C. Der Tod Jesu nach Lukas

 

1. Nach Lukas geschieht die Vergebung auf der Grundlage der Vollmacht und Fürbitte Jesu, nicht seines Todes

 




2. Die menschlich-exemplarische und göttlich-heilstiftende Bedeutung des Todes Jesu

3. Menschwerdung und Leben Jesu als rettende Sendung

 

1. Nach Lukas geschieht die Vergebung auf der Grundlage der Vollmacht und Fürbitte Jesu, nicht seines Todes

Das Heil beginnt damit, dass "der Retter geboren ist" (Lk 2,11)
Vermeidung der Vorstellung vom Sühnetod (Lk-Ev, Apg)


 

(1) Kreuz und Auferstehung in der lukanischen Tradition
(2) Das lukanische 'Weg-Schema'
(3) Christos Archegos und Soter
(4) Das Verständnis von Rettung und Heil im Lukas-Evangelium und in der Apostelgeschichte
(5) Aussagen über Jesu Tod und Auferstehung in der Apostelgeschichte

 

(1) Kreuz und Auferstehung Jesu in der lukanischen Tradition

 

W. Grundmann

Obwohl Lukas aus der Tradition für Jesus den Titel 'Knecht Gottes' kennt, stehen für ihn die Gottesknechtsschau prägenden Gedanken der Stellvertretung nicht im Vordergrund. Auch der dem Kultus entspringende Gedanke des Opfers bestimmt nicht die lukanische Schau des Todes Jesu. Tod und Auferstehung Jesu sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt des äonenwendenden eschatologischen Ereignisses gesehen, wie das bei Paulus geschieht, so gewiss Kreuz und Auferstehung für ihn die Großtaten Gottes darstellen (454).

Die Großtat Gottes, die in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi geschieht, besteht darin, dass sein Weg durch das Leiden und Sterben zur Herrlichkeit, durch Erniedrigung zur Erhöhung führt. Das wird aus der Gestaltung der Leidensweissagungen ebenso deutlich wie aus dem Osterbericht (Lk 9,22-27.30f.43b-45; 12,49f; 13,31-33; 17,24f; 18,31-34; 24,6f.26.46). Diesen Weg geht er als erster. Es ist bezeichnend, dass Lk in Apg 2,25-31 den dort zitierten Ps 16 als Weissagung bezeichnet und betont, dass er an David nicht zu seiner Erfüllung gekommen ist, sondern auf Jesus bezogen werden muss. Der Weg durch Leiden und Sterben zur Herrlichkeit bei Gott ist der Weg des Messias, der durch Gottes Geist zu seinem Amt ausgerüstet und als Sohn von ihm angenommen ist, d.h., dieser Weg ist der Weg dessen, dem sich Gott zu besonderer Gemeinschaft verbunden hat. Auf diesem Weg folgen ihm seine Nachfolger (9,23-27). Stephanus wird in seinem Sterben Jesus gleich (Apg 7,55ff). 'Paulus' spricht (Apg 14,22): „Wir müssen durch viel Bedrängnisse in das Reich Gottes hineingehen“. Dem Passionsbericht Jesu im Evangelium entspricht der Passionsbericht des 'Paulus' in der Apg. Darum kann Jesus von Lk mit dem im NT seltenen Titel 'Anfänger des Lebens' belegt werden, der zugleich 'Anführer in das Leben' ist und darum 'Retter' (Soter) ist (Apg3,15; 4,12; 5,31; Lk 2,11). Retter ist er, indem er Vergebung der Sünden spendet (455).

