, ist ihre Zusammengehörigkeit begründet (120).
Der Gottesvolk-Gedanke (1Kor 10,1-13) markiert die heilsgeschichtliche Verwurzelung der Kirche. Zugleich aber steht die Kirche nach Paulus am Ende der Heilsgeschichte; sie ist die Schar derer, “auf die das Ende der (Welt-)Zeiten gekommen ist“ (10,11c). Das Handeln Gottes, das sie erfährt, ist nicht einfach Wiederholung des Früheren, sondern dessen abschließende Überbietung. Von ihm erschließt sich für die Kirche der Sinn des Früheren. Sie vermag das, was den Vätern damals in der Exoduszeit widerfuhr und was in der Heiligen Schrift aufgezeichnet ist, erst in seiner wahren Bedeutung zu begreifen: “aufgeschrieben wurde es aber zu unserer Warnung“ (10,11b). Beides, die Einsicht, mit Israel durch das geschichtliche Handeln des sich selbst treu bleibenden Gottes verbunden zu sein und die Überzeugung, im Zielpunkt dieses Handelns zu stehen, verbindet sich bei Paulus in dem Anspruch, dass erst der Kirche das volle, abschließende Verstehen der Heiligen Schrift möglich sei, dass sie der eigentliche Adressat der Schrift ist (120).
Paulus hat nicht die geringsten Skrupel, das AT als Besitz der Kirche zu reklamieren. Er behauptet, dass es in ihrem Gebrauch erst sein Eigentliches sage, sowie dass alles in ihr Gesagte für die Kirche gelte – freilich in einer vom Geist erschlossenen Weise (2Kor 3,12-18). Für Paulus geht es bei der Auslegung um die vom Geist gewirkte Erschließung jenes Bereichs, dem sie von Anfang an zugeordnet war (121).
c. Same Abrahams und neuer Bund
Noch deutlicher lässt sich an den Aussagen über die Kirche als “Same (=Nachkommenschaft) Abrahams“ erkennen, wie Paulus den heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen der Kirche und Israel bestimmt.
Nach traditionellem jüdischen Verständnis ist Abraham aufgrund der Verheißung Gottes, ihm zahllose Nachkommenschaft zu erwecken(Gen 15,5), der das Land gehören soll (Gen 15,7), zum Stammvater Israels und zum Ausgangspunkt seiner Geschichte geworden. Darüber hinaus gilt Abraham als Vater der Frommen aus allen Völkern, als das Urbild aller sich dem Gott Israel zuwendenden Proselyten. Die ihm geltende Verheißung hat einen universalen Horizont. Paulus bekräftigt das erste ausdrücklich (Röm 4,12), legt den Akzent jedoch auf das zweite, indem er Abraham als “Vater all derer, die in der Unbeschnittenheit glauben“, d.h. der Heidenchristen, herausstellt (Röm 4,11). Was Abraham zum Empfang der Verheißung Gottes qualifiziert, ist weder seine Gesetzestreue, noch seine Beschneidung, sondern sein Glaube (Röm 4,3; Gal 3,6). Abraham “glaubte an den, der den Gottlosen rechtfertigt“ (Röm 4,5). Damit stellte er sich ganz auf Gottes Zusage. Er nahm Gott beim Wort, indem er sich bedingungslos auf seine Treue einließ. Sein Glaube war das einzige der Verheißung Gottes angemessene Verhalten. Nachkommen erhielt Abraham nicht aufgrund physischer Zeugungsfähigkeit, durch die eine normale Volksgenealogie entstanden wäre, sondern allein aufgrund des Glaubens an jenen Gott, der die Toten zum Leben erweckt. Abrahams Kinder sind die, die “aus Glauben leben“ (Gal 3,9). Identitätsmerkmal Israels kann darum nicht die biologische Geschlechterfolge, sondern nur der Glaube sein (121).
Den auf Glauben beruhenden Bundschluss Gottes mit Abraham sieht Paulus als Anfang einer bis in die Gegenwart reichenden Geschichte des Glaubens. Diese wurde verdrängt und überlagert durch die vom Sinai ausgehende Geschichte des Gesetzes (Gal 3,19-22), nach dem Urteil des Paulus einer Unheilsgeschichte. Denn das Gesetz verleitete Israel dazu, seine Identität und die Kontinuität im Vorfindlichen und Machbaren zu suchen, nämlich in der äußeren Gesetzeserfüllung, in der Beschneidung sowie in der Wahrung der heiligen Institutionen Tempel und Sabbat (Röm 2), statt sich wie Abraham als glaubender Sünder ganz auf Gottes lebenschaffende Macht einzulassen (Röm 4,18). Trotzdem sieht Paulus in und unter dieser pervertierten Geschichte des Gesetzes die mit Abraham begonnene Geschichte des Glaubens weiter am Werk: Es hat in Israel immer Menschen gegeben, die “in die Fußstapfen des Glaubens Abrahams“ treten (Röm 4,12). Sie sind das eigentliche, wahre Israel (Röm 9,6). Dass es sich um eine reale Geschichte handelt, erschließt sich nur dem Blick des Glaubens, der hinter den einzelnen Widerfahrnissen und Ereignissen die Identität und Treue des Handelns Gottes an seinem Volk zu sehen vermag (121f).
Paulus rechnet mit diesem verborgenen Weiterwirken der Glaubensgeschichte Abrahams in Israel bis in seine Gegenwart hinein. Christus hat durch sein Kommen in die Welt (Gal 4,4) und vor allem durch seinen Kreuzestod (Gal 3,13; Röm 7,1-6) die verderbenbringende Herrschaft des Gesetzes vernichtet. Er hat damit den Weg des Glaubens Abrahams sichtbar und abschließend als Heilsweg für alle Menschen eröffnet. Nun dürfen die Heiden hinzukommen. An ihnen erfüllt sich jener Universalismus, der den Horizont der Gottesverheißung an Abraham gebildet hatte (Gal 3,8.14). Es geschieht durch Israel hindurch. Christus ist “geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch“ (Röm 1,3), d.h.: in ihm erfüllen sich die messianischen Hoffnungen Israels. Die Glaubensgeschichte Israels findet in ihm ihr Ziel. Jesus ist und bleibt allererst der Messias Israels. Er bestätigt Israels Geschichte als Gottes Volk, gerade indem er sie korrigiert und auf ihre wahre Mitte zurückführt (122).
“Wenn ihr aber Christus zugehört, seid ihr folglich Same Abrahams, Erben gemäß der Verheißung“ (Gal 3,29). Durch Christus, den Samen Abrahams, werden die Heiden “Same Abrahams“. Christus gehört der Geschichte Gottes mit Israel zu. Die Heiden gewinnen durch Christus ihre neue Identität des Seins in Christus. Das bedeutet, dass die Heiden kraft ihrer Zugehörigkeit zu Christus in die Geschichte Gottes mit Israel hineingenommen werden und an ihr Anteil bekommen (123).
Der Bund, den Gott gegenüber Abraham gesetzt hat, bleibt in Kraft (Gal 3,15-18). Christus machte ihn durch sein Kommen nicht zunichte, sondern bekräftigte ihn und setzte ihn umfassend in Geltung. Der “neue Bund“ hat eschatologische Qualität, er ist neu, weil vom endzeitlich wirkenden Geist bestimmt. Er bleibt der Ausrichtung der den Vätern geschenkten Bundschlüsse treu, insofern er gnädige Setzung Gottes ist, die Gott seinem ganzen Volk gewährt.
Den Mosebund am Sinai positiv zu würdigen, ist Paulus unmöglich. In Gal 4,24 kommt er einer völlig abwertenden Darstellung nahe, während er sich in 2Kor 3,6.14 darauf beschränkt, den Abstand zwischen dem alten Bund, dessen Diener Mose war und dem neuen, dessen Diener der Apostel ist, in seiner ganzen Größe herauszustellen (123).
d. Israel und die Kirche
Paulus betont durch den schroffen Antagonismus zwischen Christus und dem Gesetz, dass das Kommen Christi die entscheidende Krise für Israel war (123).
Gal 4,21-31 entstammt dem Kampf gegen die judaisierenden Neigungen der galatischen Gemeinden. Wenn die gesetzestreuen Juden mit Ismael, dem von Abraham auf Gottes Geheiß verstoßenen Sohn, gleichgesetzt werden, so läuft das auf eine Enterbung der unter der Tora verharrenden Juden hinaus. Die legitimen Erben des Abrahambundes und damit die Vertreter des wahren Israel wären demnach nur die Freien, weil ohne Gesetz Glaubenden (125).
Das obere, himmlische Jerusalem (Gal 4,26) ist die Wirklichkeit des im Anbruch befindlichen eschatologischen Heils, auf das die Kirche verweist und das in ihr als pneumatische Wirklichkeit in die gegenwärtige Weltzeit hineinragt. Insofern ist es die “Mutter“ der an Christus Glaubenden. Gal 4,21-31 läuft auf eine Unterscheidung innerhalb der irdisch-natürlichen Nachkommenschaft Abrahams hinaus. Demnach wären nur die an Christus Glaubenden in gültiger Weise Abrahams Nachkommen und die Auseinandersetzung zwischen ihnen und jenen Juden, die unter dem Gesetz verharren, wäre der Kampf zwischen dem legitimen Gottesvolk und denen, die sich den Anspruch, Israel zu sein, illegitim anmaßen. Das “Israel Gottes“ ist die Kirche, die jenseits der Knechtschaft des Gesetzes steht und aus der in Christus gegebenen Freiheit lebt (126).
