in R O M


2. Zum zweiten Timotheusbrief


(1) Die Abfassungssituation von Phil und 2Tim
(2) Der gute Kampf des Glaubens
(3) 2Timothy


(1) Die Abfassungssituation von Phil und 2Tim

R. Fuchs


Phil

2Tim

Ich sehne mich danach aufzubrechen (1,23).

Die Zeit meines Aufbruchs ist nahe (4,6).

Wenn ich auch geopfert werde bei dem Opfer (2,17).

Denn ich werde nunmehr geopfert (4,6).

Nicht, dass ich schon vollendet wäre, aber ich strebe danach (3,12).

Ich habe den Lauf vollendet (4,7).

Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis (3,14).

Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit (4,8).

Beide Briefe spiegeln die Gedanken desselben Mannes wider innerhalb einer kurzen Zeitspanne und in dieser Reihenfolge (19).

Während der Zeit ständiger Prozessverschleppungen (Apg 24,22ff) konnte Paulus noch hoffen, freizukommen, um letzte Dinge in Sachen Gemeindestärkung im Osten selbst zu regeln, bevor er die bisherigen Missionsgebiete verlassen wollte (Apg 19,21; Röm 15,22ff). Als er aber in lebensbedrohlicher Lage plötzlich eine Berufung auf den Kaiser machen musste, die die Prozessfortführung in Rom erzwang (Apg 25,9ff), musste er spontan jegliche Hoffnung auf baldige Freilassung und letzte Ostbesuche aufgeben. Die Haftbriefe, in denen Paulus noch auf eine Ostreise hofft, wären am besten vor diese Zeit zu datieren: Phil (1,25; 2,24; Phlm 22). Da der Kol keine Freilassungshoffnung verrät, aber mit Phlm zugleich verfasst worden sein dürfte, passt er auch in die Zeit vor die Kaiserberufung. Der Eph ist wiederum so eng verwandt mit dem Kol, dass er nicht zu weit von ihm abgerückt werden sollte (19f).

In 2Tim 1,4 erinnert sich Paulus an den Abschied von Timotheus. Zur Zeit des Phil (1,1), Phlm (1,1) und des Kol (1,1) war Timotheus noch bei Paulus, zur Zeit des Eph (1,1) scheinbar nicht mehr. Dass Markus und Tychikus nach 2Tim 4,11f in Kleinasien sind, spricht für die Gleichsetzung der in Kol, Eph und 2Tim erwähnten Kleinasienreise des Tychikus. Timotheus könnte sich nach Ablösung durch Tychikus schnellstens (2Tim 4,9.21) nach Rom aufmachen, bis dahin aber die Zeit täglich weiter für Lehre und Ermahnung nutzen (2,14 - 4,5). Da Timotheus Cäsarea aber früher verließ, wird er mit dem 2Tim über den weiteren Verlauf der Ereignisse informiert. Der 2Tim klingt an vielen Stellen nach einem Informationsbrief über erst unlängst vergangene Ereignisse. Der Abschied von Timotheus, dem „lieben Sohn“ (1,2), liegt vermutlich noch nicht allzu lange zurück (1,4). Paulus wird seinen engsten Mitarbeiter auf keinen Fall lange ohne weitere Information zurückgelassen haben. Zudem ließ es die Lage in Kleinasien (Apg 20,29ff; 2Tim 1,15) nicht zu, lange mit weiteren, brieflichen Anweisungen und Gegenmaßnahmen durch Mitarbeitereinsätze zu warten. Dies alles spricht für eine frühestmögliche Abfassungszeit des 2Tim nach der Ankunft in Rom (1,17), und zwar nach einer ersten, die Lage klärenden Anhörung (prima actio). Durch das erste Verhör war auch eine erste Ungewissheit überwunden. Es kamen überschaubarere Zeiten für Paulus wie Apg 28,30f berichten. Jetzt könnte Paulus seinem einzigen, noch verbliebenen Mitarbeiter, Lukas, den 2Tim diktiert haben (4,11) (21f).

Aus Rom weiß der Brief wenig zu berichten (2Tim 4,16.21b?), fast nur aus Kleinasien. Auch dies spricht für eine frühestmögliche Abfassung in Rom. Die Bitte um einen wärmenden Mantel (2Tim 4,13) vor dem ersten Winter in Rom macht am meisten Sinn. Auch Bücher und Pergamente braucht der Apostel sobald wie möglich für seine weitere Lehrtätigkeit (Apg 28,23.30f) und eventuell für die secunda actio (22f).

