(3) Das Volk des Geistes

(1977): a. Das Urchristentum fand seine Identität in dem Besitz des Geistes: Die meisten Geistaussagen im NT sind aus der Konstellation und Konfrontation Kirche-Synagoge zu erklären. Kirche und Synagoge hatten vieles gemeinsam: Die Schrift, das Gesetz, die Traditionen, die Väter, das Gottesvolk und seine Geschichte, gewissermaßen auch den Messias. Der Geist aber gehört ausschließlich zur Kirche. Der Geist ist nur in der christlichen Gemeinde zu finden, nicht in der Synagoge. Es geht darum, wie das Urchristentum die eigenen Geisterfahrungen und den Geistbesitz verstand. Die Synagoge kennt nicht den Geist, der ausschließlich in der Gemeinde des Jesus-Messias hervortritt. In der Synagoge herrscht das Gesetz, während die Kirche von dem Geist getrieben wird. Deshalb ist die Kirche das Gottesvolk (87f).

b. Die Verheißung an Abraham wird bei Paulus als der Geist oder der Geistbesitz bestimmt (Gal 3,14). Nach Gal 3 ist die Verheißung des Geistes das 'Eigentliche', Bleibende und Bestimmende in der Schrift, während das Gesetz, eine Interimsordnung ausmacht (die Gabe des Geistes ist mit der Gabe der Glaubensgerechtigkeit identisch). Israel war von Anfang an darauf angelegt, das Volk des Geistes zu werden. Nach Christus kann das Gottesvolk nicht das Volk des Gesetzes, sondern nur das Volk des Geistes sein. Durch die Gesetzespredigt der Synagoge kam nicht der Geist, sondern durch die Botschaft des Glaubens (Gal 3,2.5). Deshalb sind auch die Christen die Kinder Abrahams. In dem Ruf der inspirierten Liturgie („Abba, Vater“ Gal 4,6) kommt der Segen Abrahams, die Kindschaft und die Rechtfertigung zum Ausdruck. Die geistgewirkten Wunder, die mit der Missionspredigt verknüpft waren, zeugen von der Existenz des Gottesvolkes (Gal 3,5). Die ursprüngliche Missionsverkündigung des Paulus war unlöslich mit charismatischen Ereignissen verbunden: 1Kor 2,4; 2Kor 4,4; 12,8; Röm 15,19; Eph 1,13f (88f).

Auch für Lukas (ca. 25 Jahre nach Paulus) ist der Geist die Verheißung an das Gottesvolk (Apg 1,4f; 2,33), die Verheißung an Israel. Die Kirche tritt nun, durch die 12 Apostel repräsentiert, als Volk des Geistes hervor. Die Pfingstrede des Petrus wendet sich an Israel (Apg 2,5ff; 14,22.29). Wenn viele der Juden die messianische Botschaft nicht annehmen wollen, tun sie, was die Israeliten immer getan haben: sie widerstehen dem Heiligen Geist (Apg 7,51) (89f).

Der Paraklet im Johannisevangelium führt die Sache der Gemeinde, nicht im Himmel, sondern auf Erden, und seine Verkündigung richtet sich gegen die Welt, die durchgehend im vierten Evangelium von den Juden repräsentiert wird (Jh 16,1ff). Die Welt, also Israel, kann den Geist nicht empfangen, den sie weder sieht noch kennt (Jh 14,17). Weil der Geist jetzt da ist, ändert sich auch der Gottesdienst: Jerusalem ist nicht mehr der Ort der Anbetung, weil Gott Geist ist und die wahren Anbeter Gott jetzt im Geist anbeten (Jh 4,21-24). Der Christ ist der aus Geist geborene (Jh 3,5ff; 7,37ff). Es geht in Jh 6,31ff um das Verhältnis Mose – Jesus; nicht Mose, sondern Jesus gab das Himmelsbrot und deshalb sagt Jesus von seinen Worten, dass sie Geist und Leben sind (Jh 6,63). Die Geistlehre ist sowohl bei Paulus wie bei Johannes als Kampflehre zu verstehen (90).

c. Zwei Phasen in der Diskussion um die Heidenmission: In der ersten wurde die Legitimität der

