(1) Der Zwischenfall in Antiochien (Gal 2,11-14)

L. Wehr

Nur im Gal geht Paulus explizit auf sein Verhältnis zu Petrus ein. Durch die Situation bedingt lässt Paulus sich teilweise zu äußerst leidenschaftlichem und polemischem Tonfall hinreißen. In dieser außergewöhnlichen Lage fallen die Äußerungen über Petrus, Die drohende Hinwendung der Gemeinde zu einem „anderen Evangelium“ und die damit verbundene Abwertung des pln Apostolats sind der Anlass, dass Paulus sein Verhältnis zu Petrus darzulegen versucht (29).

Nach dem antiochienischen Konflikt ist es zu einem Bruch zwischen Petrus und Paulus gekommen. Er hatte zur Folge, dass Paulus Antiochien für immer verließ und zur selbstständigen Heidenmission aufbrach. Dennoch kam es nicht zur Kirchenspaltung. Paulus war sehr an der Einheit der Kirche und der Gemeinschaft mit den übrigen Aposteln und insbesondere Jerusalem gelegen. Deshalb legte er auch großen Wert auf die Kollekte für Jerusalem als Zeichen dieser Gemeinschaft. Aber die Ausprägung eines pln Einflussbereichs neben einem ptrn um Antiochien musste zu einer unterschiedlichen Ausgestaltung des christlichen Glaubenslebens führen, da die theologischen Positionen zu unterschiedlich sind (34).

a. Die galatischen Gemeinden und die Gegner des Paulus

In Apg 16,6 erwähnt Lukas eine Reise des Paulus durch das ‚galatische Land’ am Beginn der sog. zweiten Missionsreise. Nach Apg 18,23 stärkte Paulus während seiner ‚dritten Missionsreise’ im galatischen Land die dort befindlichen Christen. Abgefasst hat Paulus den Gal wahrscheinlich auf seiner sog. dritten Missionsreise nachdem er Ephesus verlassen hatte (34f).

Nach dem Fortgang des Paulus sind Wandermissionare in die galatischen Gemeinden eingedrungen und haben eine Lehre verbreitet, die in den Augen des Paulus „ein anderes Evangelium“ ist. Die Gemeinden haben sich von dieser neuen Lehre begeistern lassen. Paulus sieht seine Mission gefährdet. Er weiß, dass ‚diese Leute’ die Gemeinden wieder unter das Gesetz stellen wollen (Gal 3,2-5; 4,21), dass sie sogar die Beschneidung von den Heidenchristen fordern (Gal 5,2f) und dass sie selbst Judenchristen sind (Gal 5,13). Die Versklavung unter das Gesetz ist wie ein Rückfall ins Heidentum (35).

Die Gegner attackieren nicht nur das pln Evangelium, sondern greifen auch die Autorität des Apostels an. Im Gal 1f betont Paulus so vehement seine Unabhängigkeit von Menschen hinsichtlich seines Evangeliums und seine direkte Berufung durch den Auferstandenen, dass man dahinter als Anlass Versuche seiner Gegner sehen muss, ihm genau dies streitig zu machen. Die negativ formulierte, abwehrende Wendung „Apostel nicht von Menschen und nicht durch einen Menschen“ (1) lässt erkennen, dass man ihn als Apostel der zweiten Generation bezeichnete, der nicht selbst von Jesus berufen war, sondern erst später durch andere zum Glauben gekommen ist (35f).

Diese Gegner scheinen Petrus und die übrigen Jerusalemer Apostel anzuerkennen. Andernfalls hätte die betont positive Bezugnahme auf sie in Gal 2,1-10 keinen argumentativen Wert.

Paulus hat es mit betont am Gesetz festhaltenden Judenchristen zu tun, die die Gemeinden nicht nur auf das Gesetz verpflichten wollen und die Beschneidung fordern, sondern die zugleich auch den Apostolat des Paulus anzweifeln und deswegen sein Evangelium für falsch erklären. Ähnlich wie bei dem Parteienstreit in Korinth (1Kor 1,13) ist die pln Kreuzestheologie verdrängt worden (Paulus muss das Kreuz als Ende des Gesetzes und einzigen Grund der Rechtfertigung wieder neu in Erinnerung rufen Gal 5,11: 6,14). Die galatischen Christen versuchen wieder, im Vertrauen auf das Gesetz und nicht im alleinigen Vertrauen auf das Kreuz Rechtfertigung zu erlangen (36).

b. Das Argumentationsziel des Paulus

Wenn Paulus von der Unabhängigkeit seines Evangeliums überzeugt war, warum legt er dann Wert auf die Bestätigung durch Jerusalem? Wie kann er in Gal 1,6-9 so scharf die Existenz eines „anderen Evangeliums“ zurückweisen und dann aber in Gal 2,7 die Unterscheidung seines Evangeliums an die Unbeschnittenheit von einem Evangelium an die Beschneidung, das dem Petrus anvertraut sei, vornehmen? Wie kann er noch einen „Apostolat der Beschneidung“ (Gal 2,8) von seiner Sendung „zu den Heiden“ unterscheiden, wo doch für Paulus seit Christi Tod und Auferstehung alle, Juden und Heiden, in gleicher Weise ihre Rechtfertigung nicht mehr durch das Gesetz, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus erlangen (Gal 3,28)? Wie passt die Betonung der Unabhängigkeit seines Apostolats zu dem ausführlichen Bericht von seiner Anerkennung durch die Jerusalemer Autoritäten? Welchen Sinn macht eine Kollekte der Heidenchristen als Zeichen der Einheit, wenn es keine theologischen Differenzen gibt?