Die konsequente Enterbungstheorie des Galaterbriefes ist nicht das letzte Wort des Paulus zu diesem Thema. In Röm 9 – 11 greift Paulus erneut auf den Gottesvolk-Gedanken zurück und kommt dabei zu neuen Ergebnissen. Nun durchdenkt er ihn von der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes her (126).
Gottes Gerechtigkeit, die Zusage seiner Gemeinschaftstreue, rettet jeden, der glaubt, “den Juden zuerst, aber auch den Griechen“ (1,16). Diese Gerechtigkeit ist nicht erst mit Christus neu in die Welt gekommen; bereits vorher hatte Israel sie erfahren. Nur dann kann diese Gerechtigkeit als unverbrüchlich gelten, wenn Gott seine Gemeinschaftstreue gegenüber diesem Volk nicht zurücknimmt: “Es ist nicht so, dass Gottes Wort hinfällig geworden wäre“ (9,6a). Jene Setzungen und Gaben, die die Juden von Gott empfangen haben, werden als bleibend bestätigt (9,4). So bringt Paulus die Spannung zwischen seinem rechtfertigungstheologischen Ansatz, der das Heil nur von der im Glauben vollzogenen Christusbindung abhängig machen kann, und seiner heilsgeschichtlichen Perspektive, die von der übergreifenden Kontinuität und Identität des Handelns Gottes ausgeht, auf den Punkt (126f).
9,6b-29 “Nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel“ (9,6b). Israel ist nicht eine durch Abstammung und natürliche Generationenfolge definierte Größe. Das von Gott erwählte Israel war immer nur ein Teil des empirischen Israel, aber dieser Teil stand in der Sicht Gottes für das Ganze. Als Zeichen seiner Treue hat Gott in Israel einen “Rest“ übriggelassen (9,24-29; 11,1-10). Gemeint sind damit die Judenchristen. Ihre Existenz gilt für Paulus als Erweis, dass Gott seine Verheißungstreue gegenüber Israel bewährt hat (127).
9,30-10,21 Gott ist Israel nichts schuldig geblieben. Er hat ihm in der Verkündigung der Glaubensboten das Angebot des Glaubens, das um Christi willen ergeht, ganz nahe kommen lassen. In Christus, nicht in der Tora, erfüllt sich endzeitlich die Verheißung der unmittelbaren Nähe des Wortes Gottes zum Mund und Herzen des Volkes (10,6-8). Es ist allein Israels Schuld, wenn es den Weg des rettenden Glaubens an Christus verfehlt hat, um stattdessen am Weg des Gesetzes festzuhalten und so zu scheitern. Paulus deutet die Möglichkeit an, dass das Gericht, das Gott gegenwärtig über seinem Volk vollzieht, ein Läuterungsgericht sein könnte (10,19b). Gott wartet “den ganzen Tag mit ausgebreiteten Händen“ auf sein ungehorsames Volk (10,21=Jes 65,2) (127f).
11,1-36 Gott hat sein Volk nicht auf Dauer verstoßen! Gott hat in Israel einen Rest übriggelassen. Der Restgedanke wird Paulus zum Indiz für die bleibende Treue Gottes zu dem Volk, das er sich “vorher ausersehen“ hat (11,2). Seine eigene Erwählung und Berufung zum Apostel ist Zeichen der Hoffnung, dass Gott darum in Israel einen Rest gelassen hat, weil er mit seinem Volk noch nicht am Ende ist (11,1b). Israel ist, indem es den Glauben verweigerte, nur gestolpert, aber es war kein Stolpern “zum Fall“, kein Herausfallen aus seiner Erwählung, sondern nur eine vorübergehende Episode (11,11a) (128).
Das Motiv der Völkerwallfahrt zum Zion wird von Paulus gleichsam auf den Kopf gestellt: “Vielmehr kam durch ihr Versagen das Heil zu den Heiden, um sie selbst eifersüchtig zu machen. Wenn aber schon ihr Versagen zum Reichtum der Welt und ihre Minderung zum Reichtum der Heiden geworden ist, wieviel mehr wird dann ihre Vollzahl bedeuten“ (11,11bf). Durch seine Verweigerung des Glaubens hält Israel den Raum frei für die Sammlung der Heiden.
Paulus erwartet für die nahe Zukunft, dass die Heiden, die aufgrund ihrer Christusgemeinschaft Glieder des Gottesvolkes geworden sind, das erfahrene Heil so zum Leuchten bringen, dass die Juden darin das wiedererkennen, was für sie Inhalt der Verheißung Gottes ist. Das Lebenszeugnis der Kirche soll die Juden zum Glauben an Christus gewinnen (128).
Das Ölbaumgleichnis (11,16b-24) knüpft an die Gleichsetzung Israels mit einem “üppigen Ölbaum von schöner Gestalt“ (Jer 11,16) an. Indem die Heiden zum Glauben kommen, werden sie Teil des “Baumes“ Israel und empfangen ihre Kraft aus dessen von Gott selbst gepflanzter Wurzel, nämlich aus Abraham und den Vätern des Glaubens. Dabei geht es um eine Hineinnahme in jene Geschichte Gottes mit Israel, deren Grund gelegt wurde mit der Verheißung an die Väter und die allein kraft der Treue Gottes eine Zukunft hat. Diese Geschichte ist von Abraham her eine Geschichte des Glaubens (Gal 3,19; Röm 4,16). Gott hat die Möglichkeit, die ausgebrochenen Zweige dem Baum Israel wieder einzupflanzen (11,24), vorausgesetzt diese Zweige haben den Unglauben, der zu ihrer Entfremdung geführt hatte, hinter sich gelassen (128f).
Paulus enthüllt ein Geheimnis, jene Schau der Zukunft Israels, die ihm Gott selbst eröffnet hat (11,25-36). Der Inhalt des Geheimnisses ist Gottes Plan zur endzeitlichen Rettung ganz Israels: Die Zeit der Verstockung Israels ist durch Gottes Ratschluss begrenzt. Sie währt bis die Vollzahl der Heiden eingegangen sein wird: “Und so wird dann ganz Israel errettet werden“ (11,26). Sobald der Einzug der zum Glauben an Christus gekommenen Heiden in das Heil vollendet ist, wird das Gottesvolk insgesamt des Heils teilhaftig werden wie die Heiden, allein aus Gnade, ausschließlich aufgrund der Gerechtigkeit Gottes, seiner sich durchhaltenden Treue zu seinem Volk (129).
Nach 11,26 wird diese Rettung durch das Auftreten des “Retters“, d.h. des Parusie-Christus, vom Gottesberg Zion her erfolgen. In ihm wird Israel dann seinen Herrn erkennen, durch ihn die Vergebung seiner Sünden erfahren und der vollendeten Heilsgemeinde zugeführt werden. Gott selbst wird dabei durch seine Gnade das Wunder bewirken, dass Israel in Jesus seinen Messias wahrnimmt und allein von ihm sein Heil erwartet (129f).
e. Die Kirche – das in Christus gesammelte und erneuerte Israel der Endzeit
Heilsgeschichtlich gesehen ist die Kirche nach Paulus das Ziel jenes Handelns Gottes, durch das er Israel, sein Volk, ins Dasein rief und mit dem er ihm auf seinem Weg durch die Zeit unbeirrt seine Treue erwies. Hinsichtlich ihrer aktuellen Entstehung gesehen, ist die Kirche die Gemeinschaft von Menschen, die durch die Heilsgabe Jesu Christi gesammelt und zu einem von der Gegenwart des Geistes bestimmten Miteinander zusammengeführt werden. Die Kirche erweist sich als die Endphase der Geschichte Gottes mit Israel. Diese Endphase setzt nicht das Vorige in linearer Kontinuität fort, sondern ist geprägt durch die Geschichte Jesu von Nazareth und das Handeln Gottes an Jesus. Jesus ist die große Krise Israels. Durch ihn kam es zu der Scheidung der den Heilsweg des Glaubens Akzeptierenden von den ihn Verweigernden und durch ihn erfolgte die Öffnung des Gottesvolkes für das Hinzukommen der Heiden, in der sich Israels Funktion für die Völkerwelt erfüllte (130).
A. Lindemann (1999): Paulus Aussage in Röm 11,29 (“Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“) besagt nicht, dass Gott am empirischen, nicht an Christus glaubenden Israel als seinem Volk festhält, als gäbe es gleichsam zwei Ölbäume, einen eigenen Weg Israels zu Gott, an Christus vorbei (186).
(2) Die Gemeinde Gottes – eine eigene Größe neben Juden und Griechen
A. Lindemann (2001): Jesus war Jude und auch diejenigen, die ihm nachfolgten, hatten nicht die Absicht, das Judentum zu verlassen.
Der Glaube an die Auferweckung des gekreuzigten Jesus durch Gott bedeutete nicht unmittelbar die Entstehung eines Christentums und dessen Trennung vom übrigen Judentum, da die Glaubenden sich unverändert als Teil des Volkes Israel sahen. Nach Apg 2,46; 3,1 nahmen sie am Tempelgottesdienst teil, sie versammelten sich aber auch zu eigenen Feiern (2,42.46f). Dass der Glaube an die Auferweckung Jesu prinzipielle Auswirkungen auf das Verhältnis zum übrigen Judentum haben konnte, wurde erstmals in der Debatte des Stephanus mit Angehörigen von Jerusalemer Synagogengemeinden sichtbar (Apg 6,8-15). Seine Tempel- und Torakritik führte aber nicht nur zu seinem Märtyrertod (Apg 7), sondern zugleich auch zu einem Bruch innerhalb der Jerusalemer Jesusgruppe: Die (griechisch-sprechende) Gemeinde wurde vertrieben, die toratreuen Jesusgläubigen dagegen brauchten Jerusalem nicht zu verlassen (Apg 8,1) (Kampf gegen die ekklesia 8,1.3) (630).