Der Tod Jesu ist Durchgang zur Herrlichkeit, aber nicht Sühnetod für die Sünde der Menschheit. Die Vergebung wird mit seinem Kommen gespendet. Darum stellt Lk in besonders starker Weise Jesus im Umgang mit Sündern dar. Sein Tod deckt die Sünde auf (das scheint zu Gottes Ratschluss und Vorsehen zu gehören Apg 2,23) insbesondere die Sünde Israels, die sich im Verstoßen des verheißenen Messias vollendet. Daher werden bei Lk die Passion Jesu und das Schicksal Jerusalems so eng gekoppelt. Jesus geht in seinen Tod als der, der für seine Feinde betet (23,34), wie er auch für seine Jünger in ihrem Unverständnis und dem daraus resultierenden Versagen gebetet hat (Lk 22,31f). Darum bietet Petrus (der die Vergebung erfahren und auf den Weg Jesu zurückgebracht worden ist 22,61f; 24,34) den Männern von Israel, als er ihnen die Erhöhung dessen, den sie gekreuzigt haben, zum Messias und Herrn proklamiert, die Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden an (Apg 2,36-38) und bestätigt die Gültigkeit der Verheißung für sie (Apg 2,39), als sie betroffen von der Messiasverfehlung, die ihre Schuld ist (Apg 2,37), fragen, was sie nun in dieser Lage tun sollen. Erst das Beharren der Mehrzahl Israels in der Abweisung Jesu bringt für Jerusalem das Gericht. Die Vergebung geschieht auf der Grundlage der Vollmacht und Fürbitte Jesu, nicht seines Todes (455).

Der entscheidende Grund für Gottes vorbedachten Rat und Vorsehen (aus dem heraus Jesu Preisgabe in Menschenhände erfolgt) besteht darin, dass auf diesem dunklen Hintergrund Gottes Großtat geschieht, die das Vornehmen der Menschen beantwortet, indem sie die Fesseln des Todes sprengt. In diesem Zusammenhang wird gesagt: „Es war unmöglich, dass Jesus vom Tod festgehalten werden konnte“ (Apg 2,24). Dieses 'Unmöglich' wird durch den Hinweis auf Ps 16 begründet. Die Aussage dieses Psalms, der als Verheißung bezeichnet wird, die auf Jesus deutet, hat darum für das Verständnis des Lk entscheidende Bedeutung (455f).

Für den Sänger des Psalms 16 ist das Glück die Gottesgemeinschaft, die sein Leben bestimmt, Ausgangspunkt seines Betens: Gott ist aus seinem Leben nicht wegzudenken. Ihm bekennt er seine Treue, weil er bei ihm Zuflucht gefunden hat. Was er zum Leben und im Leben empfängt, wird ihm zum Beweis der Güte und Huld seines Gottes. Er lässt Gott nicht aus seinen Augen und empfängt dadurch für sein Leben Festigkeit. Auf der Grundlage der 'Lebensgemeinschaft' mit Gott kommt er zu der Überzeugung, dass diese durch den Tod nicht mehr aufgehoben werden kann. Die Lebensgemeinschaft mit Gott begründet die Ewigkeit des Lebens in dieser Gemeinschaft und schafft die Überzeugung, dass für die Lebensmacht Gottes Tod und Unterwelt kein unüberschreitbares Hindernis sind, woran jene Lebensgemeinschaft zerbrechen müsste. Was hier ausgesagt wird, ist der Durchbruch der Einsicht, dass Gott den nicht im Tod lässt, den er sich erwählt und verbindet (456).