Diese Spannungen in der Argumentation des Paulus deuten darauf hin, dass sich die Abmachung in Jerusalem nicht so glatt der pln Argumentation einfügen lässt, wie Paulus suggerieren will. Es muss auf dem Konvent Differenzen gegeben haben. Zwar wurde das Evangelium des Paulus anerkannt, aber es blieben unterschiedliche Akzente in der Verkündigung der Jerusalemer an die Juden einerseits und des Paulus and die Heiden andererseits (37).

Es ist fraglich, ob zwischen Paulus und den Jerusalemern tatsächlich Einigkeit darüber bestand, dass Paulus ein direkt von Gott stammendes völlig unabhängiges und inhaltlich anderes Evangelium verkünden dürfte. Wenn dies wirklich so klar gewesen wäre, wie konnte es dann zum Konflikt in Antiochien kommen (38)?

Paulus kann den Gegnern in Galatien gegenüber nicht geltend machen, dass man sich in Jerusalem auf das eine pln Evangelium geeinigt habe. Statt dessen kann er ‚nur’ seine Gleichstellung mit Petrus feststellen (2,7). Dies stärkt zwar auch schon seine Position gewaltig, bildet aber nicht den eigentlich zu erwartenden Höhepunkt der Argumentation. Wenn Paulus dann im folgenden den Konventbeschluss so darstellt, dass man sich auf eine Aufteilung der Zielgruppen geeinigt habe, soll dies darüber hinwegtäuschen, dass damit auch ein anderer Inhalt in der Verkündigung verbunden war (39).

Der radikale Standpunkt des Paulus, der auch für die Juden das Gesetz als Heilsweg ablehnt, konnte auf Dauer nicht ein anderes stärker am Gesetz festhaltendes Evangelium dulden, spätestens dann nicht, wenn diese Verkündigung in seinen heidenchristlichen Missionsbereich eindrang. Dass aber Jakobus und die ihm verbundenen Judenchristen noch am Gesetz festhielten, zeigt der durch das Erscheinen der Jakobusleute in Antiochien ausgelöste Streit. Nicht nur für die Heiden-, sondern auch für die Judenchristen gilt, dass sie die Rechtfertigung nur durch die Erlösungstat Christi am Kreuz erlangen. Nur durch den Glauben finden sie das Heil. Deshalb kann Paulus nicht eine gesetzlich orientierte Verkündigung an Juden neben seinem Evangelium dulden, zumindest nicht in seinen heidenchristlichen Gemeinden (39f).

Paulus ist seine Anerkennung durch die Apostel ‚vor ihm’ als ergänzendes Argument wichtig, wenn er auch auf den naheliegenden Höhepunkt seiner Argumentation verzichten muss, nämlich die Anerkennung seines Evangeliums als allein maßgeblich. Immerhin kann er darauf verweisen, dass auf dem Konvent seine Verkündigung als für die Heidenmission maßgeblich anerkannt wurde, und um Heidenchristen dreht sich der Streit in Galatien (40).

c. Der Apostelkonvent (Gal 2,1-10)

Der pln Jerusalem-Aufenthalt anlässlich des Konventes hat für Paulus ein viel größeres Gewicht als der Kurzbesuch bei Petrus 14 Jahre zuvor. Es geht um die Thematik „das Evangelium, das ich unter den Heiden verkünde“ (2), „unsere Freiheit, die wir in Christus Jesus haben“ (4), und „die Wahrheit des Evangeliums“ (5). Paulus nimmt den Heidenchristen Titus mit, der nicht gezwungen wird, sich beschneiden zu lassen (1.3). Die Polemik gegen die “eingeschlichenen Falschbrüder“ (4) hat in 2Kor 11,26 eine pln Parallele. Paulus bezeichnet seine eigene apostolische Sendung zu den Heiden als ihm „geschenkte Gnade“ (9). Die Gegenüberstellung von ‚Beschneidung’ und ‚Unbeschnittenheit’ (7) findet sich häufig bei Paulus (Gal 5,6; 6,15; Röm 2,25f; 3,30; 4,10; Kol 3,11). Von einem „Evangelium der Beschneidung“ spricht Paulus sonst nicht. Im Röm als auch im Gal gilt im Sinne des Paulus für Juden und Heiden das gleiche Evangelium. Die Aufteilung des Evangeliums in zwei Arten läuft sonstigem pln Sprachgebrauch stracks zuwider (48f).

Paulus hat einerseits ein gespanntes Verhältnis zu Jerusalem, andererseits ist ihm die Einheit mit der dortigen Gemeinde sehr wichtig. Die Kollekte ist das sichtbare Zeichen dieser Verbundenheit. Die christliche Gemeinde in Jerusalem besitzt als Zentrum des Judenchristentums, als Aufenthaltsort des Petrus und Jakobus und als Ausgangspunkt des Evangeliums (Röm 15,19) eine deutliche Autoritätsstellung. Dies muss zwangsläufig zu einer Kollision mit der pln Absicht im Gal führen, da Paulus gerade auf die Unabhängigkeit seines Apostolats und seines Evangeliums von den führenden Männern in Jerusalem abhebt. Er ist nicht von Menschen, sondern direkt von Christus berufen worden (49).