Es macht erst dann Sinn, Habseligkeiten anzufordern, wenn die Lage berechenbar geworden ist, was vor Apg 28,30f nicht der Fall war. Vor der Berufung auf den Kaiser hatte Paulus zwar immer wieder hoffen dürfen, die in Troas vermutlich wegen des Fußmarsches unter Lebensgefahr zurückgelassenen (Apg 20,1.3.6-13), für die Nachwelt (Apg 20,22ff) eventuell sogar zu schützenden Kostbarkeiten, selbst im Verlauf letzter Ostreisetätigkeiten (Phil 1,19ff; Phlm 22) abholen zu können. Nach der überraschenden Prozesswende und Romreise, musste Paulus auch diese Pläne aufgeben. U.a. die ständige Bedrohung in Cäsarea, in die Hände mordgieriger Verkläger zu fallen (Apg 20,3 – 25,9ff), wird Paulus davon zurückgehalten haben, seine Habseligkeiten vorzeitig dem Schutz des Karpus zu entziehen (2Tim 4,13). Timotheus, der nach Apg 20,4 im Reiseteam des Apostels die Ereignisse in Troas miterlebte, wird Jahre später mit einer an jene turbulenten Zeiten erinnernden Notiz zur Reise über Troas aufgefordert, um Mantel, Bücher und Pergamente abzuholen (23).

Abgesehen, dass 2Tim nirgends von Todesstrafe, der Apostel sehr wohl aber schon vor der Haft von Todesahnungen, spricht, ist Paulus auch nach der Apg gefesselt (21,33;  26,29;  28,20), häufiger Willkür und Todesgefahr ausgesetzt (23,29;  24,25ff;  25,9;  26,31f;  28,16ff) und dennoch besuchbar (23,16;  24,23;  27,3;  28,16f.20.23.30). Von solcher nicht angenehmen Besuchbarkeit geht auch 2Tim aus (1,17;  4,9.21). Bedenkt man, dass die grundlose, beinahe in der Ermordung des Paulus gipfelnde Haft in Cäsarea auch jahrelange psychische Zermürbung bedeutet, so begreift man, dass die Hoffnung auf baldige, freie Missionarstätigkeiten des gefangenen, vormals hochaktiven Apostels vom Phil bis zum 2Tim mehr und mehr sinkt. Paulus ist inzwischen ein alter, körperlich angeschlagener Mann (Phlm 9; 2Kor 12,7ff). Dennoch rechnet er nach dem ersten Verhör mit weiterer Zeit der Lehrtätigkeit und vor allem mit dem Erreichen seines größten Ziels, dem Zeugesein vor dem Kaiser (24).

Nach 2Tim 1,15 haben alle Mitarbeiter in Asien, dem derzeitigen Arbeitsgebiet von Timotheus, sich vom Apostel abgewandt – und selbst treueste Leute wie Demas vor Ort in Rom (oder schon in Cäsarea)! Ist es da unvorstellbar, dass Paulus in Sorge gerät, auch noch Timotheus zu verlieren? Trophimus wollte Paulus womöglich nicht nur bis Jerusalem begleiten, sondern bis Rom. Auf der stürmischen Vorwinterschifffahrt dorthin könnte er erkrankt sein (Apg 27,1ff). Paulus könnte ihm daraufhin geraten haben, in Knidos, der letzten Station vor der großen Überfahrt, auszusteigen, das kurze Stück bis Milet zu reisen und sich dort z.B. bei von früher her bekannten Freunden auszukurieren (24f).

Unerwartet tritt bei den Vorbereitungen auf die secunda actio eine bedenkliche Lage ein. Wenn Paulus schriftgemäß Zeuge Christi sein will, dann muss er aus theologisch-juristischen Gründen nach dem Zwei- oder Drei-Zeugenprinzip auch die secunda actio bestehen. 2Tim 4,9ff sind von daher verständlich. Timotheus und Markus müssen nach Rom kommen, da zwei oder drei Zeugen gebraucht werden. Lukas allein reicht nicht. Die Dringlichkeit, nach Rom zu kommen (4,9.21), ist klar. Bevor Paulus Timotheus und Markus rufen musste, hatte er noch zwei Zeugen bei sich, selbst dann noch, als er Titus, Kreszens und Tychikus mit Aufträgen ausgesandt hatte: Demas und Lukas (Kol 4,14; Phlm 24). Da geschah das Unfassbare: Demas fiel von Paulus ab! Plötzlich war  nur noch ein Zeuge da: Lukas. So musste er Mitarbeiter aus Kleinasien abziehen: Timotheus und Markus. Die in 2Tim 4,21 erwähnten maltesischen oder römischen Geschwister (Apg 28,14ff) konnten keine Zeugen für das zurückliegende Wirken des Apostels sein. Paulus brauchte auf jeden Fall gute Zeugen vor Gericht (27).