Die Aussage von Ps 16 sieht Lk in Jesus erfüllt. Jesus ist der, den Gott sich zum Sohn erwählt und mit seinem Geist begabt und aus ihm gebildet hat. Darum kann er nicht im Tod bleiben. Wenn dieser Jesus „der Anführer in das Leben“ ist, so bedeutet das, dass denen, die sich ihm verbinden, aus der Gemeinschaft mit ihm widerfährt, was ihm auf der Grundlage seiner Lebensgemeinschaft mit Gott widerfahren ist. Er nimmt die Seinen in seine Gemeinschaft mit Gott hinein (Lk 11,1ff), stellt sie in seine Nachfolge und gibt ihnen den Geist, den er vom Vater empfangen hat (Apg 2,33). Er hat als der durch den Tod Gegangene den Namen empfangen, dessen Anrufung den, der ihn anruft, zu retten vermag. Scheitert der Versuch der Juden, Jesus durch Tötung zu beseitigen, an seiner Auferweckung durch Gott, so scheitert der Versuch, die Proklamation seines rettenden Namens durch Totschweigen dieses Namens zu verhindern (Apg 3,6,16; 4,7.19.12.17f.30) an der Gabe des Heiligen Geistes, die den Zeugen das nicht mehr totzuschweigende Wort und diesem Wort Vollmacht und denen, die es ausrichten, Schutz gibt und sich als Kraft erweist. Ruft Ostern den Getöteten ins Leben mit Gott, so überwindet Pfingsten, dass der rettende Name, den er empfangen hat, totgeschwiegen wird, indem den Zeugen der 'Freimut' geschenkt wird (Apg 4,29.31) (456f).

 

(2) Das lukanische 'Weg-Schema'

 

R. Schnackenburg

Der Tod Jesu hat bei Lukas (Lk) keine Heilsbedeutung, wenn man paulinische (pln) Maßstäbe anlegt. Die Formel „zur Vergebung eurer Sünden“ (Apg 2,38) ist mit der Taufe auf den Namen Jesu Christi verbunden. Man empfängt die Vergebung der Sünden durch Jesus (10,43), durch Christus nach seiner Auferweckung (13,38), als Frucht der Umkehr (5,31; 26,18). Eine Beziehung zum Tod Jesu als Ursprung und Quelle der Erlösung wird nicht hergestellt. Auch Apg 20,28 erweist sich als unbrauchbar für den Sühnegedanken. Die einzige Stelle, die von der Heilsbedeutung des Todes Jesu innerhalb des lkn Doppelwerks spricht, ist die eucharistische Stiftung (Lk 22,19f). Hier nimmt Lk eine Tradition auf, aber maßgeblich für seine Theologie ist dieser Gedanke nicht geworden. Lk hat die entscheidende pln Aussage des Todes Jesu als des Christus 'für uns' in seiner theologischen Konzeption bewusst übergangen (214f).

Der archegos (Anführer) ist christologischer Titel für die rettende Funktion Christi (Apg 3,15; 5,31). In Apg 3,15 wird Jesus seinen jüdischen Hörern als messianischer Anführer vorgestellt; mit seiner Auferstehung ist die messianische Heilszeit angebrochen. Er führt die ihm Nachfolgenden in das Verheißungsland des 'Lebens' hinein. Jesus erlangt eine einmalige und endgültige Heilsbedeutung, weil er, alle Propheten und früheren Führer Israels übertreffend, in das eschatologische Leben der 'Auferstehung' vorangegangen ist und dahin zu führen vermag. In Apg 5,31 wird der von Gott Erhöhte außerdem noch der Retter (soter) genannt, der Israel „Umkehr und Vergebung der Sünden“ geben soll. Die Sündenvergebung ist die Konsequenz der Metanoia zu Jesus. So erhält auch die Sündenvergebung ihren 'Ort' im Wirken des erhöhten Christus. Diese Sicht auf Jesus, den Anführer zum Leben und endgültigen Retter, in dessen Person allein das Heil begründet ist (Apg 4,12), erklärt sich aus der heilsgeschichtlich orientierten Theologie des Lk. Das Kommen Jesu ist der Beginn der erwarteten Heilszeit, die Erfüllung aller darauf bezüglichen Prophetie des AT. Diese Zeit gliedert sich in die Zeit Jesu, des messianischen Geistträgers und die Zeit der Kirche, in der die an Jesus Glaubenden mit dem Heiligen Geist getauft und neue Gläubige durch die Mission gewonnen werden. Jesus selbst geht seinen Weg von Galiläa nach Jerusalem, wo sich für ihn „die Tage seiner Hinaufnahme“ erfüllen und wird dann zum Anführer der ihm Nachfolgenden, die auf Erden noch durch viele Drangsale schreiten müssen (Apg 14,22), bis die „Zeiten der Erquickung“ und der „Wiederherstellung aller Dinge“ kommen (Apg 3,20f) bzw. mit der Parusie Christi die Erlösung vollendet wird (Lk 21,28). Es ist eine Theologie der voranschreitenden Entfaltung und Verwirklichung des göttlichen Heilsplans, eine Theologie des 'Weges'. In ihr hat auch der Tod Jesu seine Bedeutung: „Musste nicht der Messias all das erleiden und so in seine Herrlichkeit eintreten“ (Lk 24,26) (215f)?