Der Pharisäer Paulus verfolgte “die Gemeinde Gottes“ (Gal 1,13; 1Kor 15,9); d.h. die torakritische Jesusgruppe war nach wie vor Teil des Judentums, da sonst der Pharisäer Paulus weder ein Interesse an der Verfolgung noch eine Möglichkeit dazu gehabt hätte. Eine Trennung der Gemeinde vom Judentum setzte erst ein, als die Christusverkündigung unter Nichtjuden nicht mit der Verpflichtung auf die Tora, insbesondere das Beschneidungsgebot verbunden war. Der Christ Paulus begreift sich durch seine Berufung als Apostel der Völker (Gal 1,15).
Die von Paulus gegründeten Gemeinden waren nicht Teil des Synagogenverbandes. Die ekklesia war eine eigene Größe neben Juden und Griechen (1Kor 10,32) (631).
a. Der jüdische Jesus als der Christus der Kirche
Historische Beobachtungen am NT
A. Lindemann (1995): Angehörige der Jesus-Bewegung, Juden wie Jesus selbst, behaupteten bzw. bekannten bald nach Jesu Tod, der am Kreuz Gestorbene sei von Gott auferweckt und erhöht worden. Damit sagen sie, dass Gott die Predigt Jesu gleichsam bestätigt habe. Zugleich sagen sie, dass Gott in diesem Handeln an Jesus sein eigentliches Wesen und seinen Willen geoffenbart habe. Gott wird nun vom Jesus-Geschehen her definiert (34).
Ein Teil der Jesus-Gruppe vertrat eine Lehre und eine Lebenspraxis, die innerhalb des Judentums nicht mehr tolerierbar war. Deshalb wurde der Stephanus-Kreis verfolgt, ihr Führer gesteinigt und der Kreis aus Jerusalem vertrieben. Der Pharisäer Paulus bemühte sich, die ekklesia Gottes zu vernichten (Gal 1,13). Dieses Bemühen setzt voraus, dass die von Paulus verfolgten Jesus-Anhänger bereits eine identifizierbare Gruppe bildeten. Der Eifer des Paulus richtete sich nicht gegen Heiden, sondern gegen an Jesu Auferstehung glaubende griechischsprachige Juden. Diese Juden haben sich wahrscheinlich als ekklesia Gottes verstanden (Gal 1,13; 1Kor 15,9; Apg 8,1) (34f).
Diese Judenchristen verkündigten nicht einen anderen Gott als die anderen Juden, aber sie machten über das Handeln dieses Gottes eine Aussage, die für sie selbst identitätsstiftend war, während die übrigen Juden diese Aussage grundsätzlich verwarfen. Außerdem zogen Angehörige des Stephanus-Kreises aus ihrem Bekenntnis zum Auferweckungshandeln Gottes am Gekreuzigten Folgerungen, die auch den Bereich dessen betrafen, was durch die Tora geregelt wurde: die Unterscheidung zwischen Israel als dem von Gott erwählten Volk und den Völkern, die Gott nicht kennen. Ein Teil des verfolgten Stephanus-Kreises scheint bald auf den Gedanken gekommen zu sein, die Botschaft von Gott und seinem Handeln am gekreuzigten Jesus soll auch bei den Völkern – ohne dass diese ihren Status als von Israel unterschiedene Heiden aufzugeben hätten – Gehör und Glauben finden. Wenn innerhalb der ekklesia Gottes die fundamentale Unterscheidung zwischen Israel und den Völkern, zwischen Juden und Heiden, nicht mehr anerkannt wurde, dann hatte sich diese ekklesia selbst aus Israel ausgeschlossen (35f).
Die Verkündigung der Auferweckung des gekreuzigten Jesus durch Gott wendet sich spätestens seit der Entstehung der antiochenischen Gemeinde nicht mehr nur an Juden, sondern auch an Nichtjuden. Die Aussage in 1Thess 1,9f enthält keinen christologischen Hoheitstitel, d.h. die Christologie ist noch eine Funktion der Theologie, denn die Worte “sein Sohn“ und “der uns rettet“ sind Aussagen über Jesu Beziehung zu Gott (und zu uns), keine Titel im eigentlichen Sinne. Nichts lässt erkennen, dass die von Paulus angeredeten Mitglieder der ekklesia thessalonika in irgendeiner Weise der Synagoge zugeordnet gewesen wären (39f).
Möglicherweise wurde die Selbstbezeichnung ekklesia Gottes zunächst nur von dem griechisch-sprechenden Stephanus-Kreis verwendet. Die semitisch-sprechende judenchristliche Gruppe um die Zwölf bzw. später um Jakobus besaß zumindest in Jerusalem noch während eines längeren Zeitraums keine eigene feste Organisationsform und Selbstbezeichnung (40f).
Jesu Sterben “für uns“ bzw. “für Gottlose“, “für Sünder“ (Röm 5,6.8.u.ö.) geschah für alle Menschen, Juden wie Heiden. Dem entspricht es, dass für Paulus auch die Heidenmission nicht ein kirchengeschichtlich sekundäres Ereignis ist, sondern immer schon dem Willen Gottes entsprach (Röm 3,29). In Christus ist die Unterscheidung von Jude und Grieche aufgehoben (Gal 3,28; 1Kor 12,13) (44).
Die Juden und Christen voneinander trennende Christologie beginnt mit dem Satz: “Gott hat Jesus von den Toten auferweckt“, einem Satz, der von Anfang an nicht die Wiederbelebung eines Verstorbenen meint, sondern die Erhöhung zum Herrn. Dieses Bekenntnis trennt Christen und Juden. Jüdischer Glaube kann diesen Satz um der eigenen Identität willen nicht akzeptieren. Christlicher Glaube kann aus demselben Grunde nicht auf ihn verzichten (49).
(3) Das Israel Gottes
a. Niemand gehört zum Volk Gottes ohne Glauben an Jesus Christus
b. Was ist mit Israel und den Weissagungen des Alten Testaments?
c. Was ist mit dem 'Tausendjährigen Reich?
d. Was ist mit der Wiederherstellung des national-ethnischen Israels?
Anhang: Die apokalyptische Vorstellung von einem tausendjährigen Reich (Offb 20)
R. Senk
a. Niemand gehört zum Volk Gottes ohne Glauben an Jesus Christus
Der eine Ölbaum Gottes (Röm 11)
Das NT lehrt, dass nur die Menschen zu Gott gehören, die an Jesus Christus glauben – egal ob Jude oder Heide (Jh 10,1ff; 14,6; Apg 3,22; Röm 3; Eph 2,1ff; Gal 5). Deshalb kann man Menschen nicht zu Gott zugehörig zählen, die Christus ablehnen. Nur der an Christus Glaubende gehört zu den Nachkommen Abrahams und ist Erbe der Verheißung (Gal 3,29). Gott hat nur ein Volk (14).
Die Schrift lehrt keine 'Ersatz-Theorie' (Substitutionstheorie); sie zeigt die Kontinuität des göttlichen Plans auf, sich ein Volk für seinen Namen zu erwählen. Gott hat sich Abraham auserwählt (1Mose 12,1-3), um durch seinen Nachkommen (Christus) alle Nationen zu segnen, also ein Volk aus allen Nationen zu sammeln. Das war Gottes Plan. Dieses neue, auserwählte Volk Gottes aus vielen Nationen ist das wahre Israel – das wahre Gottesvolk des Messias (Jh 10,14-18; Eph 2,11ff; Offb 7) Israel wird nicht durch die Gemeinde ersetzt, sondern Israel wird erweitert durch die Nationen. Das neue Israel besteht aus den erwählten Jesusjüngern, aus Juden und Heiden. In Eph 1,4 wird deutlich gemacht, dass Gottes Pläne mit Israel und der Gemeinde schon vor Grundlegung der Welt festgelegt und nicht erst durch spontane Umstände verändert wurden. Eph 3,1-6 beschreibt die Tatsache, dass die Teilhabe der Heiden an der Gemeinde ein Geheimnis war, das nun durch die Apostel und Propheten offenbart worden ist. Im AT hatte Gott dies zwar schon in seine Verheißungen mit eingeschlossen und erklärt, dass der Neue Bund sich an dem 'neuen Israel' erfüllen wird (Röm 1,1f; 16,25f) aber erst im NT wird dieses neue Heilsvolk des Neuen Bundes in Christus offenbar. Durch den Heiligen Geist wurde den Aposteln offenbart, dass schon das AT von Christus und seiner neuen Heilsgemeinde sprach. Daher sahen sie die atl Verheißungen in Christus und seinem neuen Gottesvolk aus Juden und Heiden als erfüllt an (14f).
Jesus, der Repräsentant des 'erneuerten Gottesvolkes' erwählte sich 12 Apostel (Mt 10,1ff), um damit das neue Gottesvolk zu gründen. Ihre 'Nachkommen' sind die, die durch ihr Wort an Christus glauben (Jh 17,20) (s. auch die Vervollständigung der Zwölfzahl: Apg 1,15ff). Die Berufung der zwölf Jünger (Mk 1,17) soll das erneuerte endzeitliche Zwölfstämmevolk Gottes repräsentieren. Im Kontext von Jer 16 ist die Rede von der endzeitlichen Sammlung Israels (16,14f) und von der endzeitlichen Bekehrung der Nationen (16,19-21). In Mt 23,37par; 12,30par spricht Jesus davon, dass er im Auftrag Jahwes das endzeitliche Israel sammelt. Diese Sammlung ist für Jesus eine Aufgabe, die ihm von Gott aufgetragen ist und der er in seinem Verkündigungs- und Heilungsdienst nachkommt. Auch seine Nachfolger sind daran beteiligt (Mt 28,19f; Jh 17,18; 20,21; Apg 1,8) (15).