Gegen eine späte Datierung des 2Tim: Die Informationen des 2Tim passen besser in die Jahre vor 64 n. Chr. wie überhaupt der 2Tim (und erst recht 1Tim 2,1ff; Tit 3,1ff; Röm 13,1ff) besser in jene Zeiten des Urchristentums passt, in denen man noch nichts von der neronischen Verfolgung wusste (28).

Der 2Tim dürfte ziemlich bald nach der Ankunft in Rom geschrieben worden sein. Für das entscheidende zweite Verhör brauchte Paulus die Zeugen an seiner Seite, die uns laut Apg als bestens dafür geeignet bekannt sind: Markus, der schon ab Apg 12,25 Paulus begleitete und am besten für dessen Frühzeit als Missionar Zeuge sein konnte; Timotheus, der Leben und Lehre des Paulus spätestens ab Apg 16,1ff besser bezeugen konnte als jeder andere (Phil 2,19ff) und Lukas, der sich in den Wir-Berichten ab Apg 16,10 als Augenzeuge zu erkennen geben dürfte (28f).

Im 2Tim kann Paulus auf hermeneutische Anpassung verzichten, da dieser Brief keine Gemeinde im Blick hat, sondern nur den inzwischen bestens geschulten Timotheus. So erklärt es sich, dass 2Tim 'paulinischer' ist als 1Tim und Tit. Paulus weicht adressatengerecht in den verschiedenen Briefen unterschiedlich stark von seiner üblichen Sprache ab (31)


J. Reuss: Den 2Tim schreibt Paulus von Rom aus an Timotheus, der sich noch immer in Ephesus als sein Stellvertreter befindet (2Tim 1,15-18;  4,19). Timotheus, Sohn eines heidnischen Vaters und einer frommen judenchristlichen Mutter mit Namen Eunike (Apg 16,1;  2Tim 1,5) aus Lystra in Lykaonien, wurde von Paulus, auf seiner 1. Missionsreise (Apg 14,6;  1Tim 1,2) bekehrt, auf seiner 2. Missionsreise in Lystra in noch jugendlichem Alter (1Tim 4,12) als Missionshelfer von Paulus gewonnen (Apg 16,1-3). Von da an war er ein fast ständiger Begleiter des Apostels. Auf der 2. Missionsreise betraute ihn der Völkerapostel mit einer wichtigen Sendung von Athen nach Thessalonike (1Thess 3,2-6). Auf der 3. Missionsreise schickte er ihn mit einem schwierigen Auftrag von Ephesus über Mazedonien nach Korinth (1Kor 4,17;  16,10f;  Apg 19,22). Er weilte bei Paulus auf der Rückreise von Korinth nach Jerusalem (Apg 20,4). In 6 Briefen wird er als Absender und Mitarbeiter des Apostels genannt (1 und 2Thess; 2Kor; Phil; Kol; Phlm). Im 1Tim, den Paulus kurz nach seiner Abreise von Ephesus bei einem Aufenthalt in Mazedonien geschrieben hat, zeigt er seinem Stellvertreter die Aufgaben, die er in Ephesus zu erfüllen hat: Kampf gegen die Irrlehrer innerhalb der Gemeinde, Sorge für die Gemeindeorganisation und das Gemeindeleben. Aus dem Kerker in Rom wendet Paulus sich in einem 2.Brief an seinen Schüler Timotheus. Mit der Eindringlichkeit einer letzten Botschaft mahnt er ihn zur rechten Führung seines Amtes und zum treuen Bekenntnis seines Glaubens, gibt ihm Weisungen über das rechte Verhalten gegenüber den Irrlehrern und unterrichtet ihn über seine persönliche Lage (7f).

