4.6 Die Fusswaschung (Jh 13,1-20)

Zwei voneinander unabhängige Deutungen der Fußwaschung

Nach Jh 13,6ff ist die Fußwaschung ein Zeichen, das wie jedes andere Zeichen im Jh-Ev eine christologische und heilgeschichtliche Bedeutung hat. Nach 13,12ff ist sie ein Beispiel demütigen Dienens. Nach der ersten Deutung kann der zeichenhafte Charakter der Fußwaschung erst „später“ (13,7) erkannt werden (= nach Ostern), wie auch die anderen Zeichen Jesu erst nach seiner Verherrlichung, nach der Sendung des Parakleten in ihrer christologisch-soteriologischen Bedeutung erkannt werden können. Die zweite Deutung erfolgt unmittelbar nach der Handlung. Die Frage Jesu in 13,12 („versteht ihr, was ich euch getan habe“) berücksichtigt nicht das Wort Jesu in 13,7 („Was ich tue, verstehst du jetzt nicht, wirst es aber später begreifen“). Die beiden Deutungen widersprechen sich in mancher Hinsicht. Nach der ersten Deutung wird durch die Fußwaschung die Hingabe Jesu in den Kreuzestod zeichenhaft dargestellt, sein Heilshandeln, das einmalig ist und als solches von niemandem nachgeahmt werden kann. Nach der zweiten Deutung wird den Jüngern durch die Fußwaschung ein Beispiel gegeben, das sie nachahmen sollen. In der ersten Deutung erfolgt die Heilszusicherung („Ihr seid rein“ 13,10) aufgrund des Heilshandelns Jesu, das durch die Fußwaschung zeichenhaft dargestellt ist. In der zweiten Deutung erfolgt die Heilszusicherung („selig seid ihr, wenn ihr das tut“ 13,17) aufgrund des eigenen Tuns der Jünger, das in der Nachahmung des Beispiels Jesu besteht (51).

Der Mann, der die zweite Deutung der Fußwaschung hinzukomponiert hat, deutet die unter dem Zeichen der Fußwaschung dargestellte Selbsthingabe Jesu in den Kreuzestod nicht als heilsnotwendiges Handeln, sondern als Ausdruck der Liebe Jesu zu den Seinen, als Beispiel, das die Jünger nachahmen sollen. Den neuen Sinn bekommen die VV 12ff durch den V 1. Er ist gleichsam das Vorzeichen, das den Inhalt der zweiten Deutung neu bestimmt. Denn hier wird gesagt, dass Jesus aus Liebe zu den Seinen den Kreuzestod auf sich nahm (dargestellt im Zeichen der Fußwaschung) (55).

Die christologisch-soteriologische Deutung der Fußwaschung als die allein mit dem Zweck des Evangeliums übereinstimmende

Das vierte Evangelium ist geschrieben worden, um eine christliche Gemeinde im Glauben an Jesus als den Messias und Sohn Gottes zu stärken. Zu diesem Zweck wählt der Evangelist aus der ihm vorliegenden Tradition solche Stücke aus, die ihm geeignet erscheinen, die Einwände, die zu seiner Zeit gegen die Messianität Jesu gemacht wurden, zu widerlegen und so den Glauben an Jesus als den Messias als richtig zu erweisen. Der wichtigste Einwand gegen die Messianität Jesu ist, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Der vierte Evangelist pariert diesen Einwand u.a. dadurch, dass er den Kreuzestod Jesu als die Vollendung des ihm vom Vater gegebenen Auftrags darstellt (12,27f;  17,1.4;  18,11;  19,30). Der Kreuzestod Jesu gehört zum Heilsplan des Vaters, ohne diesen Tod gäbe es kein Heil, ohne diesen Tod wäre Jesus nicht der Messias. Darum ist die Passion und insbesondere der Kreuzestod die Stunde der Erfüllung seiner mess. Sendung, „seine Stunde“. Darum weist der Evangelist von Anfang an immer wieder auf diese Stunde (2,4;  7,30,  8,20,  12,23.27) und auf die Notwendigkeit des Kreuzestodes und dessen Heilsbedeutung hin (1,29.36;  2.18-22;  3,14-17,35). Gott hat alles, was für das Heil der Menschen notwendig ist, in Jesu Hand gegeben, ebenso 13,3 und 17,1f, wo die Ausübung dieser Vollmacht mit dem Gekommensein der „Stunde“ und seiner Verherrlichung begründet wird (6,51c;  8,21.28;  10,11.15.17f;  11,50-52;  12,23-36). Jesus selbst hat genau gewusst, dass der Kreuzestod zu dem Werk gehört, das ihm der Vater zu vollbringen aufgetragen hat. Er ging im Gehorsam gegen den Willen des Vaters und aus Liebe zu den Seinen diesem Tod entgegen (42).