In Röm 15,8-12 (vgl Apg 13,46-49) beschreibt Paulus anhand von vier atl Zitaten (LXX: Ps 18,50, Mose 32,43; Ps 117,1; Jes 11,10) die Heidenmission als Erfüllung der Väterverheißungen und als Beginn der endzeitlichen Sammlung der Heiden. Schon in Röm 1,3 greift Paulus auf die Davidsverheißung (Messias) zurück, die auch für die Heiden Wirklichkeit und Heilsgrundlage werden sollte und nun geworden ist (Röm 9-11; vgl. Apg 15,13-21) (Anm 5).
Die Gerichtsaussagen über das ethnische Israel haben endgültigen Charakter: „Der Zorn Gottes ist über sie gekommen“ (1Thess 2,16). Ihnen wird (bis auf den auserwählten Rest) das Heil genommen und den Heiden gegeben (Lk 13,34f; 19,41ff; 10,13ff; Jh 8,37-59; Röm 9-11; 1Ptr 2,6-8). Wenngleich Gott mit Israel im AT immer wieder Geduld hatte, so nimmt das mit dem Kommen Christi ein Ende (Mt 21,33-46; Apg 7,51-53). Wer Christus ablehnt, hat keine andere Möglichkeit des Heils mehr (Hebr 10,26ff), sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm (Jh 3,36). Alle, die den Messias ablehnen, sollen aus dem Volk Gottes ausgeschlossen werden (Apg 3,21f). Die ungläubigen Juden verlieren ihre Zugehörigkeit zum Volk Gottes und es erwartet sie das Gericht Gottes. Wenn man von einer zukünftigen Bekehrung des nationalen Israel ausgeht, bedeutet dies, dass die ungläubigen Juden heute nicht Gottes Volk sind. Niemand gehört zum Volk Gottes ohne Glauben an Jesus Christus (Apg 3,21f; Jh 3,36) (16f).
Christen sind durch den von Gott geschenkten Glauben „in Christus“. Diese existentielle und rechtliche Verbundenheit mit dem Samen Abrahams, dem Davidsspross, macht den Gläubigen zu einem rechtmäßigen Nachkommen Abrahams und Israels. Diese Verbundenheit lässt ihn auch Anteil am Heilswerk Christi in Tod und Auferstehung haben: Seine Gerechtigkeit wird unsere Gerechtigkeit, sein Leben unser Leben, sein Vater unser Vater. Israel wird neu definiert. Alle Verheißungen des AT werden auf die wahren Nachkommen Abrahams, das „Israel Gottes“ (Gal 6,16) transferiert (17).
Atl Bezeichnungen – ntl Entsprechungen: Geliebte Gottes (2Mose 15,13 / Eph 5,1); Kinder Gottes (2Mose 4 / 1Jh 3,1); Herde Gottes (Hes 34 / Jh 10); Haus Gottes (4Mose 12,7 / 1Tim 3,15); Volk Gottes (2Mose 6,7 / Tit 2,14; Priester Gottes (2Mose 19,6 / 1Ptr 2,5); Weinberg Gottes (Jes 5,3 / Lk 20,16); Braut Gottes (Jes 54 / 2Kor 11,2); Kinder Abrahams (2Chr 20,7 / Röm 4,11; Gal 3,1ff); erwähltes Volk (5Mose 7,7 / Kol 3,12); Jerusalem (Gal 4,26; Hebr 12,22); Beschneidung (Röm 2,28f; 4,11; Phil 3,3; Kol 2,11); Erster ('alter') Bund (neuer Bund); Verheißung des neuen Bundes Jer 31; Hes 36; (Erfüllung in der Gemeinde: 1Kor 11,25; 2Kor 3,6; Hebr 8,6; 9,15; 12,24) (17).
Der Kontext von Röm 9,6ff macht deutlich, dass das 'andere Israel' die christusgläubigen Heiden (und Juden) sind. Denn das Thema ist, dass Israel (bis auf einen Rest) das Heil genommen und den auserwählten Heiden (und Juden 9,24) gegeben wird: (9,25) „Ich will das mein Volk nennen, das nicht mein Volk war, und meine Geliebte, die nicht meine Geliebte war. (26) Und es soll geschehen: Anstatt dass zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, sollen sie Kinder des lebendigen Gottes genannt werden“. Paulus identifiziert die neue Heilsgemeinde aus Juden und Heiden mit dem durch Hosea angekündigten neuen Gottesvolk. Auch Gal 6,16 macht deutlich, dass die christusgläubige Gemeinde aus Juden und Heiden das „Israel Gottes“ ist. Die Christusgläubigen sind das wahre Israel, die wahren Nachkommen Abrahams (Gal 3,1ff; Jh 8,37ff; 10,16) (18).
In Eph 2,11ff wird gesagt, dass die Heiden in Israel eingebürgert wurden, das Bürgerrecht Israels bekommen haben, was die Gemeinde mit Israel identifiziert. Gal 3 macht deutlich, dass alle Christen Abrahams Nachkommen und Erben sind. Israel wird (Röm 9-11) – bis auf einen auserwählten Rest – verstockt und herausgenommen. Dafür werden die auserwählten Heiden in den Ölbaum Israel eingepfropft. In Phil 3,3 spricht Paulus von den Christusgläubigen als die „wahre Beschneidung“. Die erwählte Gemeinde aus Juden und Heiden ist das einzige, wahre, erneuerte Israel und Volk Gottes (18f).
Petrus zitiert Jes 28,16: (1Ptr 2,6) „Siehe, ich (Gott) lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden“. (2,7) „Für euch, die ihr glaubt, ist er kostbar, für die Ungläubigen aber gilt: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden, (8) ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses. Da sie nicht gehorsam sind, stoßen sie sich an dem Wort, wozu sie auch bestimmt sind. (9) Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat, (10) die ihr einst nicht mein Volk wart, jetzt aber ein Volk Gottes seid; die ihr nicht Barmherzigkeit empfangen hattet, jetzt aber Barmherzigkeit empfangen habt“ (vgl. Eph 2,11ff). Petrus schreibt vor allem an Heidenchristen. Er nennt sie „Fremdlinge in der Zerstreuung“ (1Ptr 1,1). Auch in 1Ptr 1,14; 2,11 wird deutlich, dass die Christen diese 'Fremdlinge' sind, das neue Israel, das neue Gottesvolk. Ihnen – den Christusgläubigen aus Juden und Heiden – gelten die Privilegien des atl Volkes Gottes. In 1Ptr 2,4ff wird gesagt (Röm 9-11), dass viele Juden verstockt wurden, sich an Christus stießen und ihre Teilhabe am Gottesvolk und damit ihren Anteil am Heil verloren hatten. Demgegenüber wurden viele Heiden zum Heil und zur Teilhabe am Gottesvolk erwählt (19f).
Die Gemeinde war vor Grundlegung der Welt (Eph 1,4ff) schon erwählt und beschlossen. Paulus schreibt über sie: (2,13) „Jetzt in Jesus Christus seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut Christi nahe geworden... (19) So seid ihr nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (20) Ihr seid aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten, wobei Jesus Christus der Eckstein ist“ (Eph 2,11ff). Paulus lehrt hier, dass in Christus die erwählten Heiden – zusammen mit dem erwählten Rest aus dem nationalen Israel – jetzt zum Volk Gottes, zu Israel, gehören und dadurch Anteil an allen Verheißungen und Bündnissen Israels bekommen. Diese neue Schöpfung in Christus ist das „Israel Gottes“ (Gal 6,15f). Damit wird nicht nur die Gemeinde deutlich als das neue und wahre Israel (wahre Beschneidung: Apg 7,51; Röm 2,28f; 4,11; Phil 3,3; Kol 2,11f) bezeichnet, sondern es wird klar, dass die christusgläubigen Heiden Anteil haben an allen Bündnissen und Verheißungen des AT. Sie bekommen vollen Anteil am Ölbaum Gottes und gehören als wahre Nachkommen Abrahams uneingeschränkt dazu (Gal 3,1ff) (20f).
Gottes Verheißungen an Israel gehen am wahren Israel in Erfüllung. In Christus kommt Gott mit seinen Bündnissen und Verheißungen an sein angekündigtes Ziel (23).
b. Was ist mit Israel und den Weissagungen des Alten Testaments?
Die atl Verheißungen werden im Neuen Bund zur Erfüllung gebracht. Sie erfüllen sich an dem neuen „Israel Gottes“, der Christusgemeinde aus Juden und Heiden. Denn dieses wahre Israel und neue Gottesvolk bekommt Anteil an allen Verheißungen und Bündnissen Israels (28).
Erfüllte atl Verheißungen
• bereits im AT (Jes 45,1ff; Jer 29,10) Dies gilt auch für die Landverheißungen. Gott hat alles – die ganze Landverheißung – erfüllt (Jos 21,43ff) (29).