Heidenmission diskutiert, von den Problemen der Judenchristen bestimmt, ob und unter welcher Bedingung sie mit Unbeschnittenen verkehren durften. In der zweiten Phase, die nach dem Tod des Paulus einsetzte, wird die Diskussion von der Lage der Judenchristen bestimmt. Die Heidenmission ist nunmehr instituiert und anerkannt. Die Lage der Judenchristen hat sich aber verändert, denn jetzt sind die Heiden in der Mehrzahl in der Kirche und die Judenchristen haben wegen Paulus und der Heidenmission immer größere Schwierigkeiten im Verhältnis zur Synagoge. Der jüdische Einfluss in der Kirche ist besonders in den letzten Jahrzehnten des ersten Jhs sehr stark. Nach Jervell ist das nur so zu erklären, dass die Judenchristen, die nach 70 von der Synagoge ausgestoßen werden, sich jetzt als entscheidende und mächtige Minoritäten in den heidenchristlichen Gemeinden etablieren (90f).

Der strenge Jude Peter handelt anscheinend gegen das Gesetz, der Beschnittene verkehrt mit Unbeschnittenen! Der Heide bekommt jetzt – durch das charismatische Ereignis – Anteil am Heil Israels (Apg 10,44ff). Der Geist ist das entscheidende Argument für das Anrecht der Heiden auf das Heil (10,44; 11,15-18; 15,8). Auch auf die Heiden war die Gabe des Geistes ausgeschüttet worden (10,45) (91)!

Die Heidenmission fing so an, dass die Geisterlebnisse zur Aufnahme von Heiden führten. Die Judenchristen haben offenbar die Aufnahme von Heiden ohne Beschneidung jahrelang toleriert. Nach Eph 3,3-5 besteht das Christusgeheimnis darin, dass die Heiden „Miterben, Mitglieder und Mitteilhaber der Verheißung sind“. Die Verheißung gehört zu Israel und die Heiden bekommen Anteil daran. Das Geheimnis ist den Aposteln und Propheten der Kirche offenbart „durch den Geist“ (Eph 3,5). Die Einheit der Gemeinde ist die Einheit von Juden und Heiden (Eph 2,11ff). Diese Einheit wurde dadurch erreicht, dass Christus das Gesetz mit allen seinen Geboten und Satzungen außer Kraft setzte und die beiden Volksgruppen mit Gott versöhnte (Eph 2,15f). Die Rede von dem Geist ist da lebensnotwendig, wo das Verhältnis zwischen Juden und Heiden in der Kirche auftaucht und wo die Lage der Heiden im Verhältnis zum Gottesvolk erörtert wird (91f).

Geistlehre ist Kampfeslehre: Die richtige 'Beschneidung', so wie sie im Gottesdienst im Geist erscheint, heißt auch die Gerechtigkeit aus Gott zu besitzen (Rechtfertigung durch den Geist), während die ausschließlich fleischliche Beschneidung nur die eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetz bedeutet (Phil 3,9). Das einzige wahre Gottesvolk ist nach Phil 3 die Kirche, weil sie das Volk des Geistes ist. Wenn die Juden den Geist nicht haben, sind sie nicht mehr das Bundesvolk (92f).

Für die ntl Verfasser ist der 'Tempel Gottes' nunmehr in der Gemeinde Jesu zu finden, weil dort der Geist anwesend ist. Christus wird als der Eckstein dargestellt. Der Eckstein ist von Israel verworfen worden (1Ptr 2,7f), deshalb haben die Juden keinen Tempel. Der Tempel, das aus dem 'Nicht-Volk' gewordenen Gottesvolk, ist ein pneumatisches Haus, in dem geistige Opfer dargebracht werden (1Ptr 2,5f). Auch im Eph 2,18-22 geht es um das Volk aus Juden und Heiden, das jetzt ein 'Gotteshaus im Geist' geworden ist. Die Gemeinde ist hier als Tempel zu verstehen, weil Juden und Heiden beide im Geist Zugang zu Gott haben. Wenn 1Kor 6,15-19 sagt: „Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes, der in euch wohnt“, ist das nicht anders als das 1Kor 3,16 und Kap. 12-14 Gesagte zu verstehen. Die Geminde ist nicht voll von Tempeln, sondern der Geist wird von den einzelnen Charismatikern sozusagen getragen. Im vierten Evangelium ist die Zeit des Tempels vorbei, weil die Zeit des Geistes gekommen ist. Jetzt betet das Volk des Geistes Gott „in Geist und Wahrheit“ an (Jh 4,19-24). Die Christen sind, weil sie den Geist Gottes besitzen, das Volk Gottes und deshalb von „der Welt“, den Juden, getrennt (93f).