Paulus befindet sich in strenger Haft in Rom (1,8.16f;  2,9) und ist damit zur Untätigkeit in der Ausbreitung der Frohbotschaft verurteilt. Er weiß, dass seine Gemeinden von den Irrlehrern bedroht sind, er weiß weiterhin, dass ihm der Tod bevorsteht. So wendet er sich in diesem Brief mit allem Ernst und der ganzen Eindringlichkeit einer letzten Botschaft persönlich an Timotheus, sein geliebtes Kind (1,2) und fordert ihn auf, die Gnadengabe Gottes, die durch die Handauflegung des Apostels in ihm wohnt, zu neuer Glut zu entfachen (1,6). Bei allen seinen Arbeiten soll er nicht verzagt sein, denn Gott gab ihm nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit (1,7). Unerschrocken soll er seinen Glauben bekennen und in der Kraft Gottes für die Frohbotschaft eintreten (1,8). Stark soll er sein in der Gnade, die in Jesus Christus ihren Quellgrund hat (2,1). Gegenüber allen Phantastereien der Irrlehrer soll er nüchtern bleiben (4,5). Er muss das Werk eines Evangelisten verrichten, die Frohbotschaft überall verkünden (4,5) und damit überall voll und ganz seinen Dienst erfüllen (4,5). Als Christ, besonders aber als Amtsträger in der Gemeinde und Stellvertreter des Apostels, ist Timotheus ein rechter Soldat Christi. Darum soll er bereit sein, zu leiden mit Jesus Christus (2,3), soll an der Leidensbereitschaft des Apostels teilnehmen und mit diesem zusammen für die Frohbotschaft leiden, Verfolgung und Schmach auf sich nehmen, gestärkt durch die Kraft Gottes (1,8). Als Soldat des himmlischen Kriegsherrn ist es seine Pflicht, sich rückhaltlos für diesen und seine Botschaft einzusetzen (2,4). Nie darf er sich durch die Geschäfte des täglichen Lebens von dieser Pflicht abhalten lassen, da er sich sonst das Missfallen seines Kriegsherrn zuzieht (2,4). Wie ein Wettkämpfer muss er gemäß der Kampfesregel kämpfen, da er sonst des Siegeskranzes verlustigt geht (2,5). Wie ein Landmann muss er sich im Schweiße seine Angesichts abmühen, wenn er den ersten Anteil an den Früchten erhalten will (2,6). Er soll nicht streiten, sondern freundlich sein gegen alle (2,24). Dabei darf er nicht überrascht sein, wenn er Verfolgung zu leiden hat; denn dieses Geschick trifft jeden Christen, der in Jesus Christus fromm leben will (3,12). Der Apostel warnt Timotheus vor dem Schmied Alexander, der auch ihm bei seiner Verkündigung heftigen Widerstand geleistet und ihm viel Böses zugefügt hat (4,41) (8ff).

Vorbild für die Verkündigung der Frohbotschaft, der gesunden Lehre, soll ihm der Apostel selbst sein. Was er von ihm hörte, das soll er in Glaube und Liebe festhalten (1,13). Er hat sich ja die Lehre, die Lebensführung und Lebensgestaltung des Apostels wie auch seine Leidensbereitschaft zum Vorbild genommen (3,10f). Durch den Heiligen Geist, der in ihm wohnt, muss er das ihm anvertraute Gut, das Wort der Offenbarung treu bewahren (1,4). Als vor Gott bewährter Arbeiter muss er das Wort der Wahrheit immer klarer darbieten (2,15). Er muss das Evangelium zuverlässigen Menschen anvertrauen, die selbst wieder geeignet sind, auch andere zu belehren (2,2), damit so die reine Überlieferung des Gotteswortes für spätere Zeiten gewährleistet ist. Unerschütterlich muss Timotheus am Glauben festhalten, da er seine Lehrer im Glauben kennt und seit der Kindheit vertraut ist mit den Heiligen Schriften des ATs (3,14). Nur so wird er allen Anforderungen seines Berufs gewachsen und ausgerüstet sein für jede gute Tat (3,17). Der Grund für diese feierliche ernste Mahnung ist das Auftreten der Irrlehrer, die die Gemeinde bedrohen (4,3) (10f).

In seiner Gefangenschaft hat Paulus große Freude und tiefes Leid erfahren: Freude, als Onesiphorus nach seiner Ankunft in Rom ihn mit großem Eifer suchte und fand, sich des gefangenen Apostels nicht schämte und ihn mit seinem öfteren Besuch tröstete (1,16-18). Tiefes Leid, weil alle Christen in Asien sich von Paulus zurückgezogen, ihn in seiner Gefangenschaft im stichließen, auch Phygelus und Hormogenes, Mitarbeiter des Apostels, von denen er es nicht erwartet hatte (15).