• in Johannes dem Täufer: Jesus identifiziert Johannes als den wiedergekehrten Elia (Mt 3,1-12; 11,1-19par);
• in Christus: Er ist der Davidssohn (Mt 9,27; 16,13-20); er ist der wahre Tempel – mit seiner Gemeinde (Jh 2,19ff; 1Kor 3,16ff); der Menschensohn (Dan 7,13-28 / Mk 14,26); der Gottesknecht (Jes 43,3-5; 52,13-53,12 / Mk 9,31.10,45; 8,36fpar); der gute Hirte (Hes 34,1ff; 37,15ff / Jh 10,1ff) (29f);
• im Neuen Bund (Lk 22,20; Jer 31,31ff; Hes 36,26; Hebr 8,6-10,22; 2Kor 3,6): Gerade der Neue Bund macht deutlich, dass im NT die atl Verheißungen auf das „neue Israel“ aus Juden und Heiden übertragen wurden. Da im NT Israel neu definiert wird, haben auch die Heiden in Christus Anteil daran.
• in der Gemeinde (Apg 2,14ff; 15,16-18): Auf dem Apostelkonvent in Jerusalem bezeichnet Jakobus, die Bekehrung des römischen Offiziers Kornelius und damit die Anfänge der Heidenmission als gnädige Heimsuchung Gottes (Apg 15,14). In der Heidenmission erfüllt Gott seine Absicht, „aus den Nationen ein Volk zu nehmen für seinen Namen“. Waren die Heiden im Alten Bund von Gottes Volk und Heil ausgeschlossen, werden sie hier von Jakobus als dazugehörig beschrieben. Er sieht durch den Heiligen Geist darin die Erfüllung der Prophezeiung der Wiederherstellung und Herrschaft Israels („Hütte Davids“) aus Amos 9,11ff. Da durch die Mission das Heil bereits jetzt zu den Heiden kommt, muss der vorausgesetzte Wiederaufbau der „Hütte Davids“ bereits geschehen sein. Da Christus das neue Israel repräsentiert, ist sein Kreuzeswerk und seine Auferstehung die Wiederherstellung der „Hütte Davids“. Diese Wiederherstellung hat die Teilhabe aller Menschen an diesem Heil ermöglicht (31).
Jesus repräsentiert das neue Volk Gottes, das stellvertretend durch Christus Gottes Gesetz befolgt und gehorsam ist. Er ist der wahre Israelit, der wahre Gottesknecht, an dem sich Gott verherrlicht (Jes 49,3). Er ist der im AT angekündigte Messias, der gute Hirte und Sohn Davids, der über sein Volk herrscht und es führt. Die „Hütte Davids“ kann auch den wiederhergestellten Tempel meinen (Jh 2,19-22; Mk 14,58 u.a.): Christus selber ist dieser Tempel, in Verbindung mit seiner Gemeinde als Wohnort Gottes (1Kor 3,16; 6,19) (Anm.25).
Jakobus erkennt durch den Heiligen Geist (Apg 15,28), dass Amos die Bekehrung der Heiden vorausgesagt hatte, was nun mit der messianischen Heilszeit begonnen hat. Damit wird deutlich, dass die an Jesus Christus Glaubenden aus Juden und Heiden dieses endzeitliche Gottesvolk sind und sich an ihnen die Verheißungen Gottes für Israel erfüllen. Jakobus verteidigt und begründet die Heidenmission mit der Amos-Prophetie, die er auf die Gemeinde aus Juden und Heiden überträgt, und er sieht in der Mission die Sammlung des neuen Volkes Gottes als Erfüllung dieser Verheißung (32f).
In Gottes Plan über die Herrschaft des Messias waren die Heiden von Anfang an mit eingeschlossen (1Mose 12,3; Jes 9,5f; 11,1ff; 49,5-7; Ps 2,7ff; 110,5-7). Die atl Aussagen über die eschatologische Heilszeit Israels und die Regierung des Messias erfüllen sich in der Heidenmission und der daraus gebildeten Gemeinde (Anm 27).
„Ein Volk für seinen Namen“, d.h. ein Volk, das ganz ihm gehört (Apg 15,14). Einst war nur Israel Gottes besonderes Volk (Ex 19,5; Dt 7,6; 14,2; 26,18f; 32,8f; Ps 135,4). Das hier gemeinte Gottesvolk schließt die glaubenden Nichtjuden mit ein (vgl. Apg 18,10; Röm 10,19; Tit 2,14; 1Ptr 2,9f; Jh 10,16) (33).
Zukünftige Erfüllung in der himmlischen Vollendung (Jes 11; 65,17ff; Offb 20-22; Hebr 11,16; 12,22): Die Tempelvision Hesekiels (Kp. 40ff): Wenn man mit einer wörtlichen Interpretation zu der Schlussfolgerung kommt, in der Zukunft werde die atl Heilsordnung samt den Sündopfern (vgl. Hes 45,17.22.f) wieder eingeführt, dann greift man damit in die Heilslehre ein. Diese Lehrmeinung entwürdigt das Opfer Jesu (Hebr 10,26ff), durch das ein für allemal die Sünden endgültig gesühnt und vergeben sind (Hebr 6-10) (33f).
Dass Paulus in der Apg Opfer brachte und sich an atl Riten hielt, muss als missionstaktische Taten des Apostels oder als Rücksichtnahme auf Schwache im Glauben gewertet werden. Dies geschah zumeist 'um der Juden willen', damit sie sich nicht anstoßen und meinen, die Apostel würden gegen Mose und das Gesetz reden. So kann Paulus den Timotheus aus missionstaktischen Gründen beschneiden und an anderer Stelle diejenigen verfluchen, die neben Christus noch die Beschneidung einführen wollen (Apg 16,3; Gal 1,8; 5,1-10) (Anm. 29).
Die Vision Hesekiels wird sich im himmlischen Jerusalem erfüllen. Parallelen zwischen Hesekiel und der Offenbarung: Thron, Gegenwart Gottes (Hes 43,7; 48,35 / Offb 21,3; 22,1b.3); Sündlosigkeit, absolute Heiligkeit (Hes 43,7-9 / Offb 21,4f.8.27; 22,3.14f); ewig (Hes 43,7b.9 / Offb 22,5); Maße, einzelne herrliche Beschreibungen (Hes 43,10b.13, 48.16f / Offb 21,15-17); Wasserstrom aus dem Tempel bzw. vom Thron Gottes (Hes 47,1ff / Offb 22,1-5); Baum am Flussufer, der jeden Monat Früchte trägt (Hes 47,12 / Offb 22,2); Tore der Stadt mit den Namen der Söhne Israels (Hes 48,30-35 / Offb 21,12f) (36).
Argumente gegen einen Wiederaufbau des Tempels bei der Wiederkunft Christi:
a) Christi Sühnopfer hat sämtliche Opfergaben für immer null und nicht gemacht (Hebr 10,18).
b) Erbe des Reiches ist nicht mehr die jüd. Nation, sondern das neue Israel aus Juden und Heiden, in dem das alte Israel seine wahre Stätte finden soll (Mt 21,43; 1Ptr 2,9f ; Röm 11,26).
c) In der Offb legt Johannes diese Kapitel seiner Beschreibung der Kirche im Reich Gottes zugrunde (Offb 21,9.22; 22,5) (36).
Die Erfüllung begann mit Christi erstem Kommen in der Gemeinde (vgl. Jh 2,21; 1Kor 3,16f) und wird in Offb 21-22 vollendet, da Jesus sowohl in der Jetztzeit als auch in der Vollendung der neue Tempel ist.
Parallelen zwischen Sacharja und dem NT: Wehklage bei der Wiederkunft Christi (Sach 12,10 / Offb 1,7f); Christi letztendlicher Sieg (Sach 12,1ff; 14,1ff / Offb 19,1ff; 20,7-10); Wasser des Lebens (Sach 14,8 / Offb 22,1ff).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Verheißungen entweder (1) schon erfüllt haben: bereits im AT, in Johannes dem Täufer, in Christus; zu Pfingsten, mit dem Evangelium und in der beginnenden Heidenmission; oder (2) sich gegenwärtig in der Gemeinde erfüllen; oder (3) in der Zukunft erfüllen werden (37f).
c. Was ist mit dem 'Tausendjährigen Reich?
Der biblische Gesamtbefund
Die Schrift kennt keine Theologie über das sog. 'Tausendjährige Reich'. Nur wenige Verse (Offb 20,1-10) nennen eine Jahresspanne von eintausend Jahren, ohne damit atl Verheißungen aufzugreifen (39).
Die Verheißungen Israels sind im NT auf das 'neue Israel' übertragen. Wenn man die Auslegung auf Israel mit dem Hinweis begründet, dass wichtige atl Verheißungen für die Zukunft Israels als Nation noch unerfüllt seien und eben im Millennium erfüllt werden, stellt sich das hermeneutische Problem, dass die atl Eschatologie Priorität bekommt gegenüber dem Verständnis der 'Endzeit', des „Neuen Bundes“ und des neuen Gottesvolkes bei Jesus und den Aposteln (Anm 31).
Weitere Argumente gegen ein irdisches Zwischenreich: Die atl Verheißungen sprechen zumeist von einer ewigen Herrschaft, nicht von einer zeitlich begrenzten (Jh 9,6 / Lk 1,32f). Zudem wird in Offb 20 das Volk oder das Land Israel nicht erwähnt (42).
