(3) Auf der Suche nach dem geschichtlichen Kern  der Osterereignisse

H. Groos

Die Berichte über die Ereignisse im Zusammenhang mit der verkündigten Auferstehung, d.h. einerseits wenige Verse aus 1Kor  15,3-8, andererseits die Ostergeschichten der Evangelien, sind von einer völlig gegensätzlichen Beschaffenheit. Die Aufzählung derjenigen Menschen durch Paulus, denen Christus nach seinem Tod und Begräbnis erschienen ist, steht den Erlebnissen zeitlich am nächsten und der Vers 8 („zuletzt ist er auch mir erschienen“) ist das einzige Selbstzeugnis, das es von einem Zeugen einer solchen Erscheinung gibt. Die genannte Briefstelle beschränkt sich auf die bloße Aufzählung dieser Zeugen. Von den dagegen mancherlei Einzelheiten bringenden Evangelien haben die apokryphen, namentlich das Petrus – und das Hebräerevangelium, mit ihren phantastischen Schilderungen von vornherein außer Betracht zu bleiben. In den kanonischen scheidet der unechte Markusschluss 16,9ff ebenfalls aus. Erst recht kann das späteste und theologisch stark fortgeschrittene Joh-Ev für die Erhebung historischer Sachverhalte nur am Rande zum Vergleich herangezogen werden. Aber auch die Grabes- und Erscheinungsgeschichten in den synoptischen Evangelien geben schon auf den ersten Blick Veranlassung zu vielen kritischen Fragen und Bedenken. Sie gehören bereits einer späteren Zeit an: (das älteste Ev, Mk um 70 geschrieben, ca 14 Jahre später als der erste Korintherbrief). Bei der Auswertung der Evangelien muss berücksichtigt werden, dass auch die ältesten Partien der Tradition keineswegs historische Berichte im eigentlichen Sinn darstellen, sondern vor allem vom Motiv und Zweck der Verkündigung getragen, also in erster Linie als Glaubenszeugnisse anzusehen sind, als Kerygma (268f).

Die Grabesgeschichten der synoptischen Evangelien zeigen vielerlei Differenzen, so hinsichtlich der Zahl und Namen der zum Grab gehenden Frauen, hinsichtlich des Zeitpunktes und des Zwecks dieses Besuchs – Salbung des Leichnams (Mk, Lk) oder lediglich „um zu sehen“ (Mt) -, hinsichtlich des Steins vor der Grabestür, den die Frauen nach Mk abgewälzt vorfinden, um von einem Engel zu erfahren, dass Jesus nicht mehr im Grab liegt, sondern auferweckt wurde, während bei Mt ein vom Himmel herabfahrender Engel den Stein erst im Beisein der Frauen fortwälzt. Dieser Engel ist es, der bei Mt (bei Lk und Joh sind es zwei) den Frauen am Grab verkündet, was sich mit dem toten Jesus begeben hat. Von dem (den) Engel(n) erhalten sie den Auftrag, den Jüngern die Nachricht zu bringen (bei Mt wie bei Mk) zu sagen, der Auferstandene werde ihnen nach Galiläa vorangehen, Galiläa, das dagegen Lk nur in einer Erinnerung an die Zeit ihres dortigen Zusammenseins mit Jesus anklingen lässt. Die Frauen verhalten sich daraufhin wiederum ganz verschieden. Bei Mk fliehen sie entsetzt und sagen niemandem etwas; nach Mt und Lk führen sie den (unterschiedlich weitgehenden) Auftrag aus. Die Reaktion der Jünger auf die Kunde wird nur von Lukas erwähnt, sie halten die Nachricht für ein Geschwätz, doch läuft Petrus zum Grab, um selbst nachzusehen und findet dort lediglich die Binden liegen, in die der Leichnam eingeschlagen gewesen war, so dass er voll Staunen zurückgeht. Während es ein Aufsuchen des Grabes seitens der Jünger bei Mk und Mt nicht gibt, werden aus dem einen Jünger des Lk bei Joh wiederum zwei: mit Petrus eilt auch der Lieblingsjünger zum Grab. Wie von den synoptischen Evangelien nur Mt eine Grabeswache auftreten lässt, so erscheint auch nur bei ihm Jesus den Frauen, ohne dass indessen seine Worte irgendetwas Neues über die Botschaft des Engels hinaus bringen. Der schwerste Widerspruch aber, historisch gesehen wichtiger als alle anderen zusammen, betrifft den Ort der Erscheinungen. Mindestens für die ersten von ihnen, wie sie von Paulus aufgezählt werden, scheinen den meisten Forschern ein paar Stellen bei Mk und Mt nach Galiläa zu weisen. Lk und Joh lokalisieren die Erscheinungen dagegen sämtlich in Jerusalem (269f).