Die Vv 6.9f enthalten als einzige Verse objektive Tatbestände: Paulus wurde von den Maßgeblichen nichts auferlegt, man reichte sich die Hand, Paulus und Barnabas betreiben Heidenmission, die anderen wenden sich den Juden zu, und Paulus und Barnabas wurden auf die Kollekte für Jerusalem verpflichtet. Alles andere steht unter dem Verdacht, pln Deutung zu sein. In der Wiedergabe dessen, was die Jerusalemer Autoritäten ‚sahen’ und ‚erkannten’, ist mit pln Tendenz in der Darstellung zu rechnen. V 8 gibt ein Faktum wieder, ohne dass gesagt würde, wer diesen Tatbestand feststellt: „denn der in Petrus wirksam gewesen ist zum Apostelamt unter den Juden, der ist auch in mir wirksam gewesen unter den Heiden“. Dieser Vers könnte eine pln Deutung des Konventbeschlusses beinhalten, die in bewusster Parallelität zu V 7 formuliert wäre (52).

Die Verschachtelung der Vv 6-9 muss mit der Problematik des Konventsergebnisses zu tun haben, d.h. damit, dass Paulus hier Schwierigkeiten hat, seine Argumentationsabsicht gegenüber den Galatern mit der Einigung auf dem Konvent in Einklang zu bringen. In der Konsequenz seiner Argumentation von Gal 1 läge es, wenn er nun von einer Einigung auf ein Evangelium berichten könnte (Gal 1,7: Es gibt kein anderes Evangelium). Dies ist auf dem Konvent nicht geschehen. Vielmehr hat man sich nicht nur auf unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche geeinigt, sondern auch auf inhaltliche Unterschiede, denn in den Vv 7f, in denen sich Paulus betont mit Petrus auf eine Stufe stellt, spricht er nicht von einem mit dem ptrn identischen Evangelium, sondern auffälligerweise von einem „Evangelium der Heiden“ und einem „[Evangelium] der Beschneidung“ und in gleicher Weise von einem doppelten Apostolat. Beides bedeutet auch einen inhaltlichen Unterschied in der Verkündigung. Um aber dennoch die Einheit mit den Jerusalemern zum Ausdruck zu bringen, auf die es ihm ja den Galatern gegenüber ankommt, spricht er nicht von der Identität seines Evangeliums mit dem des Petrus, sondern von der Gleichwertigkeit beider Evangelien (7). Bezüglich des Apostolates spricht er von derselben ‚Wirkursache’ (8): Gott wirkt in beiden zu einem unterschiedlichen Apostolat (53).

Nachdem Paulus in V 6 deutlich herausgestellt hat, dass ihm keine Auflage gemacht wurde, will er dies in V 7 bekräftigen. Eine solche Verstärkung in der Linie der pln Argumentation in Gal 1f wäre es z.B., wenn er nun sagen könnte: ganz im Gegenteil, die Angesehenen sahen, dass sich gesetzliche Auflagen mit dem Evangelium ‚nicht vertragen’. Statt dessen kann Paulus aber nur von der Gleichwertigkeit seines Evangeliums an die Heiden mit demjenigen des Petrus an die Juden sprechen. Die Judenmission hat weiter gesetzliche Vorschriften zu beachten, die antiochenische Heidenmission dagegen nicht (54).

Das Ziel der Vv 7f besteht darin, die Ebenbürtigkeit des Paulus mit Petrus trotz bestehender Unterschiede herauszustreichen. Die Einheit mit Petrus ist Paulus hier so wichtig wie an keiner anderen Stelle seiner Briefe. Nirgend sonst liegt ihm die Gleichrangigkeit mit Petrus so sehr am Herzen wie hier. Es bedeutet die stärkste Aufwertung für Paulus, dass er sich in dieser Weise mit Petrus auf ein und dieselbe Stufe gehoben wusste. Zugleich gilt, dass Paulus auch an keiner anderen Stelle so positiv über Petrus spricht wie hier: Petrus ist das Evangelium anvertraut, in ihm wirkt Gott in gleicher Weise wie in Paulus – nur mit anderer Zielrichtung. Petrus wird von Paulus selbstverständlich anerkannt als von Christus gesandter Apostel. In Gal 2,11.14 berichtet Paulus von einem heftigen Streit mit Petrus. Nirgends sonst distanziert sich Paulus so deutlich von Petrus wie hier (2,11f). In Gal 2,9 ordnet Paulus Petrus wieder in eine Reihe mit Jakobus und Johannes ein. Petrus ist zwar ein berufener Apostel wie Paulus, in ihm wirkt Gott, aber er lässt sich in für Paulus entscheidenden Fragen nicht konsequent von der Gnade leiten (54f).

Der Konvent in Jerusalem war kein durchgängiger Sieg für Paulus. Sein Evangelium wurde nicht als das einzig gültige für alle, Juden und Heiden, anerkannt. Vielmehr wurden die Verantwortungsbereiche für die Mission unter Juden und diejenige unter den Heiden aufgeteilt. Diese Aufteilung war nicht nur eine organisatorische, sie betraf auch die inhaltliche Ausprägung des Evangeliums. Was auf dem Konvent gutgeheißen wurde, ist die beschneidungsfreie Heidenmission der antiochenischen Gemeinde, die von Paulus und Barnabas praktiziert wurde. Insofern ist Paulus tatsächlich als gleichberechtigter Apostel anerkannt und sein Evangelium an die Heiden bestätigt worden. Der offensichtliche Erfolg der pln Mission war für das Zustandekommen dieser Vereinbarung sicher nicht unerheblich. Vor allem herrschte Einigkeit, dass die Beschneidung von den Heidenchristen nicht mehr verlangt wird. Die fehlende inhaltliche Übereinstimmung überdeckt Paulus, indem er die Gleichrangigkeit, nicht die Identität der beiden theologischen Strömungen herausstreicht. Die Beschneidung, die die Gegner in Galatien wieder fordern, ist für die pln Mission kein Thema mehr (56).