Jesus und die Apostel erwarteten kein Zwischenreich, sondern mit der Wiederkunft Jesu den neuen Himmel und die neue Erde (Mt 24,29ff; 1Thess 4,13ff; 2Thess 2,1ff). Bei anderen Schriftstellen finden sich ebenfalls keine Hinweise auf ein Zwischenreich mit einer Sonderstellung des nationalen Israels (42):
a) 1Kor 15,23ff erwähnt kein Zwischenreich. Die Herrschaft, von der dort die Rede ist, ist Jesu jetzige Machtstellung zur „Rechten Gottes“ (Mt 28,18b; Apg 2,36; 7,55b; Eph 1,20-22; Phil 2,9-11; Kol 2,15; 3,1; 1Ptr 3,22), die mit der endgültigen Vernichtung des Feindes vollendet wird. Dann wird Jesus alle Herrschaft dem Vater übergeben (42f).
b) In Eph 1,20-22 will Paulus den Ephesern die Größe, Macht und Gnade Gottes in Christus verdeutlichen (1,18ff). Es geht um den Namen und die Person Jesus. Dieser wird immer über allen anderen Mächten und Personen stehen – in jeder Herrschaftsepoche! Die innertrinitarische Unterordnung wird sich nicht verändern (Jh 3,35; 5,19.22; 6,37; 7,16; 17,2.5; Mt 28,18). Immer wird davon gesprochen, dass dem Sohn die Herrschaft vom Vater gegeben wurde, was die Unterordnung des Sohnes unter den Vater verdeutlicht. 1Kor 11,3ff; 15,28 erfüllt sich im gemeinsamen Thron/Tempel/Licht von Offb 21,22f; 22,3. D.h. die Herrschaft des Sohnes wird auch im zukünftigen himmlischen Reich (zusammen mit dem Vater) vorhanden sein, in der schon immer da gewesenen innertrinitarischen Unterordnung. Die Heilige Schrift kennt nur zwei Zeitalter: das gegenwärtige irdische und das ewige himmlische Zeitalter (bzw. Verdammnis) – und nichts dazwischen (43).
c) Der Kontext des Hebräerbriefes macht deutlich, dass die zukünftige Welt die himmlische Welt und kein irdisches Zwischenreich ist. Der Autor des Hebräerbriefes sagt in 12,22f, dass alle Christusgläubigen zum wahren „Zion“ und zu dem „himmlischen Jerusalem“ gekommen sind. Dort erfüllen sich die entsprechenden Prophezeiungen des AT. Aufschlussreich ist dabei, dass Abraham (der diese zukünftigen Dinge mit Freuden sah, Jh 8,56; Hebr 11,13-16) und die anderen Gläubigen des AT ihr Bürgerrecht nicht auf der Erde sahen und auch kein irdisches Reich und Vaterland erwarteten, sondern eben dieses himmlische und die himmlische Stadt: das neue Jerusalem (Hebr 11,13-16; Gal 4,25f; Phil 3,20). Die Vergleiche zwischen dem „irdischen, schattenhaften Heiligtum des AT“ gegenüber dem „himmlischen Heiligtum“ machen dies deutlich und schließen ein irdisches Zwischenreich und einen weiteren Tempel im Millennium aus (vgl. Heb 9,23f) (43f).
d) Petrus erwartet mit der Wiederkunft Jesu die Vernichtung der alten Welt und die Aufrichtung der neuen: die neue Erde und den neuen Himmel (2Ptr 3,10-13). Hier ist keine Rede von einem irdischen Reich, geschweige denn von einer besonderen Herrschaft Israels. Außerdem verdeutlicht dieser Text, dass die Christen bis zur Wiederkunft Jesu auf der Erde bleiben werden und keine 'Vor-Entrückung' zu erwarten haben (44).
e) In Mk 10,30 wird das kommende Zeitalter mit dem „ewigen Leben“ identifiziert und nicht mit einem irdischen Millennium bzw. Zwischenreich.
f) In Lk 21,27f ist von der Erlösung der Jesusjünger die Rede, die im gesamten NT die himmlische Herrlichkeit meint. Die Ereignisse um die Zerstörung Jerusalems herum sollen als Vorzeichen der Wiederkunft Jesu und der ewigen Erlösung dienen und meinen nicht die Erlösung selber. Überall im NT wird deutlich, dass mit und bei der Wiederkunft Jesu die Entrückung der Gemeinde in das himmlische Reich stattfindet bzw. beginnt (45).
Die tausend Jahre in Offb 20
Das jüd. Volk bzw. die Judenchristen haben in der Offb keine gesonderte Rolle. Im NT wurde die Trennung zwischen Gläubigen aus Israel und den Nationen aufgehoben (Eph 2,14) und 'Israel' neu definiert. Besonders Offb 14,1-5 macht deutlich, dass mit den 144.000 die Gemeinde aus Juden und Heiden gemeint ist, das neue Israel. Bezeichnungen dieser Versiegelten: der Name Gottes steht auf ihren Stirnen (Offb 3,12); sie sind jungfräulich (2Kor 11,2); sie singen ein neues Lied (Offb 5,9; 15,3); sie sind erkauft (Offb 5,9); sie sind eine Erstlingsfrucht (Jak 1,18); sie sind untadelig (Eph 5,27; Kol 1,22; Phil 2,15; Jud 24). Die 144.000 repräsentieren die gesamte Christusgemeinde, das neue Israel (47).
Die Aussageabsicht der Offenbarung mit ihren einzelnen Bildern ist klar: Sie soll der verfolgten Gemeinde Mut und Kraft für die schwere Zeit der „Drangsal“ geben und sie zum erneuten Ausrichten auf Gott und sein Wort ermahnen. Sie macht deutlich, dass Gott alles in seiner Hand hält und für seine Kinder zu einem guten Ende führen und die Feinde Gottes endgültig bestrafen wird (48).
Im NT wird deutlich, dass mit der Wiederkunft Jesu alle eschatologischen Ereignisse eintreten werden: Entrückung und Auferstehung zum ewigen Leben der Erwählten, der Anbruch von Gottes ewigem Reich mit neuem Himmel und neuer Erde und einer neuen Leiblichkeit einerseits, andererseits Gericht und Verdammnis über die Ungläubigen und über Satan samt seinen Dienern (49).
Das NT macht deutlich, dass nach der irdisch-vergänglichen Zeit kein neues irdisches Zeitalter in Form eines Zwischenreiches zu erwarten ist, sondern vielmehr das himmlische und ewige Reich Gottes, das mit der Wiederkunft Jesu beginnt. Diese Botschaft des NT ignoriert man, wenn man ein biblisch unbegründetes Tausendjähriges Reich auf Erden vor der Ewigkeit postuliert (50).
In der Vision vom tausendjährigen Reich selbst (Offb 20,4-6) fehlt jeder Hinweis darauf, dass es sich um das zu Christus bekehrte Israel handelt (Anm. 36).
d. Was ist mit der Wiederherstellung des national-ethnischen Israels?
Das Heil ist nicht mehr in Israel, im Land Kanaan, im Tempel oder in irgendeinem irdischen Reich zu finden, sondern in einer Person: in Jesus Christus, der uns in sein himmlisches Reich aufgenommen hat. Die irdischen Landverheißungen für Israel haben sich schon erfüllt. Die übrigen Prophetien über Zion und die Wiederherstellung Israels beziehen sich auf Christus, die Gemeinde und den neuen Himmel und die neue Erde. Das 'Land' erben die seliggepriesenen sanftmütigen Jünger aus Mt 5,5. Die Christusgläubigen sind die wahren Nachkommen Abrahams und damit die Erben aller Verheißungen an ihn (Gal 3,1ff; Röm 4,13: „der Welt Erbe“; vgl. Jh 8,37ff) (51).
Röm 9-11: Paulus will im Römerbrief u.a. die Gerechtigkeit Gottes aufzeigen. Er wendet sich gegen den Vorwurf, dass seine Evangeliumsverkündigung – mit den Schwerpunkten Heidenmission und Freiheit vom Gesetz – Gott als ungerecht und untreu gegenüber seinen Verheißungen für Israel erscheinen lässt. Es geht um Jesus Christus, die Zuverlässigkeit der Verheißungen Gottes, das Heil und die Zugehörigkeit zu denen, die das Heil und die Verheißungen erben: dem wahren, auserwählten Gottesvolk (52).
Es geht um die Bundestreue und Gerechtigkeit Gottes, die allein durch Glauben empfangen wird, im AT angekündigt und vorbereitet wurde und in Christus erschienen und begründet ist. Der Großteil der Juden hat diese Bundestreue und Gerechtigkeit Gottes von sich gewiesen und sich dadurch von den Zusagen Gottes getrennt. Paulus Dankbarkeit für die Liebe Christi lässt ihn an seine ungläubigen Volksgenossen denken. Er bedauert, dass sie nicht dazugehören, obwohl ihnen zuerst das Evangelium gilt (1,16). Die christliche Heilsgewissheit ist verankert in Gottes Berufung und Erwählung (8,28-30.33). Dadurch ist Paulus zum Nachdenken über den Weg Israels gezwungen. Israel war einmal von Gott erwählt, geliebt (5Mose, 7,6ff) und mit Verheißungen beschenkt worden. Mehrheitlich hatte es aber das Evangelium Christi nicht angenommen. Das Fazit in 11,32 lautet: „Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen“ (53).
In Röm 9-11 geht es um die Frage nach dem Volk Gottes und die Treue Gottes zu seinem Wort und Bund (vgl. 9,6; 11,1 und die endgültige Antwort in 11,29: „Denn Gottes Gaben und Berufungen können ihn nicht gereuen“). Paulus hat von Beginn des Briefes an deutlich gemacht, dass das Evangelium in Kontinuität zum AT steht. Wie kann Gott treu zu seinen Verheißungen stehen, wenn sich diese jetzt an der Gemeinde anstatt an Israel erfüllen? Nach Kp 1-8 stehen sich zwei auserwählte Bundesvölker gegenüber. Wurde die neue Heilsuniversalität (Juden und Heiden) auf Kosten der Erwählung und Verheißungen Israels eingeführt? Paulus Antwort: Gott hat schon immer nach Gnadenwahl und Glauben gehandelt und nicht nach dem bloßen Faktum der Blutsverwandschaft. Gottes Verheißungen haben Bestand (55).