In der lkn Konzeption ist der Tod Jesu nicht die Quelle, aus der alles Heil für die anderen fließt, sonder eine notwendige Station auf seinem Weg zum Heilsführer für diejenigen, die ihm auf dem gleichen Weg folgen, allein durch ihn dazu befähigt und allein durch ihn und seinen Geist vorangeführt. Die Vergebung der Sünden ist nicht anders als vom erhöhten Christus, der das aufgrund seines freiwillig übernommenen Todes geworden ist, zu erlangen (216f).

Aspekte der lkn Konzeption:

- Die über den Tod Jesu ausgreifende Beachtung des gesamten Weges Jesu, die sein irdisches Heilswirken einbezieht z.B. „wie er umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm“ (Apg 10,38). Die 'Pro-Existenz' Jesu findet schon in seinem Leben zu allen Menschen, besonders zu den Kranken und Bedrückten, den Armen und Missachteten, Ausdruck. Gottes Erbarmen wird in Jesu Erbarmen mit den Sündern anschaulich (217f).

- Der geschichtliche Prozess, wie Gottes Heil in und seit Jesus zu den Menschen kommt, sich in die menschliche Geschichte einstiftet und trotz der Macht des Bösen in sie eindringt und in ihr vordringt.

- Die Verlorenheit und Verlassenheit des Menschen in der Welt, aus der ihm Jesus einen Ausweg zeigt. Jesus ist der einmalige und exemplarische Mensch, lebendige Gegenwart, gegenwärtig Helfender und Heilender. In seiner Person wird Gottes Gegenwart in unserer Welt gewiss, wird Gott als der Liebende und Erbarmende, aber auch als der Liebe und Erbarmen Fordernde erfahrbar.

- Die Kirche als Gemeinschaft der Jesus Nachfolgenden: In der Gemeinde der gemeinsam auf dem Weg zum endgültigen Heil Voranschreitenden geschieht Vergebung der Sünden, herrscht Freude und Trost des Heiligen Geistes, bemüht man sich um brüderliche Liebe, die der „Anführer zum Leben“ vorgelebt und in Leiden und Tod durchgehalten hat.

Die lkn Konzeption ist als apostolisches Kerygma in den Kanon der ntl Schriften eingegangen (218f).

 

(3) Christos Archegos und Soter, Führer und Retter (Apg 5,31)

 

P.-G. Müller: 5,30: „Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr an das Holz gehängt und getötet habt“. 5,31: „Diesen hat Gott erhöht zu seiner Rechten als Führer und Retter“. Durch die Auferweckung und Erhöhung erhält Jesus die Investitur als Führer und Retter Israels. Weil Jesus der Retter Israels wurde, indem er am Kreuz starb, konnte Gott ihn in der Erhöhung als 'Führer' Israels einsetzen. Jesus ist Führer qua Retter. Archegos wird durch die Aussage bestimmt, dass die Führungsfunktion des Auferweckten Resultat seiner Rettungstat an Israel (und der Völkerwelt) ist. Objekt des Auferweckungs- und Erhöhungshandelns Gottes ist der irdische, von den Juden getötete Jesus. Als erhöhter Christus sitzt er zur Rechten Gottes (272f).