Thema des Konventes war auf jeden Fall die Beschneidungsfrage. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass Paulus den unbeschnittenen Heidenchristen Titus (2,1.3) zu seinem Begleiter erwählte. Da Titus von den Jerusalemern nicht zur Beschneidung gezwungen wurde (2,3), ist ein objektives Faktum gegeben, das bestätigt: Man hat in Jerusalem die beschneidungsfreie Heidenmission bestätigt (57).

Für seine Motivation, nach Jerusalem zu gehen, gibt Paulus drei Gründe an: a) eine Offenbarung (2,2), b) Paulus will den Angesehenen das Evangelium vorlegen, das er unter den Heiden verkündet, „damit ich nicht ins Leere laufe oder gelaufen bin“: Paulus ist sich aufgrund seiner Berufung sicher, dass sein Evangelium dem Willen Gottes entspricht, aber er sucht dennoch in Jerusalem die äußerliche Bestätigung durch die dortigen Autoritäten, vor allem durch die Apostel vor ihm. Das Problem des Paulus ist die Subjektivität seiner Berufung. Die sichtbare und objektive Bestätigung durch die Autoritäten in Jerusalem ist ihm deshalb wichtig. Paulus selbst ist sich seiner Sache sicher. Der Konvent kann seinen Apostolatsanspruch nicht begründen, aber er kann ihn gegenüber den pln Gegnern öffentlich bestätigen. c) Paulus nennt in 2,4f die „eingeschlichenen Falschbrüder“, gegen die ihm die Zustimmung der Jerusalemer zu seiner Verkündigung ein wichtiges Argument war (57f).

Was immer sie waren, geht mich nichts an; Gott sieht nicht auf die Person“ (6). Paulus, der sich im Kontext nun so oft auf die ‚Angesehenen’ beruft, will zum Ausdruck bringen, dass ihre Autorität für ihn nicht ausschlaggebend ist und dass ihr Ansehen bei den Gegnern nichts zählt. Sie haben ihm nichts auferlegt, darauf will Paulus hinaus. Paulus will den Eindruck vermeiden, er habe sich doch den Jerusalemern untergeordnet (58f).

In 2,9 tritt wieder deutlicher der Unterschied zwischen Paulus/Barnabas und den ‚Säulen’ hervor; zwar reichen sie sich die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft (koinonia), aber ihre Mission geht nun getrennte Wege („wir zu den Heiden, sie zu den Juden“). Paulus hebt seine besondere Gnade hervor („sie erkannten die Gnade, die mir geschenkt ist“), die ihn gerade von den ‚Säulen’ und im besondere von Petrus unterscheidet (59).

d. Der antiochische Konflikt (Gal 2,11-21)

Im Konventsbericht war Paulus an der Anerkennung der Ebenbürtigkeit seines Evangeliums an die Heiden mit demjenigen des Petrus an die Beschneidung und an der Einigkeit mit den Jerusalemern gelegen. Nun tut sich ein tiefer Graben auf zwischen denen, die für das Evangelium der Beschneidung zuständig sind, und Paulus, der zudem noch seinen engen Mitarbeiter Barnabas an die andere Seite verliert (61).

In seinen Vorwürfen gegen Petrus nimmt Paulus nicht auf den Konvent bezug. Er konnte sich nicht auf die Jerusalemer Vereinbarung berufen, da die in Antiochien zur Debatte stehende Frage dort nicht verhandelt wurde. Auf dem Konvent ist Paulus zwar in seiner beschneidungsfreien Heidenmission bestätigt worden, aber sein Evangelium wurde nicht mit allen seinen Konsequenzen akzeptiert.

In V 11 sagt Paulus „ich widerstand Petrus ins Angesicht“, weil Petrus in den Augen des Paulus – „ein von Gott Verurteilter war “. Nicht einmal Petrus hat er geschont, dem er sich soeben noch (2,7) an die Seite gestellt hatte. V 12 beschreibt das Verhalten des Petrus vor und nach dem Eintreffen der Jakobusleute. Paulus nennt das Verhalten des Petrus und der anderen Judenchristen ‚Heuchelei’: „sie gingen nicht auf dem geraden Weg hinsichtlich der Wahrheit des Evangeliums“ (2,14) (61f).

a) Paulus ereifert sich
über die Inkonsequenz im Verhalten des Petrus, der nach seiner Ankunft in Antiochien zunächst mit den Heidenchristen Tischgemeinschaft gepflegt hatte, sich dann aber nach der Ankunft einiger Judenchristen, die aus dem Kreis um Jakobus in Jerusalem stammen, von der Tischgemeinschaft zurückgezogen hatte. Die Deutung dieser Tatsache markiert die theologischen Differenzen zwischen Petrus und Paulus (63f).