Über wichtige Einzelzüge, von denen die richtige Auffassung der Ereignisse abhängt, über die Klarheit vorhanden sein müsste, wenn überhaupt Verlass auf den ganzen Erzählzusammenhang sein soll, herrscht in der biblischen Berichterstattung keine Übereinstimmung. Dadurch wird bestätigt, dass wir es hier mit Erzählungen zu tun haben, die sich von sehr einfachen Anfängen aus allmählich aufeinander und aneinander entwickelt haben, wie es die Christenheit nötig hatte und wie es ihrer fortschreitenden Glaubensentwicklung entsprach. Inzwischen hat man immer mehr erkannt, wie diese Berichte durch die Bedingungen des ursprünglichen Tradierens und die abschließende literarische Behandlung beeinflusst, namentlich von der Haltung und den Tendenzen der verschiedenen Glaubensströmungen und Gruppen sowie von den Interessen der Redaktoren bestimmt worden sind (270f).

In die Augen fallende Beispiele für tendenziöse, vor allem apologetische Bildungen sind die Einführung der Grabeswache bei Mt und das Schweigen der Frauen bei Mk. Bei Lk zeigt sich die zweckbestimmte Gestaltung etwa in der von ihm berichteten Jesuserscheinung vor Petrus, von der die beiden Emmausjünger bei ihrer Rückkehr hören, so dass die Zeugenpriorität des Petrus gewahrt wird. In dem 'massiven Auferstehungsrealismus', den die auf die Emmausgeschichte folgende Perikope zum Ausdruck bringt (Jesus zeigt den Jüngern die Wundmale an Händen und Füßen, fordert sie dann auf, ihn anzurühren und lässt sich schließlich sogar etwas zum Essen vorsetzen), spiegelt sich möglicherweise bereits die Auseinandersetzung der christlichen Mission mit ihren Gegnern über die Auferstehung und Auferstehungsleiblichkeit Jesu. Auf jeden Fall handelt es sich um eine späte Legende. Eindeutig zu einer späten Bildung gestempelt werden wegen ihres theologischen Gewichts auch die letzten Worte des Auferstandenen bei Mt mit dem Taufbefehl. Der hier redet ist nicht der soeben Auferstandene, sonder der allezeit gegenwärtige erhöhte Herr (270f).

Wichtig ist, dass schon die Grabesgeschichte des ältesten Evangeliums (Mk) verhältnismäßig spät angesetzt werden muss. Eine Gewissheit über das leere Grab lässt sich auf Mk nicht gründen und ein Bericht über Erscheinungen des Auferstandenen fehlt in dem alten Mk-Text (16,1-8) überhaupt. Nur ein Hinweis darauf, dass sie in Galiläa erfolgen werden, findet sich an zwei Stellen (14,28 und 16,7), hinter denen eine alte Überlieferung zu stehen scheint. In der Grabesgeschichte des Mt sodann hat das Bedürfnis, die Realität der Auferstehung durch den Aufweis des leeren Grabes zu beweisen, eine weitere Steigerung erfahren. Nur ein Datum bleibt übrig: Der Herr erschien seinen Jüngern in Galiläa, ein Datum, auf das bereits die Ostergeschichte des Mk hinführte. Bei der Frage nach dem Ostergeschehen muss auch die lukanische Grabesgeschichte als selbstständige Quelle ausgeschaltet werden. Der legendäre Charakter der Emmauserzählung wird von der Forschung allgemein anerkannt Der gesamte Ertrag bei Lk beschränkt sich darauf, dass der Auferstandene zuerst dem Petrus erschien. Bei den Berichten der Apg von vierzigtägigem Umgang Christi mit seinen Jüngern samt abschließender Himmelfahrt befinden wir uns auf dem Boden der späten Legende. Das mit späten Einschüben und einem nachträglichen Anhang versehene Joh-Ev scheidet als historische Quelle nahezu völlig aus. Das reizvolle Gespräch der Maria Magdalena mit einem zunächst Unbekannten stellt Apologetik und Novellistik in einem dar. Geschichtliche Erinnerungen an den Ostermorgen darf man dahinter nicht suchen. Dass bei dieser Lage der Dinge die Nachricht vom leeren Grab einen geschichtlichen Kern enthalten sollte, ist von vornherein nicht wahrscheinlich (272).