Durch die Verkündigung in der Missionspredigt wird Jesus ein zweites Mal Israel (und der gesamten Völkerwelt) als Messias angeboten, nachdem die Juden den Messias getötet hatten und damit der Welt ihren Führer und Retter vorläufig genommen hatten. Die Metanoia Israels hat konkret in der Umkehr und im Glauben an den auferweckten Jesus zu bestehen. Israel soll sich zu dem bekennen, den Gottes Heilswillen trotz des Tötungswillens der Juden nun zum Führer Israels erhöht hat. Es ist gerade diese Sünde Israels, den Messias Jesus getötet zu haben, die durch eine echte Umkehr zu diesem Messias Jesus hin vergeben wird. Die Retter-Funktion Jesu lädt dazu ein, ihn auch als Führer Israels anzuerkennen (274f).

Gott macht durch den auferweckten Jesus das Angebot an Israel, einem neuen Führer zu folgen, sich zu dem Auferstandenen als seinem Retter zu bekennen, um durch diese Hinwendung zu Jesus die von Gott geforderte Metanoia zu vollziehen. Die Sündenvergebung ist die Konsequenz der Metanoia zu Jesus. Der Auferstandene ist der von Gott gesandte Führer Israels, der sogar die Sünden vergeben kann, was bisher von keinem der Führer Israels ausgesagt werden konnte. Der 'Führer Jesus' ist ein erstmaliges Verkündigungsangebot an Israel, das alle bisherige Führererfahrung des auserwählten Volkes übertrifft, weil der Geber der Metanoia und der Sündenvergebung der Messias ist (275f).

Nach Apg 3,15 wurde mehr die Funktion des Auferstandenen als Führer ins Leben betont, nach Apg 5,31 wird die Erhöhung Jesu als Führer zur Metanoia und Sündenvergebung verkündet. An beiden Stellen ist im Kontext des Terms von der Metanoia Israels die Rede. Daraus spricht eine unlösliche Assoziation einerseits mit der Passio und Auferstehung Jesu, anderseits mit der eschatologischen Hoffnung Israels auf Sündenvergebung (276f).

Anstelle des Gesetzes als Führungsinstanz wird der auferstandene Christus als Führer zu Umkehr und Heil verkündet. Das vom Sinai her geltende Gesetz verliert sein Führungsmonopol zugunsten des von Gott gesandten Sohnes. Christus ist jetzt der endgültige eschatologische Heilsführer und Retter sowohl der Juden wie der Heiden. Der Nomos wird in seiner Qualität als gottgesetztes Führungsmedium durch die lebendige Führungsfunktion des auferstandenen und erhöhten Christus abgelöst (277f).

Der erhöhte Auferstandene ist für Lk personidentisch mit dem getöteten irdischen Jesus. Die Funktion der Führung ins Leben zur Umkehr und zur Sündenvergebung gründet für Lk im Lebenseinsatz des von den Juden getöteten Jesus. Durch die sprachliche Bezugnahme zwischen Passionserinnerung und eschatologisch-messianischer Titulatur verklammert Lk die Christusprädikation 'Archegos' als nachösterliches Interpretament mit dem vorösterlichen Jesusschicksal (278).

 

(4) Das Verständnis von Rettung und Heil im Lk-Ev und in der Apg

 

A. Weiser

Die beiden Stellen Lk 22,19f und Apg 20,28 sind die einzigen im gesamten Doppelwerk, die dem Sterben Jesu einen heilswirksamen Sinn beimessen. Lukas und seiner Gemeinde war die Heilsbedeutsamkeit des Todes Jesu bekannt. Um so erstaunlicher ist es, dass Lukas dieses Verständnis für die Heilsbegründung und Heilsverkündigung nie verwertet hat. Er hat sie bewusst vermieden und zugunsten einer anderen Konzeption umgangen (145).