In der entscheidenden Stunde für Paulus (4,16-18) haben Menschen versagt, aber nicht Gott der Herr. Er hat die Verheißung Jesu erfüllt: „Wenn man euch hinführt und ausliefert, dann seid nicht im voraus besorgt, was ihr reden sollt. Was euch in jener Stunde eingegeben wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der Heilige Geist“ (Mk 13,11;  Mt 10,19f). Gott der Herr ist selbst Rechtsbeistand des Apostels geworden. Seine erste Verteidigung wurde ein Erfolg. Und so sehr ist er auch jetzt noch in seiner Gefangenschaft von seinem Apostelamt erfüllt und beseelt, dass er selbst seine Verteidigung auf Leben und Tod nur unter einem Gesichtspunkt betrachtet, nämlich: das Evangelium zu verkünden. Diese Verteidigung war der Abschluss seiner apostolischen Tätigkeit. Hier hatte er Gelegenheit, die Frohbotschaft vor dem heidnischen Gerichtshof und vor vielen Zeugen aus allen Völkern zu verkünden und so seinen göttlichen Auftrag bis zu seinem Lebensende buchstäblich zu erfüllen. Hatte doch der Herr zu Ananias bei der Bekehrung des Paulus einst gesprochen: „Dieser ist mir ein auserlesenes Werkzeug, um meinen Namen vor Heiden, Könige und Israeliten zu tragen. Denn ich werde ihm zeigen, was er um meines Namens willen leiden muss“ (Apg 9,15f) (82f).

Durch Gottes Beistand wurde er aus dem „Rachen des Löwen“ aus höchster Not und Lebensgefahr, noch einmal befreit. Diese Rettung vor dem Todesurteil ist nur ein Aufschub. Paulus erwartet eine weitere Verhandlung und ist sich über den Ausgang des Prozesses nicht im unklaren. Er hofft nicht mehr auf einen Freispruch. Aber er ist überzeugt, dass eine größere Rettung ihm bevorsteht, die herrlicher ist als die Bewahrung vor der Hinrichtung. Gott wird ihn befreien und erlösen „von jeder bösen Tat“, vor allem Übel, und ihn aus aller Erdennot hinüberretten in sein himmlisches Reich. So wird sein Martertod ihm die Tür öffnen zum Gottesreich, und sein sehnlicher Wunsch geht dann in Erfüllung, den er der Gemeinde von Philippi einst geschrieben hatte: „Mein Wunsch steht darauf, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein; denn das ist bei weitem das bessere“ (Phil 1,23). Erfüllt von tiefem Glauben und dem Bewusstsein seiner engen Verbindung mit seinem erhöhten Herrn Jesus Christus, ist ihm der Tod nur Übergang zur ewigen Freude, Eingang in die Herrlichkeit beim Vater (83).

Der Tod ist Durchgang, Heimkehr zum Herrn (75).


(2) Der gute Kampf des Glaubens

A. Schlatter

Paulus Anweisungen an die Gemeinde

Paulus Äußerungen in den Briefen an Timotheus und Titus zeigen, dass er auf die Haltung der von ihm gesammelten Gemeinden mit Sorge sah, und dies deshalb, weil ihnen die Zusammenfassung seines ganzen religiösen Wollens in den auf Christus gerichteten Glauben fremd blieb und zum Aufbau der Kirche unbrauchbar schien. Für Paulus war die Befriedigung im Erreichten unmöglich, weil er der Glaubende war und deshalb das suchte, was der Christus ist und wirkt, dessen Werk in den gegenwärtigen Zuständen der Kirche sein Ziel noch nicht erreicht hat. Bis er seine Arbeit vollständig getan hat, nimmt er die Haltung des Wettläufers an, den der Blick auf das Kleinod zur Anspannung aller seiner Kräfte treibt. Diesen vorwärtsstrebenden Willen hat die neben ihm stehende Christenheit nicht; denn das über allem Irdischen stehende Ziel, nach dem Paulus strebt, lockt sie nicht (405).