Der den Frauen erscheinende und sie über die erfolgte Auferstehung Jesu unterrichtende Jüngling Mk 16,5ff ist ohne Zweifel ein legendarischer Zug, der die später folgenden Ereignisse in einer wunderbaren Ankündigung vorwegnimmt. Auch der vorausgehende Bericht über den Gang der Frauen zum Grab ist nicht frei von Seltsamkeiten. Der Wunsch einen schon beigesetzten, in Leinentücher gewickelten Toten 'am dritten Tag' noch zu salben, ist durch keine Sitte gedeckt und bei den klimatischen Verhältnissen Palästinas in sich selbst widersinnig. Und dass die Frauen erst unterwegs auf den Gedanken kommen, sie hätten eigentlich Hilfe nötig, um den Stein abzuwälzen und ins Grab zu gelangen, verrät ein beträchtliches Maß an Gedankenlosigkeit (273f).

Die Auffindung des Grabes am dritten Tag hängt nur an der Legende vom Besuch der Frauen am Grab am Ostermorgen. Was die Annahme, dass die Urchristenheit das Grab kannte, besonders erschwert, ist das Fehlen jeglicher Argumentation mit dem leeren Grab im ältesten Kerygma. Dass es das leere Grab gegeben und dass es eine so entscheidende Rolle gespielt hat, d.h. dass ihm im Verhältnis zu den Erscheinungen die zeitliche Priorität zukommt, ist durch die Berichte der Evangelien nicht gewährleistet. Besonders schwer wiegt der Umstand, dass sich die älteste Auferstehungsverkündigung der Beweisführung mit dem leeren Grab nicht bedient hat. Wie der Auferstehungsglaube der Jünger nicht am leeren Grab entstand, so hat sich ihre Auferstehungsbotschaft ursprünglich nicht auf den Aufweis des Grabes gestützt, sonder auf die Erfahrung des lebendigen Herrn (281).

Weil Paulus sich nirgends über die Leiblichkeit des auferstandenen Christus äußert, sind wir auf Rückschlüsse aus den eschatologischen Vorstellungen des Paulus im allgemeinen angewiesen. Einmal (1Kor 15,35) die Ausführungen über die Frage „Wie werden die Toten auferstehen“ ? mit der bekannten Gegenüberstellung „Es wird gesät  vergänglich und steht auf unvergänglich … Es wird gesät ein psychischer Leib und steht auf ein pneumatischer Leib“. „Fleisch und Blut kann das Reiches Gottes nicht ererben“ (V.50). Aus dieser Stelle lässt sich keine sichere Entscheidung darüber treffen, wie Paulus über das Schicksal der im Grab vergehenden Leiblichkeit im Auferstehungsvorgang denkt. Weiter führt 2Kor 5,1ff: Wenn unsere irdische Zeltwohnung abgebrochen wird, haben wir einen Bau bei Gott, ein nicht von Händen gemachtes ewiges Haus. Nach ihm sehnen wir uns wie nach dem Kleid, das wir dann anziehen dürfen, mit dem wir überkleidet werden. Die Vorstellung von einem im Himmel befindlichen Gewand setzt voraus, dass es zur Herstellung der neuen Leiblichkeit der Elemente der alten nicht bedarf. Die Gräber brauchen von ihr nicht geleert zu werden. Konnte Paulus unter dem Einfluss gnostischer Vorstellungen von dem im Himmel bereiteten Auferstehungsleib die traditionelle jüdische Auferstehungslehre so weit modifizieren, dass, streng genommen, der neue Leib nicht als verwandelter alter aus dem Grab hervorgeht, sondern dass ein Übergang in einen ganz anderen Leib stattfindet, dann wird man bei ihm auch kein sonderliches Interesse an der Frage voraussetzen dürfen, ob durch die Auferstehung die Gräber leer werden. Mit einer Denkweise (bei der von einer Auferstehung des Leibes Jesu im eigentlichen Sinn gar nicht mehr geredet werden könnte) würde Paulus sich zu allen jüdischen Auferstehungserwartungen in Gegensatz stellen und sich gerade dort den (gnostischen) Vorstellungen nähern, wo er sie am entschiedensten zu bekämpfen scheint. Nach Graß hat Paulus sich, indem er die neue Leiblichkeit radikal als neue Leiblichkeit fasste, von der vulgären jüdischen Auffassung, die die Wiederbelebung der alten Leiblichkeit glaubte, weitgehend gelöst. So ergibt sich der Schluss, dass bei Paulus weder eine Kenntnis vom leeren Grab noch ein sonderliches Interesse am leeren Grab Jesu vorausgesetzt werden darf (283f).