Vermeidung der Vorstellung vom Sühnetod

Trotz des deutlichen Sprechens vom Sterben Jesu am Kreuz sagt Lukas an keiner Stelle, dass es ein Sterben zugunsten anderer oder stellvertretend für andere war. Lukas spricht weder in den Leidensankündigungen davon, noch in der Passionserzählung, noch in den Reden der Apg, obwohl in ihnen die Hinrichtung Jesu jedesmal ausdrücklich erwähnt wird. Die aus dem Mk-Ev aufgenommene Sprechweise, dass Jesus gemäß des göttlichen Heilsplans leiden und sterben 'muss', hat Lukas noch verstärkt, indem er zu den vorgegebenen Stellen noch weitere selbständig hinzufügte (Lk 24,26; Apg 17,3). Aber an keiner von ihnen formuliert er den Heilssinn. Selbst dort, wo Lukas den Text von der stellvertretenden Sühne des sterbenden Gottesknechtes aus Jes 53 zitiert, lässt er den Sühnegedanken konsequent fort (Lk 22,37; Apg 8,32f). Lukas hebt immer wieder hervor, dass sich schon der irdische Jesus ganz besonders der Sünder angenommen und ihnen Gottes Vergebung geschenkt hat (Lk 5,32; 7,47-49; 15; 19,8-10; 23,41-43). Mit dem Auferstandenen sagt er, dass “in seinem Namen allen Völkern... die Bekehrung und die Vergebung der Sünden verkündigt“ werde (Lk 24,47). Mit keinem Wort werden Bekehrung und Sündenvergebung an das Sterben Jesu gebunden, obwohl es in ein und demselben Satz genannt wird. Die Apg schildert, wie die Sündenvergebung im Glauben an den Namen Jesu und im Empfang der Taufe geschieht (Apg 2,38; 10,43; 13,38; 26,18), ohne dass hier ein Bezug zum Sterben Jesu “für unsere Sünden“ hergestellt wird (145).

Zu den genannten Beobachtungen passt auch, dass Lukas das Wort, er sei gekommen zu dienen und sein “Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen“ aus der Mk-Vorlage weglässt und durch eine Überlieferungsvariante ersetzt. In ihr spricht Jesus nach dem Abendmahl nur: “Ich bin unter euch wie der Dienende (Mk10,45; Lk22,27). Auch ist es verständlich und konsequent, dass der Einwand des Petrus gegen das Leiden des Menschensohnes und die scharf zurechtweisende Antwort Jesu darauf bei Lukas nicht mehr zu hören sind (Mk 8,32f; Lk 9,22). Nach Lukas würde sich das mit der Gottgewolltheit des Leidens Jesu nicht vertragen.

Die Verwendung der Präposition 'für', die sonst im NT vorzugsweise den Gedanken der Stellvertretung und des Zugunsten-Für des Sterbens Jesu ausdrückt, bezieht Lukas auf Christen, die “für den Namen Jesu Schmach erleiden“ oder ihr Leben einsetzen (Apg 5,41; 15,25) (145f).

Leben und Weg Jesu als Heilsgeschehen

Nach Lukas ist Jesu gesamtes Wirken ein Dienst (22,27), bei dem es darum geht, “das Verlorene zu suchen und zu retten“ (19,10). Das Heil beginnt schon damit, dass “der Retter geboren ist“ (Lk 2,11). Es gründet schon in der Geburt Jesu. Die Zuwendung Gottes, wie sie im gesamten Leben und Wirken Jesu erfahrbar wurde, gilt für Lukas als Heilsgeschehen (146).

Den Tod Jesu deutet Lukas als Geschick des endzeitlichen Propheten (Lk 13,33) und als das unschuldige Leiden des Gerechten. Lukas versteht das Rettungs-, Erlösungs- und Heilsgeschehen so, dass Jesus als der gehorsame Sohn Gottes, als Prophet und Messias im Einsatz für die Armen, Kranken und Sünder den Weg des unschuldig leidenden Gerechten durch Leiden und Tod in die Herrlichkeit Gottes gegangen ist. Für Lukas sind Leiden und Tod Jesu eine zu durchschreitende Phase auf dem Weg zur Verherrlichung (Lk 24,26). Äußerlich ist der Weg veranlasst durch die religiösen Führer Israels, die die Aussagen der Schrift nicht verstanden haben (Apg 3,17; 13,27). Gott aber hat auf diesem Weg Heil gewirkt, indem er Jesus von den Toten auferweckt, zu seiner Rechten erhöht und zum “Anführer des Lebens“ (3,15; 5,31) gemacht hat (146f).