b) Für Paulus hat
das Verhalten des Petrus Konsequenzen, die mit der Wahrheit des Evangeliums unvereinbar sind. Paulus Vorwurf lautet: „Wenn du als Jude heidnisch und nicht jüdisch lebst, wie kannst du die Heiden zwingen, jüdisch zu leben“? Paulus hebt hier darauf ab, dass Petrus eigentlich hinsichtlich der soteriologischen Bedeutungslosigkeit des Gesetzes mit Paulus übereinstimmt, dass er grundsätzlich die Berechtigung, ‚heidnisch zu leben’ anerkennt. Durch sein Verhalten zeigt er aber an, dass aus Rücksicht auf die Judenchristen die Einheit der Gemeinde letztlich nur über das Gesetz zu erreichen ist. Petrus handelt gegen seine bessere Einsicht und gegen seine eigenen Grundsätze, die er vorher durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hatte. Obwohl man erkannt hat, dass die Gerechtigkeit nicht aus den Werken des Gesetzes kommt, sondern aus dem Glauben an Jesus Christus (Gal 2,16), macht man wieder einen Rückschritt, indem man sich neu unter das Gesetz stellt und so den Kreuzestod Jesu in der Konsequenz dieser Einstellung letztlich für soteriologisch unbedeutend (2,21) und das Gesetz für heilsentscheidend hält (64f).

Erst in Antiochien hat sich Petrus über die Speisevorschriften hinweggesetzt. Dies deutet Paulus als Akzeptanz seines Evangeliums durch Petrus. Petrus hat damit gezeigt, dass die Beachtung des Gesetzes für ihn kein Weg mehr zum Heil ist. Er hat durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, dass er mit der Kernaussage der pln Rechtfertigungslehre (2,16) übereinstimmt. Da Paulus nicht auf den Konvent Bezug nimmt, hat Petrus diese Position auf dem Konvent noch nicht vertreten. Dort ging es um die Gleichberechtigung von Heiden- und Judenmission. In Antiochien kommt es durch die Anwesenheit der Jakobusleute zum Konflikt mit Paulus. Die Judenchristen ziehen sich von der Gemeinschaft mit den Heidenchristen zurück. Der Vorwurf der Heuchelei (2,13) gegen Petrus, Barnabas und die anderen Judenchristen bringt zum Ausdruck, dass sie – aus der Sicht des Paulus – grundsätzlich das pln Evangelium anerkannt haben und mit ihm übereinstimmen (66).

Wenn Petrus in Antiochien weiterhin jüdisch gelebt hätte, hätte Paulus ihm den Vorwurf der Heuchelei nicht machen können. Dies hätte dem auf dem Konvent beschlossenen Nebeneinander entsprochen. D.h. Paulus hat auf dem Konvent die Existenz eines judenchristlichen Evangeliums, das das Gesetz weiterhin (wenigstens in Teilen) beachtet, neben seinem gesetzesfreien heidenchristlichen Evangelium geduldet. Der Zorn des Paulus richtet sich nur gegen diejenigen, die wieder zum Gesetz zurückkehren, nachdem sie es als nicht heilsnotwendig erachtet haben. Sie zwingen durch ihren ‚Rückfall’ die Heiden zur Übernahme des Gesetzes, da von nun an in Antiochien nur noch über das Gesetz die Einheit der Gemeinde wiederhergestellt werden kann (67).

Die Jakobusleute sind ihren Voraussetzungen, d.h. ihrem Evangelium treu geblieben. Diese Haltung wird Paulus für unvereinbar halten mit seinem Verständnis der Bedeutung von Tod und Auferstehung Jesu, denn die Rechtfertigung aus Glauben ist nach Paulus auch für die Judenchristen der einzige Weg zum Heil (Röm 3,23). Verurteilen will Paulus sie jedoch nicht, hatte er sich doch in Jerusalem auf den Kompromiss, ihre Ausprägung des Christusglaubens zu dulden, eingelassen (67).

c) Auch Petrus muss
gute Argumente für sein Verhalten gehabt haben: Er hat sich durchgesetzt. Die anderen Judenchristen sind Petrus und nicht Paulus gefolgt. Paulus verschweigt die Antwort des Petrus. Daraus kann man schließen, dass die Argumentation des Petrus Paulus in seiner galatischen Auseinandersetzung vielleicht sogar geschadet hätte (68).

Wenn auf dem Konvent das Nebeneinander zweier verschiedener Ausprägungen des Glaubens anerkannt wurde, ist durch das Eintreffen der Jakobusleute in Antiochien zum ersten Mal der Konfliktfall eingetreten, dass beide Formen in einer Gemeinde aufeinander prallten. Das sog. ‚Schwanken’ des Petrus lässt sich gut aus der Absicht verstehen, die Einheit mit dem Judenchristentum Jerusalems nicht zu verlieren. Petrus zeigt durch sein Verhalten seine Verantwortung für die Gesamtkirche, d.h. für Juden- und Heidenchristen. Ihm liegt daran, ein Auseinanderfallen zu verhindern. Petrus nimmt die Herausforderung des in Jerusalem beschlossenen Nebeneinanders an und versucht, ein Auseinanderdriften zu verhindern, ohne die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen (69).

Petrus musste die Heidenchristen auf bestimmte Kennzeichen jüdischer Identität (das Aposteldekret) verpflichten, damit die Einheit wiederhergestellt werden konnte. Petrus hatte sich zusammen mit den anderen Judenchristen Antiochiens der Jerusalemer Überzeugung angeschlossen, dass der Erlösungstod Jesu nicht „Ende des Gesetzes“ (Röm 10,4) ist, sondern vielmehr nur im Rahmen des Gesetzes recht verstanden werden kann. Petrus will eine Brücke bauen, dabei gehen pln Prinzipien verloren. Paulus kann deshalb Antiochien nur verlassen (69f).