Was wir den Evangelien und zwar nur Mk und Mt an Kenntnis von der Auferstehung Jesu verdanken, ist der Hinweis auf den Umstand, dass die ersten Erscheinungen in Galiläa stattgefunden haben. Davon abgesehen kommt für den Glauben an den auferstandenen Herrn als Quelle vor allem 1Kor 15,3-8 in Betracht. Ohne jede Aussage über das Wo, Wann und Wie bietet sie in Vv5-8 nicht mehr als die trockene Aufzählung einer Reihe von Zeugen der Erscheinungen des Auferweckten. Was den Ort betrifft, so geht die Ansicht dahin, dass die Erscheinungen vor Petrus und den Zwölfen in Galiläa, die übrigen in Jerusalem stattgefunden haben (284f).

Der Reichhaltigkeit der von Paulus aufgezählten Zeugen der Erscheinungen steht die auffallende Kargheit dessen gegenüber, was in 1Kor 15,5-8 über den Inhalt ihrer Erfahrung mitgeteilt wird. Aus dem 'ophthe' ist rein sprachlich nichts über den Charakter der Erscheinungen zu entnehmen. Nicht alle, die ekstatische Erlebnisse erfuhren, haben den Herrn gesehen und auch der Zeugenkreis der Ostererscheinungen hatte diese Erscheinungen nicht immer von neuem, sie gehören unwiederholbar in die Anfänge ihres neuen Lebens. Bei Paulus handelt es sich um ein einmaliges 'Sehen' des Herrn. Außer in 1Kor 15,8 beruft sich Paulus noch in 1Kor 9,1 darauf, dass er den Herrn gesehen hat: „Habe ich nicht den Herrn gesehen“? Aber  es bleibt bei dem bloßen 'Sehen' des Herrn, ohne jeden weiteren Zusatz (286f).

Apg 9,4 sagt eine Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich“? Und auf seine Frage: „Wer bist du, Herr“? antwortet die Stimme (9,5): „Ich bin Jesus, den du verfolgst“. Diese Berichte können keineswegs als historisch zuverlässig gelten, sie enthalten offensichtlich legendäre Elemente. Paulus hatte Jesus nicht gekannt, woher wusste er, dass es Jesus war, der ihm erschien? Es musste ihm gesagt werden. Die Wirkung dieses problematischen Sehens und Hörens war ungeheuer: eine einzige Vision und Audition, die Weltgeschichte größten Ausmaßes gemacht hat. Die Ursache dieser Wirkung bleibt im Dunkeln. Bei Paulus kommt noch hinzu, dass der zeitliche Abstand seines Erscheinungserlebnisses vom Tod Jesu erheblich größer war als bei den übrigen Zeugen, so dass man fragen könnte, ob es noch in den Zusammenhang der Osterereignisse hineingehört. Bei seinem Erlebnis scheint es sich um eine Vision im üblichen Sinn gehandelt zu haben, während die sonstigen von Paulus genannten Erscheinungen auch als Vision gelten müssen, aber durch die frühere Gemeinschaft dieser Zeugen mit dem historischen Jesus ausgezeichnet sind und sich an das einstige Zusammensein mit ihm enger anschließen (288f).