Anteil an dem von Jesus ermöglichten Heil gewinnen Menschen, indem sie sich glaubend dieser Botschaft öffnen und sich entschließen, Jesus im eigenen Leben nachzufolgen.

Der Weg Jesu wird zum Heilsweg für einen jeden, der “täglich sein Kreuz auf sich nimmt und [Jesus] nachfolgt“ (Lk 9,23). Lukas hat den Zusatz 'täglich' in das von Markus überlieferte Jesuswort eingefügt und damit deutlich gemacht, dass unser ganz alltägliches Leben mit all seinen Belastungen der Weg zum Heil ist: “Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes eingehen“ (Apg 14,22). Dieser Weg zum Heil ist möglich geworden, weil Jesus als “Anführer zum Leben“ ihn vorausgegangen ist und ihn jetzt mitgeht (147).

Bereits der Neugeborene (Jesus) ist das Heil Gottes (Lk 2,30: soterion). Von Anfang an ist Jesus kraft des Heiligen Geistes der eschatologische universale Heilsmittler (Lk 2,11.31). Der Lobpreis des Simeon umfasst die in den lkn Gemeinden vorhandene und in der Apg erzählte Heilserfahrung, von dem in Jesus erschienenen “Heil für alle Völker (Lk 2,32). “Alle Menschen werden das Heil Gottes schauen“ (Lk 3,6) (124f).

Ich (Jesus) muss auch den anderen Städten das Reich Gottes verkündigen, denn dazu bin ich gesandt“ (Lk 4,43). Die vorher hervorgehobene Heilsverkündigung an Arme, Gefangene und Kranke wird hier als Verkündigung des Reiches Gottes bezeichnet. Der Leitbegriff 'Reich Gottes' durchzieht das ganze Doppelwerk. Zeugnisinhalt der Apg ist das Reich Gottes (Apg 1,3; 8,12; 19,8; 20,25; 28,23.31) und das Christuskerygma (Apg 2,22-24; 8,12; 9,20-22; 10,37-42; 13,26-37; 17,31;28,31) (127).

Der Weg Jesu gilt zugleich als Weg der Jünger (Lk 9,52.56f; 10,4.38; 18,31-34) und der Jüngerunterweisung. Jüngerschaft zeigt sich dabei als Weg mit Jesus und als Nachfolge Jesu (129).

 

(5) Aussagen über Jesu Tod und Auferstehung in der Apg

 

M. Rese

- Das Leiden des Christus – ein lkn Summarium

In Apg 3,19; 17,3; 26,23 gilt Jesu Tod als das von Gott vorherbestimmte Leiden des Christus. Die Frage ist, ob damit das Leiden und Sterben Jesu zusammengefasst und unter die Signatur ‚Leiden’ gestellt wird oder ob es einfach ‚Sterben’ heißt.

Ähnliche Formulierungen im Lk-Ev sind Lk 24,26.46 und 22,15, Aussagen, die nur Lukas hat. In Lk 24,26.46 belehrt der auferstandene Jesus erst die zwei Emmausjünger, dann alle Jünger aus der Schrift über das Leiden des Christus und seine Auferstehung. In Lk 22,15 spricht Jesus von seinem Wunsch, vor seinem Leiden das Passa mit seinen Aposteln zu feiern. In Lk 24,7 wird nur bei Lukas in der Geschichte vom leeren Grab (Lk 24,1-12) die mehrgliedrige Leidensansage wiederholt: „Der Menschensohn muss in die Hände von sündigen Menschen ausgeliefert werden, gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen“. Wer diese sündigen Menschen sind zeigt Lk 24,20: Es sind die Hohenpriester und Oberen des Volkes, die Jesus dem Todesurteil übergaben und ihn kreuzigten. In Lk 24,26 heißt es dann nicht umsonst: „Musste nicht der Christus diese Dinge erleiden?“ (341f).