d. Die Geisterfahrungen bestimmen sowohl die Aufnahme von Heiden als auch das Zusammenleben der 'natürlichen' Feinde (Juden und Heiden) in der Gemeinde. Wenn Lukas um 90 die Verkündigung der Kirche für Juden um 30 darstellt, fällt die betont charismatische Form auf (Apg 2,1ff; 4,8ff; 7,8). Wenn die Juden die Verkündigung des Stephanus ablehnen (Apg 7,51-53), widersetzen sie sich dem Heiligen Geist. Der Paraklet, die jhn Interpretation des Geistes, der die Verkündigung Jesu weiterführt und abschließt, ist der Verkündiger an die Welt (15,23-27 und 16,1-15). In Jh 14,26; 15,26 handelt es sich um eine Rede, die der Welt, den Juden, unverständlich ist (14,17). Selbst der Lehrer Israels, Nikodemus, begreift die Rede vom Geist nicht (3,10). Wenn Paulus in 1Kor 14,21f von der Verkündigung zu „diesem Volk“ spricht, ist das auf Israel zu beziehen und die Glossolalie ist ein Gericht über das alte Gottesvolk. In dieser Weise erklärt Paulus die erfolglose Mission an Israel und nimmt somit eine Tradition auf, die von der Entfremdung Israels Gott gegenüber redet (94f).

e. Geist und Ethik, diese Verknüpfung findet sich nicht nur bei Paulus. Dass Paulus die Mosethora als pneumatisch, geistlich, bezeichnet, braucht nicht mehr zu sagen, als dass die Thora von Gott stammt. Wichtiger ist, dass die Rechtsforderung des Gesetzes in den Christen erfüllt werden soll, weil sie nach dem Geist leben (Röm 8,3f). Nur der Christ, der vom Geist getrieben wird, ist imstande, dem Gesetz Gottes zu gehorchen. Was die Juden nicht vermögen (Röm 2,1ff; 3,9ff; 7,7-25; 8,7f), das schafft der Charismatiker (Röm 8,4.7-9). Das Volk des Geistes erfüllt das Gesetz und zeigt sich auch so als das Volk Gottes. Der Wandel im Geist führt zu Liebe, Freude, Friede, Langmut usw. Die Erfüllung des Gesetzes in dem einen Gebot der Liebe (Gal 5,14) ist so zu sehen, dass der Geist der Motor ist (5,13-26). So ist auch Röm 13,8-10 zu verstehen, was aus Röm 8,4ff und 12,1ff hervorgeht. Als Charismatiker erfüllt der Gläubige das Gesetz (96).

Auch für Lukas ist der Charismatiker der Gesetzesfromme. Schon in der Vorgeschichte des Evangeliums (Lk 1-2) kommt zum Ausdruck, dass die Agierenden Propheten sind, die vom Heiligen Geist getrieben werden. Sie sind Thorafromme, es wird streng nach dem Gesetz gehandelt (Lk 1,6.15.17-35.41.67.80; 2,21.25ff.36f.41ff). Jesu Geburt aus dem Geist weist ihn als König auf Davids Thron und Herrscher über das Haus Jakobs aus (Lk 2,34.32f). Die Messianität Jesu wird sowohl von dem Geist als von dem Gesetz bestimmt. So ist es auch in der Apostelgeschichte, nach der der durch die Erhöhung auf den Davidsthron gesetzte Herr den Geist ausgießt (Apg 2,30.33). Die Gemeinde wird direkt vom Himmel her geleitet, nämlich durch den Heiligen Geist. Die Christen in Jerusalem waren gesetzesfromme Juden, die streng nach dem Gesetz lebten. Der gesetzesstrenge Peter will von sich aus nichts mit Heiden zu tun haben. Lukas stellt die Christen sowohl als Charismatiker als auch als Gesetzesfromme dar. Nicht nur die Zwölf haben den Geist und reden glossolalisch-prophetisch, sondern die ganze Gemeinde. Diese charismatische Gemeinde lebt streng nach dem Gesetz (Apg 2,46; 3,1; 10-11; 21,20.23). Der Geist wird auch auf Heiden ausgegossen; es sind aber solche Heiden, die schon als Heiden nach dem Mosegesetz leben und die später das Aposteldekret, d.h. die Mosethora in ihrer Gültigkeit für Heiden, annehmen (10,2.22.32.44ff; 11,15-18; 15,8.20.28f). Das Aposteldekret ist vom Heiligen Geist beschlossen worden (15,28f). Der lkn Paulus ist auf der einen Seite ein Charismatiker und Missionar (Apg 9,3ff.17; 13,4.9ff; 14,3.9ff; 16,7.9.18ff; 20,9ff.22f), auf der anderen ist er der gesetzesstrenge Jude, der auch nach seiner Bekehrung sich als Pharisäer bezeichnet (21,26; 22,3ff; 23,3ff; 24,10ff; 25,8.10; 26,4ff; 28,17). Der Charismatiker Paulus hat nach Lukas nie gegen das Gesetz gehandelt (97).