Der jüd. Unglaube in der Jetztzeit bedeutet nicht, das Gottes Verheißungen an Israel aufgehoben sind. Denn:
a) Gott hat nie verheißen, alle Nachkommen Abrahams oder alle Menschen zu retten. Die Errettung ist für alle immer eine Gabe Gottes (9,6b-29). (Gott schenkt Heil nach seiner Erwählung nicht nach Werken oder Abstammung) (56).
b) Gott sammelt sein Volk – wie vorher verheißen – nun aus Juden und Heiden (9,30-10,21).
c) Gottes Verheißungen an das ethnische Israel fallen nicht unter den Tisch, da Gott einen Rest Israels zum Glauben führt (11,1-10).
d) Durch dieses Sammeln von Juden und Heiden in ein Volk erfüllt Gott seine Verheißungen und kommt so zu einem „ganzen Israel“ (11,26): „Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jes 59,20; Jer 31,33): Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeiten von Jakob“.
Röm 11,12-32 ist keine Verheißung, dass sich das ethnische Israel am Ende der Zeiten zum Herrn bekehren wird. Paulus stellt sich der Frage, ob überhaupt Juden gerettet werden. Er erklärt, dass Gott sein Volk nicht völlig verstoßen hat und nennt sich selber als Beispiel (11,1f) und betont, dass Gott sich einen Überrest auserwählt hat, der nun zum Glauben kommt. Die gegenwärtige Verstockung der Juden gibt den Heiden die Möglichkeit, die Versöhnung zu empfangen, was die Juden zur Eifersucht und damit zum Glauben anreizen soll (10,14). Dieser Prozess findet „jetzt“ statt (11,31) (56).
Die Rettung der Vollzahl (11,12) meint die Errettung der auserwählten Juden in der Gegenwart und keine kollektive Bekehrung in der Zukunft. Auch die Vollzahl der Heiden (11,25) meint die Auserwählten aus den Nationen (Anm. 41).
Das Geheimnis, dass Gott Israel nicht sofort richtet, ermöglicht, dass in dieser Zeit sowohl Heiden als auch der erwählte Rest aus dem nationalen Israel zum Glauben kommen. Erst wenn die Vollzahl der Heiden in Israel eingegangen sein wird, wird das Gericht an den Gefäßen des Zorn vollstreckt. Von einer national-kollektiven Bekehrung Israels ist nicht die Rede (Anm 42).
In 9,6-8 (vgl. 2,25-29) wird Israel neu definiert und in 9,1-8 werden die Verheißungen auf das neue Israel übertragen – die Gemeinde (Jer 31; /Röm 6-8). Dieses erneuerte Israel ist in 11,26 gemeint – aus Juden und Heiden (vgl. Gal 6,16; Phil 3,2-11; Eph 2,11ff). Israel wird durch die Heidenchristen erweitert. Die atl Zitate in 11,26ff beziehen sich nicht auf die Wiederkunft Jesu, sondern auf die jetzige Heidenmission. Das verdeutlicht der Verweis auf Jer 31, wo vom Neuen Bund und dem Hinzukommen der Heiden die Rede ist. In Christus ist dies alles Wirklichkeit geworden:
a) (9,26): so, auf diese Art und Weise (57)
b) Israel wird neu definiert (9,6-8)
c) ein Thema von 9-11 ist die Erwählung durch das Mittel des Glaubens der durch die Predigt gewirkt wird. Dabei ruft Gott Menschen aus Juden und Heiden (9,24-10,13).
d) In Kp.11 wird dieses Thema auf das Verhältnis zwischen dem Unglauben der Juden und der Bekehrung der Völker zugespitzt. Die Bekehrung der Völker zielt auf die Bekehrung und Aufrichtung Israels. Die Heiden werden in Israel eingepfropft (11,14-24). Die Aufforderung zur demütigen Einstellung der Heidenchristen gegenüber den Juden wird damit begründet, dass ihre Bekehrung im Zusammenhang mit der Vollendung von Israel steht.
e) Den Vers 11,23 hätte Paulus nicht konditional formuliert, wenn er mit einer zukünftigen Wiederherstellung des politischen Israels gerechnet hätte. „Aber auch jene, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden...“.
f) Das Eingehen der Fülle der Heiden meint im Kontext den Ölbaum (11,17-19.24). D.h. die Heiden gehen neben den auserwählten Juden („Überrest“) in den Ölbaum ein, d.h. ins Gottesvolk mit allen Heilsverheißungen. Auf diese Art und Weise wird ganz Israel gerettet werden. Israel ist das erneuerte Israel aus Juden und Heiden, die zusammen die wahren Nachkommen Abrahams sind (Gal 3,1ff; 6,16; Phil 3,2ff; Eph 2,11ff). Die auserwählten Juden bleiben Israel (Rest) und die auserwählten Heiden werden es (58).
g) Die Zitate aus dem AT beziehen sich auf Christi erstes Kommen und wollen sagen, dass das Heil aus den Juden kommt (vgl. 9,5 und die Rückbezüge auf den Neuen Bund in Jes 59,20 und Jer 31,33f, der nicht erst mit der Parusie beginnt). Deshalb dürfen die Heiden sich nicht überheben. Die Juden sind einerseits Feinde (Verwerfung und Verfolgung), andererseits als Rest Geliebte (vgl. 9,31 / 11,7 und 9,27; 11,1f.5-7, wo Paulus sich selber als Beispiel nennt). Einen Augenblick werden die Juden ohne den erwählten Rest als Volk der Verfolger betrachtet. Andererseits wird der erwählte Rest als das Volk angesehen, das um der Väter Willen geliebt ist. In 11,29 denkt Paulus an den auserwählten Rest (Jes 10,21; Jer 23,3), den Teil der ethnischen Israeliten, der glaubt und errettet wird. Das AT ist die Grundlage, von der aus Paulus argumentiert (58f).
Paulus will in Röm 9-11 zeigen, dass Gottes Verheißungen – wenn sie richtig verstanden werden – weiterhin gültig sind. Er erfüllt seine Verheißungen an seinem Volk Israel, doch wird dieses Volk nun an Jesus Christus gebunden und von ihm her definiert. Die vielen Prophezeiungen zeigen, dass Gottes zuverlässiges Wort dies bereits gesagt hatte. Diese zusätzlich von Paulus aufgeführte Israel-Theologie in Röm 9-11 soll den Zusammenhang dieses Themas zum Evangelium nachweisen. Die Aussagen in 11,12-32 zeigen, dass die Heiden in der römischen Gemeinde ihre unentbehrlichen atl-jüd. Wurzeln geringschätzten und auf sie herabschauten. Auch die Heiden sind allein auf Gottes Gnade angewiesen und gehörten ursprünglich nicht zur „Wurzel“. Die Kp. 9-11 sind auch Grundlage für den praktischen Teil (12,1-15,13), um das Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen zu ordnen (59f).
Paulus spricht in Röm 9,14ff sowohl die kollektive als auch die individuelle Prädestination aus. Gott ist nicht ungerecht (9,14-18), weil er tun und machen kann, was er will – er ist souverän und niemandem Rechenschaft schuldig und daher ist sein Handeln immer gerecht im Sinne Gottes. Er bestimmt was recht ist und was nicht. In 9,19-24 macht Paulus deutlich, dass eine Anklage gegen die Souveränität Gottes Sünde ist, weil der Mensch als Ton kein Recht hat, den Töpfer zu hinterfragen. In 11,26 spricht Paulus von einem ganzen Israel, das durch die souveräne Auswahl Gottes aus Juden und Heiden zustande kommt. Dazu verwendete er in den vorhergehenden Versen das Bild vom Ölbaum: Einige Juden wurden herausgenommen, etliche Heiden werden eingepfropft, bis ihre „Vollzahl“ (11,25) erreicht ist. In Röm 9 zeigt Paulus, dass Gott schon immer nach Auswahl gehandelt hat und dies auch jetzt noch tut. Er verstockt und erlöst, wen er will. Er kommt zu einem ganzen Israel, einer Vollzahl von Kindern Gottes (9,8; 8,16.21), einem vollständigen Volk Gottes. Indem er einige Juden verstockt, die nicht zum erwählten Rest gehören und dafür die erwählten Heiden Anteil am Heil des Messias bekommen, kommt Gott zu seinem Ziel. Dies war schon immer Gottes Plan. Gerade die drei ersten Kp. des Röm, die die Verlorenheit aller Menschen verdeutlichen, zeigen, dass Gottes Wahl, einige zu erretten, ein Akt der Barmherzigkeit ist (61).
(9,22): „Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, (23) damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit, (24) (nämlich an) uns, die er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen“.
Das Ertragen und Dulden der Gefäße des Zorns meint hier, dass Gott diese nicht sofort richtet (vgl. Röm 3,25f; 2,4). Nirgendwo im Text wird die Möglichkeit genannt, dass die Gefäße des Zorns das Heil noch erlangen könnten (62).
Paulus nimmt zwei Beispiele aus dem AT, um Gottes jetziges Vorgehen zu veranschaulichen (Pharao und Esau). Pharao und die Gefäße des Zorns sind geschaffen, damit Gott daran seine Macht erzeige. Paulus nimmt Pharao und Esau als atl Beispiele, um Gottes erwählende Souveränität auch für die Jetztzeit zu begründen. Der Text schließt ausdrücklich aus, dass die Gefäße des Zorns später Gefäße des Erbarmens werden könnten, da er die Gefäße des Zorns als „zum Verderben bestimmt“ beschreibt (63f).
Auch beim Bild des Töpfers und des Tons geht es um ein (vorheriges) Schaffen des jeweiligen Gefäßes – ganz wie Gott es will (vgl. Buch Sir 33,10-16) (64).