In den Briefen an Timotheus und Titus wird die Vereinsamung, in die Paulus die ihn völlig beherrschende Kraft seines Glaubens gebracht hat, sichtbar. Das Glauben ist in diesen Briefen der den gesamten Christenstand und alle seine Ergebnisse tragende Vorgang. “Ich habe das Glauben bewahrt” (2Tim 4,7); so formuliert Paulus den Ertrag seiner gesamten Apostelarbeit für sich selbst. Darin, dass er am Schluss seines Lebens zu glauben vermag, erweist sich, dass er den Kampf gekämpft, den Lauf vollendet hat. Damit ist ihm der “Kranz der Gerechtigkeit” gesichert (2Tim 4,8). Christus berief ihn aus seiner Versündigung heraus ins Apostelamt und verlieh ihm dadurch das Glauben und Lieben (1Tim 1,12ff). An seiner Lebensgeschichte sieht die Gemeinde die ganze Geduld Jesu, mit der er die Glaubenden zum ewigen Leben führt (1Tim 1,16). Sein Anteil am göttlichen Heilswerk beruht darauf, dass er Lehrer der Völker “im Glauben und in der Wahrheit” ist (1Tim 2,7) (406).

Weil Timotheus und Titus seine “Söhne durch den Glauben” sind, haben sie an seinem Apostelwerk teil (1Tim 1,2; Tit 1,4). Der Beruf des Timotheus lässt sich in das eine Wort zusammenfassen, dass er “den edlen Kampf des Glaubens zu kämpfen” habe (1Tim 6,12). Indem er der Gemeinde sichtbar macht, was Glaube ist und wie ein Glaubender handelt, hat er seinen Beruf in ihrer Mitte erfüllt und für sich selbst das ewige Leben gewonnen, genauso wie Paulus dadurch sein Leben zu seinem heilsamen Ziel gebracht hat, dass er “das Glauben bewahrte”.

Darum wird auch für die übrigen an der Leitung der Gemeinde beteiligten Männer einzig das Glauben als derjenige religiöse Besitz genannt, der sie zu ihrer Wirksamkeit befähigt. Wichtig allein ist, dass sie “das Geheimnis des Glaubens mit reinem Gewissen bewahren” (1Tim 3,9). Alle christliche Arbeit, die in der Gemeinde zu geschehen hat, fasst sich in dem Begriff “Haushalteramt für Gott” zusammen und hat den heilsamen Gebrauch der der Gemeinde verliehenen Gaben zum Zweck. Im Glauben hat aller Gemeindedienst seinen Grund (1Tim 1,4) (407).

Der Neigung, den Wert des Evangeliums in religiöser Erkenntnis und theologischen Spekulationen zu suchen wird entgegengehalten, dass sie das Glauben zerstöre (1Tim 1,19; 6,21; 2Tim 3,8). Den Gegnern wird vorgehalten, ihnen fehle jene Ergriffenheit durch den Christus, die sie Gottes und seiner Gnade gewiss machte und sie in die Verbundenheit mit ihm versetzte. Ihnen fehle nicht nur die “Wahrheit”, sondern auch die Glaubenswilligkeit und Glaubenskraft. Paulus betont, dass das vom Glauben abgeschiedene Denken zum Unverstand entartet, ins leere Gerede zerfließt und der “Mythenbildung” erliegt (1Tim 1,4.7; 4,7; 6,4.20; 2Tim 2,16; 3,7ff; Tit 3,9). Glauben und Denken sind zu einträchtigem Verband nebeneinandergestellt, sie sollen durch wechselseitige Unter- und Überordnung einander dienen. So wenig im Römerbrief aus der Abwehr des Gesetzes eine Verherrlichung der Gesetzlosigkeit ward, so wenig entsteht hier aus der Abwehr der Gnosis eine Verherrlichung der Ignoranz. Das religiöse Geschwätz zerstört mit dem Glauben auch die Fähigkeit und Willigkeit zum guten Werk und gibt das gute Gewissen preis (1Tim 1,6.19; 6,5; Tit 3,11) (409f).