Berücksichtigt man wie spärlich im Gegensatz zu dem vielen, was an den Berichten über die Erscheinungen Jesu teils als legendär, teils als tendenziös-doktrinär beurteilt werden muss, dasjenige ist, was nach einer kritischen Sichtung als einwandfrei geschichtlich übrig bleibt, nämlich eine kleinere Anzahl Visionen, von den sehr problematischen Kollektivvisionen abgesehen also höchstens drei (Petrus, Jakobus, Paulus). Für eine historische Betrachtung ist von der Auferstehung Jesu unmittelbar nichts erkennbar. Das Letzte, wozu die Forschung gelangt, ist der aufgrund der Erscheinungen entstehende Glaube der Jünger an die erfolgte Auferstehung Jesu. Zwischen dem Tod Jesu und seiner Auferstehung liegt ein tiefes undurchdringliches Dunkel. Dibelius formuliert: Es muss 'etwas eingetreten sein, was binnen kurzem nicht nur einen völligen Umschlag der Stimmung der Jünger hervorrief, sondern sie auch zu neuer Aktivität und zur Gründung der Gemeinde befähigte. Dieses 'Etwas' ist der historische Kern des Osterglaubens. Bei der Betrachtung des Auferstehungsproblems in historischer Hinsicht kann man sich dem Eindruck nicht verschließen, wie wenig von dem Ereignis der Auferstehung Jesu übrigbleibt; das allermeiste ist Legende und Dogmatik, jedenfalls kein leeres Grab, lediglich ein paar Visionen, vielleicht nur zwei oder drei ernstzunehmende Visionen (289f).

Die theologische Problematik des historischen Befundes

Ein an so mirakulöse Vorbedingungen gebundener Glaube ist kein Glaube mehr sondern er wäre durch Schauen überboten und damit dispensiert. Zum andern: Der auf Erden Wandelnde unterscheidet sich von dem Auferstandenem durch eine verschiedene Leib-Qualität: hier der 'psychische' dort der 'pneumatische' Leib. Der Auferstehungsglaube ist folglich nicht an das Faktum des leeren Grabes gebunden, insofern dieses ja allenfalls eine Aussage über das Schicksal des 'alten Leibes' zu machen vermag. Abgesehen von der hochgradigen Zweifelhaftigkeit des historischen Sachverhalts überhaupt und der grundsätzlichen Fragwürdigkeit eines leeren Grabes im Hinblick auf die verschiedenen denkbaren Möglichkeiten seiner Verursachung wird dessen Bedeutsamkeit weiterhin eingeschränkt durch die Erwägung, dass die Qualität des Leibes, um den es hier geht, nicht mit der des früheren Leibes identisch ist. Da die leibhafte Auferstehung Jesu sozusagen 'mit Haut und Haaren', kaum noch angenommen wird, kommt es in der Tat ausschließlich auf die Existenzweise des neuen pneumatischen Leibes an (294f). 

Visionen, ganz gleich, was ihnen zugrunde liegen mag, sind einerseits die einzige innerhalb der Erfahrung einigermaßen denkbare Grundlage für den Osterglauben, aber sie reichen nicht aus, um ihn wirklich zu erklären oder auch nur ein wenig verständlich zu machen. Wenn dem so ist, dann bleibt zur Erklärung des Auferstehungsglaubens, historisch gesehen, nur noch der Rückgriff auf eine Legendenbildung übrig (302).

Der Osterglaube und die Wahrheitsfrage

Unser Glaube richtet sich primär auf den lebendigen Herrn, nicht auf die Art des Lebendigwerdens. Der Begriff der Auferweckung ist daher besser als 'Auferstehung', weil er Gottes Handeln zum Ausdruck bringt. Noch angemessener erscheint Graß der Begriff der 'Erhöhung', insofern damit 'die Vorstellung von einer zeitweiligen Rückkehr in die irdische oder eine quasi irdische Existenzweise vermieden wird. Letztlich geht es allein um den 'erhöhten, lebendigen, gegenwärtigen Herrn' (306).

Wir stehen vor folgendem Sachverhalt: Der ursprüngliche und eigentliche Auferstehungsglaube, der zwar das leere Grab nicht unbedingt einschließt, aber doch mehr oder weniger voraussetzt, hat sich hinsichtlich des Kerns der Osterbotschaft, der Erscheinungen des Herrn, als überaus problematisch herausgestellt, denn diese lassen sich nur mit dem Begriff der Vision erfassen. Sieht man von den besonders problematischen Kollektivvisionen ab, so bleiben nur drei Visionen übrig, von denen die des Jakobus auch nicht davor sicher ist, legendärer Art, d.h. aus Gründen seines Ranges, seiner Geltung als Bruder Jesu ihm nachträglich zugelegt worden zu sein. Dann würde alles auf den Augen des Petrus und des Paulus stehen. Von der Auferstehung als stattgefundenem Ereignis, von der Wirklichkeit des Auferstandenen im vollen Sinn vermögen sie nicht zu überzeugen (316).