Alle diese Momente sind am Eingang der jhn Passionsgeschichte in der Szene der Fußwaschung dem Leser vor Augen gestellt. Die Fußwaschung ist für den Evangelisten ein Zeichen (semeion) und hat wie jedes andere Zeichen im vierten Ev eine verborgene heilsgeschichtliche und christologische Bedeutung, die erst nach Ostern, unter dem Beistand des Parakleten, erkannt werden kann (13,7b): Der schmählich, entehrende Tod am Kreuz ist von Jesus im Sklavendienst der Fußwaschung im voraus dargestellt worden. Der Dialog zwischen Petrus und Jesus (13,7f) dient dazu, den gläubigen Lesern den verborgenen zeichenhaften Charakter der Fußwaschung zu erschließen. Durch das Unverständnis des Petrus ist Jesus genötigt, sein Tun näher zu erklären. Petrus erkennt nicht, dass die Fußwaschung für Jesus eine zeichenhafte Handlung ist, er betrachtet sie als ein rein profanes Geschehen, als Sklavenarbeit, die mit der Stellung Jesu unvereinbar ist. Petrus hat nicht erkannt, dass die Fußwaschung Zeichen des Heilshandelns Jesu ist, er spricht aus Unkenntnis, als Unwissender. Nicht das Tun oder Verhalten des Petrus steht im Mittelpunkt, sondern das Tun Jesu. Es geht nicht darum, ob sich Petrus die Fußwaschung gefallen lassen muss oder nicht, sondern ob sich Jesus diesem Sklavendienst unterziehen muss oder nicht: ob Jesus den Kreuzestod auf sich nehmen muss oder ob er ihn umgehen kann. Die Antwort Jesu heißt: die Fußwaschung muss ich vollziehen, d.h. der Kreuzestod ist notwendig, sonst gibt es kein Heil (43f).

13,10: Der Gebadete ist ganz rein: Das durch die Fußwaschung zeichenhaft dargestellte Heilsgeschehen ist das Bad, das jede weitre (religiöse) Waschung oder Reinigung überflüssig macht. Der Kreuzestod Jesu bewirkt völlige Reinheit, die durch nichts ergänzt, durch nichts übertroffen werden kann. Im jhn Schrifttum, einschließlich der Offb, ist mit den Begriffen 'waschen' und 'reinigen' nie die Vorstellung von der christlichen Taufe verbunden (die Taufe wird vielmehr als Geburt von oben 3,3 bezeichnet), sonder fast ausschließlich die Reinigung von den Sünden durch das Blut (=Kreuzestod) Jesu (1Jh 1,7;  3,5;  4,10; Offb 7,14;  22,14;  Tit 2,14; Hebr 1,3;  9,14;  10,22). Die christologisch-soteriologische Deutung wird schon durch die Einleitungsverse 13,1-3 nahegelegt. Sie setzen die Fußwaschung in enge Beziehung zum Tod Jesu. Dem Inhalt nach sind diese Verse christologische Aussagen im Sinn des Zwecks des Evs, zum Erweis der Messianität Jesu trotz der gegnerischen Einwände. Der Evangelist spricht nie vom 'Kreuz' oder 'Leiden', sondern wie 13,1 vom Hingang zum Vater, vom Hingehen (7,33;  8,14.21f;  16,5.10.17) oder vom Verherrlichtwerden (7,39;  12,16.23;  13,31f;  17,1.5) oder vom Erhöhtwerden (3,14;  8,28;  12,32.34). In 13,2 wird gesagt, dass die Fußwaschung (=der durch sie zeichenhaft dargestellte Kreuzestod) der höchste Liebesbeweis Jesu gegenüber den Seinen ist. Am meisten scheint 13,3 auf den christlogisch-soteriologischen Gehalt der Vv 6,-10 hinzuweisen. Jesus weiß, dass der Vater alles in seine Hände gelegt hat. Damit ist im vierten Ev die Macht und der Auftrag gemeint, das Heil der Menschen zu wirken. Diesen Auftrag erfüllt er in der Hingabe seines Lebens in den Kreuzestod. „Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen“ (10,18). 13,3 (wissend, „dass er von Gott ausgegangen ist und zu Gott hingeht“) drückt den göttlichen Ursprung seiner Sendung aus (45-48).