Stephanus und Paulus werden angeklagt, gegen das Gesetz, den Tempel und gegen das Volk zu handeln: die Kirche will das Mosegesetz ändern! Es ist für Lukas selbstverständlich, dass das Gottesvolk auch nach dem Gesetz Gottes lebt. Er will darlegen, dass die Kirche, die den Geist kennt, auch das Gesetz hält. Er klagt die unbussfertigen Juden an, dem Geist Gottes zu widerstehen und das Gesetz Gottes nicht zu halten (Apg 7,51-53) (98).

Auch Matthäus behauptet, dass die Synagoge das Gesetz weder richtig lehre, noch danach lebe, das zeigen vor allem die Antithesen, wo Jesu wahre Auslegung des Gesetzes gegen die falsche gesetzt wird (Mt 5,20ff; 15,7ff; 21,43; 23,2). Die Kirche ist das Volk, dem das Reich Gottes gegeben ist, das Volk, das seine Frucht bringt (Mt 21,43). Für Matthäus ist entscheidend, dass Charisma ohne Gesetzesgehorsam von Gott verurteilt wird. Deshalb werden bei Matthäus die falschen und die echten Propheten an ihren Früchten erkannt, d.h. an dem Lebenswandel (Mt 7,15ff). Das Gesetz wird bis auf Jota und Häckchen erfüllt (5,18). Diese Verknüpfung von Charisma und Gesetz ist deshalb wichtig, weil sich die Gemeinde des Matthäus in der Auseinandersetzung mit der Synagoge als das Gottesvolk versteht (98f).

                   

Anhang: Die Beschneidung des Messias

(1976): In der Vorgeschichte(Lk 1-2) ist die Perspektive im ganzen auf Israel beschränkt, sodass hier über die Erfüllung der Verheißungen an dem einen Gottesvolk geredet wird (1,14.16.32.34.54.65.68f.71-74; 2,25.32.34.38). Lk 2,21 steht in dem engeren Kontext von 2,21-39, wo von einer Reihe von Gesetzesverpflichtungen geredet wird: Reinigung, Darstellung im Tempel, Opfer: „Und als sie alles vollendet hatten gemäß dem Gesetz des Herrn, kehrten sie zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret“ (2,39). Eine Hauptangelegenheit in der lkn Vorgeschichte besteht darin, dass das Gesetz erfüllt wird. Wo der Messias Israels erscheint, dort geschieht dem Gesetz Genüge. Die Beschneidung wurde im Urchristentum erst mit der Aufnahme von Heiden in die Gemeinde zu einem Problem. Apg 10,,45 und 11,2 zeigen wie Lukas zu der Frage von Beschneidung und Gesetzesgehorsam steht: Die Heiden werden als Heiden gerettet, ohne Beschneidung. Sie bekommen als Heiden Anteil an den Verheißungen des Gottesvolkes (73f).