Die Argumente des Petrus waren gewichtig, sonst hätten sich die anderen Judenchristen ihm nicht angeschlossen. Petrus nimmt keine radikal-judenchristliche Position ein, sondern geht einen mittleren Weg, geleitet von dem Anliegen, die heidenmissionarische Verkündigung Antiochiens, die auf die aus Jerusalem geflohenen Hellenisten zurückgeht, mit derjenigen der jerusalemer Judenchristen zusammenzubinden (70).

In 1Kor 9,20 sagt Paulus, er sei „den Juden ein Jude“ geworden, Paulus betreibt Akkomodation mit dem Ziel, Menschen für den Glauben an Christus zu gewinnen, Petrus dagegen verfällt in ein gesetzestreues Verhalten, nicht um Juden zu gewinnen, sondern um Judenchristen in dieser Lebensweise zu bestärken. Er betreibt keine Mission in Antiochien, sondern führt in der Kirche das Gesetz wieder als heilsrelevant ein. Paulus will zu seinem gesetzesfreien Evangelium hinführen, Petrus will ein gesetzliches Christentum etablieren. Während Paulus ein Verständnis des Gesetzes als Heilsweg für unvereinbar hält mit dem Glauben an Tod und Auferstehung Jesu und sie höchstens aus missionstaktischen Überlegungen vorübergehend dulden kann, versuchen Petrus und die anderen, die jüdische Lebensweise mit dem Glauben an Jesus Christus zu verbinden und sogar die Heiden um des gemeinsamen Glaubens willen auf Teile des Gesetzes zu verpflichten (72).

e. Zusammenfassung

In Galatien hatte sich die Auseinandersetzung um das Gesetz und um das pln Evangelium zugespitzt in einer Schärfe, wie wir sie aus keinem anderen Paulusbrief kennen. Die Gegner fordern von den Heiden nicht nur die Beachtung einzelner Gesetzesvorschriften, sondern auch die Beschneidung. Die Gemeinde ist im Begriff, sich auf die Seite der Eindringlinge ziehen zu lassen, denn deren Gesetzesforderungen werden zustimmend aufgenommen. Paulus sieht sein gesetzesfreies Evangelium aufs äußerste bedroht (73).

Die Schärfe der Auseinandersetzung in Galatien führt Paulus dazu, seine theologischen Überzeugungen zugespitzt zu formulieren. Nicht erst die Christuserscheinung begründet seine Erwählung, vielmehr wurde er schon im Mutterschoß von Gott ‚ausgesondert’ (1,15). Diese Erwählung kommt in der Offenbarung Christi durch Gott und in der damit gegebenen Berufung zum Heidenapostel zur Erfüllung (1,16). Von Anfang seiner Existenz an ist er ausersehen und ganz von der Gnade bestimmt (ähnlich Jer 1,6; Jes 6, 1-13; Jes 49, 1.5f). Die galatische Auseinandersetzung um das Gesetz führt Paulus dazu, seine Rechtfertigungslehre in aller Deutlichkeit zu formulieren und nötigt ihn dazu, seinen Streit mit Petrus darzustellen. Die Härte der Gegnerschaft in Galatien zwang ihn, sein Verhältnis zu den Jerusalemern ausführlich zu bestimmen und insbesondere seinen Standpunkt im Konflikt mit Petrus darzulegen (73f).

Der Konflikt in Antiochien offenbart, dass Paulus in Jerusalem ein anderes Evangelium geduldet hat, obwohl er in 1,7 ausdrücklich feststellt, ein solches gebe es nicht. Paulus kann, will er im Einklang mit der Jerusalemer Vereinbarung bleiben, nur sagen, dass es für die Heidenchristen kein anderes Evangelium gibt, für die Judenchristen dagegen schon. Für ihn selbst existiert nur ein Evangelium für Juden- und Heidenchristen. Das Nebeneinander, das in Jerusalem beschlossen wurde, kann Paulus nur als Kompromiss für eine Übergangszeit angesehen haben. In Antiochien macht Paulus dem Petrus Vorwürfe, weil dieser sich zunächst auf das gesetzesfreie Evangelium einlässt, dann aber wieder in die Gesetzesbeachtung zurückfällt und damit zu erkennen gibt, dass die Einheit der Gemeinde letztlich nur über das Gesetz zu erreichen ist. Paulus sieht seine Verkündigung an die Heiden im Kern bedroht. Die Jakobusleute kann Paulus schonen, da sie sich nicht von der Jerusalemer Abmachung entfernt haben (74).

Für Paulus hängt die Wahrheit seines Evangeliums an der Wahrheit seiner Berufung. Die Christusbegegnung war die entscheidende Wende in seinem Leben. Hier ging ihm auf, dass der Mensch nicht durch das Gesetz, sondern allein von Christus her Heil erwarten kann. Nicht Gebotserfüllung als Leistung des Menschen, sondern der vertrauende Glaube auf Jesus Christus als Angebot der Gnade Gottes macht den Menschen vor Gott gerecht. Paulus erwartet, dass alle Judenchristen ihr früheres Leben als ‚Unrat’ (Phil 3,8) ansehen. Dies können Petrus und die anderen Judenchristen in Antiochien nicht nachvollziehen. Vermutlich hat dies damit zu tun, dass sie auf einem anderen Weg zum Glauben gekommen sind. Hier wirkt zum einen die Verkündigung des irdischen Jesus nach, der zwar Kritik an einer menschenverachtenden Auslegung des Gesetzes geübt hat, der aber das Gesetz nicht grundsätzlich für aufgehoben erklärt, sondern seine eigentliche, dem Menschen dienende Funktion herausgestellt hat (75).