Der Gemeinde werden nachdrücklich die natürlichen Lebensbeziehungen als das Gebiet angewiesen, in dem sie sich zu betätigen hat (1Tim 3). Diese Leistungen haben den Wert einer absolut gültigen Pflicht und sind daher die Bedingung und das Mittel zum Empfang des Heils. Dem, der für die Seinen nicht sorgt, wird gesagt, er habe das Glauben abgeleugnet und sei schlimmer als ein Heide (1Tim 5,8). Die natürlichen Beziehungen sind der Ort, an dem die Liebe der Glaubenden ihre reine, wohltätige Arbeit tut. Die natürlichen Aufgaben sind in der vollen Würde und Wichtigkeit eines von Gott uns gegebenen Berufs auszuführen. Diesen natürlichen Beziehungen wird die christliche Gemeinschaft mit den für sie nötigen dienstlichen Verrichtungen hinzugefügt als der Bereich, in dem das dem Herrn wohlgefällige und bei ihm Lohn findende Werk zu geschehen hat. Wer seinen Dienst in der Gemeinde wohl versieht, erwirbt sich hohe Anerkennung und einen offenen Zugang im Glauben an Jesus Christus (1Tim 3,13) wie der, der seinen Reichtum richtig gebraucht, sich einen guten Grund für die Zukunft erwirbt (1Tim 6,19). Die Anweisung über die Amtsführung ist nicht abgesondert neben die Heilsfrage gestellt, sondern schließt diese mit ein, so dass die Fürsorge für die Gemeindearbeit mit derjenigen für den eigenen Heils- und Glaubensstand zusammenfällt. Durch ein und dasselbe Verhalten erreicht Timotheus beides, dass er sich selbst und dass er die, die ihn hören, errettet (1Tim 4,16) (410-413).

Mit dem Nachweis, dass die Erfüllung der ‘Berufspflicht’ ein unentbehrliches Glied des Christenstandes sei, verbindet sich die nachdrückliche Erklärung, dass unsere Werke niemals den die göttliche Gnade bestimmenden Grund bilden, wohl aber das Ziel, zu dem sie führt (2Tim 1,9; Tit 3,5). Das Glauben wird als das erste Glied in die Kette der guten, von Gott uns verliehenen Tätigkeiten eingereiht. “Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Lieben, Standhaftigkeit, Sanftmut” werden nebeneinander gestellt (1Tim 6,11) und namentlich das Lieben nachdrücklich dem Glauben beigesellt, weil erst durch das Zusammenbestehen beider Bewegungen des Willens die göttliche Gabe und das Ziel des Evangeliums vollständig beschrieben ist (1Tim 1,14; 2Tim 1,13). Die Mahnung: “habe Glauben” erweitert sich: “und ein gutes Gewissen”, weil nur so das Glauben in uns bleibt (1Tim 1,19). Es wird als Gottes Gabe in den sündigen Menschen hineingelegt (1Tim 1,14) und weil es ursächlich durch Christus bedingt ist, nur im Lebensverband mit ihm erhalten. Mit dem Glauben muss sich das reine Herz und gute Gewissen verbinden, damit die Liebe in uns entsteht und das göttliche Gebot durch uns geschehen kann (1Tim 1,5). Auch Paulus und seine Mitarbeiter erhalten sich ihren Glaubensstand nur durch die reine, treue Ausführung ihres Werkes. Ihr Glaube ist das Gut, um dessen Gewinn sie ringen, das Ziel, auf das sie immer von neuem ihr gesammeltes Streben wenden. Ohne Rücksicht auf “das, was dahinten liegt” (die größten Erfolge der Heidenmission) wird Timotheus und Titus die neue Aufgabe mit dem tiefen Ernst einer Lebensfrage an sie herangebracht, deren Lösung ihnen mit der bewährten Treue gleichzeitig den Fortbestand ihres Glaubens bringen wird. Paulus hat stets in der hingebenden, aufopfernden Durchführung seiner Apostelarbeit die Bedingung gesehen, an der für ihn der Anteil am Evangelium und am Reich des Christus hing (1Kor 9,23f) (413-416).

Die Pastoralbriefe beweisen, indem sie das Verhältnis neuer Theorien und Religiositäten zum Glauben als den über ihre Kirchlichkeit entscheidenden Maßstab benutzen, dass Paulus der Gemeinde ihr Fundament im Glauben gab. Wohl äußert sich sowohl in dieser Betonung des Glaubens, als in der ernsten Verweisung auf das Werk die Überzeugung, die Werdezeit der Gemeinde sei abgeschlossen. Es sei jetzt die Aufgabe der Christenheit, das durch die Geschichte und Lehre der früheren Jahre Erworbene zu bewahren und bei sich fruchtbar zu machen, so dass das Glauben auf den Christus gestellt und in ihm begründet bleibt (Schl. 417f).