In Apg 7,8 wird der Abrahamsbund 'Bund der Beschneidung' genannt. Für Lukas ist Abraham der Empfänger der Heilsverheißung (Lk 1,55.72f; 3,8; 13,16; 19,9; Apg 3,25; 7,2ff.17; 13,26-33). Abraham ist die Verkörperung Israels, d.h. des Volkes, dem Gott das Heil versprochen hat (Lk 1,54f). In Lk 1,72; Apg 7,8 und 3,25 geht es um den Abrahamsbund, den 'Bund der Beschneidung'. Die Juden sind Kinder des Bundes. In Lk 22,19f geht es um eine Erneuerung des Bundes und diese Erneuerung gilt Israel. Nach Apg 7,8 ist die Beschneidung das Zeichen des 'Verheißungs-Bundes' und sie zeigt, dass das Heil Israel als Gottesvolk gilt. Der 'Bund der Beschneidung' mit den Verheißungen an Abraham wird durch Jesus endgültig erfüllt (75f).

In Apg 21 haben wir es nicht mit Missionsproblematik zu tun, d.h. mit der Aufnahme von Heiden in die Kirche. Paulus wird angeklagt (Apg 21,21), weil er alle Juden in der Diaspora lehrt, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden und nicht mehr nach dem Mosegesetz leben. Das wird als Abfall von Mose bezeichnet. Es ist Lukas wichtig zu zeigen, dass Paulus immer für das Gesetz und für die Beschneidung gekämpft hat (Apg 16,3 die Beschneidung des Timotheus). Die Beschneidung ist für Heidenchristen nicht notwendig (Apg 15,11ff). Die Fortsetzung in Apg 21,22ff zeigt, dass Paulus die Beschneidung und das Gesetz als unbedingt notwendig für Judenchristen ansah, weil die Beschneidung das Zeichen der Verheißung und des Bundes ist. Nicht nur Israel, sondern auch die Kirche macht Anspruch auf den Bund und die Verheißung. Hätte Paulus die Beschneidung und die Verheißung entfernen wollen, wäre für die Kirche auch alle Verheißung und das Anrecht auf den Israelnamen verloren gegangen. Jesus selbst wurde beschnitten, er ist der Erfüller des Abrahamsbundes, so konnte Paulus nach Lukas unmöglich gegen die Beschneidung reden (76f).

Apg 7,8 und 21,21 zeigen, wie entscheidend die Beschneidung für Lukas gewesen ist. Die Sache der Heidenchristen war längst erledigt (Apg 15,1ff). Von Belang aber ist die Lage der Judenchristen in dieser Situation. Denn in der Kirche repräsentieren die Judenchristen das Gottesvolk, d.h. das eine Gottesvolk, das es überhaupt gibt. An den Verheißungen dieses Gottesvolkes haben die Heiden Anteil bekommen. Dass die Verheißungen zu Israel gehören, wird bis zum Überdruß gesagt: Lk 1,32f.51-55.72f; 13,16; 19,9; 22,29f; Apg 2,22f.36.39; 3,13ff.24ff; 4,10ff.27; 5,30ff; 10,26; 13,17ff.32f usw. Die Verheißungen gehören mit dem 'Bund der Beschneidung' zusammen (77).

Jesus wurde nach acht Tagen beschnitten. Innerhalb des Rahmens der Vorgeschichte zeigt das für Lukas, dass er der wahre Träger der Verheißungen an Israel ist. Er trägt das 'Identitätszeichen' Israels. Deshalb ist es auch für Lukas wichtig zu wissen, dass Jesus niemals gegen das Gesetz des Mose geredet oder gehandelt hat (Apg 6,14). Jesus bedeutet für Israel das Heil (und das Heil auch für die Heiden via Israel). Die Rede von der Beschneidung Jesu gehört in eine Situation, wo die Bedeutung der Beschneidung angezweifelt wird. Jesus ist der jüdische Messias. Er soll auf dem Thron Davids sitzen und wird über das Haus Jakob auf ewig regieren (Lk 1,32). Die Messianität Jesu ist nicht vom Leiden und Sterben Jesu bestimmt, sondern trotz Leiden und Tod ist Jesus der Messias, was Lk 24,21-27 paradigmatisch zum Ausdruck bringt (77f).

Die Verheißungen an Israel werden an dem einzigen Israel, das Lukas kennt, nämlich die Judenchristen, erfüllt. Weil die Kirche die Fortsetzung der Geschichte des Gottesvolkes und selbst Träger der Verheißungen ist, muss Lukas markieren, dass der Messias Jesus der echte und wahre Messias ist. Das zeigt sich u.a. darin, dass er nach dem Gesetz beschnitten worden ist (Lk 2,21) (78).