Den Gegensatz ‚Christus – Gesetz’, den Paulus aufrichtet, können die Judenchristen um Petrus und Jakobus nicht nachvollziehen, auch wenn sie mit dem Verzicht auf die Beschneidung der Heidenchristen Paulus schon sehr entgegengekommen sind. Kirchengemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen kann es für sie nur geben, wenn bestimmte Teile des Gesetzes weiterhin Gültigkeit haben.

Die Schwäche in der Argumentation des Paulus liegt darin, dass seine Begegnungen mit dem Auferstandenen vor Damaskus, ein subjektives Erleben war, während die anderen, allen voran Petrus und auch Jakobus, den irdischen Jesus und seine Verkündigung kannten und deshalb eine größere Kontinuität zum Judentum auch über die Ostererfahrung hinaus bewahrt haben. Paulus begreift sein ganzes Sein von der Erfahrung her, dass Christus lebt und ihm die Gnade des Apostolats geschenkt hat. Die Christus-Unmittelbarkeit bestimmt sein theologisches Denken (75).

Paulus muss sich später um die Anerkennung in Jerusalem sorgen. Er scheint in Röm 15,30f selbst zu spüren, dass er in Jerusalem bei der Übergabe seiner Kollekte Schwierigkeiten nicht nur mit den Juden, sondern auch mit den Judenchristen bekommen wird. Er weiß, wie gefährlich und verhängnisvoll für seine Botschaft und sein Missionswerk eine Ablehnung wäre (76).

Die Reserve des Paulus Petrus gegenüber hat ihren Grund in den theologischen Differenzen. In den Augen des Paulus lebt Petrus nicht konsequent entsprechend der Gnade, die ihm wie Paulus von Gott geschenkt wird. Es geht um eine theologische Differenz mit zutiefst existentiellen Folgen und damit auch um das apostolische Selbstverständnis (76).

Anhang: Ein harter Streit

T. Holtz

In Gal 1f will Paulus sein Verhältnis zu den Jerusalemer Autoritäten, insbesondere zu Petrus, darlegen. Paulus will zeigen, dass sein Evangelium und Apostolat zugleich unabhängig von und identisch mit dem der Jerusalemer ist, die vor ihm Apostel waren. Freilich zeigt der antiochenische Zwischenfall gerade nicht die Einheit des Paulus mit den Jerusalemern. Vielmehr steht er hier einsam gegen alle übrigen Akteure, die Jerusalemer ebenso wie die Antiochener. Durchdrungen von dem Recht seiner Position damals, stellt er den Vorgang so dar, dass dieses Recht sich in der Gegenwart des Briefes erneut Bahn brechen kann in einer vergleichbaren Situation. So präsentiert sich der Bericht als ein überaus diffiziles Beweismittel in einem harten Streit (344).

Bei einer Datierung des antiochenischen Zwischenfalls vor der sog. zweiten Missionsreise des Paulus ca. 50 n.Chr. wenige Monate nach dem Apostelkonzil in Jerusalem (Apg 15,36ff) wird verständlich, warum Paulus und Barnabas danach nicht mehr gemeinsam wirken und ebenso, dass Paulus nun nicht mehr in Rückbindung an und Verantwortung vor der Gemeinde in Antiochia sein Missionswerk betreibt.

Petrus kommt nach Antiochia und hat mit den Heidenchristen Mahlgemeinschaft gehalten. Da hernach die übrigen mess. Juden und Barnabas die Verhaltensänderung des Petrus mitmachen, müssen sie zuvor wie er mit den Heiden ohne Vorbehalt zusammen gegessen haben. Daraus folgt, dass die antiochenische Gemeinde zu jener Zeit in ungeteilter Gemeinschaft lebte und dass Petrus diesen Zustand bei seiner Ankunft bereits vorfand, sich also in eine bestehende Ordnung einfügte (347f).

Die Ankunft der Jakobus-Leute bewirkte, dass sich Petrus von der bisherigen Gemeinschaft mit den Heidenchristen zurückzog und sich einen gesonderten (christlichen) Lebensbereich schaffte. Die übrigen mess. Juden, selbst Barnabas, folgten ihm. Die Argumente, die die Jakobus-Leute vorbrachten, müssen so gewichtig gewesen sein, dass Paulus isoliert wurde. Mit Petrus und Barnabas stehen ihm zwei Männer gegenüber, deren Persönlichkeit in jeder Hinsicht kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Es ist anzunehmen, dass sie ihre Entscheidung gründlich von ihrem Verständnis des Evangeliums her durchdacht und vor ihm verantwortet haben (348f).

Paulus konnte sich in Antiochia mit seinem Urteil nicht durchsetzen. Antiochia spielt in seinen Briefen und seinem aus ihnen erkennbaren weiteren Weg keine Rolle mehr, eine fernere Zusammenarbeit mit Barnabas ist nicht erkennbar. Vor allem aber setzt sich in der werdenden Kirche die uneingeschränkte Mahlgemeinschaft von mess. Juden und Heidenchristen, die Paulus in Antiochia verteidigt, nicht durch (349).