Der Begriff Herrlichkeit wird von Paulus für die ewig-himmlische Teilhabe am Heil gebraucht (Röm 2,10; 8,18; 1Thess 2,12; 2Tim 2,10; Kol 3,4) (65).
Gott ist der Töpfer (9,21), er tut, was er will! Er kann tun, was er will und schuldet niemandem Rechenschaft. Die rhetorischen Fragen in Röm 9,19f beschreiben Gottes tatsächliches Handeln (Esau, Pharao, Juden und Heiden – alle Menschen) – Gott hat bestimmt und geschaffen, verhärtet und erbarmt sich (und tut es bis heute). Paulus macht (wie in Eph 1,4 und 2Thess 2,13) in Röm 9,10-18 am Beispiel des Pharao (und Esau) deutlich, dass bereits vor der Geburt Gott darüber entschieden hat, ob er sich erbarmt oder ob er verstockt (65).
Die Menschen sind der „Ton“. Die „Gefäße zur Ehre“ sind mit den „Gefäßen der Herrlichkeit“ identisch. Sie sind die Gläubigen, die das Reich Gottes und das ewige Leben erben werden. Die „Gefäße zur Unehre“ sind mit den „Gefäßen des Zorns“ identisch. In 9,24 werden die „Gefäße der Herrlichkeit“ als Christen aus Juden und Heiden beschrieben. Dies macht deutlich, dass mit den „Gefäßen des Zorns“ die übrigen Menschen gemeint sind (65).
In 2Kor 3,15f spricht Paulus von den Juden, auf deren Herzen eine Decke liegt und die daher Christus nicht erkennen, auch nicht aus den Schriften des ATs (vgl. 2Mose 34,34). Da in 9,15 der Plural verwendet wird (ihren Herzen), ist der Wechsel zum Singular in 9,16 auffällig. Dies führt zu dem Schluss, dass die Decke nicht kollektiv von den Juden weggenommen wird, sondern wenn Gott die Decke bei einem einzelnen Juden wegnimmt, dann wendet sich dieser zum Herrn: „Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt“ (Einheitsübersetzung) (67f).
Mt 23,39: „Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“! Hier handelt es sich um ein Gerichtswort an die ungläubigen Juden: Sie werden Jesus erst bei seiner Parusie unfreiwillig als von Gott kommend begrüßen. Angesichts der offenbar gewordenen Herrschaft Jesu erweisen sie ihm eine notgedrungene Huldigung, die ihnen für ihr Heil aber nichts mehr nützt. Man beachte dazu auch den Kontext von Lk 13,22-35, wo es ein Zuspät für die Juden geben wird (68).
Die Endzeitrede in Mt 24 - 25: In Mt 24,15 und 13,14 spricht Jesus zu Judenchristen – zu den Teilhabern des Neuen Bundes und den Mitgliedern des neuen Gottesvolkes. Unhaltbar ist die Sicht, dass Mt 24,15ff sich auf ein endzeitliches Jerusalem beziehe. Auch Lk 21,22 zeigt, dass sich hier die Prophetie aus Dan 9 erfüllt. Im Licht des NT wird ersichtlich, dass Dan 9,26f christologisch zu interpretieren ist. Jesus ist der in 9,26 genannte Gesalbte, der geopfert wird. Dann wird von der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. berichtet. Dies signalisiert den endgültigen Bruch zum Alten Bund. Daher ist in Dan 9,27 von der Errichtung des Neuen Bundes durch den Messias die Rede, der den Alten Bund und dessen Opfer aufheben wird (Hebr 8 - 10) (70).
Apg 1,6: Wenn Jesus hier auf die Frage des „Reichs für Israel“ eingeht, dann verweist er auf die Neudefinierung des Reichs Israel! Die Wiederherstellung der Königsherrschaft Gottes wird in der weltweiten Mission und Sammlung der Erwählten Wirklichkeit, wenngleich die Vollendung des in Christus begonnenen Reichs Gottes noch aussteht. Jesus hat verdeutlicht, dass das Reich Gottes anders ist, als die Juden und zunächst auch seine jüd. Jünger erwartet haben. Erst mit Pfingsten haben die Jünger erkannt, dass das Reich Gottes „nicht von dieser Welt“ ist (Jh 18,36), sondern ein geistliches Reich aus Juden und Heiden – ein neues Israel (Gal 6,16; Röm 11,26; 1Kor 10,18; Eph 2,11f). D.h. das „Reich (Gottes)“ hat mit Jesus begonnen und wird bei seiner Wiederkunft vollendet. Jesus sagt, dass die nächste Phase im Reich Gottes das Abendmahl mit seinen glaubenden Jüngern sein wird (Mk 14,25par) – d.h. mit den glaubenden Christen (71f)!
Nirgendwo im NT wird dem ethnischen Israel eine besondere Bedeutung verheißen. Im Gegenteil: Israel wird das Reicht Gottes weggenommen und einer Nation gegeben, die ihre Früchte bringt (Mt 21,35 - 22,1-22par; Lk 13,29par). Die Heiden werden mit Abraham zu Tisch liegen etc. An vielen Stellen wird deutlich, dass das Reich Gottes für die Gemeinde bestimmt ist als dem neuen Israel (Jh 3,3; Apg 14,22; 19,8; 28,23.31; Röm 14,17; 1Kor 4,20; 6,9; 15,50; Gal 5,21; Eph 5,5; 2Thess 1,5). Das NT sagt, dass Israel das Reicht Gottes genommen wird, aber es sagt nicht, dass es stattdessen ein anderes Reich bekommen werde. Das Reich Gottes war für Israel bestimmt, aber es hat es nicht bekommen, sondern es wurde ihm weggenommen (Mt 21,35ff) (72).
Apg 3,21: Die „Wiederherstellung aller Dinge“ zielt inhaltlich weder auf ein Millennium noch auf eine nationale Wiederherstellung Israels ab. 2Ptr 3,11ff meint die erneuerte, himmlische Welt Gottes (Jes 65,17ff; 66,22; 2Ptr 3,10-13). Das NT sagt klar, was mit der Wiederkunft Jesu geschehen wird: Entrückung, Gericht, Vernichtung von Himmel und Erde und die Wirklichkeit des neuen Himmels und der neuen Erde (Jes 65,17ff; 66,22; Mt 25,31ff; 2Thess 1,4 – 2,1ff; 2Ptr 3,10-13) (73).
Anhang: Die apokalyptische Vorstellung von einem tausendjährigen Reich (Offb 20)
a. “Ein im NT singulärer Gedanke”
Ph. Vielhauer: Im Zusammenhang mit der Parusie finden wir zwei im NT singuläre Gedanken: Einmal die Vorstellung vom tausendjährigen Reich, einem messianischen Friedensreich auf dieser Erde zwischen Parusie und Weltuntergang. Diese Vorstellung eines messianischen Zwischenreiches stammt aus der jüdischen Apokalyptik (4 Esra 7,28ff; syr Bar 29,3ff) und ist eine Kombination der nationalen und transzendenten Eschatologie. Mit dem Gedanken des tausendjährigen Reiches ist die zweite singuläre Vorstellung der Apk eng verbunden: der Gedanke einer zweifachen Auferstehung, einer vor und einer nach dem messianischen Zwischenreich (20,4-6.12-15); das ist eine Kombination zweier jüdischer Anschauungen, einer älteren von der Auferstehung nur der Gerechten und einer jüngeren von der allgemeinen Totenauferstehung (506).
b. “Ein Fremdkörper in der ntl Verkündigung”
A. Vögtle: Von der Erwartung eines tausendjährigen Zwischenreiches Christi und der auferweckten Märtyrer auf dieser Erde weiß das gesamte übrige Neue Testament schlechthin nichts. Dasselbe kennt nur ein noch zu erwartendes Offenbarwerden des erhöhten Christus zum Gericht und zur Heilsvollendung. Eine dem Endgericht vorausgehende lange irdische Herrschaft Christi, innerhalb der Geschichte, ist ein Fremdkörper, der in einem unausgleichbaren Widerspruch zur übrigen ntl Verkündigung steht. Johannes lässt hier jüdische Überlieferung einfließen, die theologischer ‘Sachkritik’ unterzogen werden muss, diese Erwartung kann nicht als (verpflichtende) ntl Glaubensaussage gelten (153).
c. “Verworfen als Irrlehre”
M. Luther: Auch werden verworfen etliche jüdische Lehren, die sagen, dass vor der Auferstehung der Toten eitel Heilige, Fromme ein weltlich Reich haben und alle Gottlosen vertilgt werden.
Hier werden verworfen diejenigen, die die jüdische Meinung lehren, die Verheißung von der Eroberung des gelobten Landes müsse leiblich verstanden und, dass vor dem jüngsten Gericht die Gottlosen allenthalben von den Heiligen unterdrückt werden und sie das zeitlich Regiment unter sich bringen.
Literatur
Lindemann, Andreas
1995, Der jüdische Jesus als der Christus der Kirche, in: Evang. Theol. 55.Jg. Heft 1
1999, Israel im NT, in: Wort und Dienst
2001, Art. Judentum und Christentum III, in: RGG4
Luther, Martin
1930, Von der Wiederkunft Christi zum Gericht, in: Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche, Confessio Augustana, Art. XVII, 1912,43
Roloff, Jürgen
1993, Die Kirche im NT
Senk, Ronald
2006, Das Israel Gottes
Vielhauer, Philipp
1978, Geschichte der urchristlichen Literatur
Vögtle, Anton
1981, Das Buch mit den sieben Siegeln