Zu ‚Leiden’ gehört bei Lukas nicht nur das Sterben Jesu am Kreuz, sondern auch das, was zwischen Passamahl und Kreuzigung Jesu geschieht. Für diese Deutung von ‚Leiden’ spricht auch: Lukas hat die zweite mkn Leidensaussage (Mk 9,31) in Lk 9,44 verkürzt zu: „Der Menschensohn muss in die Hände der Menschen ausgeliefert werden“. Außerdem steht nur bei Lukas der Leidenshinweis in Lk 17,25: „Der Menschensohn muss viel leiden und von diesem Geschlecht verworfen werden“. Innerhalb des lkn Doppelwerkes fasst ‚Leiden’ Jesu Leiden und Sterben zusammen (342).

Im Lk-Ev ist aus dem mkn Messiasgeheimnis ein Leidensgeheimnis des Messias geworden. Die Umwandlung eines Messiasgeheimnisses in ein Leidensgeheimnis ist Ursache genug, möglichst oft auf das Leiden des Messias hinzuweisen. Die Formulierung ‚Leiden des Christus’ ist Lukas eigenes Summarium des Leidens und Sterbens Jesu. Die entsprechenden zweigliedrigen Aussagen sind auf Lukas selbst zurückzuführen. Vorgegeben waren ihm die mkn Leidensansagen. Sie sind der traditionsgeschichtliche Ursprung des späteren absoluten Gebrauchs von ‚Leiden’ (343).

- „Ihr habt ihn getötet – Gott aber hat ihn auferweckt“

Übereinstimmend wird in Apg 2,23f; 3,13-15; 4,10; 5,30-32; 10,39-41; 13,27-31 der Tod Jesu als Tat der Einwohner Jerusalems und ihrer Anführer beschrieben, die Auferweckung als Tat Gottes. Jesu Tod wird nicht als Sühnopfer oder Stellvertretung gedeutet (344).

In den Reden der Apg hat Jesu Tod im Gegensatz zu 1Kor 15,3-5 keine sühnende Bedeutung. Lukas vermeidet bewusst Aussagen über die Sühnebedeutung des Todes Jesu. Es fehlt bei ihm eine Entsprechung zu Mk 10,45b „sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“. Zwar wird in Lk 22,37 und Apg 8,32f im Blick auf Jesu Tod aus Jes 53 zitiert, doch sind es nicht die Aussagen in Jes 53, die eine Sühnedeutung des Todes Jesu stützen könnten. Falls der Kurztext im lkn Abendmahlsbericht (Lk 22,14-19a) ursprünglich wäre (wie M. Rese annimmt), würde das in dieselbe Richtung weisen. Auf diesem Hintergrund ließe sich das Fehlen der Sühnebedeutung des Todes Jesu in den kerygmatischen Abschnitten der Apg als bewusste Änderung einer Formel wie 1Kor 15,3-5 deuten (345f).

In Apg 7,52 klingt genau jene Tradition an, aus der Lukas den Satz von der Täterschaft der Jerusalemer Juden bilden konnte: Es ist das Motiv vom Prophetenmord der Jerusalemer. Lukas fand es in seiner Q-Tradition (Lk 13,34f / Mt 23,37-39) (346).

An den zwei entscheidenden Punkten, nämlich beim Fehlen einer Sühnebedeutung des Todes Jesu und bei der Betonung der Täterschaft der Jerusalemer Juden, erweisen sich die Aussagen des Grundschemas als lkn Theologumenon. Sicher ist, dass Lukas sich des traditionellen Motivs des Jerusalemer Prophetenmordes bediente (347).