Die Jakobus-Leute vertraten die mess. Juden, die nicht durch den antiochenischen Geist bestimmt waren. Ein Jude, der in kultisch reinem Milieu aufgewachsen ist, muss es als widerlich empfinden, mit einem Menschen in enge Gemeinschaft zu treten, der unbefangen dabei ist, unreine Speise zu sich zu nehmen oder auch nur der Möglichkeit offen ist, es zu tun. Gerade wegen des Ja zu dem Recht auf die eigene Geschichte, das das Apostelkonzil sprach, durften Jesus-Gläubige, die aus dem Judentum kamen, sich solcher Zumutung entziehen (354).

Dass Petrus sich solchen Überlegungen und Einreden öffnete, weist ihn weder als wankelmütig noch als unbedacht aus. Vielmehr erscheint er als einer, der die Einheit der Kirche und zugleich das Recht der mess. Juden auf die Respektierung ihrer Geschichte zu wahren bestrebt ist. So wird denn auch verständlich, warum sich ihm die übrigen Juden und selbst Barnabas anschlossen. Offenbar waren die Forderungen, die seitens der Jakobus-Leute für die Mahlgemeinschaft gestellt wurden, durchaus moderat. Für nur gemäßigte Forderungen spricht das Verhalten der ganzen Gemeinde in Antiochia, die selbst auf Kosten eines Bruchs mit 'ihrem' Apostel Paulus diese zu akzeptieren bereit war (354).

In dem Aposteldekret haben wir die verbindliche Regelung der im antiochenischen Zwischenfall aufgebrochenen Frage durch die Jerusalemer Autoritäten vor uns. Danach sind den Heidenchristen in gemischten Gemeinden nur die Bedingungen für die Lebensführung gestellt worden, die nach Lev 17f für den Nicht-Juden galten, der im Land Israel lebte. Es handelt sich um kultische Mindestforderungen, die den Bruch mit dem Götzendienst und dämonischer Befleckung dokumentieren. Man kann sich nur wundern, dass die maßgeblichen Männer in Jerusalem mit Jakobus an der Spitze einer solchen Minimalregelung zustimmten. Sie entspricht in bemerkenswerter Weise der Grundintention des Apostelkonzils. Die Heidenchristen bleiben in ihrer Lebensführung als Heiden anerkannt (so wie die Heiden in Israel, die Lev 17f unterstellt sind), aber auch die mess. Juden können in ihrer jüdischen Geschichte leben. Die Entscheidung war so einleuchtend, dass sie sich ökumenisch durchsetzte. Man kann sagen, dass nicht nur in Antiochia, sondern in der ganzen frühen Kirche Jakobus, Petrus und Barnabas gesiegt hatten (355).

Man muss annehmen, dass die Forderungen, die Petrus aufgrund der Intervention der Jakobus-Leute an die Antiochener Heidenchristen stellte, sich nicht grundlegend von dem Aposteldekret unterschieden. Paulus war bereits in Antiochia aus dem allgemeinen Konsens ausgestiegen, der dort zwischen den Jakobus-Leuten, Petrus und der antiochenischen Gemeinde erzielt wurde (355).

Die Einigung der Antiochener und Jerusalemer sowie ihre abschließende Sanktionierung durch das Aposteldekret enthält ein fundamentales Problem. Indem die Heidenchristen den Bestimmungen für die Fremden in Israel unterstellt werden, erscheint die geschichtliche Darstellungsweise Israels, die sich dem Gesetz verdankt, als der notwendige geschichtliche Gestaltungsrahmen der Kirche. Zwar müssen Heidenchristen keine Juden werden, aber sie können nur leben wie Heiden unter Juden. Theologisch lauert hier die für das Evangelium tödliche Gefahr, das Heil an eine bestimmte Geschichte, an Gesetzeswerke, zu binden und damit den Glauben zu entmachten. Deshalb musste Paulus über Petrus und seine Gefolgsleute urteilen: “sie gehen nicht auf dem richtigen Weg zur Wahrheit des Evangeliums“. So ist es nur konsequent, dass er ihrem Tun unbeugsamen Widerstand entgegensetzte, auch wenn ihn das in die Isolation führte (356).

Mit Petrus (und Jakobus) einerseits und Paulus andererseits treten in Antiochia in scharfer Ausprägung fundamentale Probleme der Lebensverwirklichung des Evangeliums hervor und stellen sich gegeneinander. Es geht um “two principles, the singularity of the gospel and the unity of the Church“ (A 82). Weil das Evangelium allein durch den Glauben wirkt, ist jede geschichtliche Fesselung des Glaubens Verrat an ihm. Es ist im strengen Sinn eine eschatologische Wirklichkeit. Sie zu verteidigen ist die Sache des Paulus (356f).

Nach dem Zwischenfall in Antiochien unterstellte Paulus seine Gemeinden ähnlichen Ordnungen, wie sie das Apostelkonzil fordert, wenn auch mit anderen Begründungen (1Kor 8-10; Röm 14f).

Die Kirche tritt ihren Weg in die Geschichte an, indem sie Petrus und Paulus zu ihren Zeugen macht: Paulus als Garant der Wahrheit des Evangeliums, Petrus als Fundament des Baus der Kirche (357).